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dieser Ideen auf dem Kongress mit geistvollen Worten betont worden sind, spricht für das System der Arbeitsschule noch eine sehr wesentliche, auf dem Kon. gretz nicht zur Sprache gekommene krimi. naltstische Tatsache. Bei den iugendlichen Verbrechern kann man, wie die Statistik beweist, meistens konstatieren, datz sie nichts Ordentliches gelernt haben und hierdurch gestrauchelt sind. In einer interessanten Studie hat kürzlich «in bekannter italienischer Kriminalist, Andrea ü'Ambrosio, in der „Zeitschrift für Strafrechtswissenschaft" den Kausalzusammenhang zwischen Verbrechen und ökonomischer Passivität beleuchtet. Unter ökonomischer Passivi tät versteht man hier nicht allein Trägheit oder wirt schaftliche Krisen, sondern auch di« durch Mangel an Berufsbildung hervorgeruscne Arbeits losigkeit. Hierbei kommt er auch zu dem Resultat, datz die ökonomisch aktive Bevölkerung nur einen sehr geringen Prozentsatz der Kriminellen bildet. 60—70 Prozent aller Gefangenen gehören zu den ökonomisch Passiven, von denen die Mehrzahl un- gelernte Arbeiter sind. Alle diese Personen bilden das Hauptelemcnt der Rückfälligen, deren wachsend« Zahl die grötzte Sorge unserer Kriminalpolitikcr ist. In Ländern, in denen die ökonomisch passive Be völkerung wächst, vermehren sich die Eigentums vergehen. Ans der offiziellen Statistik Italiens geht, wir in der erwähnten Studie gesagt wird, hervor, datz sich in der Zeit vom Jahre 1881 bis 1901 die ökonomisch passive Bevölkerung dort vermehrt hat und gleichzeitig die Eigcntumsvergehen alljährlich gestiegen sind. In Frankreich und Belgien dagegen sank in der gleichen Zeit mit der Vergrösserung der ökonomisch aktiven Bevölkerung die Zahl Lieser Delikte. Alle diese Tatsachen beweisen mit zwingender Deutlichkeit, wie dringend es nötig ist, schon in den Volksschulen für Handarbeitsunterricht und genügende Anleitung für die verschiedenen Gebiete des Hand werks und der sonstigen technischen Bcrufsartcn Sorge zu tragen. Diese pädagogische Neuerung wäre sicherlich eine vorzügliche prophylaktische Matzregel zur Bekämpfung der Kriminalität. Staat und Ge sellschaft haben daher das grötzte Interesse an der Einführung der Arbeitsschule. Die Meü erläge üer KoysWcn in Portugal. Die Royalisten wurden, wie aus Madrid gemeldet wcrd, aus Vinhaeo und der Umgegend durch Kavallerie zurückgetrieben und bis an di« spanische Grenze verfolgt. Die Regierungstruppen versuchten darauf, durch einen Scheinrückzug die Monarchisten von einem Ueberschreiten der spanischen Grenze abzuhalten, um sie nochmals angrcisen und zu Gefangenen machen zu können. Die Royalisten machten indessen keinen Versuch, auf das portugiesische Gebiet zuriickzukehren. Trotz des Mitzerfolges der royalistischen Bewegung zu Lande wird gemeldet, datz der Dampfer „Sao Gabriel" gestern mit 120 Royalisten an Bord von Oporto nach Lissabon in See gestochen sei. Die Berliner portugiesische Gesandt schaft erhielt vom Minister des Aeutzern in Lissabon eine Mitteilung, in der es heißt: Die Ordnung ist im ganzen Lande voll- rft-L ndig w i e d e r h e r g e st e l l t. Man kann alle revolutionären Versuche der Royalisten als ge- jKeitert betrachten. Fast 500 Personen wurden verhaftet und werden in kurzer Zeit vor Ge richt erscheinen. Die Negierung erteilte strenge Anweisungen, datz man in der Nähe d«r