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Bezug--Prei- Abend-Ausgabe. <O» L«1v«>» «n» V»eon« vurch »nlee« Traari a»b Eoevneur» 2mal tätlich tn» pao» »edrawt SU PI. monatl„ r.7»i »t. vieNrliährt «ei anlera Filialen a. Un- nahmesleL« adgedolt 75 PI. momUU, LL Ml. vlenellührl. r»rch »t« Psft r innerhalb veniichland, und der deutlLen Rolonrea »ietteljahrt 8.lM MI„ monatl. 1.20 Ml au»sch( Polideiiellaeld Ferner rn Belg««», Dänemark. den Donaustaaieir, Italien. Uuzembura Niederlande Nor wegen. OeiierreiM. Ungarn Rußland. Lchweoen Schwer» u Spanien In allen übriger, Slaaren nur direkt durch di« ibelchaitoltrU» de» Platte» erhältlich. WMcrMlMaü Das L«U>»»g«, Lagedlan «rlchetnt itural täglich. Sonn« u. Feirnag» nut morgen». Abonnemenls-Lnnahm» A»ha,ai,,all» S, de» unierrn Iragrrn. Filialen. Lveüitruren und Lnnahmeltellen. iowie Pogamtern und Pnestragern. . 1 14 892 MochtanlchU.») A «ch ... f 14692 lNach««»Ichl>v LeU-Änschl.i 14 69» Tel.-Änschl.ri4 693 Ämtsbtatt des Rates und des Rolizeiamtes der Lladt Leipzig. 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Die Streiklage in ganz Spanien hat sich im Laufe des Sonnabends und Sonntags verschärft. Be sonders in San Sebastian ist sie kritisch. Die Straßenbahner befinden sich hier im Ausstand. Der Stadtkommandeur will jedoch die Wagen von Militär- ingenicuren geführt laufen lassen. Die Erregung in der Stadt ist auf das höchste gestiegen. Das Streik komitee hat an den Ministerpräsidenten Canalejas telegraphiert, daß der Kampf ein rein wirtschaftlicher ist und jedes politischen Hintergrundes entbehrt. Es hat zugleich die Hilfe des Ministerpräsidenten in dem schweren Kampf erbeten. In Malaga ruht der Betrieb der Straßenbahn. Die auf jeiten der Straßenbahner stehende Bevölke rung hat vielfach die Maste der elektrischen Leitungen gestürzt und Barrikaden errichtet, so daß selbst unter militärischem Schuß keine Wagen fahren können. Die ausständigen Straßenbahner verlangen Sstiindige Arbeitszeit und Lohnerhöhungen. In Sevilla nimmt die Ausstandsbewegung gleichfalls zu. In Castro Ilrdiales beziehen die Bäckereien ihr Brot aus den Militärmagazinen, da die Bäcker gehilfen im Ausstand sind. Die Banken und öffent lichen Gebäude werden militärisch bewacht. In Bilbao waren am Sonntag die Cafes wieder geöffnet. Der Präsident und der Sekretär des sozialistischen Klubs und ein Strcikführer sowie eine Abordnung von Ausständigen, die Arbeitswillige zu beeinflussen versuchte, wurden verhaftet. Die Stadt hat ihr gewöhnliches Aus- sehen wieder angenommen. Einige Straßenbahn wagen und zahlreiche Privatfuhrwerke sind wieder im Betrieb. In Barcelona drohte die Lage am Sonnabend sehr kritisch zu werden. Durch die Verhaftung der Rädelsführer scheint aber das Schlimmste abgewendet worden zu jein. Drahtlich liegen folgende Nach richten vor: Madrid, 18. September. (Eig. Drahtrnclo.) Im Laufe des Sonnabendabends kam es zu Aus schreitungen im Hafen, da sich das Gerücht verbreitete, daß im Dunkel der Nacht 600 Mann Infanterie an Lord des Dampfers „Vicente Pujol" nach Melilla eingcschifft werden sollten. Die Be völkerung demonstrierte gegen die Entsendung von Truppen nach Marokko und durchzog unter Schmäh rufen auf die Negierung die Straßen der Stadt. Polizei mußte die Ansammlungen zerstreuen. — Auch in Sabadell durchzogen über 3000 Arbeiter die Stadt unter den Rufen „Nieder mit Canalejas, nieder mit dem Krieg!" Auch hier sind umfassende Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Ruhe wahrend des Sonntags getroffen worden. Madrid, 16. Sevtember. (Eig. Drahtmeld^I