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BezugS-Preiü ftr iul» ««rt, d«ch »ich«, ikrtaar und kpadita«, A» H«M «b«chtr muuatl., -.7- ArrAlji»rlIv«t uvlrrn Atltalr» ». BnnalM^trllru «daadoU: 7S monatl., L.RS »iartalM«. vurch »A HAst: tunerdalli Drullchlllnd« und dar dau-chr» NoUmiäu »trrtrljtdri. I.T* «uuatl. 1^« «»Ischl. Postdeft-ll»-ll>. Farn er i» Belgien, Däneuiarl, den Douauftaata», Italien, Lurrmtmrg, Riederla»d», Rav» wen en, Oy> erreich-Unger», Rutla»d, Schweden, Schwei» u. Spalt»». A» alle» übrige« Staat«! nur dtrakt durch di» »eschtstsftalla dl «latAl «rhültlich. Da» Leidiger DagebllM «rsch«i»1 wdcheM, lich 7 «al u»d zwar neorgen». «banuamattt-Rmmh»« > Augwk« »platz 8, bet »nseren Dräger», Mal««, Spediteur« und «nnahweftellru. sawi« Baftänlter» «d Briefträger». Dia einzelur Siumwer lastet 1< «»da««»» m»d »«schiftäftell« Jahauuilgasse 8. Fernsprecher: 14882, 14R8, I4SS4. WpMerTagMaN Handelszeitung. Nnttsklatt des Rates ««d des Nolizeiamles der LLadt Leipzig. Anzeigen-Preis sär Jnterale au» Leweig und llmgibun» di« Sgeivalten« Petitzelle 25 H, nnangelle Anzeigen 30 Reklamen I vau «»»wärt« 30 H, Reklamen l.20 »omAitlland SOch, sinanz. An,eigen 75^ Reklamen l.LO Inserate». Bebdrden m amtlichen Dell40^. Beilagegebüdr 5 ^lk v. Lausend er«. Polt, gevübr. Beichültoanzelgen an bevorzugter Stelle im Preise erhöbt. Rabatt nach Lari Frsierteilt« Austräg« kSnnen nicht zurück- gezogeu werben, ich» da« Erscheinen an bestimmten Lagen und Plagen wird leine Garantie übernommen «neigen-Annahme: Auguitulplatz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- >Lxpeditionen de« In» und An«!ander. Haupt-Filiale Berlin Larl D incker. Her-ogU Btvi Hofbuch» Handlung, Lüyowst.atze 10. (Lelevoon V l. -ir. «>3,. Haupt-Filiale Lreädrn: Seeftrahe 4, l (Telephon 462l). Nr. 27. Freitag 28. Januar 1910. lv-t. Zahrgaiig. Da» wichtigst«. * Der Reichskanzler von Bethmann Hollweg erhielt vom Kaiser den Schwarzen Adlerorden. Außerdem wurden noch zahlreiche andere Auszeichnungen verliehen. lS. d. des. Art.) * Aus allen Teilen des Reiches und des Auslandes liegen Meldungen über die Feier des Geburtstages des Kaisers vor. lS. d. des. Art.) * Eine Sonderausgabe des „Militärwochenbl." veröffentlicht auS Anlaß von Kaisers Geburtstag zahlreiche Personalverände rungen in Armee und Marine; u. a. wurde Prinz Eitel Friedrich zum Major befördert. lS. d. bes. Art.) * Der Gouverneur von Südwcstafrika, von Schuck mann, soll sein Abschiedsgesuch cingereicht haben. lS. Dtschs. R.) * In Braunschweig fanden am Mittwoch Wahlrechts demonstrationen der Sozialdemokratie statt, die so ernsten Eharakter trugen, daß die Polizei mit blanker Waffe eingreifen mußte. lS. d. bes. Art.) * Das norwegische Kabinett hat seine Demission ein gereicht, die vom König angenommen wurde. lS. Ausl.) * Der Militärbund in Achen erzwang die Abdankung des griechischen Kabinetts. lS. Ausl.) * Wie uns aus Hamburg telegraphiert wird, wurde zumDire k- tor des dortigen Deutschen Schauspielhauses Dr. Carl Hagemann, Intendant des Mannheimer Nationaltheaters, gewählt. lS. Feuill.) MflafpZkanische Unstimmigkeiten. In der Denkschrift über die Entwicklung Deutsch-Ostafrikas im Jahre 1908/09 heißt es zur Entschuldigung des ziemlich kläglichen Er gebnisses der Handelsentwicklung: „Die Zahlen des Außenhandels geben insofern kein ganz zutreffendes Bild, als