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Deutsches Reich. Leipzia, 17. Februar. * Der ärztliche V«zir1»errt« Leipzig»Stadt and Ada. Dr. Stresemaaa. In der letzten Sitzung de« ärztlichen Bezirkrverein» Leipzig»Stadt wurde über den Antrag Meißen, dem Rerchrtagsadgeordneten Dr. Stresemann da» Bedauern über sein Ein treten sür die Kurpfuscher auszusprechen, auf Antrag des Berichterstatters Dr. Wiedel folgende Ent schließung gesagt: „Der Vezrrksverein Leipzig-Stadt bedauert mit dem Bezirksverein Meißen die Aeußerungen des Neichstagsadgeordneten Dr. Strejemann über die Naturbeilbewegung. Es erscheint ihm aber un tunlich, daß die Bezirksvereine in Form von Erklärungen oder sonstwie Stellung nehmen gegen Parlamentarier, deren Aeußerungen sich nicht mit der Auffassung der Aerzteschaft decken, solange nicht ein bewußter Angriff gegen die Aerzteschaft vorlicgt.' * Die anschlußbcdürftigen Reformer. Aus Dresden wird der „Ostpreuß. Zeitung" berichtet, daß die drei Neichstagskandidaten der ant i! em itiichen Reformpartei in Sachsen, Graefe. Wetzlich und Fritzsche, sich schriftlich verpflichtet hätten, im Falle ihrer Wahl Hospitanten der konservativen Fraktion im Reichstage zu werden, wenn es nicht zur Bildung einer eigenen Fraktion der Deutschen Reformpartei kommen sollte. Wir geben die Mit teilung wieder, ohne unsererseits eine Gewähr zu übernehmen. * Zur Ersatzwahl im 23. ländlichen Wahlkreise. Am verflossenen Dienstag stellte sich der Kandidat der nationallideralen Partei, Baumeister Unger- Mölkau, in einer von den Ortseinwohnern sehr gut besuchten Bersammlung der Wählerschaft von Böh litz Ehrenberg vor. In wirkungsvoller Rede ent wickelte er sein Programm, betonte die unbedingte Rotlvendigkeit einer Reform der Ersten Kammer im Interesse einer gesunden, zeitgemäßen Entioickelung, forderte die Vorlage eines wohlbalancierten Etats, die dringende Reform der Landgemeindeordn-ung, da mit Hand in Hand gehend eine umfassende Erwei terung des Selbitocrwaltungs- und Selbstbestim mungsrechts der Gemeinden, Vereinfachung unseres Berwaltungsapparates, Schaffung besserer Verkehrs möglichkeiten, und vor allem eine gründliche Reform des gesamten Schulwesens, das sich bis zur Stunde auf ein vielfach überlebtes Bolksschulgesetz ehrwür digen Alters stützt. Reicher Beifall lohnte den Refe renten. In der anschlies^nden Debatte wandte sich Oberpostajfistent Hennings gegen die vom Red ner betonte nationale Wirtschaftspolitik. Partei sekretär Hofmann (Fortschr. Vpt.) hob vor allem beroor, daß der Wahlkampf von den beiden libera len Parteien mit aller Entschiedenheit sowohl gegen Revolutionäre als Reaktionäre zu führen sei. Gene ralsekretär Dr. Westenberger, Landtagsabge- ordneter Nitzschke und Herr Berger traten mit warmen, überzeugenden Worten für die national liberale Saclie ein. Herr Berger widerlegte die auf rein theoretisck)en Erwägungen ruhende Forderung des Freihandels und unterstrich vor allem, daß der nationalliberale Kandidat aller menschlichen Dor aussicht nach allein in der Lage sein werde, den Wahl kreis in der Stichwahl gegen den Sozialdemokraten zu halten. Herr Landtagsabgeordnetcr Ritzschke zeichnete in kurzen trefflichen Worten ein umfasfcn- oes Bild der Fülle positiver Arbeit, welche von den nationallibcralen Abgeordneten in der letzten Ses sion in Kommissionen und im Plenum geleistet wor den ist. Auch das Schlußwort des