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BezugS-PE k der Hauptexpeditton oder den im Stadt« bezirk und den Bororten errichteten Au»- gabestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Laus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandsendung in» Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um b Uhr. Redaction und Expedition: Johannesgaffe 8. Dir Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: ktto Klemm'» Sortim. (Alfred Hahns, Universitätsftratze 3 (Paulinus), LoniS Lösche, Katharinenstr. 14, Part, uud König-Platz 7. Morgen-Ausgabe nWgcr.TaMM Freitag den 12. August 1898. Anzeiger. Amlsölatt des Äömglichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes nnd Notizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Aazeigen Prei- die 6 gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reclamrn unter dem Redactionsstrich (4ge» spalten- 50/^, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis, ve^eichmß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung So.—, mit Postbeförderung .6 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stund« früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 92. Jahrgang. Der konservative Feldzug gegen die Socialdemokratie in Ostpreußen. L2 Der gestern mitgetbeilte Aufruf deS ostpreußischen conservativen Vereins zur Bekämpfung der Socialdemokratie wird vom „Vorwärts" bagatellmäßig behandelt und in diesem Falle, glauben wir, ist die Gleichgiltigkeit deS socialdemokra tischen Centralorgans kaum erheuchelt. Gegen daS, was in dem Aufruf steht, ist — abgesehen von der recht reclame- haften Empfehlung der conservativen Partei — vom bürgerlichen Stanvpunct nichts zu erinnern, aber auch die Socialdemokratie kann er durch das, waS er vermissen läßt, be friedigen. Die ostpreußischen Herren sprechen von dem leiblichen Wohle der Arbeiter, für das sie sorgen wollen, und daß auch geistige Bedürfnisse zu be friedigen seien, deuten sie wenigstens an. Aber wenn nicht eine bei Leuten von Bildung unbegreifliche stilistische Unbeholfenheit die Feder geführt hat, so wird die Fürsorge für die Arbeiter nur „in Krankheit und Noth" für nothwendig erachtet und die „innere Arbeit" auf geistigem Gebiet sehr eng begrenzt. „ Große Mittel", die man in Ostpreußen sonst so warm empfiehlt, scheint man nicht in Anwendung bringen zu wollen. Und es giebt ein großes Mittel, das gerade im Osten anwend bar ist und sehr viel helfen würde, nämlich die Wiederher stellung res Verbotes der Einwanderung russisch-polnischer Arbeiter. Der Großgrundbesitz des Ostens klagt über die Mobilisirung der Arbeiter durch die Freizügigkeit. Die Herren wissen aber ganz genau, daß die zustrvmenden Russen deutsche Arbeiter, die persönlich keinen Reiz verspüren, den Zug nach Westen mitzumachen, verdrängen. Ihre große Anspruchslosigkeit wird von der russischen übertrumpft. Daß dem so ist, daß der Zuzug auS dem Ausland nickt nur freiwillig gerissene Lücken füllt, sondern Lücken schafft, indem er eingeborene Leute vertreibt, ist sogar in der Aera Köller anerkannt worden. Nun kann ja der Kirch thurmspolitiker sagen: „Die Leute, die ausgewandert sind, haben in Ostpreußen keine socialdemokratischen Stimmzettel abgegeben und die an ihre Stellen getretenen nicht wahl berechtigten Ausländer erst recht nicht." Zum großen Glück für die Großgrundbesitzer des Ostens ist dieser Einwand hinfällig. Die meisten einheimischen Arbeiter sind geblieben, sie empfinden aber den fremden Wettbewerb furchtbar schwer. Das zeigte sich dieser Tage in einem Dorfe bei Elbing, in dem russische und deutsche Arbeiter den Kampf ums Dasein mit Messern und Sensen ausfechten wollten. Diese Schlägerei mit russischen Arbeitern redet Bände für Den, der die Ruhe, ja Schwerfälligkeit der deutschen Landarbeiter