sie einmal für das bis zum 31. Dezember lausende Jahr 1908 zusammengestellt sind, während bei wichtigen Produkten, wie z. B. Baumwolle, die Ernte des Berichts jahres zum großen Teil erst im vierten Quartal 1908/09 in der Ausfuhr erscheint und weil ferner der Eigenverbrauch des Schutzgebiets ganz erheblich zugenommen hat. . . ." Uns erscheint zwar der Rede Sinn ziemlich dunkel, so viel ist uns aber doch verständlich, daß das Gouver nement ein heftiges Beschönigungsbcdürfnis empfindet. Darauf deutet auch die wiederholte Betonung einer „Handelskrisis auf dem Weltmarkt" hin. Es ist nur merkwürdig, daß diese Handelskrisis die andern Kolonien nicht gehindert hat, sich ansehnlich weiter zu entwickeln, während Ostafrikas Handel in den letzten drei Jahren stehengeblicben oder, wie die Denkschrift so schön sagt, „stetig" geblieben ist. Nebenbei bemerkt verstehen wir unter Stetigkeit eine gleichmäßige Entwicklung während einer Reihe von Jahren. Dies trifft bei Ostafrika nicht zu. Denn während von 1902 bis 1906 der Handelsumsatz der Kolonie Jahr für Jahr um 4^/>—8^ Millionen zugenommen hat, betrug die Zunahme im letzten und vorletzten Jahre nur 150 bzw. 300 000 .tt. Dabei ist noch in Betracht zu ziehen, daß in der Ziffer der letzten Jahre ein bedeuten der Betrag an Eisenbahnmaterial einbegriffen ist, der reine Handels umsatz also in Wirklichkeit noch kleiner ist. Eigentlich hätte Ostafrika, das vor allen andern tropischen Kolonien reich mit Eisenbahnen bedacht worden ist und bereits verhältnismäßig ansehnliche Strecken im Betriebe hat, im Gegenteil gerade in den beiden letzten Jahren ein im Vergleich zir den vorhergegangenen lebhaftere Handclsentwicklung aufweisen müssen. Vermutlich wäre dies auch der Fall gewesen, wenn nicht die leidige Politik der wirtschaftlichen Entwicklung allerlei Hindernisse be» reitet hatte. Man mag sich zu der Dernburgschen Eingcborenenpolitik stellen, wie man will, letzten Endes ist diese Politik bei ihm rein theo» retischer Natur, denn er ist schließlich doch zu sehr Geschäftsmann, um auf die Dauer Anschauungen praktisch werden zu lassen, die der Ent- Wicklung des Geschäftslebens schädlich sein könnten. Ein drastisches Beispiel dafür ist uns neulich erzählt worden. Dernburg war Fener und Flamme für ein Unternehmen, das nach Lage der Verhältnisse für die Geschäfte einer gewissen Kategorie von Farbigen sehr peinlich sein wird. Trotzdem hat ihm Dernburg jche Förderung angedeihen lassen. Dagegen soll Gouverneur v. Rechenberg offensichtlich sehr unangenehm berührt gewesen sein. Und das ist der springende Punkt bei der Frage, woher die Stagnation der wirtschaft lichen Entwicklung trotz Eisenbahnbau usw. kommt. Das Vertrauen auf die Zukunft der Kolonie unter einem Gouverneur, der die Farbigen begünstigt und den Zuzug von Europäern als lästig empfindet, kann natürlich nicht groß sein, und unter diesem Mangel mußte natürlich das Geschäftsleben leiden, namentlich das Handels geschäft. Die europäische Plantagenwirtschaft bat sich leidlich entwickelt, und zwar trotz der Politik deS Herrn v. Rechenberg und seiner ein seitig negerfreundlichen Arbeiterverordnung, ein Beweis für die Rüh- rigkeit und Energie der ansässigen Europäer. Im übrigen hat sich Herr v. Rechenberg offenbar redlich bemüht, europäische Einwanderer fernzuhalten, während er nichts dagegen ein zuwenden hat, wenn Monat