Kandidaten wurde mit lebhaftem Beifall ausgenommen. Mit einem kräftigen Appell des Vorsitzenden, des Herrn Fabrik; besitzers Walter Schlabach, dem nationalliberalen Kandidaten zum Siege zu verhelfen endete die Ver sammlung. — Der Vorstand des Vereins säch sischer Gemeinde beamten hat auf Antrag des Vereinsbezirks Leipzig beschlossen, den Kan didaten in Form einer Bitte nachstehende Forderung vorzulegen: „Die Bestrebungen <>«s Landes pensions-Verbandes für die Gemeinde beamten Sachsens nach Kräften zu unterstützen, ins besondere dafür einzutretep, daß der Beitritt zum Lanoespensions-Derbande künftig anstatt aus Frei willigkeit für alle Gemeinden Sachsens auf gesetz lichem Zwange bcrulie. * Rationaklibcrale Geschäftsstelle. In Reichen bach i. D. ist eine Geschäftsstelle der national liberalen Partei sür den 22. Reichstagswahl« kreis (Mylau-Reichenbach) errichtet worden. Zu ihrem Leiter wurde der bisherige Generalsetretär des Vollsfparverbandes für Deutschland Dr. scient. pol. Otto Linse ernannt. * Der Verein der Fortschrittlichen Volkspartei im 13. Rcichstagswahlkreis nabm, wie uns geschrieben wird, in seiner letzten Monatsversammlung ein Referat des Parteisekretärs Hofmann über die be- »orstehenden Reichstaaswahlen entgegen. Das Re ferat zeitigte eine lebhafte Debatte. Des weiteren beschäftigte sich die Versammlung noch mit der Kan» didatcnfrage im 13. Reichstag-Wahlkreis. O * In» Bundesrat wurde die Vorlage über die Grundsätze für die Festsetzung der Beteiligungs ziffern der Kaliwerksbesitzer den zuständigen Ausschüssen überwiesen. * Die Reichsleitung und die elsaß-lothringische Verfassung. Die „Nords. Allg. Ztg." bemerkt zu der in der Kommission des Reichstags über die elsaß- lothringische Verlafsungsfraae von dem Staatssekretär Dr. Delbrück abgegebenen Erklärung: „Die Er klärung soll einerseits den von den Vertretern ver schiedener Parteien wiederholt ausgeorückten Wün schen nach einer "Mitteilung der Stellungnahme der verbündeten Regierungen Rechnung tragen, andererseits drückt sie aus, daß die Reichsleitung nicht gesonnen ist, sich am diesem für das innere Gefüge des Reichs und das Verhältnis der Bundes regierungen untereinander wichtigen Gebiete die Führung aus der Hand nehmen zu lassen. * Die Zeppelinkatastrophe bei Weilburg vor der Vudgetkommission. In der Reichstagsbudgctkom- mlssion gab Oberst Sch mied ecke am Donnerstag auf eine Anfrage einen ausführlichen Bericht über die Untersuchungen der Ursache des Berlustcs des „Z. Il" bei Weilburg und stellte fest, daß alle Offizrere ihre volle Schuldigkeit getan haben. Auch Graf Zeppelin, ter als Sachverständiger gefragt wuroe, srellte dieses Zeugnis aus. Die eigentliche Haupturiache des Unglücks war ein plötz licher, deftiger Windsroß, von dem die das Tau haltende Mannschn't überrmchl wurde. — Kriegs minister v. He einigen erklärte: Vom Kaiser war die Fahrt nickil beiohlen. Die Entscheidung war den Instanzen überlassen. Es ist nachgewiesen, daß das Luftschiff eine genügende Besatzung hatte. Der Führer hatte schon 70 Fahrten gemacht und sollte das Schiss auch im Mobilmachungsfalle führen. Die Militärverwaltung steht in leinem Gegensätze zu dem Grasen Zeppelin. Die Untersuchungs- kommission war ganz neutral und in ihr kein Vor gesetzter der Verlehrstruppen. Sie war in keiner Weife beeinflußt worden. Es liegt ein bedauerliches Unglück vor, an dem die Schuld irgend einer