Volltext Seite (XML)
74 — Mo andere Stimm» lachte. „Du bist närrisch, Hanna! Sind «vir nicht seit acht Tagen jaden Mittag auf dieser Stelle gewesen, ohne je eine Menschenseele anzutreffen? Nein, ich tu'S! Tas klare, kalte Wasser ist gar zu ver lockend. ES handelte sich offenbar um ein Fußbad, denn an ein andere- wäre in dem seichten Flüßchen unter keinen Um ständen zu denken gewesen. Ter im Gras Verborgene überlegte einen Augenblick, ob er verpflichtet sei, seine An wesenheit durch Husten oder Räuspern bemerkbar zu machen, unterließ es aber. „TU', was du nicht lassen kannst," sagte die erste, sehr jugendliche Stimme wieder, „ich gehe —" „Unmöglich, Hanna! Bedetck doch, du mußt ja acht geben, daß mich hier niemand überrascht. Gefährlich bleibt der Spaß natürlich, aber sonst wäre er ja auch nur halb." Pause; dann ein leichtes Geräusch, als würde etivas auf den Boden geworfen, dann abermals Stille, und nach einem Augenblick ein Plätschern, ein »oonnevolles Auf jauchzen und der Rus: „Oh, Hanna, konnn? es ist köst lich — ganz köstlich!" Ter junge Mann schob mit leiser Hand die Blätter und Zweige, die ihn bis jetzt gehindert hatten, die beiden Mädchen zu sehen, zur Seite, und fast wäre auch ihm ein Ausruf des Entzückens entschlüpft. Auf einem der breiten, flachen Steine mitten im Wasser stand ein junges Mädchen, vielleicht achtzehn Jahre alt, eher jünger als älter, abwechselnd bald den einen, bald den andern der kleinen, nackten Füße ins Wasser tauchend. Sie hatte den Saum des leichten, weißen Kleide- mit der einen Hand ganz wenig gerafft, mit der anderen hielt sie den Zweig einer großen, alte» Tanne, die cnn Ufer stand und ihre mächtigen! Aeste über das Wasser streckte, gefaßt. Tas weiße Kleid trug keinerlei Schmuck oder farbiges Band, nur eine blasse Rose steckte im Gürtel. Ter halbweite Aermel ließ einen anmutig geformten Arm zur Hälfte frei. Ties alles erschien lieblich, aber man vergaß es fast, wenn man einen Blick in das Gesicht des Mädchens getan hatte: ein zart rosiges Gesichtchen mit einem feingeschnit tenen, kindlichen Munde und den wunderbarsten blauen Augen, die der Lauscher je im Leben gesehen, nein, wir er sie sich nur zuweilen geträumt hatte. Tas reiche, gold braune Haar fiel in freiem Gelock um das schmale Gesicht und den zierlichen Nacken fast bis auf den Gürtel herab. Sie trug keinen Hut, aber in dem schimmernden Haar lag ein dichter Kranz von Tannenzweigen. Wie sie so dastand, die schlanke, fast kindliche Gestalt, vom hellsten Sonnenlicht umfvossen, erschien sie dem jungen Mann wie ein Bild der Prinzeß Ilse selbst, zart und doch voll frischen Lebens, vornehm und doch voll einfachster Anmut. „Weißt du, wie du dastehst, Ella?" sagte wieder die Stimme vom Ufer, „du siehst aus, als wärest du das Brockenfind Ilse selbst." Ueberrascht blickte Rolf Reichenbach, denn so hieß der junge Mann, nach der Sprecherin, die so unerwartet seinen eigenen Gedanken Ausdruck gegeben hatte, hin. Er hatte sie über der lieblichen Mädchenerscheinung völlig vergessen gehabt. Die beiden mochten Schwestern sein, wenigstens war eine große Aehnlichkeit zwischen ihnen unverkennbar, nur sehlte der Jüngeren, Hanna, jener Hauch von Anmut und Poesie, der über der Aelterens lag. Sie war ein zwar sehr hübscher, aber sonst doch in der Erscheinung nicht un- gewöhnlicher Backfisch. „Ich habe große Lust, es dir Hotz meiner