für Monat Hunderte von mittellosen Indern die Kolonie wie Heuschrecken überschwemmen. Unter diesen Umständen hat der Gouverneur ganz recht, wenn er der Ansicht ist, daß Europäer keine Aussichten auf Fortkommen in Ostafrika haben. Aber dann dürfte er sich auch nicht von Dernburg, wie dies in der Budgetkommission geschehen ist, als Ansiedlerfreund anvreisen lassen und zugeben, daß unter seiner Sanktion in der Denkschrift über die Kilimandjarobahn für die Besiedlung Propaganda gemacht wird. Denn daß Herr v. Rechenberg in Wirklichkeit gegen die Besiedlung ist, beweisen uns unlängst eingegangene briefliche Nachrichten aus Ost afrika. In diesen wird, wie schon einmal angedeutet, von absolut ver trauenswürdiger Seite berichtet, daß Herr v. Rechenberg zwei Ansied lungslustigen, die nach Herkunft, Bildung und Vermögen jede Gewähr boten, dringend geraten hat, doch lieber nach Südwestafrika zu gehen, dort sei mehr zu machen. Das ist übrigens nur einer von vielen ähn lichen Fällen und zufällig, soviel bis jetzt bekannt, der neueste. Daß man angesichts einer solchen Haltung des obersten Beamten der Kolonie der neuerwachten Besiedlungsfreundlichkeit skeptisch gegen überstehen muß, wird uns Dernburg nicht verübeln. Was nützen uns die schönsten Denkschriften, wenn der Gouverneur das Gegenteil von dem tut, was darin steht? Nun noch zwei bezeichnende Beispiele dafür, wie Herr v. Rechenberg das Ansehen der Deutschen schädigt, den Farbigen zu Gefallen. Die „Deutsch-Ostafr. Ztg." berichtet darüber: „Die Abschiedsfeier für den Kreuzer „Bussard" trug einen herzlichen, fröhlichen und harmonischen Eharakter. Jedoch fiel es allgemein auf, daß Gouverneur v. Rechenberg, der nachmittags der Einladung eines bekannten Arabers zu Sekt, kaltem Büfett usw. gefolgt war, zu der „Bussard"-Abschiedsfeier nicht erschien. Man hatte als selbstverständlich angenommen, daß der Gouverneur sich nicht einer Veranstaltung entziehen werde, die die Ehrung eines deutschen, im großen deutsch-ostafrikanischen Aufstande besonders verdienten und jetzt von hier scheidenden Kriegsschiffes bedeutete." Ein anderes Bild aus derselben Zeitung: „Ein Inder, der wegen ungebührlichen Be tragens gegen einen Deutschen zu 50 Rupien Strafe verurteilt worden war, läuft zum Gouverneur, um sich über seine Verurteilung zu be schweren, und dieser schreibt an das Bezirksamt, das doch den Fall end- gültig abgeurteilt hat, die Sache solle noch einmal geprüft werden. Glücklicherweise ließ sich der Bezirksamtmann, der nunmehr die Ver handlung persönlich führte, durch den Ukas von oben nicht irremachen. Er wies einen neuen, vom Inder angeschleppten indischen Zeugen — der erste von ihm eigens gebrachte schwarze Zeuge hatte gegen ihn aus gesagt — kurzerhand ab und bestätigte das in der ersten Verhandlung festgesetzte Strafmaß." Also der Gouverneur empfängt ohne weitere? einen untergeordneten Inder, einen Farbigen, der einen Deutschen c-ornna publiao schwer beleidigt hatte und von dem Eingeborenenrichter verurteilt wurde, und glaubt ihm mehr als dem Entscheid deutscher Beamter. Auch solcher Fälle gibt es Dutzende, und wir haben an dieser Stelle, wie unsere Leser sich erinnern dürften, schon manchen wieder gegeben. Es ist kein Wunder, daß die Eingeborenen und sonstigen Farbigen angesichts dieser Haltung des Gouverneurs immer frecher werden und schwerer als je zu