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Bezugs-Preis Mr L«tp,ia und Poritt» durch »ch«, Lräaer und Svrdlkeur, 2««i täglich tu» Hau« gebracht: SV H mouatl., L.7tz^U »terteljtbrt. Bet untern Filiale« u. Ln» «chmebellen abnebolt: 7S «»»atü, ».»S »terttlttbrl. Durch die Poft: »uoerhatd Demichiand« und der deuttchen Kolonien »ierreljährl. SS» »onatl. 1«k» autlchl. Posibcstellgeid. ferner tu Belgien, Dänrmarl, den Donaattaaten, Italien, Luiemdurg, Niederlande, tllor- wearn, Onterreich - Ungarn, Rußland, Schtveden, Schwei, u. Spanien. In allen übrigen Staaten nur direkt durch bi« GejchPtsiielle d«1 Blatte« rrhtitlich. Da« Ueipi'ger L^eblatt erichetni 2 mal täglich, Sinn» «. get riaa« »ur morgen«, *banne>u,»,«glnnadine. Auguftnäplatz 8, bat «nieren Lrägeru. ffiltalea, Spediteur«» «nb An«chmestellen, sowie Postämtern n»d Briefträger» Itngrlberkausepret» der Moram» «nägade 10 der «ibendou«gade » ch, Nrdaktton und Gefchäftäftrürr Johanni«gaiic 8. gernirrecher: I46M, l«St«. I««ä. Abend «Ausgabe. eiMger TagMatt Handelszeitung. Amtsblatt des Rates und des Rolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PreiS iär Inserate au« iiewi'g und Umgebung die «gespaltene bk) «am breit« Petttzeil, 25 H, di« 7« ouo brett» «eklameteile i da» -««wärt» UV «teklamen l.20 Inserate d»n Bebtrden 'M amtlichen Teil di« 7« mm breit, Petttzeil« 40 G«tchLir«a »zeige» mit P atzoortchrtsten und in de» >bendau«gade im Preise erhöbt. Rabatt nach Laris. Beilaaegebübr 5 p. Lausend exkl. Postgebühr. Fefterteilt, klutiräge linnen nicht zurüä- ,r,ogen werden. ffür da« itrschetnen an bettmunten Lagen und Plätzen wird lein« Garantie übernommen. «neigen. Annahme! Luguftutzplatz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annonceu- Lppedittonrn de« In» und Autzlande«. Haupt-Filiale Berlin: Tart Duncker. Berzogl. Vahr. Hösbach» Handlung, Lützowstiabe lv. (Lelevhov VI, bir. «vo3j. Haupt.Ftltale Dreidenr Seestraiie 1,1 (Telephon 4621). Nr. 23S. Li» neues kranMsches Gewehr. (Pariser Brief unseres Korrespon denten.) Pari», 27. August. Die Neubewaffnung der französischen Fußtruppen, die von den Fachmännern schon seit längerer Zeit als notwendig bezeichnet wurde, dürfte schon in nächster Zukunft als Tatsache vor uns stehen. Das „Modell 86", wie das immer noch unter dem Namen „Lebe l" bekannte Gewehr richtiger genannt werden sollte, ist von Waffen neuerer Erfindung be deutend überholt und kann sich insbesondere mit dem verbesserten Mausergewehr der deutschen Infanterie nicht messen. Der Kriegsminister General Lebrun behauptet allerdings das Gegen teil, aber die beruhigende Erklärung, die er in der Angelegenheit an die Pariser Presse versandte, war so zweideutig abgesaßt, als ob sie die öffentliche Meinung erst recht zu beunruhigen bezweckte. Jeden falls hat sie diese Wirkung hervorgebracht. Daß das Gewehr, das vor 24 Jahren den Franzosen eine außer ordentliche Ueberlegenheit sicherte, immer noch eine „ausgezeichnete" Waffe sei, wird von keiner Seite be stritten, aber dieses Zeugnis genügt den Landsleuten des Generals Lebrun um so weniger, als damit der bescheidene Zusatz verbunden war, es könne mit den ausländischen Feuerwaffen neueren Systems „rivali sieren", und die Lage sei sonach „durchaus noch keine kritische". Aber — sie kann es sehr bald werden, las jedermann zwischen den Zeilen, und übrigens mißfiel der Ausdruck „rivalisieren". Das will der Gallier nicht, denn er hält es für sein Bor recht, zu jeder Zeit und auf allen Gebieten der ganzen Welt überlegen zu sein. Die allgemeine Schlußfolgerung lautete also dahin: Wir müssen uns schleunig st ein neues Gewehr verschaffen, ein besseres als alle irgendwo