im Osten kennt. Der Unmuth über den Wettbewerb der von conservativen Wortführern des Schutzes der nationalen Arbeit Herbeigebolten, nur durch ihre kulturelle Minderwerthigkeit überlegenen Fremden, die Deutschland weder Gut- noch Blut steuer entrichten, drückt den noch nicht aus der Heimath ver drängten den socialistischen Stimmzettel in die Hand. Die Socialdemokratie, und hier kommt ein deutsches Interesse ins Spiel, hat den schwachen Punct mit sicherem Blick längst berausgefunden. Der freihändlerische „Vorwärts" läßt keine Woche vergehen, ohne auf die Schutzlosigkeit der nationalen „Arbeit im wahren Sinne des Wortes" gegenüber dem Schutz nationaler Produkte hinzuweisen, und er beutet jetzt den er wähnten Zusammenstoß zwischen deutschen und russischen Arbeitern mit Geschick und, wie nicht zu bezweifeln, mit Glück aus. Daß er damit das Programm der inter nationalen Socialdemo kratie verleugnet, ist ein Zwirns faden, über den gewiß kein deutscher Landarbeiter stolpern wird. Anstatt nun die schwere politische und sociale Schädigung, die der Zuzug aus Polen mit sich bringt, in Betracht zu ziehen, sind die östlichen Großgrundbesitzer, wie ihre Presse verräth, noch nicht einmal zufrieden, daß die Bestimmungen, welche wenigstens die Seßhaft- machung der zuwandernden Slawen verhindern sollen, von den Behörden nicht ganz und gar außer Acht gelassen werden. DaS ist einer der Puncte, deren Beachtung nütz licher wäre, als die Verweisung auf trakthätenartige Schriften und auf Krankensuppen. Weiterhin sollten die Großgrund besitzer von ihrem stillen, aber um so zäher geworbenen Haffe gegen die nun einmal unveräußerlich gewordene Arbeilerversicherung abstehen, nicht oavaliöremönt, wie sie gewöhnt, mit der Währungsfrage und mit Abenteuern wie dem Antrag Kanitz spielen und sich bewußt werden, daß es der Socialdemokratie nicht schadet, wenn von ergebenen Agitatoren und Zeitungen die Margarine als ekle und ge- sundheitSgefährliche Speisenzuthat denunciren läßt, gleichzeitig aber diesen Stoff centnerweise für die Beköstigung der „Leute" aoschafft. Deutsches Reich. Berlin, 11. August. Die von der Deutschen Colonial gesellschaft an den Reichskanzler gerichtete Eingabe, be treffend die Abänderung des Gesetzes über Erwerbung und Verlust der Reichs- und Staatsangehörigkeit betont im nationalen Interesse nur die eine Seite dieser Frage, nämlich die thunlichste Wahrung der Nationalität der deutschen Auswanderer im Auslande. Zweifellos ist diese Angelegenes zur Zeit der dringendere Theil der Frage, indessen wird man, gleichfalls im nationalen Interesse, den anderen Theil die E r - schwerung der Naturalisation der Ausländer in Deutschland, darüber nicht allzu lange und allzu sehr vernachlässigen dürfen. Die jetzige Eingabe der Colonialgesell- schaft ruft die Erinnerung wach an die Verhandlungen vom 27. Februar und 6. März 1895 im Reichstag, wo über den An trag der Abgeordneten Or. Hasse und Genossen debattirt wurde, der die gleiche Angelegenheit betraf, aber sich auch auf die Naturalisation der Fremden im deutschen Reiche erstreckte. Schon damals wurde von dem Hauptantragsteller bezüglich des Ver lustes der Reichs- und Staatsangehörigkeit der Grundsatz ver fochten, dem Deutschen im Auslande solle diese Angehörigkeit bis ans Ende seines Lebens belassen werden, wenn er sie s e l b st be halten wolle, welcher Grundsatz in der Eingabe der Colonial gesellschaft bekanntlich dahin Ausdruck gefunden hat, daß ein Deutscher im Auslande die Reichs- und Staatsangehörigkeit nur auf seinen eigenen Antrag hin verlieren könne. Gewisser maßen als Correlat zu dieser Forderung kann die weiter in jenem Anträge geforderte Erschwerung der Naturalisation der Fremden im deutschen Reiche gelten. Sie ist ein berechtigtes Postulat eines berechtigten