spanischen Grenze keine Kämpfe liefern solle. Die zweideutige Haltung Spaniens bei der royalistischen Bewegung in Portugal wird in verschiedenen Lissabonner Kreisen auf das schärfste ver urteilt. Spanien habe es mit seiner Versicherung der Neutralität nicht aufrichtig gemeint, denn es wäre ihr doch sicher ein leichtes gewesen, die Kon zentration von 2000 Mann royalistischer Truppen an der spanischen Grenze zu verhindern. Der Eindruck der Monarchistenniederlage. Die aus Portugal in London eingetroffene Nachricht über den Untergang der monarchistischen Bewegung und das vollständig« Scheitern der royalistischen Angriffe hat in London einen tiefen Eindruck gemacht. Man nimmt hier allgemein an, datz dieser Versuch der letzte gewesen sein dürfte, der zur Wiederaufrichtung der Dynastie in Portugal unternommen wurde. Es sei ganz unmöglich, zum zweitenmal einen so gut vorbereiteten Anschlag auf das jetzige Regime zu unternehmen. Weiter wird gemeldet: London, 9. Oktober. (Eig. Drahtmeld.) Der por tugiesische Marineminister Azevedo Gomez hatte geslern mit dem Minister des Innern Almeida eine längere Unterredung, in der die Lage Portugals besprochen wurde, und falls es sich als nötig erweisen sollte, die Entsendung von Kriegsschiffen nach dem Norden Portugals ins Auge gefaßt wurde. Das Kanonenboot „Ling Octoör e" hat Lissabon ver lassen und ist nach Ericeira abgekämpft. Der Kreuzer „Sao Rafael", der gegenwärtig in Lissabon Kohlen ladet, wird sich nach Scascaes begeben und dort so lawge Aufenthalt nehmen, Lis er Befehle zur Weiterfahrt erhalten haben wird. Die Verhaf tungen in Portugal dauern fort. Bis jetzt sind 7000 Personen inhaftiert worden, di« im Ver dacht stehen, mit den Royalisten gemeinsame Sackte zu machen. Am 30. Septentber sind m«hr als 2000 Personen in Haft genommen worden. Unter den Verhafteten befinden sich viele Geistliche und Offiziere. In einem Hospital von Oporto ist ein« an einen dort krank danted«rliegenden Verhafte, ten gesandte Holzkist« beschlagnahmt worden, die an. geblich Eßwarcn für den Patienten enthalten sollte. Man fand jedoch in ihr eine grosse Liste der im Heere und in der Marine an der Verschwörung gegen die republikanische Negierung beteiligten Personen. Demission des Kriegsministers. 8t. Lissabon, 9. Oktober. (Eig. Dvahtmeldung.) Der Kricgsministcr hat wegen Uneinigkeit mit seinen Kollegen sein Amt ni«dergelegt. Der neue Kriegs minister ist Oberst Silveira. Wegen der Vor gänge im Norden verlangt die demokratisch« Gruppe die Einberufung des Parlaments. 9. Drüentlilhe Gosngelilch- lutherische Lsnüeslynoüe. (:) Dresden, 9. Oktober. Der heutigen 13. öffentlichen Sitzung, die vormittags 11 Uhr begann, wohnten wiederum der Präsident des evangclssch-lutheriicheu Landeskonsisto riums Dr. Bö Hine und mehrere Räte desselben bei. Vor Eintritt in die Tagesordnung teilte der Prä sident I). Graf Otto Vitzthum o. Eckstädt mit, Latz die Landessynode bei der gestrigen feierlichen Ein- weihung des Dresdner Soldatenheims offiziell vertreten gewesen sei. Im Anschluß hieran nahm die Synode einen Antrag des Oberhofpredigcrs DOr. Dibelius an, der dahinging, das Kirchen regiment zu ersuchen, aus Anlatz der Fertigstellung Les neuen Soldatenheims dem K r i e g s m i n i ste- rium den wärmsten Dank der Synode für diesen erfreulichen Abschnitt in der kirchlichen Ver sorgung unseres Volkes in Waffen abzustatten. Daran