im Auslande eingeführten. Diesem patriotischen Wunsche hatte der Minister denn auch schon im vor aus Rechnung getragen, indem er in seine Lobrede auf die Lebelflinte die Bemerkung einfließen ließ, ein wesentlich vervollkommnetes Modell, die Frucht zwanzigjähriger Studien französischer Ingenieure und Offiziere, sei bereits erprobt und könne endgültig angenommen werden, sobald sich ein zwingendes Bedürfnis dazu Herausstellen würde. Allerdings, so hieß es am Schluß, sei der Kosten punkt zu berücksichtigen, denn es handle sich — um eine Milliarde! Und ein so schweres Eeldopfer will der Minister gen geplagten Steuerzahlern nicht zumuten. Wie einsichtig, wie schonend er sich zeigt! Und wie schlau er zu operieren weiß! Wie er seine Franzosen kennt! Jetzt, da er sich gegen die hohe Kreditforderung sträubt, will man sie ihm natürlich aufdrängen. Da er Bedenken hinsichtlich der Willfährigkeit seiner Mitbürger äußert, sühlen alle Steuerzahler sich nur noch als Patrioten. Frankreich, so lautet ein land läufiges Wort, hat immer Geld genug, um seinen Ruhm zu bezahlen. Und nicht nur um die Fahnen ehre handelt es sich, sondern vor allem um die Landes verteidigung, um die nationale Sicherheit! Folglich hat denn auch bereits ein radikaler Abgeordneter aus Vtenstsu, üen 30. Auguv 1910. der Gironde, Herr Emile Constant, eine Inter pellation angemeldet, nicht etwa, um gegen die „Un ersättlichkeit des Kriegsmolochs" zu protestieren, sondern im Gegenteil, um den zaghaften und klein gläubigen Minister zu mutigem Eingriff in das Portemonnaie der Steuerzahler anzuspornen. Der Deputierte Constant spricht seinen Landsleuten gewiß aus der Seele, wenn er dem General Lebrun zu ruft, die französischen Sparer würden „mit Begeiste rung" eine Anleihe zu Zwecken einer verbesserten Jnfanteriebewaffnung unterzeichnen. Das wird der verantwortliche Chef der Heeresverwaltung sich wohl zu Herzen nehmen, und so dürfen wir die große Reform als gesichert betrachten. Uebrigens wird sie gewiß keine Milliarde kosten. Der Minister hat wohl absichtlich über trieben, weil ihm seine Mitbürger hinterdrein die benötigten Kredite erleichterten Herzens be willigen dürften, sobald sie erfahren, daß es sich in Wirklichkeit nur um einige Hunderte von Millionen und jedenfalls noch nicht um eine halbe Milliarde handelt. Tatsächlich stellt sich der Preis einer Lebel- büchse in den Staatswerkstätten auf nur 60 Franken, so daß sich für 300 Millonen Franken 5 Millionen Ge wehre beschaffen ließen. Vielleicht kommt die neue Feuerwaffe etwas teurer. Wie es schein, will man ein selbsttätiges Repetiergewehr ein führen, das nach Belieben einzelne Schüsse abgeben oder ohne Unterbrechung die ganze Ladung verfeuern kann. Das setzt allerdings einen noch empfindlicheren Mechanismus als den des Lebelgewehrs voraus, dem die Fachmänner gerade seine rasche Abnutzung und häufige Reparaturbedürftigkeit zum Borwurf machen. Im Durchschnitt soll die Lebelbüchse nach dreimonatiger Dienstleistung unbrauchbar sein. Biel trägt dazu die famose V-Kugel bei, die ursprünglich gar nicht für das Modell 86 berechnet war, während ihr deutsches Gegenstück, die 8-Kugel, eigens dem ver besserten Mausergewehr angepaßt ist. Hierzulande behauptet man, das deutsche Geschoß habe eine größere Anfangsgeschwindigkeit und infolgedessen eine gestrecktere Flugbahn, also eine verstärkte Treff sicherheit. Diese Borzüge wollen ihr die Franzosen indes nur für kürzere Distanzen zuerlennen, während sie auf weite und weiteste Entfernungen hin die bedeutendste „Rasanz" für ihr O-Geschoß in Anspruch nehmen. Jedenfalls können sie nicht leugnen, daß das letztere die Lebelbüchse, für die es