Nativismus. Deutschland ist nicht im Min desten auf einen Zuwachs an Bevölkerung von außen angewiesen; im Gegentheil verfügt es über einen Ueberschuß an Volkskraft. Die erhebliche Einwanderung nach Deutschland, welche trotzdem stattfindet, kann demnach weder vom volkswirthschaftlichen, noch vom nationalpolitischen Standpunkte aus gerade als ein Vortheil betrachtete werden, wenn auch die Reciprocität, die in dieser Aeziehung zwischen den verschiedenen Ländern und Nationen be steht, ihre guten Seiten haben mag. Eine starke Einwanderung muß nothwendig ihre Rückwirkung auf die Auswanderung geltend machen. Nach der Volkszählung vom 1. December 1890 (die neueren Zahlen stehen uns specialisirt noch nicht zur Verfügung) lebten in Deutschland 508 595 Personen, die im Auslande ge boren waren. Von ihnen waren im Zeitpunct der Volkszählung bereits 208 437 in Deutschland staatsangehörig, darunter 57 238 aus Oesterreich, 2419 aus Ungarn, 37 290 aus Rußland. Da die fremden Nationalitäten im Reiche ohnehin schon ungefähr 9 Procent der Gesammtbevölkerung ausmachen, so kann eine Verstärkung der sprach- und rastefremden Elemente in Deutsch land für eine homogene nationale Entwickelung nicht erwünscht sein. Selbstverständlich wird Niemand den Fremden den Auf enthalt im Reiche irgendwie verkümmern wollen, nur die Natura lisation soll nicht in einer Weise erfolgen, welche das Deutsch- thum schädigt. Zur Zeit wird in dieser Beziehung in den ein zelnen Bundesstaaten verschieden verfahren; hier ist die Natura lisation leichter, dort schwerer. Eine Reform wäre in der Rich tung anzustreben, daß die Entschließungen der Landesregierungen von einer Reichs-Centralstelle abhängig gemacht, und im Allge meinen der Grundsatz einer Erschwerung der Naturalisation zur Anwendung gebracht würde. Ungeschickter Weise wurde im Jahre 1895 der Antrag der Abgg. vr. Hasse und Genossen bei der Verhandlung im Reichstage mit den conservativen und antise mitischen Anträgen, betreffend die Einwanderung ausländischer Juden, verkoppelt, was zu seiner Ablehnung mit geringer Mehr heit führte. Wenn jetzt die Angelegenheit wiederum zur Be- rathung gestellt wird, wird man einen solcyen Fehler schwerlich wiederholen. Die Berechtigung des Antrages Hasse ist auch von einem Theile der Freisinnigen anerkannt worden, so daß die Ver wirklichung seiner Tendenz nach beiden gekennzeichneten Rich tungen hin als sicher betrachtet werden könnte. Berlin, 11. August. Der „Vorwärts" veröffentlicht einen Auszug aus dem Bericht der Generalcommission der social demokratischen Gewerkschaften Deutschlands für das Jahr 1897, der nach mehr als einer Richtung interessant ist. Zunächst ist daraus zu ersehen, daß die Gesammtzahl der in den gewerkschaftlichen Centralverbänden organisirten Arbeiter in dem vergangenen Jahre von 329 230 auf 412 359 gestiegen ist. Der Zuwachs betrug demnach nicht weniger als 83129 Köpfe oder 25,2 Procent. Im Vergleiche zum Jahre 1893, welches in den Jahren, für welche Uebersichten über den Stand der Organi sation existiren, die geringste Mitgliederzahl aufweist, entspricht das einer Zunahme von 189 352 Köpfen oder 80 Procent. So bedeutsam dieses Anschwellen der gewerkschaftlichen Organisation an sich sein mag» und so eindringlich es zu einer aufmerksamen Beobachtung auffordert, namentlich mit Rücksicht auf die Unter stützung, welche die politische Leitung der socialdemokratischen Partei aus der gewerkschaftlichen Organisation zieht, so erscheint doch die Kopfzahl der in den Gewerkschaften organisirten Ar beiter gering im Vergleich zu der Gesammtzahl der Arbeiter. Der Bericht der Generalcommission giebt für die 55 Gewerbe, für welche gewerkschaftliche Centralverbände vorhanden sind, die Zahl der im Hauptberuf beschäftigten Arbeiter auf 6165 735 