Da» Ministerium des Innern veröffentlicht eine Note, in der es heißt: Die Negierung erhielt aus Barcelona Nachrichten über einen Plan der Revolu tionäre, dessen Ausführung einem aus Spaniern und Ausländern zusamrncngeseßten Anarchisten komitee übertragen worden war. Nachdem das Komitee den Generalstreik beschlossen hatte, traf es Vorbereitungen zur Zerstörung der Tele- I graphen-, Telephon- und Eisenbahn» linien und zur Arbeitseinstellung der Druckereien. Um das Erscheinen der Zeitungen zu verhindern, schüchterte das Komitee die Verleger, Redakteure und Drucker ein. Aber das Einschreiten des Eou- v c r n e u r s, der die Blätter durch die Polizei schützen ließ, brachte den Versuch zum Scheitern. Dle Mitglieder des revolutionären Komitees wurden b.» auf drei verhaftet. Die Note schließt: Dr». Revolutionäre wollen den Generalstreik nicht als Mittel, um zugunsten der Arbeiter zu protestieren, sondern einzig und allein, um Unruhen hervorzurufen. Das Beknüen Stolypins gibt, wie wir bereits in der heutigen Morgenausgabe meldeten, infolge Fortschreitens der Bauchfellent zündung zu ernsten Besorgnissen Anlaß. Es ist nun mehr festgestellt, daß der Attentäter Bagrow Agent der politischen Polizei gewesen ist. Echt russisch! Drahtlich wird gemeldet: Kiew, 18. September. (Eig. Drahtm^ Am späten Abend wurde über den Zustand des Ministerpräsi denten gemeldet, daß die Bauchfellentzündung fort schreitet. Temperatur 36, Puls 118 bis 120, Atem 28. Der Zustand des Patienten ist sehr ernst. Kiew, 18. September. (Eig. Drahtmeld.) Die Zeitung „Kiew Janin" stellt auf Grund amtlicher Mitteilungen fest, daß Bagrow Agent der Geheimpolizei gewesen ist. Der Chef der poli tischen Polizei in Kiew habe Vagrow aus Peters burg zum Schutze Stolypins herbei gerufen. (!!) Die politische Polizei habe Stolypin nicht von einem geplanten Anschlag benachrichtigt. — Weiter berichtet ein Kiewer Blatt, daß der an gesehene Kiewer Stadtverordnete Baron Or v i d Ruthenberq verhaftet worden sei. Während des Gottesdienstes in der Synagoge zu Kiew wurde beantragt, Bagrow mit dem Bannfluch zu be legen. Kiew, 18. September. (Eig. Drahtmeld.) Gegen 7 Ubr früh war die Temperatur Stolypins normal: da jedoch der Puls 130 ist, ist der Zustand wegen der Gefahr für das Herz besorgniserregend. Die aus der Wunde entfernte Kugel zeigt, wie die Blätter melden, eine Deformation, da sie auf den Wladimirorden aufgeschlagen ist. Der verhaftete Kiewer Stadtverordnete und Führer der Kiewer Kadettenpartei Ruthenberg ist wieder frei- ge lassen worden. Der Attentäter Bagrow ist erkrankt. Ittber üie Strstzenkänrpfe im Dttakriny. einem der Wiener Arbeiterviertel, ist in Ergänzung der Nachrichten im heutigen Morgenblatte noch folgendes mitzuteilen: Wien, 18. September. (Eig. Drahtmeld.) Die Straßenkämpfe, die gestern vormittag auf der Ring straße ihren Anfang nahmen, sanden nachmittags im Ottakring ihre Fortsetzung. Den ganzen Nachmittag über kam es zwischen dem aus gerückten Militär, und zwar Kavallerie, In fanterie, sowie den Exzedenten zu vielfachen Z u s a m m e n stö ße n , in deren Verlaufe auf beiden Seilen zahlreiche Verletzungen teils schwerer, teils leichterer Natur vorkamen. Besonders kritisch ge staltete sich die Situation in den Abendstunden. Sämtliche Hauptstraßen des Bezirkes waren durch dichte Infanteriekordons abgesperrt. Kavalleriepatrouillen durchzogen zunächst dis Straßen, um die Exzedenten zu zerstreuen. Die Exzedenten zertrümmerten sämtliche Straßenlaternen, so daß die Gassen vollständig dunkel waren und einen unheimlichen Eindruck machten. Auch