anfänglich nicht bestimmt war, beständig gefährdet und beschä digt. Die Kugel sperrt sich leicht im Repetiermecha nismus, bringt Schrammen und Risse im Metall her vor und vermindert dadurch die Treffsicherheit der Waffe, nicht ohne gleichzeitig deren Träger in Lebensgefahr zu bringen. Es gibt eben nichts Vollkommenes in der Welt, und die einst als Triumph der Ballistik gepriesene Erfindung Lebels scheint sogar etwas recht Unvoll kommenes zu sein. Schade um das schöne Geld, das dafür ausgegeben wurde, und noch mehr schade um den Aufwand, den die bevorstehende Verbesserung beansprucht! Sobald die Franzosen ihr selbsttätiges Repetiergewehr eingeführt haben, werden wir Deut schen uns denselben „Kulturfortschritt" leisten müssen. Hoffentlich halten wir auch schon unser neues Modell bereit. I-utstäus. * Paris, 30. August. (Tel.) Die „France Mili- taire" schreibt: Infolge der Zcitungsfehden, die sich in den letzten Tagen gegen das Lebel-Eewehr richten, wurden im Auftrage des Kriegsministeriums sowohl die in den Magazinen befindlichen, wie die im Dienste verwendeten Gewehre einer genauen Besichtigung unterzogen. Es wurde festgestellr, daß von etwa 12—14 000 Gewehren nur 200 sich wegen abgenutzten Kalibers als unbrauchbar erwiesen. Es ist also kein Grund zur Beunruhigung vorhanden. Die gegenwärtige Bewaff nung ist noch gut, und man kann deren Umge staltung ohne Ueberstürzung und in aller Ruhe ins Auge fassen. politische Nachrichten. Das amtlich« Wahlergebnis iu Zschopau-Marien berg. Bei der am 24. August erfolgten Neichstagsersatz- wahl im Wahlkreis 20 Königreich Sachsen sind nach amtlichen Zählungen insgesamt 24 179 gültige Stimmen abgegeben worden. Davon haben er halten Schriftsteller Paul Eoehre -Zehlendorf (Soz.) 14 831, Landgerichtsrat Alfred B r od a uf-Chem nitz (Fortschr. Vpt.) 4706, Kaufmann und Obstguts besitzer Kurt Fritzsche-Waldau (O.-L.) (Refpt.) 4641 Stimmen. Ein Stimmzettel lautete auf einen anderen Namen. Rückkehr des Kaiserpaares nach Berlin. Berlin, 30. August. (Tel.) Der Kaiser, die Kaiserin und Prinzessin Viktoria Luise sind heute früh um 7 Uhr 10 Min. auf Bahn hof Friedrichstraße eingetroffen. Die Reis« des russischen Kaiserpaares. Halle, 30. August. (Priv.-Tel.) Der Zar passierte heute morgen 7 llyr 28 Min. auf der Durchreise nach Frieders in dem aus 11 Wagen bestehen den Hofzuge den hiesigen Bahnhof. Die Bahn steige waren durch ein zahlreiches Polizeiaufgebot aufs strengste abgesperrt, sogar die Bahn- und Po st beamten, die nicht dienstlich bei der Abfertigung des Zuges beschäftigt waren, wurden nicht zugelassen. Die Wagenfenster waren dicht verhängt. Bon der Dienerschaft ließen sich nur einige wenige Personen sehen. Die Führung des Zuges hatte ein höherer preußischer Eisenbahndeamter, ebenso befand sich auf der Loko motive noch ein höherer Beamter der Ma schineninspektion. Nachdem für den Küchen wagen etwas Proviant und Wasser eingenommen worden war und ein Wechsel der beiden Lokomotiven stattgefunden hatte, fuhr der Zug nach einem Aufent halt von 7 Minuten weiter. Zwischen den hiesigen Polizeibeamten bemerkte man auch einige russi sche Sicherheitsbeamte in Zivil. 8t. Friedberg, 30 August. (Priv.