an, darunter 5 064 034 männliche und 1101701 weibliche Arbeiter. Davon gehören den Gewerkschaften an 381269 Arbeiter und 11644 Arbeiterinnen. In den Gewerkschaften ist demnach nur der15. TheilderArbeiterschaftorganisirt. Wenn man bedenkt, welchen Einfluß dieser Bruchtheil z. B. bei Streiks auf die übrigen Arbeiter ausübt, oder doch auszuüben versucht, wird man die Anwendung der Bezeichnung „Tyrannei der So cialdemokratie" auf diese Verhältnisse durchaus gerechtfertigt fin den. Die Verbreitung der Gewerkschaften unter den Arbeitern der einzelnen Gewerbe ist eine sehr verschiedene. Sie schwankt zwischen 0,08 Procent und 61,80 Proccnt der Berufsangehörigen: der niedrigste Procentsatz ist bei den Handlungsgehilfen, der höchste bei den Buchdruckern zu verzeichnen. Bei 34 Gewerben bleibt der Procentsatz unter 10, bei 9 unter 2 zurück. Die ab solut stärkste Mitgliederzahl weist der Centralverband der Metall arbeiter mit 58 610 Angehörigen auf, ihm folgt der Central verband der Maurer mit 42 652, der der Holzarbeiter mit 40 520 und der der Buchdrucker mit 22 865 Mitgliedern. Die wirklichen Mitglieder der gewerkschaftlichen Organisationen vertheilen sich auf 18 Centralverbändc. Von großem Interesse sind die finanziellen Verhältnisse der Gewerkschaften. Bei einer Gesammteinnahme von 4 083 696 cL ergab sich eine Ge- sammtausgabe von 3 542 807 d Der Cassenbestand wies Ende 1897 2 951424 cA auf. Bei den Ausgaben nimmt der Posten „Streikunterstützung" mit 784 061 die erste Stelle ein; da neben figurirt der Posten „Vcrbandsorgan" mit 439 259 d Für Reiseunterstützung wurden 289 036 d, für Arbeitslosen unterstützung 260 316 d für Krankenunterstützung 454 494 d, für Jnvalidenunterstützung 68 088 -L ausgegeben. Einen sehr erheblichen Theil der von den Arbeitern getragenen Beiträge nimmt die Verwaltung in Anspruch. An „Gehältern" wurden 108 426 gezahlt. Dazu treten noch 120 374 für „Ver waltungsmaterial", 60 070 <--( für Conferenzen und General versammlungen und 37 244 für die Generalcommission, so daß sich die Verwaltungskosten insgesammt auf über 325 000 be laufen, eine Summe, welche ungefähr den 10. Theil der Gesammt- ausgaben darstellt, und die Beschwerden der Socialdemokratie über die angeblich zu hohen Verwaltungskosten bei den socialpoli tischen Institutionen des Reiches in einem eigenthümlichen Lichte, erscheinen lassen. (D Berlin, 11. August. (Telegramm.) Die „Berliner Correspondenz" schreibt: Die Tagespresse beschäftigte sich mehrfach mit der Entscheidung des Finanzministers, nach den Bescheinigungen über die Anmeldungen öffentlicher Versamm lungen für stcmpelpflichtig erklärt sein sollten. Diese Zeitungsnachrichten sind irrthümlich. Der Finanzminister entschied vielmehr anläßlich der Beschwerde des Magistrats in Prenzlau die Frage im entgegengesetzten Sinne. Er er kannte die Stempelfreiheit der fraglichen Bescheinigungen auch in dem Falle an, wenn die Ertheilung ausdrücklich beantragt werde. Die Rückzahlung der bezahlten Stempclbeträge ist angeordnet. — Beim Einzuge'des Kaiserpaares am 2. September in Hannover wird dem „Hann. Courier" zufolge eine Be grüßung desselben stadtseitig am Markte vor dem alten Rath Hause staltfinden; dem Kaiser wird ein Ebrentrunk gereicht und der Kaiserin von jungen Damen eine Blumenspende dargebracht werden. Am Paradetage, dem 3. September, wird der Mannergesangverein vor dem Kaiserpaare singen und am 4. September der Domchor und der Knabenchor der Bürgerschulen. — Durch Vermittelung des Auswärtigen Amtes sind nun mehr auch die obersten Vertreter der evangelischen Kirche in Nordamerika, in den Niederlanden, Dänemark u. s. w. eingeladen worden, der Einweihung der Erlöserkirche in I e r u s a l e m am 31. October beizuwohnen. Feoilletsn. Zehn Jahre afrikanischen Lebens. Es ist ein