die meisten Wohnungen blieben finster. Sämt liche Fenster der Cast'- und Gastwirtschaftshäuser wurden ebenfalls von den Demonstranten zertrüm mert Am bedrohlichsten gestaltete sich die Situation um 9 Uhr abends. Um diese Zeit kam es an mehreren Punkten zwischen der Polizei und dem ausgerückten Militär einerseits, sowie den Exzedenten anderseits zu förmlichen Straßcnschlachten. Die Exzedenten hatten Barrikaden errichtet und Stacheldraht quer über die Straßen gespannt, um ein Vordringen der Kavallerie unmög lich zu machen. Die Exzedenten eröffneten in der Ottarringerstraße gegen das Militär einen Stein hagel, durch den mehrere Soldaten teils schwerere, teils leichtere Verletzungen erlitten. Auch aus den Wohnungen der Häuser wurden gegen das Militär verschiedene Wurfgeschosse geschleudert. Allenthalben wurde das Militär von den Exze denten attackiert. Nach einem Steinhagel gegen eine Kompanie des 24. Infanterieregimentes gab der Offizier, nachdem er zuvor die Menge ausgefordert hatte, auseinanderzugehen, den Befehl zum Laden der Gewehre. Nachdem die Demonstranten diesem Befehls nicht nur nicht nachkamen, sondern ihre An griffe gegen das Militär ernci.erten. gab der Offi zier den Befehl zum Schießen. Die Truppe gab eine Salve ab, über deren Wirkung jedoch noch die wider sprechendsten Gerüchte in Umlauf sind. Auch an einer anderen Stelle des Bezirkes gaben die da selbst ausgeriiclten Kompanien des bosnisch-herzego winischen Infanterieregimentes eine Salve ab. Soweit bisher festgestellt wurde, wurden auf feiten der Manifestanten 7 Personen, darunter ein dreijähriges Kind getötet, 40 Personen schwer und 80 leichter ver letzt. Auch auf feiten des Militärs sind zahlreiche Fälle von Schwerverletzungen vorgekommen. 6 Ulanen wurden in schwerverletztem Zustande ins Garnison- fpital gebracht. Unaufhörlich hörte man die Signal pfeifen der Rettungsautomobile, die die Verletzten in das Spital bringen. Starke Infanterie- und Ka valleriepatrouillen durchziehen die Straßen und dulden keine Ansammlungen. Um 10 Uhr abends erklärte der Polizeipräsident, Hosrat Drzewowsky, den bei ihm erschienenen Jour nalisten, daß die Situation außerordentlich ernst fei. Doch wäre die Polizei entschlossen, jedem Ver such einer Wiederholung der Exzesse mit^den aller schärfsten Maßnahmen cntgegenziu.eten. Seitens der Polizei wird zugegeben, daß infolge der abgegebenen Schüße durch das Militär eine Person getüter, vier schwer, sowie 80 leicht verletzt wurden. Auch auf seitcn des Militärs, sowie unter den Polizet- mannschaften sind ebenfalls schwere Verletzungen vor gekommen. Im Laufe des Tages wurden im ganzen 176 Verhaftungen wegen des Verbrechens der öffentlichen Gewalttätig keit vorgenommen. Abends waren in der Stadt die Gerüchte verbreitet, daß die Exzesse nicht bloß auf den Ottakring beschränk: geblieben seien, und daß auch in Favoriten Unruhen ausgebrochen wären. Diese Gerüchte sind jedoch unrichtig. 4^ Wien, 18. September. lEig. Drahtm.s Gegen 11 Uhr nachts ist im Bezirke Ottakring Ruhe einge- treten. Ein Aufruf der sozialdemokratischen Partei leitung fordert unter Hinweis darauf, daß nach einer ruhigen Arbeiterkundgebung disziplinlose Elemente Kämpfe mit der Polizei und dem Militär begonnen hätten, die Arbeiter auf. sich jeder weiteren Demonstration zu enthalten und Montag früh wie gewöhnlich die Arbeit wieder auszunehmen. Wien, 18. September. (Eig. Drahtm.) 