schloss sich die Beratung über den Antrag des Verfassungsausschusscs zum Antrag des Synodalen Gräfe und zur Petition der Haus- vätervercinigung der Trinitatis- und Andreaskuchen- gemeinde in Dresden, betreffend die Regelung der Benutzung von Friedhöfen durch di« beiden christlichen Konfessionen in anderen deutschen Bundesstaaten. Das Referat erstattete Geh. Kirchenrat Super- intcndent Dr. Hoffmann- Chemnitz. Er schilderte die Verhältnisse in Bayern, Elsass-Lothringen, Wcst- preusscn usw. und forderte den Evangelischen Bund und den Gustav-Adolf-Verein auf, die Missstände in der Friedhosfrage einmal zu beleuchten. Er hoff«, Lass sich der Gedanke «chter, ehrlicher und aufrichtig gemeinter Toleranz sieghaft immer mehr durch, arbeiten möge. Jedenfalls dürften die Friedhöfe nicht zum Schauplatz von Kleinlichkeiten gemacht werden. Namens des Verfassungsausschusses stellte er folgenden Antrag: 1. Zwar den Antrag Gräfe auf sich beruhen zu lassen, dabei aber dem Be dauern darüber Ausdruck zu geben, dass das von der Synode vor 5 Jahren gegebene Beispiel christlick>«r Weitherzigkeit in vorwiegend katholischen deutschen Landen nicht das gewünschte Echo gefunden hat, und datz noch immer der Friede der Begräbnisstätten hier und dort durch Unduldsamkeit und konfessionellen Hader gestört wird, und zugleich ihr Vertrauen zu be kunden, dass die berufenen Hüter der evangelischen Sache allerorten ohnedies die Rechte der evange lischen deutschen Christen nach Massgabe ihrer Zu ständigkeit und nach besten Kräften zu schützen bemüht sind: 2. die Petition der Hausvätervereinigung der Trinitatis, und Andreaskirchgemeinde zu Dresden hierdurch für erledigt zu erklären. Der Antrag wurde nach einer kurzen Debatte, in d«r sich sämtliche Redner für denselben aussprachen, einstimmig angenommen. Dann folgte die Beratung über den Antrag des Derfassungsausschusses zum Antrag des Synodalen Slesina, betreffend die Aoänderung der Bestimmung in 8 8 des Gesetzes vom 1. November 1836 hinsichtlich der religiösen Erziehung der Kinder aus gemischten Ehen. Der Antrag hatte folgenden Wortlaut: Hob« Sy- node wolle das Kirchenregiment ersuchen, dahin zu wirken, dass in 8 8 des Gesetzes vom 1. November 1838 die Worte: „welche das 6. Lebensjahr bereits er- füllt haben", durch folgende Fassung ersetzt werden: „welche bereits in den öffentlichen unterricht oder in einen gesetzlich gleichstehcnden Privatunterricht ein getreten sind". Als Berichterstatter fungierte Ober» lustizrat Dr. Gilbert- Schneeberg. Er beantrag!«, die Synode wolle beschliessen: Der Wunsch auf Ab änderung von 8 8 des Gesetzes vom 1. November 1836 ist dem Kirchenregiment zur Kenntnisnahme zu überweisen. Der Berichterstatter wies darauf hin, dass durch die Annahme dieses Antrages die Sorg« mancher evangelischen Mutter um die religiöse Er ziehung ihrer Kinder beseitigt würde. Nach einer kurzen Debatte nehm das Haus den Antrag des Ver fassungsausschusses gleichfalls einstimmig an. Nächste Sitzung: Dienstag, vormittag 10 Uhr. Tagesordnung: Registrande, Petitionen des Pfarrers I). Kaiser-Leipzig und Genossen, der Niedererzgebir- aischen, Chemnitzer und Bautzner Predigerkonferenz, betreffend den Konsirmandenunterricht. Vie öeutlchen in Rumänien. Nach einer annähernd verlässlichen Statistik leben heute in Rumänien rund 50 000 Deutsche, also nicht mehr als 0,7 Prozent der Gesamt bevölkerung