Zeichen unserer colonialen Entwickelung, daß unser literarischer Markt öfters mit Erzeugnissen colonialer Natur be schickt wird, daß die Lecture von Reisebeschreibungen immer mehr zunimmt. Werke wie die von Stanley, Wissmann, Nansen sind in vielen gebildeten Familien anzutreffen und durch ihr Lesen erweitert sich das Verständnis; für fremde Verhältnisse, fremde Völker, wird das Interesse für unsere eigenen Colonien erweckt. Anregend ist es dabei, die Art und Weise der Colonisation zu verfolgen. Allen voran stehen die Engländer, und wenn sie auch nicht als die idealen Colonisten zu bezeichnen sind, wenn sie auch am liebsten mit Pulver und Blei colonisiren, so ist doch ihr unerschöpflicher Vorrath an Geld und Menschen rin Hilfsmittel, das die verschiedensten Arten von Colonisation zulätzt. Und wenn man die Reisewerke und die Colonisationsbeschreibungen durchblättert, so findet man immer als ultima rutio die Waffe angewendet und Niemand sagt etwas darüber, nur in Deutschland finden sich zarte Seelen, die nicht begreifen können, daß man den Neger ander» behandeln muß als den Weißen. Wenn man ein mal die Nothwendigkeit zugiebt, daß der Europäer für seinen Ueberschuß an Geburten, aus der Noth eine Tugend machend, sich Wohnsitze in anderen Erdtheilen sucht, daß er dort, einem Naturgcbot folgend, die Bewohner sich unterthänig macht, so muß schließlich auch jedes Mittel recht sein. Mit Energie betrieben, macht die Colonisation riesige Fortschritte. Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, daß eine Bahn von Swakopmund nach Windhoek gebaut würde, daß am Ende des Jahrhunderts die Congofälle durch einen Schienenweg überwunden fein würden, daß man in das Herz der Hottentotten, nach Buluwayo erster oder zweiter Classe fahren könne, und daß man in Deutfch-Ostafrika die längst proiectirte Bahn von Tanga nach dem Innern in einem größeren Theil ihre Trace vielleicht noch erleben könnte. Ange sichts solcher reißenden Fortschritte ist e» wohl angebracht, einmal einen Blick auf wenige Jahre zurück zu werfen, wo die Pioniere der Cultur und des Pulvers noch nicht ahnen konnten, wie sich ihre Arbeit entwickeln würde. Ein Buch „Zehn Jahre afrikanischen Lebens" von August Bothart (Leipzig bei Otto Wigand, 4 Mark) kommt uns da zu Hilfe. Der Verfasser ist vor fünfzehn Jahren in den Dienst des Congo- staateS getreten und hat in dessen Auftrage verschiedene Expe ditionen geleitet. Er hat unter Stanley und van Kerkhoven ge dient. In seinem Buch« entrollt er eine packende, lebensfrisch« Schilderung seiner Erlebnisse, einleitend etwas kritisch ange haucht, aber anscheinend voller Wahrheit. Don seinen Kameraden, I die mit ihm den Congostaat durchforschten, von den vielen Officieren, die sich in den Dienst der colonialen Congosache stellten, ist er und rin Lieutenant übrig geblieben, die anderen Officiere liegen irgendwo in Afrika begraben oder sind wohl gar verspeist worden. Welche Schwierigkeiten bei der Erforschung des Landes und bei Anlage der Station zu überwinden waren, das geht lebhaft aus dem Buche hervor. Besser als jedes weitere referirende Eingehen auf die Reisen im Congostaate wird der Abdruck einer Schilderung des Kampfes um die Station Many- anga sud für das Buch sprechen. Capitain Hanssens hatte mich, so erzählt Boshart, für seine Expedition nach dem Niadi verlangt. Es war unschwer voraus zusehen, daß Manyanga sud in kürzester Zeit eine der be deutendsten Stationen am Congo werden würde, und ich hätte gewünscht, mein Commando beibehalten zu können; doch, um an Capitain Hanssens' Werk theilzunehmen und an seiner Seite eine neue Expedition zu machen, war kein Opfer zu groß; auch glaubte ich, darin einen Beweis von Vertrauen erblicken zu sollen, denn Capitain Hanssens war dafür bekannt, daß er es vortrefflich