2 Uhr morgens. Nach den bisherigen Feststellungen wur den bei den Ausschreitungen in Ottakring eine Person durch einen Bajonettstich des an rückenden Militärs getötet und durch eine von den Truppen abgegebene Salve mehrere Unruhestifter schwer verletzt. Die Zahl der mehr oder weniger schwer Verwundeten betrügt einschließlich derSicher- heitswachtmannschaften und des Militärs.">8. Wien, 18. September. (Eig. Drahtmelü.) Eine in später Abendstunde veröffentlichte amtliche Mit teilung besagt, daß alle Maßnahmen zur Zäintanhal- tuna von Erzessen getroffen sind. Im Wieder holungsfälle müßte eventuell das Stand recht verhängt werden. Marokko. Die Beurteilung der Marokko-Situation ist jetzt durchweg zuversichtlicher. In Berlin, Paris und London rechnet mau mit Sicherheit mit einem glat ten Ende der Verhandlungen. Folgende Drahtnach richten liegen vor: London, 18. September. (Eig. Drahtmeld.) Ob gleich noch keine offiziellen Angaben über die letzten Besprechungen Jules Cambons mit Herrn v. Kider- len-Wächter vorlicqen. ist man hier der Meinung, daß Frankreich Deutschland beträcht liche Zuge st änd nisse gemach: hat, die dieses mit ebensolchen erwidern wird. Und zwar soll Frankreich in Marokko dreierlei gewährt haben: 1f Handelsfreiheit für immer. 2j Eröffnung neuer Häsen für den internatio nalen Handel. 3) Gleiches Fischereirecht für alle Staaten. Man nimmt an, daß ein Vertrag Zustandekommen wird, wenn Deutschland in bezug auf seine politi schen und ökonomischen Forderungen, die es in seinen Gegenvorschlägen aufgestellt hat, uachgibt und wenn es Frankreich gewisse Schutzrechte in Marokko zugestcht. Paris. 17. Sevtember. (Eig. Drahtmeld.) Die heutige Morgenprssse gibt größtenteils die opti mistischen Berichte der Berliner Blätter über die Marokkovcrhandlungen wieder, indem sie hinzufügt, daß die Verhandlungen einen gedeihlichen Fortgang nehmen, wenngleich noch mancherlei über Einzelfragen zu beraten und festzulegen ist. Rian hält die von Deutschland geforderten Kompen sationsgebiete am Kongo für zu groß und verlangt von der Regierung, daß sie um jeden Fuß breiten Strich französischen Landes feilsche. Die Auffassung der gegenwärtigen Lage ist jedoch durchweg ruhig. Mk üer Giil-wsge. 55s Roman von Marie Stahl. tNachdruck verboten.- Fragen mochte Kläre nicht, aber sie sah deutlich, daß ihm etwas ans Leben ging. Als sie Besorgnis über sein Befinden äußerte, sagte er unwirsch: „Ach, laß den alten Kadaver, auf den kommt's nicht an, ich habe andere Dinge im Kopf!" sie wußte aus ken Zeitungen, daß ein Teil der Presse eine große Hetze gegen ihn losgelassen. In den allernächsten Tagen standen die Reichs- taqsneuwahlen bevor. Kläre begriff, daß seine Nerven auf das höchste gespannt waren. Er hatte jedoch bis jetzt mit so unfehlbarer Sicherheit auf den Sieg gerechnet, daß sie hinter der heutigen starken Depression seiner Stimmung etwas Besonderes ver muten mußte. Sie wußte noch nichts von den Begebenheiten der letzten Tage. Als Geiersmarks Popularität über alle Angriffe zu liegen schien, spielte mau den höchsten Trumpf gegen ihn aus. Eine Geschichte aus der Vergangen heit wurde an die Oeffentlichkeit gezerrt. Die Daten und Details waren mit solcher Genauigkeit gegeben, daß er Stellung dazu nehmen mußte. Dieser Schlag rraf ihn unvorbereitet. Die Sache wurde durch Zu fälle. die zu seinen Gunsten gespielt, damals ver schüttet und begraben. Jorinde von Brunnen war die einzige Person, die sein Vertrauen besessen und alles wußte. Sollte sie ihn verraten haben, weil er >ie um einer andern willen vernachlässigte? Oder hatte ein anderer tückischer Zufall Begrabenes auf erstehen lassen? Er war den Kanossagang zu Jorinde gegangen. Sie hatte auf ihn gewartet. Während all dieser