des Landes. Trotz ihrer verhält nismässig geringen Zahl aber spielen die hiesigen Deutschen im wirtschaftlichen und kulturellen Leven Rumäniens eine nicht unerhebliche Rolle, und sie haben in Len letzten 50 Jahren dem Lande eine schier unabsehbare Anzahl von Künstlern, Gelehrten, Pro fessoren, Aerzten, Lehrern und Lehrerinnen, von Bankiers und Kaufleuten, von Ingenieuren, Archi- tekten, Hygienikern, Chemikern, Industriellen und Gewerbetreibenden aller Art gegeben. Ganz be sonders haben sie sich auf industriellem und gewerb lichem Gebiete hervorgetan, wo ihre Leistungen von den Rumänen in rückhaltloser Weise anerkannt und allen andern vorgezogen werden. Auch die deutschen Schulen, insbesondere diejenigen in Bukarest, sind wahre Musteranstalten, und das deutsche Dercinswesen in Rumänien, dessen Entwicklung auf mehr als ein halbes Jahrhundert zurückreicht, hat, wie von zuständiger rumänischer Seite freudig anerkannt wurde, dem rumänischen Volke als Beispiel und Lehre gedient. Das Zusammenleben der Deutschen mit den Ru mänen hat sich überaus freundlich gestaltet. Die Rumänen wissen die Tüchtigkeit, dir Redlichkeit und die bescheidene Zurückhaltung der in ihrer Mitte lebenden Deutschen vollauf zu schätzen, und die Deut schen vergelten die ihnen gewährte Gastfreundschaft durch aufrichtige Zuneigung für ihr rumänisches Adoptivvaterland und für die rumänische Nation, deren hohe natürliche Begabung sie kennen und wür digen gelernt haben. So hat sich ein für beide Teile nützliches und erfreuliches Verhältnis herausgebildet, das auch Len allgemeinen Beziehungen zwischen Deutschland und Rumänien zugute kommt. Die ÄmeMHe BUry erwehr. Napoleon soll einmal, auf China deutend, ge äußert Haden: „Dort liegt ein Riese, laßt ihn schlafen." Es ist aber seit Jahrzehnten alles mög liche geschehen, den Riesen zu wecken, indem alle Welt am ihn einschlug. Er reagierte indes darauf nur durch Rcjlexbewcgunaen. Seine Haut scheint für Schläge weniger empfindlich, als die des dick- fettigsten Dickhäuters. Schließlich gelang es aber doch, ihn ganz wach zu schlagen, so dass er nun be gonnen hat, sich seinen Peinigern mit zweckbewußten Handlungen ru begegnen. Die Bildung von Bürgerwehren in China ist eines der An- zeichen, daß sich der Koloss wirklich schon in seiner Ganzheit mit wachen Sinnen selbstbewußt rührt. Im Jahre 1906 gründeten zwei wohlhabende chinesische Kaufleute in Schanghai, Puyatschmg und Lipingschu, zwei Freiwillcaentorps. eines „für den Norden", d. h. die internationale Niederlassung, das andere „für den Süden", nämlich die Chinesenstadi. Aus dreihundert Mann bestand anfangs das erstere, aus zweihundert das zweite. Sie sollten bestimmt sein, „die Handelstlassen zu schützen und geiunde. kräftige Körper zu entwickeln. Nach einiger Zeit entstanden in dem einen Korps Zwistigkeiten. Hundert Mitglieder ersuchten die Verwaltung der fremden Niederlassung um Aufnahme in das von dieser unterhaltene Freiwilligenkorps. Sie wurden nicht abgewiesen, und die Folge war die Bildung einer chinesischen Kompanie des fremden Frei willigenkorps, die sich bald durch grosse mili tärische Brauchbarkeit auszeichnete. Ihr Vor bild wirkte anfeuernd auf das alte chinesi'che Korps, das sich durch Heranziehung frischer Kräfte vernärkte und sich durch strenge Satzungen einen militärischen Charakter zu geben suchte. Als Be dingung für die Aufnahme wurde