-Tel.) Der Borzug des Zarenpaares mrt dem Gepäck und dem Gefolge des Zaren ist bereits heute fr üh um 10 Uhr in Friedoerg eingetroffen. Der Zar wird heute nachmittag um 3 Uhr in Friedberg erwartet. Gegenüber den hartnäckigen Gerüchten, daß der Zar und oie Zarin in Kassel den Hofzug verlassen, um sich im Automobil nach Fried berg zu begeben, erfahren wir aus gut informierter Quelle, daß dies nicht zutrifft. Die kaiserlichen Automobile, die in Frankfurt in der Mercedesgarage untergebracht sind, haben sich heute früh nach Fried berg begeben. Der Zar und die Zarin bleiben bis Friedberg im Hofzug. Fürst Orloff hat sich heute früh nach Marburg begeben, um von dort 104. Jahrgang. aus den Zar im Zuge zu begleiten. Zum Empfang am Bahnhof werden anwesend sein, der Eroß- he rzog und die G ro ß h e r z o g in vonHessen, die Prinzessin von Schleswig-Holstein, die obersten Hofchargen des hessischen Hofes, General Molossoff, der kai>erliche Hosminister und andere russische Hof chargen. Die Straßen in Friedberg, die der Zar passiert, wurden heute früh mit Sand beschüttet Giuliano und Aehrenthal. Salzburg, 30. August. (Telegr.) Der italienische Minister des Aeußern Giuliano ist heute in Be gleitung des Kabinettssekretärs Barons Fasciotti hier eingetroffen und am Bahnhof vom italie nischen Botschafter in Wien, der seit gestern hier weilt, empfangen worden. Graf Aehrenthal wird morgen vormittag hier eintreffen. Neue Zuspitzung der Kretafrage. Konstantinopel, 30. August. (Tel.) Die Pforte überreichte gestern den Schutzmächten eine Note, in der sie erklärt, daß sie dieWahlen der Kre - tenser zur griechischen Nationalversammlung und ihre Bestätigung für einen feindlichen Akt Griechenlands gegen die türkischen Rechte auf Kreta ansehe. Sie richtet an die Mächte die Bitte, dahin zu wirken, durch eine endgültige Lösung der Kretafrage die Gefahr eines Krieges abzuwenden. Die Festtage in Montenegro. Cetinje, 30. August. (Tel.) Bei dem Gala, diner zu Ehren des serbischen Kron prinzen brachte König Nikolaus einen Toast aus, worin er hervorhob, daß die Anwesen heit des Kronprinzen in diesen Tagen seinem Herzen und seinem Bolle lieb sei, das besondere Freude empfinde, daß dadurch ein neuer Beweis gegeben sei für die Unzertrennlichkeit beider Staaten und ihrer Herrscherhäuser. Sein Herz schlage zu sammen mit dem Herzen des serbischen Königs, es gebe keine Macht, welche sie entzweien könnte. Montenegro bleibe für alle Zeiten die Schwester Serbiens. Montenegro werde vielleicht noch leichter und mit mehr Aussicht auf Er folg mit Serbien zusammen seine Aufgaben er füllen. — Der Kronprinz dankte mit einer Erwiderung des Toaste, Königs Nikolaus. Cetinje, 30. August. (Tel.) Der König und die Königin von Italien sind gestern nach mittag nach sehr herzlichem Abschied von dem König und der Königin von Montenegro über Antivari nach Italien abgereist. Ms Leimig unü Umgegend. Leipzig, 30. August. Wetterbericht der Königlich Sächsischen Landeswetter warte zu Dresden. Boraussage für den 31. August 1910. Ostwind, heiter, warm, trocken. Pühlberg: Berg nebelfrei, Nebel ringsumher, matter Sonnenuntergang, Himmelsfärbung gelb. Fichtelberg: Glänzender Sonnenuntergang, Abendrot. * Die Bibelbesprechung des Herrn Pastors Scherffig über den Philrpperbrief fällt in dieser Woche aus. Von Mittwoch nächster Woche ab wird sie tn der Südkapelle der Peter skirche stattfinden. 1SI «MH. Roman von H. Lourths-Mahler. Sie kannte Waldeck all die Jahre als eine ziel bewußte, in sich gefestigte Persönlichkeit. Sein vor nehmer, ruhiger und bestimmter Charakter hatte ihr stets die größte Hochachtung abgenötigt. Um ein Nichts wurde dieser Mann nicht zum nervösen, zer streuten Grübler. Dazu mußten schwerwiegende Gründe vorhanden jein. Und sie glaubte diese Gründe zu kennen. — Die häufigen Besuche des Baron Soltenau gaben ihr zu denken. Noch mehr aber der Umstand, daß er fast regelmäßig in Abwesenheit des Hausherrn erschien. Waldeck mußte diese Besuche nicht billigen, denn er hatte, wenn er einmal unerwartet nach Hause kam und den Baron vorfand, ein gequältes Aussehen und verfiel noch mehr in tiefsinnige