behandeln sind. Ein soeben aus Ostafrika zurück gekehrter Kaufmann hat uns in dieser Hinsicht erbauliche Dinge erzählt. Schon von einer Reihe alter erfahrener Ostafrikaner, begeisterter An hänger der Besiedlung, ist uns die Ansicht geäußert worden, daß man angesichts der Eingeborenen- und Farbigenpolitik des Gouverneurs Neulingen von der Einwanderung lieber abraten solle. Nun, der Gouverneur ist ja, wie oben erzählt, in bezeichnender Selbsterkenntnis in dieser Hinsicht mit gutem Beispiel vorangegangen. Wenn wir die eingangs skizzierten wirtschaftlichen Wirkungen des Systems Rechenberg uns vergegenwärtigen, so müssen wir allerdings sagen, daß dieser Pessi- mismus nur zu berechtigt ist. Wenn es der Regierung also wirklich ernst mit der Besiedlung ist, so wird sie deren Durchführung nicht einem Gouverneur anvertrauen, der ein ausgesprochener Gegner dieser Wirt schaftsform ist. Aber auch abgesehen hiervon wird es angesichts der notorischen Stagnation des Geschäftslebens Zeit, daß so oder so das Vertrauen zur Regierung wiederhergestellt und das wirtschaftliche Leben in Fluß gebracht wird. Wenn nicht einmal Eisenbahnen eine Wirkung hervorbringen, so muß es schlimm bestellt sein! wahlr-chtsdeinonstrationeir in Braunschweig. Aus Anlaß der Landtagseröffnung in Braunschweig haben die Sozialvemokraten am Mittwoch abend dort eine große Wahlrcchts- tunvgebung veranstaltet, bei der es bedauerlicherweise zu ernsten Zusammenstößen zwischen der Polizei und den Mani festanten gekommen ist. Es wird darüber aus Braunschweig unterm 27. Januar berichtet: Gestern abend kurz vor 7 Uhr begannen hier aus Anlaß der Landtagseröffnung unter der Teilnahme von mehreren lausend Personen die Wahlrechtsdemonstrationen der Sozial demokraten. Da an einer Stelle mehrere Schüsse abgegeben wurden, ging die Polizei mit blanker Waffe vor; hierbei wurden etwa 15 Personen verletzt, von denen 2 wegen schwerer Kopfwunden in ein Krankenbaus gebracht werden mußten. In der Nabe des HostheaterS wurde ein Oberwachtmeister vom Pu» blikum zu Boden geworfen und durch Fußtritte schwer verletzt. Gegen 8 Uhr zerstreute sich die Volksmenge. Der „Vorwärts" veröffentlicht einen Bericht, der tendenziös zu gestutzt ist und die Demonstranten natürlich als ganz brave Straßen bummler erscheinen läßt. Ihm wird aus Braunschweig unterm 26. Januar gemeldet: „Kurz vor 6 Uhr veranstaltete heute abend die Arbeiterschaft eine große Wahlrechtsdemonstration. Der Landtag ist Dienstag zusammengetreten und hat sich heute wieder vertagt. Am Nackmitrag waren die LandtagSabaeordnetea zu einem Festessen im Ministergebäude versammelt. DaS wußten die Arbeiter und strömten plötzlich — direkt auS der Fabrik kommend — von allen Seiten in dichten Sckaren heran, die Marseillaise singend, und im Nu war der Bohl weg, an dem da- Ministerium liegt, dicht gefüllt von Menschen. Es waren wohl 5 — 6000 Arbeiter, die dort, vor dem Ministerium, Hochrufe auf da- freie Wahlrecht aus brachte«. Schnell war die Polizei zur Stelle, besetzte die Straßen- zugänge, und aus einen Signa lschuß flogen die Schuppenketten herunter nnd die Säbel au- der Scheide. Daun wurde blindlings darauf losgeschlagen, obgleich sich die Arbeiter absolu^ ruhig verhielten und durchaus keine Ausschreitungen begingen. Die Polizei hauste wie die Wilden und verletzte eine ganze Anzahl Personen, selbst Frauen und