festgesetzt, daß der Anwärter in einem geachteten Handelshause an gestellt. gesund und kräftig sein müsse und nicht dem Opiumlaster irgendwie ergeben fern dürfe. Ende vorige» Jahres zählte das Korps 350 Mann: Anfang dieses Jahres beschleunigte es plötzlich sein Wachsrum und zählte bald 050 Mann, und es dürste nun rasch 1000 Mann erreichen, in nicht ferner Zeit vielleicht sogar mehrere tausend. Kürzlich fand in einem chinesischen Theater Schanghais eine Vorstellung zugunsten dieser Buraez- wehr statt. Das Stücks das gegeben wurde, führte Len Titel: „Wie ein Patriot sern Vaterland liebt"; die Wirkung war so stark, daß es Gold, Geld und Juwelen förmlich regnete. Der Ertrag des Billett verkaufs belief sich auf 10000 „Man hat", hiess es nach dem Schanghaier Korrespondenten der „Times" in einem Zeitungsbericht, „Damen mir vom Weinen geschwollenen Augen aus dem Theater kommen sehen, jo sehr waren sie von der Vorstellung gepackt und ergriffen worden." Nach dem Muster der Schanghaier Vorbilder sind in anderen großen Städten wie Hankau, Sutschuan. Futschow usw. Bürgerwehren entstanden, für die meist die örtlichen Handelskammern die Hauptmittel hergeben. Die Mitglieder erhalten Uniform und Mütze, müssen dagegen Schuhwerk und Patronen- ta.che selbst beschaffen. Die Ausbildung liegt in Händen von früheren Schülern japanischer Kriegs schulen, sie dauert sechs Monate. 2m nächsten Jahre soll eine Parade sämtlicher Bürgerwehren stattfinden. Äeiseürieke aus Süüsmeriks. Von Dr. Grotcwold. I. Montevideo. Wolkenloser blauer wimmel überspannt das von mäßiger Brise bewegte Meer, als unser Dampfer in die Vai von Montevideo einläuft. Gebildet von einer Landzunge, aus der sich der Hauptteil der Stadr nufbaut, und einer durch einen Berg, den Cerro, den eine alte Festung krönt, beherrschten Küstenstrich, durch weit hinausreichende Molen, ein Werk dcutsck'er Jngeaieurkunst, gegen vir offen« See abgeschlossen, bie tet sie einen sicheren und geräumigen Hasen, den Schiffe aller Flaggen und Bauarten mit reichbrweg- tem Leben erfüllen. Montevideo, der erste südamerikanische Platz, den direkt nach dem La Plata gehende Dampfer aus Europa anzulanfen pflegen, erscheint so recht geeig. net, dem Reisenden von vornherein Sympathie für den neuen Erdteil einzuslossen. Gerave. saubere Strassen, von elektrischen Bahnen durchfahren und nachts durch Vogenlicht erlzellt, ein ruhiges, vorneh mes Strassenlcben. hübsche, mit gut gehaltenen An lagen geschmückte Plätze, einer höflichen und liebens würdigen Bevölkerung — all' das trügt dazu bei, den ersten erfreulichen Eindruck, den die Stadt an drr herrlichen Dai mit dem fast ständig klaren, blauen Himmel auf den Fremden gemacht hat. zu verstärken und ihn vergessen zu lassen, dass er sich in einem fremden Erdteil mit so ganz anderen Verhältnissen befindet, als er sie von daheim aus gewohnt ist. Letz teres kommt ihm aber um so deutlicher zum Bewusst sein. wenn er sich gezwungen siebt, die ersten Klei nigkeiten einzukaufen — sei es ein Glas Bier, eine Zigarre oder irgendein Gebrauchsqegenstand. Die geradezu fürchterlich hohen Preise, die hier für alles und jedes verlangt werden, bereiten ihm keine an genehme Ueberraschung. Der uruguayische Peso, gleich 4,40 -tt deutschen Geldes, ist in seiner Kauf kraft in den meisten Fällen der deutschen Mark nicht sehr überlegen! Man ist hier aber in einem Lande, wo man