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den waren, und erließ für Stahl-, Porzellan-, Sammt- und Woll- waaren die schärfsten Einfuhrverbote. In rascher Reihenfolge schlossen sich während der Republik, wie unter dem ersten Kaiser reiche, weitere Einfuhrsverbote oder eine Belegung mit Zollsätzen daran an, welche dem Verbote fast gleich kamen. Die berüchtigte Continentalsperre half das Abschließungssystem ergänzen. Mit diesem künstlichen Apparate, dessen strenge Durchführung ungeheure Kosten und die größten Gewaltsamkeiten gegen den französischen Handel, wie gegen die unterdrückten Nationen erforderte, hoffte Na poleon die Macht des englischen Volkes zu brechen. Wie bekannt ist, erreichte er das Gegentheil. Alle feindlichen Schiffe von dem Ocean wegfegend, suchte und fand England Ersatz ! für den europäischen Markt an den Küsten Kleinasiens und Afrikas, an den Gestaden Nordamerikas, Brasiliens und Mexikos, auf den üppigen Inseln Westindiens, in Arabien, Persien und in der Süd see. Wo irgend das Weltmeer einen Hafen bespülte, der den Er zeugnissen des menschlichen Fleißes zum Sammelplatz diente, fand es Ersatz. England ging aus dieser scheinbaren Calamität nur gekräf tigt hervor, während der überseeische Handel Frankreichs 1815 ver nichtet war und die einheimische Production durch den Mangel aller Concurrenz verwöhnt, auf immer höhere Schutzzölle Ansprüche machte. Die Herrschaft der Bourbonen nahm anfangs zwar einen energischen Anlauf zur Beseitigung des Prohibitionssystems, doch nur zu bald gelang es den Fabrikanten, alle beabsichtigten Zoll ermäßigungen zu Hintertreiben. Sie fanden ihre Verbündeten in den Vertretern des großen Grundbesitzes, welchen es durch Einsetzung ! der Zölle für die Einfuhr von Korn, Vieh, Käse u. s. w. 1818 gleichfalls gelang, die Bedürfnisse von 33 Mill, sranzösischer Kon sumenten zu ihren Gunsten auszubeuten. Die Julirevolution blieb für diese Zustände ohne Einfluß. Die Dynastie ging nur auf eine andere Familie über, die Stimmenfüh rung kam aus den Händen der Bodenaristokratie in die der Geld aristokratie. Was der Grundbesitz gesäet, erntete die Fabrikindustrie. Die goldenen Worte Bastiats verhallten ungehört. Bald mit Dro hungen gegen die Regierung, die Hunderte ihrer Arbeiter zu bewaff nen, bald mit Jeremiaden über die Erdrückung durch die von außen frei hereinbrechendeConcurrenz, steigerte der Schutzzoll-Enthusiasmus seine Forderungen von Jahr zu Jahr, um 1847, kurz vor der drit ten französischen Revolution von der Regierung zu fordern, daß han delsfreiheitliche Zeitschriften unterdrückt, auswärtigen Blättern der Postdebit entzogen werde. Die zweite — wenn man will, die dritte — Republik war in wirthschaftlichen Fragen nicht liberal, obgleich sie von den untern Klaffen ausging und von den fanatischen Anhängern des tadelns- werthesten Communismus und Socialismus gegen das Bürgerthum und die Geldbarone gerichtet war. Da kam das zweite Kaiserreich. Schon als Gefangener in Ham hatte Napoleon durch seine schriftstellerischen Ergüsse bewiesen, daß er, obgleich Socialist, in seinen Weltverbesserungsplänen allen wirthschaftlichen Zweigen eine gleiche Berechtigung zu Theil werden lassen möchte, während seine andern Gesinnungsgenossen, höchstens mit Ausnahme der Anhänger von Fourier, nur einen kleinen Bruch- theil der Bevölkerung berücksichtigten. Schon damals machte er in seinem Schriftchen „über die Ver tilgung der Armuth" auf die Wechselbeziehungen zwischen Ackerbau und Industrie aufmerksam, und suchte durch eine angemessene Hebung beider Factoren des Nationalwohlstandes das Loos der untern Klaffen zu erleichtern. Schutzzölle paffen in dieses Princip durch aus nicht. Daß er kurz nach dem Antritt seines Dictatoramtes die provisorische Errichtung von Nationalwerkstätten unterstützte, machte ihn allerdings seinen ausgesprochenen Ideen untreu, doch geschah dies wohl auch nur, um eine Ableitung für die politischen Elemente der Hauptstadt zu erhalten. Es war dies ein Fehler, denn die Existenz derselben ist zu einer permanenten geworden; sie hat die Ziffer der Pariser Stadtschuld auf eine enorme Höhe getrie ben; sie hat dahin gewirkt, daß nicht blos der Fabrikant und der Ackerbauer, sondern auch der Arbeiter von der Regierung nicht blos Schuh der Arbeit, sondern die letztere selbst oder eine äquivalente Entschädigung verlangt. Erst im Jahre 1856 kam die „starke" Regierung des zweiten Kaiserreichs auf das ursprüngliche Programm ihres Trägers und Hauptes zurück. Napoleon hatte den Gipfelpunkt seiner Macht er reicht. Dem mächtigen Willen, dem sich selbst die Politik der euro- päischen Großmächte beugte, schien auch das bisher willenlose fran zösische