Per sönlichkeit nicht beizumessen ist. - Der nationalliberale Reichslagsabgeordnete Dr. Hermann Paasche vollendet am 24. d. M. sein 60. Lebensjahr. * Der Hanfabund gegen Herrn von Heydebrand. In einer Hanptvorstondssitzung des Ortsverbands Großberlin des Hansabundcs wurde nach ein gehender Diskussion einst iinmix folgende Reso lution angenommen: „Gegenüber den geflissentlich verbreiteten Entstellungen seitens des Bundes der Landwirte, wonach lediglich zu agitatorischen Zwecken behauptet wird, daß der Hansabund der Land wirtschaft feind'lich gegcniiberstkh«. fordern wir hierdurch die Leitung des Bundes der Landwirte auf, den Nachweis sür diese falschen Behauptun gen zu erbringen. Der Hansabund nnd feine Leitung hat es im Gegenteil stets als eine Notwendigkeit be tont, eine blühende, kräftige und gesunde Landwirt schaft zu erhalten. Wenn aber gelegentlich der Ver handlungen im Abgeordnetenhausc von seiten des Abgeordneten von Heydebrand behauptet worden ist, daß der Hansabund eine verhetzende Tätigkeit beneide, zo ZLtgi dies gegenüber der nachweislichen Agitatiousarbeit des Rundes der Landwirte einen » beüauerlichcu Mangel a n s crch l i ch e r Gerech tigkeit. Wir charakterisieren dieses Vorgehen des Abgeordneten o. Hydebrand als eine Demagogie u n'v erantwortlichster Art ud weisen seine unberechtigten Vorwürfe mit aller Entschiedenheit zurück." * Angeblicher Rücktritt des preußisck)«« Handels ministers. Eine Korrespondenz stellt die Behauptung auf, aus ter Antwort des Staatssekretärs Delbrück auf die Interpellation über die Zulassung fremder Werte an deutschen Börsen habe man den Eindruck gewonnen, daß bei dem Reichskanzler und dem Staatssekretär des Innern das Verhalten des preußi- sckien Handelsminister nicht in allen Punkten Beifall gefunden habe. Aus diesem Grünte er hielten die Gerüchte über einen bevorstehenden Wechsel im preußischen Handelsministerium neue Nahrung. Hierzu schreibt man der „Tägl. Rdsch.": Man kann bedauern, daß die betreffend« Korrespon denz nicht die Stellen in der Nede des Staatssekretärs Delbrück angeführt hat, aus denen man auf eine mangelute Uebereinstimmung der zuständigen Stellen im Reich und in Preußen schließen könnte. Hierbei wäre die Korrespondenz allerdings wohl einiger maßen in Verlegenheit geraten. Denn auch nicht eine einzige Redewendung de« Minister» Delbrück läßt eine derartige Deutung zu. Man darf vielmehr fest stellen, daß in der ganzen Frage von Anfang an über jede Einzelheit eine völlige Uebereinstim- m u n g in den Ansichten aller beteiligten Stellen vor handen gewesen ist. Aus diesem Grunde entbehren auch alle Schlußfolgerungen, die aus der angeblichen Meinungsverschiedenheit gezogen werden, jeder Be gründung. * Die Tagesordnung für die diesjährige General- versammlnng des Bundes der Landwirte, die am Montage, dem 2V. Februar, in Berlin stattfindet, lautet: 1> Eröffnung durch den Borsitzenden des Bun des, Freihcrrn v. W a n g e n h e r m - Klein Spiegel. 2) Ansprache des Vorsitzenden des Bundes, Herrn Dr. R o ef i ck« - Görsdors, M. d. N. 3) Berich: der vom Ausschuß gewählten Kassenrevisionskommifiion. 4) Geschäftsbericht für 1010, erstattet vom Direktor des Bundes, Herrn Dr. Dicderich Hahn, M. d. R. und Ak. d. H. d. A. .'>) Städ'isch.'r und ländlicher Mittelstand: Herr Bczirksschornsteinsegermeistcr Eon r a d t - Breslau. 