leicht Geld verdient und es ebenso leicht wieder ausgibt? Der Uruguayer und ebenso der länger hier lebend« Europäer stellen dabei in man cher Beziehung recht hohe Anforderungen an das Leben, das sie so gründlich nnd ausgiebig geniessen möchten, wie nur angängig. Man neigt zur Entsal tung beträchtlicher, oft übertriebener Eleganz in der Kleidung, trotz ungeheurer Kosten sucht man öffent liche Gebäude, Klubs. Hotels und auch Privatwoh nungen auf das Luxuriöseste einzurichten, wobei man häufig auf Sachen verfällt, die bei uns längst p-c»-« sind. In der Baukunst z. B bevorzugt man einen Re- naiffancesiil, der in Deutschland seit 20 Jahren über, wunden ist, in den Läden sieht man kunstgewerbliche Gegenständ«, die noch ganz jenen süsslichen niedlichen Charakter tragen, den bei uns das Kraftvolle nnd Herbe der Modernen längst verdrängt hat. Di« deutsche Kolonie in Montevideo ist nicht gross, aber da ihre Mitglieder grösstenteils den besser situierten Kreisen angehören — meist sind es ange sehene Kaufleute — so hat man cs doch fertiggebracht, «in behaglich eingerichtetes Klubgebüud« zu erwer ben, in dem die ansässigen oder zum Besuch hier wei lende» Deutichen ihr gesellschaftliches Zentrum fin- den. während die Montevideaner das ihrige vor- zugswcise in dem weit anspruchsvolleren und ele- gant?ren Klub Uruguay erblicken. Acußerlich trägt Lie etwa 350 000 Einwohner zäh lend« Stadt Montevideo durchaus spanischen Cha rakter: vorwiegend einstöckige, oft hübsche Höfe um schließend« Gebäude, die der Straße vergitterte Fenster Mehren. Das Leben selbst träat ab«r «inen stark an französische Einflüsse gemahnenden Zug, der — er freulicherweise — sich auch auf die kulinarisch« Seite des Daseins erstreckt. Ueberall in den besseren Hotels findet inan vorzügliche französffche Küche, was aber nicht hindert, daß man ein Diner bisweilen mir einem gebratenen Gürteltier als Vorgericht eröff net. In seinem Schuppcnpanzer geröstet und kalt ser viert, schmeckt dieses e igenartige Wildprel übrigens recht gut. Das geschäftliche Leben spielt sich hier mit einer gewissen Gemütlichkeit ab. und das berühmte Wort: runllama lmorgens gilt hier wie im ganzen spanisch redenden Amerika. Dabei werden aber doch recht beträchtliche Geschäfte gemacht und Stadt und Land sind zweifellos in einer Periode des Aufschwunges begriffen, die auch durch die Dürre des letzten Jahres nicht nachhaltig unter brochen ist, zumal, — und dies ist in Südamerika von größter Bedeutung — die politischen Zustände hier auf verhältnismässig sicherer Basis zu beruhen schei nen. Die beiden Parteien d«r Blancos skonservativ- klerikals und Colorado» (liberal), die sich seit Be stehen «der Republik oft in vlutigen Bürgerkriegen be- kämpft haben, sind zwar keineswegs versöhnt, aber die Colorados halten seit dreißig Jahren das Heft in der Hand und lassen keine etnstliche Gegnerschaft hoch- kommen. Für das Land ist das energische Regiment, das der Präsident Battle y Ordoüez aus der Hand seines Vorgängers Wiltiman übernommen hat und forffetzt, jedenfalls nur von Vorteil. Manche Pläne, wie z. B. die Verstaatlichung des gesamten Versicherungswesens, die seitens der Regierung verfolgt werden, zeigen zwar höchst moderne staatssozialistisch« Tendenz, sind aber doch wohl im Verhältnis zur Gcsamtentwicklung des Landes etwas verfrüht. Wie schon gesagt, fühlt sich der Fremde in der schönen