heißen staubigen Wochen war sie nicht aus der Stadt mit ihrer Backofenglut gegangen, weil sie auf ihn ivartete. Tagsüber hatte sie an ihrem Schreibtisch gearbeitet bis zur Erschöpfung, um die Zeit zu töten und den Schlag der Stunden zu überhören, wo er zu kommen pflegte. Abend für Abend hatte sie ihre Schleppe über die einsamen Kieswege des verödeten Gartens geschleift, in dem alles verbrannte und ver dorrte, was sie jahrelang mit ihm gepflegt. Das größte, erschütterndste Kunstwerk das sie je geschaffen, „Inferno", entstand in dieser Zeit unter ihrer Feder. Fahl und gealtert hatte sie ihm gegenübergesesien, als er gekommen und drohend vor ihr stand. „Bist Lu die Verräterin?" fragte er ohne Gruß. „Ja. Ich habe damit erreicht, was ich wollte. Sonst wärst du nicht hier." Furchtlos sah sie zu ihm auf. Es war ein abgrund tiefer Jammer in dieser Kaltblütigkeit. „Weib, bist du wahnsinnig? Das tatest Lu mir? Und Lu glaubst, mich mit diesem niedrigsten Verrat zu dir zurückzwingen zu können?" Sein Gesicht war verzerrt und die Adern schwollen unheimlich an seinen Schläfen. Er sah aus wie ein Mensch, der im nächsten Augenblick einen Mord be gehen kann. Sie zuckte nicht mit der Wimper. „Es liegt in meiner Macht, dich zu retten, ebenso wie ich dich stürzen lasten kann", sagte sie mit eherner Härte in der Stimme. „Du weißt, ich habe durch Zufall ein Dokument in Händen, das jetzt die ganze Sache totmachen würde, wenn ich mich opfere und in die Dresche trete " „Ja, er erinnerte sich dieses Dokuments. Es war ein Liebesbrief von ihm aus der Zeit ihrer Sturm periode. Durch Zufall hatte er in diesem Briefe Daten verwechselt. Es war damals nicht zur Anklage und Unter suchung gegen ihn gekommen, denn Jorinde hatte sich preisgegeben. Sie war für ihn eingetreten und hatte ihn mit diesem Briefe jeder weiteren Nachforschung entzogen. Das übrige tat eine reiche Entschädigung Die ganze Sachs wurde dann vertuscht, Geiersmark hatte die Macht dazu in Händen. Ein kurzes, dumpfes Schweigen trat nach Jorindes Worten ein. „Gib mir den Brief!" forderte er drohend. „Ich werde ihn selbst an zuständiger Stelle in deinem Intereste verwerten, wenn du mir ein Ver sprechen gibst." Sie sagte es, ohne sich zu rühren, mit der gleichen Unerbittlichkeit. „Was willst du von mir, um deine Schandtat wieder gutzumachen? Glaubst du, daß sich so etwas auslöschen läßt?" „Ich will dein Ehrenwort, daß du diejenige, die dich mir genommen, aufgibst und jeden Verkehr mit ihr für immer und alle Zeiten abbrichst. Dein schriftliches Ehrenwort." „Und du glaubst, cs könne dann zwischen uns werden wie vorher? Bildest du dir das wirklich ein?" „Ich glaube gar nichts. Ich will, was ich will. Und ich lasse mit mir nicht feilschen und handeln um Len Brief. Du weißt jetzt den Preis. Daran ist nicht zu rütteln." „Ich werte dich wegen Erpressung an LenSchand- pfabl stellen." Sie schnellte empor, sie maßen sich, Auge in Auge. „O, du großer Mann! Als ob ich Sich nicht ver nichten könnte mit einem Wort meines Mundes!" Wie ein knurrender Löwe wandte er sich ad. „Was alte Weiber an Reizen verlieren, ge winnen sie an Bosheit!" sagte er steinhart. Sie ließ sich wieder schwer in den Sessel fallen. „Wendt, zerschlage Loch nicht das große Bild das von dir in meine: Seele lebt", flehte sie mit ge rungenen Händen. „Du weißt, daß ich immer nur den Genius in dir geliebt habe, das hat mit meinem Alter gar nichts zu tun. Ls ist kein Weib landaus, landein, das sich zu dir cmvorrcckcn könnte. Fch allem stehe aus einer Linie mit dir. Darum bliebst du auch immer bei mir, ich stand