6) Diskussion: Zuin Wort sind vor gemerkt die Herren aus dem Winckel Logau Schlesien, Gebhart-Lauterecken (Pfalz), Mc'glieo der bayrischen Kammer der Abgeordneten, Dr. Oertel. Hauvt- schriftleiter der „Deutschen Tag.szcitung", Guts- tesitzer Logemann-Rathlosen (Hannover), Gutsbesitzer Lind-Niederissigheim (Hessen-Kassel), Ansiedler Weber-Teichrode (Posen), Hofbesitzer Weidcnhöfer- Achimennühle (Hannover), Gutsbesitzer Meycr-Kare- Holwicsen (Westfalen), Rittergutsbesitzer v. Olven- burg-Ianujchau. M. d. R. 7) Anträge aus der Ver sammlung. — Daß die sür die Diskussion vorgemerk ten Redner mit veröffentlicht werden, war bisher nicht üblich. Sollte es aus Reklamcbedürsnis ge schehen lein? * Dritter Deutscher Privatangestellten-Tag in Berlin. Der „neue Mittelstand" rüstet zu einer ge waltigen Heerschau. Dieses Wort Schmollers enthält ein Programm und eine Zukunft, Professor Rauch berg weist daraus hin, daß „der bürgerliche Mittel stand nur infolge der rascheren Zunahme der An gestelltenschicht seinen Platz im Gefüge der Gesellschaft ohne wesentliche Einbuße dem Proletariats gegen über behaupten konnte", und er nennt die Privat angestellten „eine breite, von Jahr zu Jahr wachsende Klasse, die ihre Arbeitskraft und ihre Fähigkeiten im Dienst anderer verwertet» vermöge lhrer Vor bildung, ihrer Leistungen, ihrer Lebensansprüche und ihrer Gesinnung aber dem Bürgertums zu'uzählen ist." Dieser Schicht will jetzt ein Gesetz zu Hilfe kommen, das an der Gegenwart nichts ändert, aber dem Leben einen Halt geben will für die Zeit des Alters und der dauernden Arbeitsunfähigkeit, eine Stütze für die Hinterbliebenen im Falle frühen Todes des Ernährers. Zu diesem Gesetze soll der dritte Deutsche Privatangestellten-Tag Stellung nehmen, der am nächsten Sonntag in der „Neuen Welt" zu Berlin viele Tausende von PrivatangestelUen aus allen deutschen Bundesstaaten zusammenführen soll. Er wird vor der Oeffentlich- keir zum Ausdruck bringen, daß die übergroße Mehr zahl der Privatangestellten zwar einige erhebliche Verbesserungen wünscht, mit dem Gesetzentwurf, als Grundlage aber einverstanden ist und ferner: daß der neue Mittelstand eine Schicht des Bürger tums ist, die Beachtung fordert und verdient. Nicht nur eine wachsende Schicht, auch eine erwachende Schicht. —Der Zentralausschuß der Prinzipal verbände in Sachen der Pensionsversicherung der Privcnangestellten hält „an der Lösung des Problems auf dem Wege eines maßvollen, den Bedürfnissen der Privalaugestellten.gngepaßten Ausbaues der Invalidenversicherung fest. Der Zeutrnlaus- schuß bedauert zugleich, daß der Entwurf dura, eine einseitige Berücksichtigung-der Wünsche eines Teiles der Angestellten und die Nichtbeachtung der Inter essen und Wünsche der Prinzipalilät. die das Zu standekommen des großen sozialen Werkes im Interesse ihrer Angestellten dringlich wünscht, eine Gegensätz lichkeit zwischen beiden Gruppen geschaffen hat, die die Vollendung der vorliegenden gesetzgeberischen Arbeit nicht nur verzögern, sondern auch den inner politischen Konflikt zu verschärfen geeignet ist." Suslsnü. Oesterreich-Ungarn. * Passive Resistenz der Staatsbeamten in Triest. Wie die „N. Fr. Pr." aus Triest meldet, hat am Donnerstag früh eine passive Resistenz der Staatsbeamten eingesetzt. Diese macht sich ins besondere auf dem Telephon-, Telegraphen-, Brief- post-, Warcnpost- und Zollamt fühlbar. Italien. * Der König von Serbien in Rom. Der König begab sich