verstand, sein« Leute zu wählen. Ich packte meine sieben Sachen zusammen und erwartete weitere Befehle. Meine Arbeiten in Manyanga sud waren Anfang December mehrere Tage unterbrochen gewesen durch verschiedene Angriffe, die die Eingeborenen auf meine Station unternommen hatten, nachdem sie vorher in ganz unmotivirter Weise mit dem Di visionschef Haneuse, d«r auf dem Heimweg von einer Inspektions reise begriffen war, Handel gesucht hatten. Haneuse kam eines Tages gegen Mittag mit seiner Beglei tung in meiner Station an und erzählte mir, daß er vor un gefähr einer Stunde von den Eingeborenen angeschossen worden war, nachdem sie ihm vorher den Eintritt in ihr Dorf verweigert hatten. Er gab mir den Rath, mich kampfbereit zu halten, da ich nun wahrscheinlich auch einen Besuch erhalten würde. Ich hatte gerade diesen Morgen eine schöne Antilope ge schossen, wodurch ich in den Stand gesetzt war, meine Kame raden zu Tische einzuladen, was mit Freuden angenommen wurde. Nach dem Frühstück setzte Haneuse mit seinen Leuten in Kanoes der Eingeborenen über den Strom, da unsere Boote auf einer Reise zwischen Jsanghila und Manyanga begriffen Warrn. Diese unbequeme und gefährliche Fabrt nahm immer eine volle Stunde in Anspruch. Der Zug erklomm noch die jenseitige steile Höhr, um nach der Station zu gelangen, als bei mir hüben der Tanz loSging. Die Schwarzen haHen den gün stigen Moment abgepaßt, um über die Station herzufallen; sie wußten genau, daß unsere Boote abwesend waren, und vor vier bi» fünf Tagen nicht zurückekwartet werden durften, daß wir nur über zwei Canoes verfügen konnten, mit welchen im besten Falle 20 Mann zu gleicher Zeit zu befördern waren, und daß sie über dies in der Lage gewesen wären, diese beiden Canoes mit ihren 40 bis 50, welche ihnen selbst -u Gebote standen, abgufangen oder wenigstens zur Umkehr zu zwingen. Sie hatten Kenntnis; von der schwachen Besetzung der noch unfertigen Station, und meine vollen Magazine mochten wohl das Ihrige dazu beigetragen haben, die Angriffslust der wilden Horde zu reizen. Ich hatte zur Anlage meiner Station einen Platz ausge wählt, der auch ohne besondere fortificatorische Arbeiten leicht vertheidigt werden konnte. Im Norden vom Strom, im Westen von einem — für die nackten Schwarzen — undurchdringlichen Gehölz abgeschlossen; die Südseite von einer kahlen, steilen Höhe begrenzt, von der man zwar oorsichtig, aber nicht ohne gesehen zu werden, herabklettern konnte, war der Platz nur von Osten her leicht zugänglich. Diese schwache Stelle ließ ich während der wenigen Stunden, die mir noch geblieben waren, durch einen künstlichen Verhau unzugänglich machen, eine Arbeit, die uns durch das die Station noch umgebende Gestrüpp sehr erleichtert wurde. Es war ungefähr gegen 2 Uhr Nachmittags, als die ersten Schüsse knallten, die aus der Entfernung, aus der sie abgegeben wurden, keinen Schaden verursachten. Der Feind zählte etwas über 200 Mann, weshalb ich mich mit meinen sieben kampf fähigen Haussas nebst den beiden Weibern, die in Reih und Glied mitfochten, nicht in einen Offensivkampf einlasien konnte, sondern lediglich auf die Vertheidigung der Station beschränken mußte. So währte das Geplänkel ungefähr zwei Stunden; zwei Schwarze, die den Versuch machten, von der südlichen Höhe der Station auf Schußweite nahe zu kommen, schoß ich selbst her unter und benahm somit den Anderen die Lust, das Wagestück zu wiederholen. Die Kerls hatten sich wohl vorgenommen, noch vor Sonnenuntergang die Herren über unsere Magazine zu sein; sie hatten bei dem lustigen Geknalle vielleicht auch ihren Pulver- Vorrath verschossen und hielten uns wahrscheinlich für noch schwächer, als wir wirklich waren, weil unsererseits ihr Feuer nur sehr schwach erwidert wurde — sie sammelten sich langsam, und