hoch über Leinen Leidenschaften. Ader diesen Platz laste ich keiner andern, er gebührt nur mir. Und wenn du mich hinunterstoßen willst, Sann reiße ich dich mit. Dann sollst du mit hinab. Ich bin nicht aus dem Stoff Ser gewöhnlichen Weiber gemacht, die sich beiseite schieben lasten und hilflos klagen." „Jorinde, ich weiß, cs ist hart für dich", sagte er. sich ihr zuwendend, in verändertem Ton, aber es gibt Unerbittlichkeiten des Schicksals, gegen die wir alle machtlos sind. Nun hat sich das Wunderbare begeben, daß ich jetzt erst die große Liebe meines Lebens fand. Ein Weib, so schön und hold wie eine Rose des Waldes, und geistig wie ein klarer, herz stärkender Quell. Sie steht wie du über meinen Leidenschaften, und sie ist mir mehr als du, denn ich gehe restlos in ihr auf, während du immer nur nach der einen Seite meines Wesens genügen konntest. Du wirst verstehen, daß man eine solche Liebe nicht aufgibt. Was nutzt es dir, dagegen anzukämpfen? Darum sei großmütig und gib den Brief heraus. Es ist Las wenigste, was du tun kannst, um deinen mehr als unschönen Verrat wieder gutzumachen." Jorinde erhob sich halb aus dem Sessel und wies mit einer ihrer königlichen Gebärden, die ihr natür lich waren, nach der Tür. „Geh! Geh zu deiner ersten, großen Liebe, in der du restlos aufgehst! Sie wird dir auch den Reichs kanzler ersetzen und dich darüber trösten, daß du kurz vor dem großen Ziel deines Lebens zusammenbrichst!" „Ich gehe nicht ohne den Brief! Du wirst mir den Brief geben, weil ich es will! Ich schlage das alte Gestell von Schreibtisch da in Trümmer und werde ihn finden!" „Versuch dich nur an dem alten Gestell. Ich werde aus Schadenersatz und Hausfriedensbruch -Nagen. Glaubst du wirklich, daß ich so wichtige Dokumente so leichtsinnig aufbewahre?" „Iorinüe, laß dich erbitten! Du mußt ja Loch nachgeben! Wir wollen ein Kompromiß schließen. Ich verspreche, dich jeden Monat zweimal zu be suchen." „Ich bin ebenso unerbittlich wie das Schicksal, denn ich bin noch immer selbst mein Schicksal ge wesen, ebenso wie du das deine. Wir beide gehören nicht zu dem Menschengeziefer, die das Schicksal formt, wir formen es uns selbst." „Du irrst, ich bin dein Schicksal! Wenn ich will, zerbrichst du wie Ton in meiner Hand." „Ja. ich zerbrech« mit dir, wenn du deine Größe vor meinen Augen in Trümmer schlägst, wenn Lu das Höchste, wozu du berufen bist, einem Wahn opferst!" „Du nennst das einen Wahn, was mir eine neu« Kraftquelle ist!" „Wendt, du bist ein alter, törichter Mann! Sie ist jung und schön — sie liebt dich nicht, sie hat dich nie geliebt! Wie bald wird sie dich verlassen oder — betrügen. Für mich bist du das Leben. Ohne dich stehe ich allein im finstern Weltraum. Kein Ton, kein Lichtstrahl dringt zu mir. Die Menschen roden nicht deine und meine Sprache, keine Seele dringt bis in unsere Regionen. Darum kann ich dich ihr nicht lassen. Sie gehört zu den anderen!" „Ich werde dich hassen, wie man seinen Henker haßt, wenn du auf deiner Forderung bestehst! Gib mir den Bries!" „Magst du mich hassen, wie man seinen Henker haßt! Den Brief bekommst du nicht ohne das schrift liche Ehrenwort!" Ein schwerer Fluch entrang sich seinen Lippen. Er stürmte im Zimmer auf und ab und zerrt« an seinem Haarschopf. Dann blieb er vor ihr stehen. „Gib mir Bedenkzeit bis nach der Wahl und ver- sprich, daß du unterdessen nichts gegen mich unter nimmst!" „Ich geb« dir Bedenkzeit bis nach der Wahl." Ei« sagte es mit schwerer Betonung. Und ohne Gruß stürzte er fort wie er gekommen. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)