heute vormittag mit dem König von Serbien zur Kaserne des 81. Infanterieregiments und dann zur Kaserne der Karabiniers, wo Uebungen vorgeführt wurden. Der König von Serbien be suchte darauf das Pantheon und legte an den Gräbern der Könige Viktor Emanuel und Humbert silberne Kränze nieder. — Der serbische Minister des Aeußern Milowanowitsch begab sich heute vormittag nach der Consulta. wo er eine lange Unterredung mit dem italienischen Minister des Aeußern San Giuliano hatte. Uusstand. * Ein neuer Vorstoß gegen die deutschen Kolonisteu in Rußland. Der Gesetzentwurf des Ministeriums Stolypcn gegen den Vodenerwerb deutscher Kolonisten russischer Staatsange hörigkeit in den westlichen Grenzprovinzen hat, wie nicht anders zu erwarten und wohl auch beabsichtigt war, an anderen Stellen ebenfalls di« nationalistische Gegnerschaft gegen die russischen Deutschen ins Feld gerufen. Der Lundschasts-(Semstwo-jAbgeordnete in Ehersson, General Kardinalowski, richtete an die nächste Semsnvo-Versammlung des Gouverne ments Chcrjson den Antrag, den deutschen Kolo nisten den weiteren Landautauf im Gouvernement Ehersson zu verbieten. Bezeichnend ist die Be gründung: „Wenn das nicht geschieht, so werden nach zehn Jahren die Deutschen im Gouvernement die russische Nanonalitat verdrängen, und der Süden Rußlands wird erst in ein fremdvöllijches, dann in ein fremdländisches Gebiet verwandelt jein. Schon heute sind die deutsclzen Kolonien Rußlands nichts weiter als Filialen Les Deutschen Reiches." Man sieht, so schreiben hierzu die „Mitteilungen ses Ver eins für das Deutschtum im Auslande", auch die famose ministerielle „Erläuterung" zu dem Kolo- nistengesetz har gelehrige Schüler gesunden. Im Gou vernement Ehersson, dem Küstengebiet des Schwarzen Meeres um Odessa, bilden die blühenden deutschen Kolonien mit an 350 000 Seelen den Kern des ganzen dortigen Wirtschaftslebens. Seit rund hundert Jahren ansässig, haben die deutschen Kolonisten nicht etwa, wie man nach General Kardinalowski an nehmen könnte, russische Bevölkerung verdrängt, son dern aus einer durch jahrhundertelange Türken- und Tatarenkriege völlig mensck^enleer gewordenen Steppenwüste einen blühenden Kulturbesitz geschaffen, zum Vorteil des russischen Staates. Wenn die zu gleicher Zeit dort angelegten russischen Siedelungen nicht mit ihnen Schritt halten konnten, so liegt das einzig und allein daran, daß der deutsche Siedler fleißiger, erfabrcner und nüchterner war als sein russischer Nachbar. * Die Studcntenunrnhen in Petersburg. Am Donnecstagmorgen zog sich die Polizei aus den Jnnenräuinen der Petersburger Universität zurück und stellte sich vor den Eingängen und in den Seitenfluren auf. Die Erregung der Studenten dauert an. Sie störten die Vorlesungen, selbst die des Rektors, und gossen zu diesem Zweck in den Hörsälen für orientalische Wissen schaften übelriechende Chemikalien aus. Darauf drang die Polizei wieder in die Universität ein und verhaftete etwa 20 Hörer, die aus die Polizeiwache gebracht wurden. Die Studenten er klärten, sie würden sich nicht eher beruhigen, bis die verhafteten Kommilitonen freigclassen würden. Ein Professor wurde von den Studenten gewaltsam aus dem Hörsaal und dem Universitätsgebüubc entfernt. Portugal. * Antiklerikale Manifestationen in Oporto. Nach Schluß einer Kathol ikenversam m lung in Oporto wurden die Teilnehmer beim Verlassen des Saales von einer