Grübeleien. Ruth hätte sich vielleicht nicht so schnell von der Majorin beruhigen lassen, wenn sie nicht viel zu sehr mit sich selbst beschäingt gewesen wäre. Ihr Herz hatte sich willig dem beglückenden Ge fühl lunger Liebe geöffnet. Fred Erotthus hieß jetzt der Inhalt ihres Lebens, wenn sie auch scheu vor aller Augen verbargt was sie empfand. Am meisten vor dem jungen Offizier selbst. Gegen ihn war sie zurück haltender geworden, um sich nicht zu verraten. Ihr keusches Empfinden gestattete ibr nicht, ihm auch nur einen Finger breit entgegenzukommen. Er kam jetzt oft, um Ruth singen zu hören, und in ihre Lieder legte sie alles hinein, was ihr das Herz bewegte. Ihr Vater und Frau von Grotthus fanden, daß sie jetzt unvergleichlich schön lang, und Fred saß meist stumm in einer dunklen Eae und lauschte mit klopfendem Herzen auf die Stimme des geliebten Mädchens. So kam er auch an einem trüben Nachmittag. Während er eintrat, spielte Ruth gerade einChopin- sches Notturno. Er stellte sich leise neben den Flügel, stützte sich mit einem Ellbogen auf den zurückge schlagenen Deckel und sah auf ihre feinen, wohlge- pflegten Hände und in das leuchtende Gesicht. Durch ihr Spiel ging ein natürlich künstlerisches Empfinden. Die verständnisvolle Auffassung und der elegante, weiche Anschlag hoben es weit über die All täglichkeit hinaus. Als sie das Notturno beendet, reichte sie ihm die Hand. „Guten Tag, Fred. Nehmen Sie doch Platz. Papa ist heute abwesend, aber Ihre Mutter wird gleich hier sein." „Ich sprach bereits mit ihr, Fräulein Ruth, sie hat mich hierher geschickt. Wenn ich nur wüßte, ob ich Ihrem Spiel oder ^hrem Gesang den Borzug geben sollte. Sie sind ein begnadeter bensch, daß es Ihnen vergönnt ist, die Herzen Ihrer Zuhörer ge fangen zu nehmen." Sie machte eine leicht abwehrende Handbewegung. „Tie Herzen? Sie meinen die Ohren." „Nein, Ihr Spiel und Ihr Gesang snricht zum Herzen." Die Majorin trat ein und setzte sich still vor den Kamin. Jetzt begann ihre Feierstunde, auf die sie sich den ganzen Tag freute. Fred nahm neben ihr Platz, und Ruth ließ sich wieder vor dem Flügel nieder. Der junge Mann wandte den Blick nicht von ihr. Sie trug ein dunkelgrünes, knappsitzendes Tuchkleid, das keinen Aufputz trug, als drei wundervolle große Knöpfe aus oxydiertem Silber, welche tn der Mitte einen kleinen Chrysopras umfaßten und den Schluß der Korsage bildeten. Ihre Gestalt zeigte in diesem einfachen, aber eleganten Kostüm reizvolle Linien. Sie sang, ohne große Pausen, ein Lied nach dem anderen, wohl eine Stunde lang. Dann schloß sie den Deckel des Flügels und wandte sich lächelnd nach ihren andächtigen Zuhörern um. Die waren still. Fred trat an sie heran und preßte seine Lippen fester auf ihre Hand, als es der gute Ton vorschrerbt. Sie zog dieselbe so hastig zurück, als habe sie sich am Feuer verbrannt. Er trat zurück, sich selbst für seine Kühnheit strafend, und das junge Mädchen sah unverwandt vor sich hin. Frau von Grotthus hatte die kleine Szene bemerkt und begann zu plaudern, um die Ver legenheit der jungen Leute zu verscheuchen. „Du kannst mich nachher begleiten, Fred, ich habe einige Besorgungen zu machen. Du hast doch Zeit?" „Gewiß, Mama." „Dann will ick mich zum Ausgehen fertigmachen. Du leistest Ruth solange Gesellschaft." Er verneigte sich nur stumm und seine Mutter entfernte sich. „Sie sind wieder so einsilbig, Fred. Mein Gesang scheint Sie schwermütig zu machen." „Ganz unrecht haben Sie nicht, Fräulein Ruth. Es erwacht jedesmal in mir ein Gefühl unendlicher Sehnsucht nach etwas Wunderbarem, das ich nicht in Worte fassen kann." „Dann darf ich in Ihrer Gegenwart nicht mehr singen. Man soll