Hauptstadt Uruguays recht wohl Der voll ständige Tit«l der Republik lautet übrigens: Iko- püblic-L (Oniontal siel b. h. Freistaat östlich des llruguayflusses und nicht, wie man in Deutschland noch immer wieder lesen kann: „orientalische Re- vublik Uruguay". Dieser Lapsus ist übrigens harm los und gehört in das nicht gerad« kleine Gebiet jour nalistischer Nachlässigkeiten, die immerhin entschuld bar sind. Nicht entschuldbar ab«r ist es. wenn Blätter uiederen Ranges (dem Schreiber liegt eine Nummer eines in Ostpreussen erschcincndrn Blattes nor) ge stützt aui Berichte, an denen kein wahres Wort ist, böswillig über die Länder hier Unwahrheiten ver breiten, die so ungeheuerlich sind, daß man sich nur »'ragen kann, wie cs ein Lescpublikum geben kann, das sich so etwas bieten läßt. In dem genannten Blatt schreibt ein Mitarbeiter über die südamerika nische Fleischindustrie, auf Grund angeblich eigenen Augenscheins. Was er in sachlicher Beziehung mit zuteilen weiß, ist schon fast alles falsch, was er aber tendenziös dazu lügt, übersteigt alle Begriffe. Der gute Mann behauptet in seinem Elaborat, es würde in Len südamerikanischen Fabriken Kühlfleischmaie- rial verarbeitet von Tieren, Li« auf dem Marsch durch die Pampas verendet und deren Kadaver dann per Wagen (N nach den Verarbeitungsstätten üb«rführt wären. Wie er sich solchen Transport, und besonders die Rentabilität dabei, vorstellt, sagt er nicht. Ver mutlich hat er, wenn er überhaupt ;e in Südamerika war, einmal einen für eine Leim- oder Dünaersabrrk bestimmten Abfalltransport innerhalb einer Stadt zu sehen bekommen und dann seiner Phantasie die Zügel schießen lassen. Dieser besonders krasse Fall erklärt so etwas, woher so viele falsch« Ansichten rühren, die man in Deutschland über die südamerikanischen Staaten antrifft. Gewiß ist in Liesen Ländern man ches noch nicht so wie kei uns — aber man vergesse auch nicht, welche Riesenaufgab« es gewesen ist, aus den verlotterten, von der Krieossurie zerfleischten ehemals spanischen Kolonien mit einer aus allen Nassen gemischten Bevölkerung geordnete Staats wesen auftubauen! Hält man sich dies richtig vor Augen, so wird man den Leistungen, die hier in Süd amerika im letzten Jahrhundert aus allen Gebieten menschlicher Lebensbetätigung vollbracht sind, gerech ter gegenüber treten, als wir dies bei Leuten, die von «inseitigen Gesichtspunkten aus urteilen, so oft be merken können. Mllism Strang. Tas an künstlerischen Persönlichkeiten nicht über reiche England besitzt in W. Strang einen Meister der Radiertcchnik. der mit Klinger zusammen in Europa kaum seinesgleichen hat. Wenn man aller dings die vielen Blätter, die seit 1882 aus seinen Händen hervorgcgangen sind, sorgfältig betrachtet, so entdeckt man, daß er als Künstler kein Kind Eng lands ist, sondern daß er die künstlerische Schulung und Tradition Frankreich dankt. Alphonse Legros war sein Lehrer; durch ihn wurde er eingeführt in jene hohe Meisterschaft der Zeichnung, die in Frank reich seit den Tagen von Ingres blüht. Daneben bemerken wir eine intime Vertraut heit mit den Werken und mit der Technik der größten Künstler der Vergangenheit in seinem Fach. Dürer und Rembrandt haben seine Kunst des Holzschnitts und der Radiernadel befruchtet, an Holbein schulte er sich, wenn er den Silberstift zur Hand nahm. Diese feinen, wie hingehauchten Zeichnungen nackter Frauenkörper