eigenen weisen Ermahnungen nachzutun, Ella, soll ich?" „Sicherlich! aber bringe mir die kleine Schere «uS dem Körbchen mit. Da «vir Ilse heute zum letzten Male sehen, will ich ihr ein Opfer bringen." Schon war Hanna bei ihr; die Mädchen umschlangen sich und plätscherten lustig mit den Füßen im Wasser. „Und mein« Schere?" „Hier!" „Run sieh, was ich keinem Menschen zu Liebe tun würde, tue ich für Ilse — da, ich gebe Ihr da- Schönste, waS ich habe," und mit einer rafchäk Bewegung war eine der langen, goldglänzenden Locken «-geschnitten und lag in der Hand Ellas, die sie nun selbst fast erschrocken be trachtete. „O, Ella, wie töricht! Dein schöne-Haar!" Ella antwortete nicht. Langsam löste sie die Rose aus dem Gürtel, schlank die Locke um dieselbe und warf das seltsame Opfer in das murmelnde Wellengewirr des Flüßchens. „Wir wollen heimgehen," sagte sie nach einer Pause und aller Uebermut war aus chrem Gesicht und ihrer Stimme verschwunden. „WaS ist dir? Du bist blaß geworden, und deine Hand ist kalt." „Weiß ich's? Mir war plötzlich, als hätte ich mit dem Haar und der Rose ein Stück Lebensglück hingeworfen. Aber das ist ja Unsinn, ich weiß. Laß uns singen. Es klingt so gut hier unter den Dannen." Und „Sonnenlicht, Sonnenschein, scheinst mir ins Herz hinein!" klang es zweistimmig in -Ns Murmeln des Wassers hinein. Hannas etwas scharfer Sopran wurde gemildert durch den vollen, weichen Alt der Schwester- Beide sangen einfach, mit inniger Empfindung. TaS schlichte Liä> schien ihnen selbst zu Herzen zu gehen, denn Nach den letzten Versen: „Wenn ich einst sterben muß, Gib mir zum Scheibegruß Auf meinen bleichen MUnd Den letzten Kuß! Drück' mir die Augen zu. Wünsch' mir die sä'ge Ruh', Sage: Auf Wiedersch'n, Auf Wioderseh'n!" standen Tränen in Ellas schönen Acmen. „Ich weiß nicht, was in dem Lied« ist, was mich immer rührt, als dächte ich an jemanden, den ich lieb hätte", sagt sie leise. „Ach, sei nicht sentimental, bitte! Dann verstehe ich dich nicht. Komm', laß uns jetzt heimgrhrN." Me zur Bekräftigung dieser Mahnung hörte man in nicht allzu großer Entfernung das Rollen eines Wagens „Leute!" riefen beide wie ans einem Munde. „Viel leicht die Eltern," fügte Hanna hinzu. Mit leichtem Sprung waren die Mädchen am Ufer, die notdürftig im Gras getrockneten Füße schlüpften in ihre Bekleidung Etta griff nach ihrem Hut, der am Ufer lag, und die Schwestern verschwanden Arm in Arm, dem kommenden Wagen entgegengehend. Fröhliches Rufen und lebhaftes Sprechen ließ Rolf Reichenbach verstehen, daß die erwar teten Eltern wirklich gekommen seien. Dann hielt der Wagen einen Augenblick und fuhr endlich rasch weiter. Nun Ivar alles still. Die Mädchen waren wohl Mit- fortgesahren, denn sie kehrten nicht zurück. Der Lauscher kam aus seinem Versteck hervor, war rasch am anheim Ufer der Ilse und spähte die Landstraße entlang. Der Wagen war nicht mehr zu sehen, eine Biegung des Weg« verbarg ihn. Dort lag aber noch, das Körbchen, aus dem vorhin die Schere entnommen war. Neugierig und doch fast zögernd nahm er es in die Hand<: Es enthielt pur einen flachen ÄUstsn mch zwei Bücher. Gr schlug daS erste 7b derselben auf; es war ein kleiner Band englischer Gedichte. Mehr als der dritte Teil derselben war mit Bleististkreuzen oder Ausrufungszeichen versehen, nach der beliebten Manier sehr junger Damen. Die erste Seite trug den Namen ,HanUa