in eines Menschen Herzen keine Sehnsucht erwecken, die man nicht erfüllen kann." Er richtete pch jäh empor. Ihre Worte schienen ihm eine Zurückweisung zu enthalten. „Seien Sie unbesorgt, ich bin noch immer allein damit fertig geworden." Sie sah ihn erschrocken an. Sein Ton klang scharf und gereizt, wie sie ihn noch nie von ihm gehört. Was hatte sie nun wieder gesagt, was ihn verletzte? Sie sann darüber nach und konnte sich nicht darüber klar werden. Da die Majorin inzwischen zum Ausgehen fertig eintrat, verabschiedete sich Fred hastig und ging mit ihr fort. Ruth sah ihm betrübt nach. „Was hat er nur wieder", dachte sie und das Herz wurde ihr so schwer. Schweigend gingen Mutter und Sohn durch den verschneiten Tiergarten, die Linden hinunter und bogen in die Friedrichstraße ein. Jeder hing seinen Gedanken nach, die sich mit denselben Gegenstand beschäftigten. Endlich brach Fred das Schweigen. „Du bist so still, Mama!" Sie wandte ihm das Gesicht zu und sah ihn be lustigt an. „Ganz wie du, mein Sohn." Er lächelte verlegen. „Ich war in Gedanken versunken, verzeihe mir." „Dann müssen wir uns gegenseitig verzeihen. Ich habe mich derselben Beschäftigung hingegeben. Hoffentlich waren es erfreuliche Bilder, die dich ab- lenkten." Er seufzte tief auf. „Wie man's nimmt." „Das klingt nicht gerade sehr ermutigend. Drückt dich etwas, mein Junge? Du hast doch um Himmels willen keine Schulden?" „Du weißt doch, daß ich mich darauf nicht ein lasse. Das wäre der Anfang vom Ende. Wie schlecht müßte ich sein, wollte ich dir so lohnen, was du für miq tust." „Aber Fred! Was tue ick groß für dich? Ich gebe dir einfach von meinem Ueberslutz." Den du dir mit Ausgabe deiner persönlichen Freiheit verdienst." „Wobei ich mich aber viel wohler befinde, als wenn mir jemand diese gerühmte Freiheit streitig machte. Das ist doch längst zwiscken uns erörtert worden. Ich habe ja ein Herrenleben in Waldeck und bin froh, daß nach seiner Wiederverheiratung alles beim alten geblieben ist. Frau Erna ist total gleich gültig in bezug auf den Haushalt, daß sie mir alles überläßt. Ich bin nach wie vor mein eigener Herr." „Mir fällt es aber unangenehm auf, daß sie dir gegenüber zuweilen einen sehr herablassenden Ton anschlägt." Die Majorin richtete sich stolz auf. „Eine Erna Waldeck kann sich nicht zu mir herab lassen, mein Sohn, sie wird immer nach oben sehen müssen, wenn sie mich finden will. Ihr kindisches Gebaren nehme ich ihr nicht übel. Sie stammt aus kleinen Verhältnissen und möchte sich als Herrin fühlen. Daß sie sich zuweilen aus Mangel an Herzenstakt im Ton vergreift, setzt sie herab, nicht mich." „Ich begreife nicht, daß ein so vornehm empfinden der Mensch wie Waldeck sich in diese Frau verlieben konnte." „Eben weil er vornehm denkt, sucht er bei anderen gleiche Art. Ich fürchte, die Enttäuschung ist nicht ausgeblieben. Er leidet schon jetzt darunter." „Meinst du?" „Ich halte es für gewiß." „Und wie denkt Ruth jetzt über ihre Stief mutter?" „Sie zwingt sich erfolglos zur Herzlichkeit, ist aber zu unerfahren, gottlob, als daß sie Frau Erna ganz durchschauen könnte." „Du sprichst, als hättest du ein Recht, diese Frau zu verachten." „Leider, mein lieber Junge. Ich fürchte. Waldeck und Ruth stehen schlimme Erfahrungen bevor, und dein Kamerad Soltenau wird dabei eine Rolle spielen." „Mama!" Sie nickte ernst mit dem Kopfe. Schweigend schritten sie weiter. Dann sagte Fred aus tiefen Gedanken heraus: „Du muht Ruth schützen, damit sie nicht vom Schmutz berührt wird." „Soweit es in meine Macht gegeben, gewiß." „Sie ist ein so reiner, herzlieber Mensch, die kleine Ruth." ',Das hast du also doch schon herausgefunden. Es