Gruppe Manifestanten aus gepfiffen und verfolgt. Ein Katholik, der einen Manifestanten durch einen Revolverschuß verwundetes wurde geschlagen. Eine große Menschenmenge veran staltete vor der Redaktion des katholischen Blattes eine Kundgebung, wobei Revolverschüsse gewech selt wurden. Die Menge schlug dann die Türen zu dem Vereinshause der katholischen Arbeiter ein und zerbrach dort alles. Darauf zogen die Manifestanten durch die Straßen der Stadt. Die Polizei ist macht los. Der Zivilgouverneur reichte seine Entlassung ein. Uruguay. * Botschaft des Präsidenten. Bei der Eröffnung der Parlamentssession am Donnerstag verlas der Präsident Williman eine Botschaft, in der er mit teilte, daß während der vier Jahre seiner Amts führung ein Ueberschuß von 40 Millionen Fronten ohne eine Steuererhöhung erzielt worden sei. Urugay käme seinen Verpflichtungen regel mäßig nach. Eine einzige Anleihe von 31 Millionen für öffentliche Arbeiten sei abgeschlossen und dafür 50 Millionen der öffentlichen Schuld amortisiert worden. Der Wert des Landesbodens habe das Drei fache überstiegen. Die Statistik zeige, daß während seiner Amtsperiode für den Unterricht mehr getan worden sei als in den 30 voraufgegangenen Jahren. Die Botschaft wurde mit einhelligem Beifall aus genommen. Kstharü Wsyner nuü TheaS ar Apel. (Eine Freundschaft.) Auf der Schulbank schlossen Richard Wagner und Theodor Apel Freundschaft Uird als beide die Nikolaisckule in Leipzig verließen und ein jeder von ihnen feinen eigenen Weg antrat, entspann sich ein Briefwechsel, der auf Wagners jugendlick,« Sturm und Drangperiode viele bedeutende Streiflichter fallen läßt. Im Sommer 1532 reiste Wagner nach Wien, um die Verhältnisse dieser musikalischen Hochburg kennen zu lernen, und verweilte bei seiner Rückkehr in Prag, wo 1826 bis 1828 seine Schwester Rosalie als Schau spielerin so erfolgreich gewirkt hatte Zu ihren Be kannten gehörte Gras Pachta, auf dessen in Böhmen gelegenem Gute Praoonin Wagner mehrere Wochen verweilte, die Dichtung seiner ersten Oper „Die Hoch zeit" vollendete, um sie freilich bald wieder zu ver nichten. Don hier aus richtet er an den im schönen Heidelberg studierenden Freund zwei Schwärmbriefe. Er begreift die Möglichkeit nicyt, „so lanp« Zeit" okne den Freund leben zu können, und empfindet es al» Trost, „doch wenigsten, eine Seele zu kennen, mit der man innig verwandt ist". Jean Paulsch« Stim mungen bemächtigen sich seiner. Die Liebe zog in sein Herz: ich saß bei Jenny am Klavier — da strömte plötzlich me«ne Empfindung über; um ihr meine Tränen zu verbergen, eilte ich zum Schloß hinaus, ins Freie; ach, da leuchtete mir der Abend stern entgegen: — aus ihn heftete ich meinen Blick, er sog meine Tränen ein." Dann phantasiert er des Freundes Gedichte auf dem Flügel. Aber nicht gar lanae fesselt ihn jene» scböne Mädchen. Ein leiden» schaftliches Schreiben bringt dem treuen Apel die Kunde vom Ende dieser Beziehung. Pathetisch schreibt Wagner: „Vernimm e» denn, und schenke mir Dein Mitleid: — sie war meiner Liebe nicht wert? —" Und wie gelähmt schauten seine Blicke „in den Feuerstrom der Vergangenheit, in die Eis gruben der Zukunft." Im Jahre darauf (1833) sehen wir Wagner am Theater in Würzburg al» Thordirektor. Ernst be- Uinnt sich da« Leven für ihn pi gestalten. Er ist ans der Suche nach einer Freistatt, wo er seine Oper „Die Feen", deren Dichtung schon ausgesührt