Kinder. Viele wurden verwundet und sofort in anliegende Häuser getragen. Einem Knaben wurde von einem Polizisten der Arm ab geschlagen! Selbst das Bürgertum verurteilt in scharfen Aeuße- rungen die Talen der Orvnungswächter. Am Abend demonstrieren die Arbeiter in drei Versammlungen für das allgemeine, gleiche, ge heime und direkte Wahlrecht!" Natürlich wird „der abgeschlagene Arm des Proletarier-KnideS" bereits als wertvolles Mittel zur Aufreizung der Massen hingesteltr. Es ist nur glücklicherweise damit nicht viel anzufangen, weil riete Ge- schichte nach den bereits vorgenvinmenen Ermittelungen als unwahr erwiesen ist. Ganz besonders erfreulich ist es, daß bereits eine amt liche Darstellung der Vorgänge vorliegt, die den sehr durchsichtigen Uebertreibungen der Sozialdemokratie entgegenlriit und vor allen Dingenden gefährlichen Charakter de r Demonstration und damit zugleich die Berechtigung zu dem energi'chen Vorgehen der Polizei nachweist. Danach ist folgendes als amtlicheFesisteUungzu betrachten: Die sozialdemokratischen Kundgebungen in Braunschweig nahmen stellenweise einen ernsten Charaker an. Da die Menge der mehrmaligen Aufforderung der Polizeiorgane zum Auseinandcr- bzw. Weitergeben zum Trotz immer provozierender vorging nnv dre Polizeimannschast mit Eisstücken bewarf, und da weiter aus der Menge ein Schuß abgegeben wurde, mußte die Polizei mit der blanken Waffe vorgehen, wobei mehrere Ver letzungen, darunter auch einige schwere, vorkamen, lieber die Zahl und Art der Verletzungen ist sonst nichts bekannt, da sich die Verletzten in ihre Wohnung oder zu einem Arzt begeben haben. Ein Mann, der den zu Boden gestürzten Polizeibeamien sesthielt und zu würgen versuchte, erhielt einen ichweren Säbelhieb über den Kopi und erlitt vermutlich eine Gehirnerschütterung. Mehrere Verhaftungen sind vorgenommen worden. Ein von der Menge besonders heftig attackierter Polizeiwachtmeister ist ebenfalls, wenn auch nicht schwer, verletzt. Die Polizei war über die beabsichtigten Demon strationen unterrichtet und hatte so rechtzeitig entsprechende Maß nahmen treffen können. Danach sieht die Sache nicht entfernt so harmlos aus, wie sie der „Vorwärts" darzustelstn beliebte, und eS ist Wohl begreiflich, wenn die Polizei, die von der Menge so scharf mit Tätlichkeiten attackiert worden ist, zur Waffe griff, um sich zu wehren und die Ordnung wieder her zustellen. Die j-arisev Sintflut. (Von unserm U-Korrespondenten.) Paris, 26. Januar. Von Paris-Venedig sollte man diesen Brief datieren. Seine babel ist in eine Lagunenstadt verwandelt; leider fehlen bnnre Gondeln, Gitarre-Liedchen und italienische Sonne, um die Verwandlung erträglich zu macken. Das berühmte UeberschwemmungSjabr 1876 ist bei weitem übertroffen und selbst die Nekorvziffern von 1802 beginnen zu erbleichen. Anfangs saben sich die meisten Pariser das großartig-schaurige Schau- spiel der gelben Seinefluten voll Interesse, aber furchtlos an; die Brücken waren schwarz von Menschen und auch an den Kaimauern drängte man sich Kopf an Kopf. Es war beinahe amüsant zu «eben, wie die Wellen die vielen schwimmenden Babehäuschen unv Landungs brücken auseinandcrlegten und die Holzstück- entführten. Von weither brachte der Fluß Sträucher und Bäume mit, Bänke, Fässer und allerlei Hausrat, den er den demolierten Häuschen aut den untergegangenen Inseln geraubt