gingen zum geschlossenen Angriff über. Damit war der kritische Moment gekommen; gelang es dem Feinde, den Verhau zu durchbrechen, so war es um die Station und auch um uns geschehen. Das mochten sich meine Haussas wohl ebenfalls ge dacht Haden, denn es kamen jetzt, sogar unaufgefordert, die drei Kranken herbei, um sich an der Abwehr zu betheiligen. Singend und tanzend, die Speere in der Luft schwingend, wälzte sich die räuberische Bande heran. Ich ließ sie — meine Haussas noch durch einige Worte anfeuernd — bis auf 300 Schritt heran kommen, um sie mit einer wohlgezielten Salve zu begrüßen. Einen Augenblick stutzte der Schwarm, um dann mit einem ohrenzerreißenden Kriegsgeheul auf uns loszustürzen. Nach dem ich noch eine zweite Salve hatte abgeben lassen, commandirte ich: „Rottenfeuer". Meine Haussas hielten sich wacker und schossen vorzüglich, Allen voran die beiden Weiber. Als her Feind, trotz seiner bedeutenden Verlust«, nicht weichen wollt« und endlich di« Station erreicht zu haben schien, stieß er auf das unerwartete Hinderniß des Verhaues. Nun war mit einem Male an kein Halten mehr zu denken; mit einem jammervollen Wehegeschrei stob die wilde Bande auseinander, sogar ihre Tobten und Ver wundeten ließen sie auf dem Platze zurück; wir sahen sie noch lange hastig die Berge erklimmen, um nach ihren Dörfern zu eilen. Von dem gegenüberliegenden Manyanga nord hatte man mit dem Feldstecher den Kampf verfolgen können, ohne im Stande zu sein, Hilfe zu bringen. Als die Nacht sich senkte, glaubte man Station und Mannschaft verloren. Es Ivar deshalb ein Glück, daß das Stahlboot der Baptistenmission kam, mit dem in der Nacht Haneuse und sechzig Zanzrbariten über den Congo setzen konnten. Es war aber augenscheinlich nichts mehr zu thun, Haneuse konnte wieder abfahren. Kaum hatte er das andere Ufer wieder betreten, so wurde Boshart's Station von Neuem angegriffen. „Die Feinde hatten bei benachbarten Häuptlingen Hilfe gefuchi und gefunden, so daß sie uns heute ungefähr 500 Mann stark angreifen konnten. Sie mochten aber wohl das Vertrauen auf ihr Waffenglück verloren haben, denn sie hielten nicht mehr Stand wie früher; bei der ersten Salve, die wir auf ihren ge schlossenen Knäuel abgaben, ging's über alle Berge, meine Zanzi- bariten eine Strecke weit hinterdrein. Die Leute bekamen aber nochmals Verstärkung, und wagten noch eine dritte Attakc, welche ebenso abgeschlagen wurde, wie die beiden vorangegange nen. Nun wurde mir aber die Geschichte doch zu bunt und icv beschloß, zur Verfolgung Lberzugehen. Bei der Gelegenheit war ich durch Zufall so glücklich, im Busche auf eine ansehnliche Bande von Weibern und Kindern zu stoßen, die dorthin in Sicherheit gebracht worden waren. Das war ein famoser Fang, wir hatten jetzt unsere Schwarzen in der Hand! Wir führten die kostbare Eroberung so schleunig als möglich nach der Station und warteten ruhig der Dinge, die nun kommen würden. Die Eingeborenen fanden sich in der That schon den nächsten Morgen ein und bettelten um Frieden. Die Verhandlungen zogen sich — wie gewöhnlich in Afrika — ein paar Tage in di« Länge, während welcher Zeit sich die gefange nen Weiber mit den Siegern befreundeten. Schließlich mochten unsere Widersacher doch zu der Einsicht gekommen sein, daß es für sie ersprießlicher sei, der Sache ein baldiges Ende zu be reiten; sie willigten ein, das geforderte Lösegeld zu entrichten, welches wir auf 100 Schafe, 100 Ziegen und 200 Hühner fest gesetzt hatten. So ward wieder Friede und die Geschichte zur allgemeinen Zufriedenheit beigelegt; die Schwarzen hatten ein gehende Bekanntschaft mit unseren Gewehren und unserer Krieg führung gemacht, wa» für die Zukunft von bedeutendem Werthe war; meine Station aber wurde auf diese Weis« billig und glänzend verproviantirk.