war, vollenden kann. „Leipzig steht mir zwar jeden Augenblick offen, jedoch geht mein Bestreben dahin, nicht in dieser Stadt zu leben, die mir einmal meinen Ruf begründen soll; man muß seinen Landsleuten immer etwas Neues sein, zumal da sich Nioolisation und Kabale zeitig genug schon eingestellt haben..." Immer wünscht Wagner, den Freund bei sich zu haben. So auch (1834) im Lauchstädter Sommer engagement, wo er „furchtbare Arbeit" vorfindet, manchen Tag von früh acht bis abends neun Uhr be ständig Probe halten muß und „Don Juan" und „Maurer und Schlosser" aufführt. Und im Herbst kapellmeistert er in Rudolstadt, studiert Bellinis „Romeo und Julia" innerhalb fünf Tagen ein mit zwei der unmusikalischsten Sängerinnen, streift in den schönen Umgebungen der kleinen Residenz umher und lebt in süßen Schwärmereien, vollends wenn der Gagetaq nahe ist. Er ist. aus Mangel an Zeit, momentan „ohne Liebschaft", hängt nur mit der Toni noch etwas" und erbost sich „ob der reichlichen Musik Gott hat die Musik rein zu meinem Aerger geschaffen, und es ist mir eine wahre Stär kung, dann und wann einmal zu einer Ecbriftlektüre zu kommen, und das eigentliche Abdreschen der Musik ist noch nicbts — aber wenn mir'» geschieht, wie diese Woche, so ist's vom Schöpfer recht absicht lich auf meinen Jammer abgesehen . . . meine Seele schwelgt in Leerheit und Albernheit. — dazu kommt, daß ich alle meine Liebschaften habe erkalten lassen, daß ich gespielt und beständig verloren habe, und kein Geld hab», und vor allem, daß ich in der Kom position einer Sinionie begriffen bin, um derent willen ich schon an Poblenz sin Leipzig) geschrieben habe und die ich auf keinen Fall beendigen kann." Anfang Oktober 1834 trifft Wagner in Mägde» bürg ein. nm am Stadttbeater als Musikdirektor zn wirken. Stadt und Aufenthalt saoen ihm anfänalich zu. Trotzdem verfällt er aufs Pläneschmicden, hofft mit den Opern „Dis Feen" und „Das Lieb-'sverbot" sein Glück zu mache««, dann nach nvei Jahren mit Freund Apel nach Italien und Paris zu geben: ..wer ich dann bin. das weiß ich; --- kein deutscher Philister mehr". Er bedauert den in Leipzig weilen den Freund, den „unartiges Philisteraesibmeiß um gibt", der ihm „an den Familienvcrhältnissen zu I sterben" droht. Nicht lange danach macht sich Wagner§ Unlust an der theatralischen Tretmühle lebhaft kund. I Zwar ist ihm das Komödiantenvolk mit seiner so eigenen Frische und Poesie lieber als das Leben im Familienkreise, aber er fühlt, wie hier die Poesie einen nur engen Kreis erfüllt und schließlich hur Hairdlangerarbeit wird. Ohnmächtiges Ringen, sich seiner Tatkraft zu entäußern, befällt ihn. Er wünscht sich Geld, um die Theaterdircktion übernehmen und wirken zu können. „Ich versumpfe mich oder ich zehre mich vor Kraftanstrengung auf! — Gott, schon über 21 Jahre, — als ich 18 war, war ich fast ebenso weit! — O laß uns nach Italien ziehen, und Gott gebe nur Kraft!" Die Geschäftsführung des Magdeburger Theaters ist schlecht, und die nachlässige Gagenzahlung bringt auch Wagner ungeheuer zurück. „Ich habe", bekennt er dein Freunde, „meine Lage zu wenig beurteilen können, ich habe mich durch Leichtsinn aller Art in eine solche Schuldenschmiere gebracht, daß mir die Haare davor zu Berge stehen. . . . Weinrechnunaen, — Schnciderrechnungen (denn unsereins hat ja hier gar keinen Kredit), das verfluchte Iudeiiacscbmeih, — und noch andere bare