gehören zu dem Wertvollsten, was die Zeichenkunst unserer Tage hervorgebracht hat. Auch die Bleistiftporträts mit etwas Rötel und Kreide aufgehöht, gemahnen durch die Präzision der Linienführung und durch die Sorgfalt in der Strich setzung an Holbein: doch kehlt ihnen bei aller Vor züglichkeit die weiche Zartheit der Silberstiftaktc, di« man nur mit dem liebevollen Kofen über die schönen Formen vergleichen darf. In zwei Eigenschaften allerdings offenbart sich Strang als Kind Englands, das ist die früh fertige Persönlichkeit und ein strenger Wirklichkeitssinn. Diese beiden Einzelheiten bedeuten Mängel und Vor zug zugleich; denn durch die erstere können wir Strang vom ersten Blatt an als fertigen Künstler begrüßen, aber es dürfte schwer fallen, eine Entwick lung seit 1882 bis 1911 festzustellen. Er war fertig von Anbeginn. Der strenge Wirklichkeitssinn be fähigt ihn zum Porträtisten und Landschafter ersten Ranges, er ließ ihn aber versagen, wenn er Ge staltungskraft von seiner Phantasie forderte. Bilder, wie sie Klinger in seinen Zyklen „Dom Tode" ge liefert hat, vor denen man erschauert, die wie Vi sionen erregter Einbildungskraft uns in unsere Träume verfolgen, liegen ihm fern. Und auch die Grazie, eine Einladungskarte öder ein Diplom gleich Adolf Menzel mit lebendigem Ornament zu um- kleiden, ist ihm dadurch versagt. Wenn er in seinen Illustrationen zu Kiplings kurzen Erzählungen wundersame Erscheinungen darstellen soll, kann man den Schrecken, dem er in den Gesichtern der Menschen Ausdruck verleiht, vor den Gebilden selbst nicht Mit empfinden sz. B. „A Matter of Fact", 1900). So stehen seine „Donquichote"-Jllustrationen hinter denen von Gustav Dor« zurück, und auch den Tod ver mag er nur in der Allegorie des Knochenmannes zu geben, der harmlos in den Augenblicken wirkt, wo er schrecken soll. Sieht man aber davon ab, so find gerade die Illustrationen von „Death and the Plougbmans Wife" (1888) das Schönste, was er mit geschaffen. In diesen Blättern erhebt sich zur Größe der aller ersten seines Faches, wenn er die Landschaft mit einbezicht zur Schilderung einer Stimmung. In der Wiedergabe der Landschaft erst empfinden wir des Künstlers Phantasie, in ihr vermag er allen Ge- fühlen und Stimmungen Ausdruck zu geben, hier wird er zum Dichter, der des Frühlings Zephir säuseln, der des Herbstes Sturm belauscht hat. Stangs Verständnis für das Landschaftliche ist nur mit seinem Entdecken der Psychologie in den scharf beobachteten Porträts zu vergleichen. Hier wie dort ist die Richtigkeit der Zeichnung Voraussetzung. In wie wenigen Landschaftsbildern vermögen wir anzugeben, ob man talaufwärts öder talabwärts blickt, was in der Natur jeder Natur freund sofort erkennt. Bei Strang kann man nie im Zweifel sein, die Klarheit der Zeichnung greift so tief in die Natur, um sie gleichsam ganz zu ent hüllen. Wie ist die Form und Höhe des Hügels in den wenigen Strichen verraten, die das Blatt ,An the Hill" (1900) bilden! Strang blickt schon heute über ein Oeuvre von mehr denn 500 Blatt zurück, und bei seiner Frucht barkeit und seinem Fleiß dürfen wir auf weitere Werke rechnen: trotzdem ist der Künstler in Deutsch land zu wenig bekannt und geschätzt. Bei Beyer Sohn wird für Leipzig zurzeit die Gelegenheit geboten, ihn auf allen Gebieten seiner Kunst kennen zu lernen. Man sollte dies« Gelegenheit nicht versäumen« Dr. L. O.