batte. Die groß n Material lager auf den unteren LandungSkais, riesige Sandhaufen, Tausende von Kalksäcken usw., waren sämtlich auöeinandergetrieben worden. Tas war ein Gratissckauspiel, wie es die Parisser Gaffer lieben. Sie backten nicht, der heimtückische Strom könne eS im Anschwellen so weit treiben, daß er auch ihre eigene Behaglichkeit in den ferneren Stadtteilen stören werde. Mit dem Amüsement ist es jetzt vorbei; die letzten Tage machten aus der begrenzten Kalamität eine Katastrophe für die ganze Haupt stadt. Selbst auf dem hoben Montmartre verspürt man die Wirkungen der Ueberschwemmung. DaS Trinlwasser in der ganzen Kap tale ist unbrauchbar geworden; die telepboniichen, telearapbischen, Belcucktungs- und Verkebrsanlagen sind großenteils — zu Wasser geworden. Inner halb der Stadt fließt die Seine zwischen so hoben uno icsten Kai mauern, daß man nie und nimmer an die Möglichkeit des liebe-flutens geglaubt hätte. Aber der Fluß fand tausend Wege, um unerwartet und feige die Pariser und Pariserinnen von unten zu lassen; er drang durch alle Kanäle und Abflußröhren vor nnd füllte weithin in den tieler- gelegenen Quartiers, getreu dem physikalischen G setz d r kommunizierenden Gefäße. d:e Keller, Küchen, Werkstätten und Untergrundbahnen. Nie hätte man eS für möglich gehalten, daß der Boden von Paris so wenig wasserdicht ist; etwa viel Kilometer von der Leine entfernt, vor der Gare Saint-Lazare, mußten Äbspeirungen vorgenommen w rden, weil die Straße völlig unterspült war. Im Elysee Viertel wurden die PortierS aus ihren im Untergeichoß liegenden Wohi ungen verjagt; ott gab der Bodenbelag ganz plötzlich nach, und in wenigen Minuten Lllien sich die Räume bis zur Decke. Das Palais d'Orsay, das d-m aleich- namigen und unbrauchbar gewordenen Bahnboi angebaut ist, tackte zu tpät daran, seine großen Weinvorräte in Sicherheit zu bringen — das Bedauern der Kenner eines guten Tropfens ist groß, denn alter Bordeaux und vortrefflicher Burgunder wurde hottoliierwelse, auck da, wo es die Winzer noch nicht besorgt batten, derart mit Wasser vermischt, daß ibn selbst Puritaner und Temperenzler in diesem Zustand nickt trinken würden. Die großen Lauerkeller der Pariser Weinbandier in der Vorstadt Bered sind total überschwemmt, und dort ,st der Schaden aroß. In der Rue de L'lle, wo sich die Deutsche Botschaft für den Kaiter- GeburtSiagS-Empfang rüstete, flog kaS Aipualtpftastcr wie durch eine Explosion in die Lust — das Wasser darunter batte fick -rst nack großem Druck den Weg zu öffnen vermockt. In der Devutierien- kammer, dessen Untergeschosse ganz unter Wasser stehen, gibt es keine Telepboiivcrbinvung und keine elektrische Belcucktung mehr; auf der Journalistcntribüne arbeitete man beim matten Sckein von Petroleum lampen. Im Justiipalast, wo die Zentralheizung streikt, muß e man einige gutwillige Personen zu jenen Verhandlungen berbeiho en, die nur unter Beisein von Publikum staltfinden können — die „Oeffent- lichkeil" streikte bei der Kälte. Die Villenvorsiadte an der S ine wurden völlig geräumt; die Häuser sieben bis zum Dack im Wasser. Oft gelang es nur nut Müde, die Bewobner m reiten, wenn die glnt zu rasch vordrang. Am schlimmsten wurde dem sebr bevölkerten Alsort und der Ile Saint-Pierre nutgeipielt, wo die Leute nickt den offiziellen Warnungen glauben wollten. Al» die angeknndigte Ueberschwemmung