Schulden." Kein Wunder, daß Wagner von völliger Apathie gegen seine Umgebung erfüllt wird. Und doch schafft er. Apels Schauspiel „Kolumbus" wird mit Begeisterung gelesen, seine Aufführung in Magdeburg bewerkstelligt, eine Ouvertüre dazu für Orchester komponiert. Apel er weist sich nach Möglichkeit als hilfreicher Freund, sendet Geld und Trost. Immer aber ertönt der Schrei nach Geld „Ich habe jetzt drei Wochen ohne einen Heller Geld in der Tasche zugebracht, es ist rin Skandal!" schreibt Wagner Anfang April 1835. Nie sind seine Geldaffären ganz in Ordnung, und jene Misere wirtschaftlicher Unordnung setzt hier mit aller Macht ein und wnrde schließlich größer und größer. Den Sommer verbringt Wagner auf Reisen. Aber die sehrende Sorge begleitet ihn. ,.Ich sehe jetzt nur zu gut, daß da» Geld keine Chimäre, keine verächt- liche. wertlose Nebensache sei; — ich bin jetzt zu der Uebcrzeupuna gekommen, daß das Geld jetzt so gut Fleisch und Blut bekommen hat, wie die Gesellschaft, unter die der Mensch gestellt ist" Alle Einsicht frommt nicht». Einige lange Briefe an Apel be zeugen Wagner« trostlose, durch Unglück wie Leicht» strm heraufbeschworene Lage. Ziemlich ärgerliche Verhandlungen mit Leipzig wegen der Aufführung Wagnerscher Werke kommen noch hinzu. In den Briesen erscheint der Name Minna Planer. Als sie eine Gastspielreise nach Berlin unternahm schreibt Wagner: „Du hättest mich die 14 Tage über sehen sollen, die Minna von mir entfernt war. — Du großer Gott, was hat mich das Mädchen, ohne daß sic es wirklich darauf abgelegt hat, gefesselt!" In den Theaterverhültnisscn Magdeburgs ist Ebbe und Flut. Im Winter 1836 nimmt alles einen scbein- bar großen Aufschwung; ein halbes Jahr darauf ist der Zusammenbruch da. Vothmann, der Direktor, macht Bankerott, und Wagners Wanderzeit beginnt. Uebcr Berlin, Königsberg und Riga gelangt er 1840 endlich nach Paris. Die äußerste Not erwartet ihn hier. Minna Planer begleitet ihn als treue Gattin ins Elend. Am 28. Oktober muß Wagner den Gang ins Schuldgefängnis antreten. Minnas Brief an Theodor Apel ist das höchste Ehrenzcugnis, das einer Frau ausgestellt werden kann. In einem wahren Chaos von Unglück steht sie aufrecht. Wohl geht sie Apel dringlich um Hilfe an. aber mit Würde und wahrhaft weiblicher Zartheit. Und von Wagners Wert ist sie ganz erfüllt: „In Richard ist ein schönes Talent zu retten, das seinem Untergange nahegsbracht wird, denn schon ist er so weit, allen Mut aufzngeben, ohne den ist seine höhere Bestim mung verloren. Es rubt vielleicht eine schwere Ver antwortung aus denen, die sich jetzt achselzuckend von ihm wenden. Ich kann ihn nicht aufgeben. Des wegen bin ich vielleicht die eimioc. die am leb haftesten fühlt, wie schmachvoll es ist, ibn verkommen zu lassen." So beleuchtet der Briefwechsel zwischen Richard Wagner und Theodor Apel sLeivzig 1910, Breit» köpf L Härtel) die Iugendaeschichte de» Meisters, sein künstlerische« Schaffen nnd sein äußeres, durch Note mannigfa-ber Art fast unausgesetzt bedrängtes Leben. Im Jahre 1838 erblindete Theodor Apel in- folge eines Unglücksfalles. ..Und wenn", sagt der Herausgeber Theodor Apel „der körperlich konrrakte Mann auch noch geistig regsam blieb — die Möosich keit unmittelbaren und intensiven Miterlebens blieb ihm genommen, und damit auch die, dem Temvo zu folgen, das Wagners Genie dann so bald einschlagen sollte." I>«gen 5<r«nitr.