Wendtland" in etwas eckigen Schrift zügen. Der flache Kasten entpuppte sich als Behälter für Pinsel und Farben, das zweite, ziemlich große Buch, in graue Leinwand gebunden, erwies sich als ein Sfizzenbuch. Ter größere Teil der Blätter war mit Blumenaquarellen angefüllt, die der Finder überrascht betrachtete. Er war eben kein besonderer Kenner von Malereien, doch das konnte auch sein ungeübter Blick verstehen, daß diese leicht und oft ziemlich flüchtig hingeworfenen Aquarelle etwas Besseres waren als gewöhnliche Tilettantenarbeit. Zwar hatte eine Meisterhand sie nicht geschaffen, das bewiesen einige ziemlich bemerkbare Verzeichnungen, aber die Blumen waren mit so viel künstlerischem Geschmack nach Farbe und Form geordnet und nrit einer solchen Zartheit und durchgehends auch solcher Naturwahrheit gemalt, daß eben diese Verzeichnungen um so mehr überraschten. Einen Teil des Buches nahmen Keine Landschaftsbilder ein, die jedoch in den wenigsten Fällen wohlgelungen waren. Hier lag offenbar nicht das Talent der Malerin. Die erste Seite trug in flüchtigen Bleistiftstrichen nur den Namen „Ella". Er sah auf die wenigen Buchstaben hin, als enthielten sie ihm irgend eine schöne Verheißung. Dann lächelte er. War er, Rolf Reichenbach, Doktor der Medizin, in ein Paar schöner Augen und eine Flut goWbvauner Locken verliebt, die er kaum zehn Minuten lang gesehen hatte? Unsinn! — Aber er konnte eS nicht hindern, daß ihn der Gedanke an das liebliche Mädchen nicht verließ. Da bemerkte er, daß ein ins Wasser hängender Tornenzweig die Rose und die Locke festgehalten hatte. Ganz behutsam löste er sie ab und nahm sie mit sich. Der Kasten und die beiden Bücher wurden gleichfalls entführt, und da ihm die Lust zum Ruhen seit lange vergangen war, schritt er rüstig auf dem Wege weiter, der ihn bald nacb dem freundlichen Jlseburg brachte. Wir finden ihn wieder auf der Veranda deS Gast hauses „Zu den roten Forellen" in Jlseburg, und zwar in der Gesellschaft eben der Familie, deren Bekanntschaft zu machen seit einigen Stunden sein sehnlichster Wunsch war. Diesen Wunsch zu erfüllen, war ihm nicht schwer gefallen, denn die Bücher, die er natürlich zufällig am Jlse-Ufer ge funden und mitgenmmnen hatte, hatten eine Vorstellung und die Anknüpfung einer Bekanntschaft leicht ver mittelt. Ter Oberkellner hatte ihm auf sein« Frage nach der Familie Wendtland bereitwilligst Auskunft erteilt. Ob die Familie hier wohne? Ei natürlich, ja, wo sellte man wohl sonst in Jlseburg anständig wohnen, als bei ihm? Gewiß wohnte der Herr Bankier Wendtland aus H. hier mit seiner Frau Gemahlin und zwei Fräulein Töchtern. Tie Frau Gemahlin war ein wenig leidend seit acht Tagen, deshalb hatte man sich so lange hier aufgehalten, man war ja gut aufgehoben in den „Roten Forellen". Fortsetzung folgt. Heimat. GrMlmcg von H. von Krause (L. von Hellen)- Schluß. „Wie er verändert ist," dachte sie, „kaum noch zu er kennen. Was er wohl ausgestackden hat?" Tränen innig sten Mitleids traten in ihre guten Augen. Sie hatte ihm damals gezürnt, ja noch als sie hörte, daß er zurückkehre, grollte sie ihm, denn nach der Art innerlicher Naturen konnte sie eine Beleidigung nicht schnell Vergne« und ver gessen. Aber nun, wie sie ihn so Äend krank, wohl sterbend vor sich sah, wachte die alte, lange begraben» Liebe wieder auf, und doch nicht dieselbe^ denn was ft» jetzt