Volk keinen Widerstand mehr bieten zu dürfen. Die fran zösische Industrie hatte erst im Jahre 1855 bei der Pariser Welt ausstellung durch die kluge Auswahl und Vorsicht der kaiserlichen Agenten ihre glänzendsten Siege gefeiert und ihre Ueberlegenheit constatirt. Ein Schuh in dem bisherigen Maße schien nicht mehr nöthig, vielmehr war es Pflicht des Staates, dafür zu sorgen, daß auch die consumirenden unteren Klaffen, denen ja der Erwählte der Nation seine Stellung verdankte, aus der freien Concurrenz die er wünschten Vortheile ziehen könnten. In gemäßigt-liberaler Weise ward dem Oorps lsxmig.tit' ein Reformgesetz unterbreitet. Doch selbst die starke Regierung des Kaiserreichs mußte vor dem wohl- organisirlen Widerstande zurückweichen, welchen das Schutzzöllner- thum den Reformanträgen entgegensetzte. Die Durchführung einer freisinnigen Zollgesetzgebung mußte so lange verschoben werden, bis die Widersinnigkeit hoher Schutzzölle in vielen, wenn auch noch nicht in allen Köpfen zur Erkenntniß durchgedrungen war. Von ausländischen Jndustrieerzeugniffen blieben immer noch eine große Anzahl der wichtigsten Artikel, darunter Woll- und Baum wollfabrikate, verarbeitete Häute, raffinirter Zucker, ganz und gar vom französischen Markte ausgeschloffen, während viele der Industrie nothwendige Rohstoffe, unter ihnen Steinkohlen, Eisen und Baum wolle, außerordentlich hohen Eingangszöllen ferner unterworfen waren. Da erscheint plötzlich, unerwartet, wie ein Blitz aus heiterm Himmel, von dem Manne der Staatsstreiche ein neuer Staatsstreich zu Gunsten der Handelsfreiheit. In dem Kaisermanifeste vom 5. Januar 1860 wurde die französische Nation ebenso sehr wie ganz Europa überrascht, und ehe man sich noch von dem Staunen erholen konnte, war auch schon am 23. Januar 1840 der Handelsvertrag mit England abgeschloffen. War das französische Volk in diesen 3'/^ Jahren, so im Handumwenden, von dem Stock-Protectionssystem zur Fahne der Handelsfreiheit übergegangen? So wenig auch zu verkennen ist, daß die französische Presse innerhalb dieses Zeitraums größere Freiheit zur Besprechung wirtschaftlicher Fragen erhalten hatte, so eifrig auch die Präfecten in den Provinzen dafür gesorgt haben mochten, daß nur diese eine Ansicht zur Geltung kam, so ist dies doch nicht anzunehmen, Die Besorgnisse, die nur in der letzten Zeit in allerdings übertriebener Weise von allen Seiten geltend ge macht wurden, geben dieser Annahme einen großen Grad von Gewiß heit. Napoleon versteht es aber meisterhaft, die französische Nation zu dupiren. Er weiß zu gut, daß er bei solchen Fortschritten wenig stens die Stimmführer der Nation, wie sie durch die Presse vertreten sind, für sich hat, und damit ist bei dem leicht beweglichen Volke der Franzosen nicht wenig gewonnen. Ein solcher Staatsstreich ver söhnt allerdings durch die Richtigkeit der Grundsätze und durch seine praktischen Erfolge, wenn auch uns nüchterne Deutsche ein frösteln des Grauen über die Willkür überläuft, mit welcher der einzelne Mann Wohl und Wehe einer ganzen großen Nation aus seinem Kaisermantel schüttelt. Wer bürgt dafür, daß eben dieselbe Gewalt, die durch die Herabsetzung der Einfuhrzölle heute etwas überaus Gutes schuf, morgen zu den ärgsten wirthschaftlichen Mißgriffen schreitet, weil das persönliche Interesse gewiffe Vortheile davon zu erwarten berechtigt erscheint? Der wirthschaftliche Staatsstreich ist diesmal gelungen: Han delsverträge sind mit England, Belgien, Italien abgeschlossen. Mit dem Zollvereine, wie wir hören, auch mit Spanien, Dänemark und Schweden stehen die kaiserlichen Bevollmächtigten in Unterhandlung. Durch die Maßregeln, welche als Folgen der bereits ratificirken Handelsverträge zu betrachten sind, durcb die Freigebung der Ein fuhr für Rohstoffe, durch die gesetzlich garantirten Herabsetzungen der Zollscalen für die nächsten Jahre, durch die Erleichterung des Paßwesens, endlich durcb den Ausbau der französischen Bahnen und durch Verwohlfeilerung des innern Transports wird das Jahr 1861 zu einer wichtigen Epoche in der Geschichte der französischen In dustrie. Die wohlthätigen Folgen, welche die Einführung der Handels freiheit in England, theilweise auch in Holland, Belgien, Italien, in der Schweiz herbeigeführt haben, lassen auch bei Frankreich keinen Zweifel dafür aufkommen, daß nach den ersten unvermeidlichen Stö rungen, die bei einem so schroffen Shstemwechsel nicht zu umgehen sind, die Industrie auf der gesunden Basis der freien Concurrenz sich kräftiger entfalten und zu einer nie versiegenden Quelle größern Wohl standes herauswachsen werde. Erwerbsfreiheit und Freiheit der Niederlassung nach Innen, Handelsfreiheit nach Außen! das ist in