empfand, war so durchtränkt von herzlichem Mitleid, strebte so warm darnach, ihm Gutes zu tun, ihm tzu helfen, daß es nicht mehr an das Empfangen, nur noch an das Geben dachte. Aber sie konnte ja nicht viel für ihn tun, nur bitten, daß Gott sich doch erbarmen möge, das konnte sie, und das tat sie auch. Und so saß sie die ganze Stacht. Endlich schlich sich die erste Dämmerung ins Zimmer, jenes fahle, ungemütliche, kalte Licht drang ein. Nachdem sie ihm zum letzten Male die Artzenei ge reicht, hatte er ihre Hand ergriffen und hielt sie noch immer in seinen heißen Fingern, er schlief jetzt, wie es schien, ruhiger. Draußen vor dem Fenster begannen die Vögel ihr lustiges Gezwitscher, und jetzt stahl sich ein Sonnenstrahl durch die Zweige der Pappel, wlche das Fenster ver hüllte; er fiel gerade in das Gesicht des Mädchen-. Wenn Franz jetzt erwachte, mußte er sie erkennen. Da ging leise die Tür, Schwester Doris trat ein, schweigend tauschten sie die Plätze. Die Schwester beugte sich über ihren Pflegling. „Tanke, Fielen," flüsterte sie, „heute wird wohl die Krisis kommen." Fielen ging in ihre Sammer. Eine fröhliche Kinder stimme grüßte sie. „Tanting, Tanting!" rief Auning und breitete ihr die Aermchen entgegen. Sie hob da kleine Wesen zu sich empor, drückte ihren Kopf an die zappelnde Gestalt und weinte bitterlich. September war es. So ein recht köstlicher Tag, Heller Sonnenschein, Kare Ferne, leichte Luft, blauer Himmel, taufeuchter Waldrand und leise- Bräunen und Verblassen in Busch und Baum. Stille, daß man die reiche Frucht fallen hört. Im Dorf kaum dcäi Krähen eines Hahnes, das Jauchzen einer Kindcrsttmme hörbar, nur von weitem das Klappern der Heuwagen, die hochbeladen in da» Ccheuntor schwankten. Aber drmlßen auf der Wies», die sich zwischen den Waldhügeln hinzieht, Helle- Lachen, fröhliches Leben, Stimmen und fleißiges Regen geschäf- tiger Hände. Alles muß helfen, das letzte Heu hereinzu schaffen, denn wer kann wissen, wie ball» der Herbst mit Sturm und Regen hereinbricht; noch zeigt er sein lachen des Gesicht, niemand weiß, wann ihm die Laune wechselt. Anning hält eine Keine Harke in den Händen und tut geschäftig nach, was Dante Fielen ihr vorlut. Die Harke hatte Papa gemacht. .^Kating," wie sie jetzt sagte. Auch er ist heute draußen. Noch ein wenig mager und blasser wie sonst Knute er doch schon wieder rüstig mit schaffen, mcd seine Wangen begannen sich zu bräunen; er war nicht mehr erwerbsunfähig, die gute Kost, die frische, reine Lust hatten ihn glücklich an der drohenden Klippe der Schwindsucht vorüber geführt. Viel sttller war er geworden. Als es allmählich bHser mit ihm wurde, er innerte er sich dunkel wie eines Traumes deS säet», das jemand an seinem Bette gesprochen hatte in jener schmerzlichen Nacht, wo er den schwarzen Abruad drU Todes vor sich gähnen sah und eine nie gefühlte Angst ihn schüttelte, aber vergeblich suchte er in seinem Ge dächtnis nach den WorteU- Er fragte die Schwester, diese mußte es doch gewesen sein, aber sie lächelte und sagte, er habe es nur geträumt. Sie brachte ihm eines Dages das alte ledergebundene Gesangbuch der Mutter, eS war unter die Mcttrotze dr» Kinderwagens geraten, niemand hatte ihm etwa» dafür geben «vollen, so war eS liegen geblieben. Jetzt freute er sich darüber wie über einen wiedergefundenen Schatz. Er las oft und viel darin, seine Seele war wieder er-