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Aus Crimmitschau nahmen ca. 100 Krieger an dem Kampfe Theil, vier blieben im blutigen Kampfe. Das Jahr 1870 berührte Crimmitschau nur wenig, außer der großen Zahl der Militairzüge und späterhin Zügen mit Verwundeten und Gefangenen spürte man von dem eigent lichen Treiben des großen Krieges wenig, doch gab sich die pa triotische Gesinnung der Bewohner bei den verschiednsten An lässen kund. Nach diesem geschichtlichen Rückblicke soll nun die Ge schichte der Crimmitschauer Industrie zur Dar stellung gelangen. Als ältesten Industriezweig muh man das Braugewerbe bezeichnen. Von diesem sagt der Crim mitschauer Chronist Göpsert: „Die beste Nahrung der Bürger in Crimmitschau ist das Bierbrauen. Crimmitschauer Bier ward sonst weit und breit verführt. Die Erfurter schätzen es in ihrer Chronik für eine besondere Gerechtigkeit, daß sie in ihrem Keller „Crimmitschauer Bier" schenken dürfen. Auf dem berühmten Egidius-Vieh-, Böttcher- und Krammarkt zu hohen Melzen (Hohenmölsen bei Weißenfels), sowie in Altenburg und Zeitz ward Crimmitschauer Bier geschenkt." Aus dem Jahre 1444 ist noch eine Bestimmung vorhanden, die genau bestimmt, wieviel Gebräude jeder brauberechtigte Bürger B er brauen dürfe. Wer drei Mark verschaffet, der darf nach dieser ältesten Verordnung drei Gebräude thun, mehr als acht Gebr'iude konnte kein Bürger brauen. Den Crimmitschauer braijierechtigten Bürgern stand der Bierzwang zu, der sich auf alle Ortschaften, die eine Meile im Umkreise lagen, erstreckte. Von t elchem Um fange besonders vor dem dreißigjährigen Kriege das Braugewerbe gewesen sein muß, das ersieht man aus den vieler Bergkellern, die sich heute noch in der Umgebung Crimmitschaus vorfinden. 1543 zählte man deren 37, ihre Zahl vermehrte jch allmählich auf 56. Um das Brauwesen zu fördern, ward 1582 zine Holzstöße aus der Pleiße angelegt, die im dreißigjährigen Kriege verwüstet ward. Zu besonders hoher Blüthe gelangte das Crimmitschauer Brauwesen bis zum Jahre 1630, mit diesem Jahre begannen für die Stadt die Leiden des großen Krieges. Um 1626 gab es 65 brauberechtige Bürger, die 169 Gebräude brauten. Selbst im dreißigjährigen Kriege, nach der großen Pest von 1628, 1630 und 1633, betrug die Tranksteuer noch ein Ansehnliches- 1637/38 kamen 131 Gebräude zur Versteuerung, die aus 1965 Schesfeln Malz hergestellt waren und an Tranksteuer 260 Thlr. 23 Gr. 5 Pf. zahlten. 1638/39 wurden 121 Gebräude her gestellt, von denen 252 Thlr. 12 Gr. 6 Pf. Tranksteuer zu zahlen waren. Die Zahl der Brauberechtigten war 1638 auf 29 zurückgegangen, betrug aber 1645 bereits wieder 49. Welcher Wohlstand vor dem großen Kriege in Crimmitschau geherrscht haben muß, ersieht man daraus, daß 8 16 der Brauordnung vom 1. December 1600 genaue Bestimmungen über den Umfang des „Braugefreeßes" erlassen muß. Mit dem allgemeinen Verfalle Crimmitschaus nach dem großen Kriege verfiel auch daS blühende Brauwesen. Unterm 4. December 1819 erschien ein Rescript, das gesunkene Brauwesen wieder zu heben, und am 15. April 1820 ward durch den Amtshauptmann von Zezschwitz eine Revision des Crimmitschauer Brauwesens vorgenommen. Im Jahre 1827 betrug die Zahl der brauberechtigten Häuser noch 77; 1848 bildete sich eine Braugenoffenschaft, die auf dem Rahmberge ein Brauhaus erbaute, das 17 558 Thlr. 11 Gr. 4 Pfg. kostete. Auf ein gleiches Alter wie die Brauerei kann auch die Tuch macherei zurückblicken. In dem 1436 angelegten Stadt buche sind die Jnnungsartikel der Tuchmacher von 1429 aus genommen. Ein wohlwollender Förderer der Crimmitschauer Luchmacherinnung war Hanns Federangel, Rathsherr in Zwickau, der durch den Schneeberger Silberbergbau ein äußerst wohlhabender Mann geworden war. Er hatte insofern In teresse an Crimmitschau, als er 1474 für eine Summe von 7500 rheinischen Gulden Schloß, Stadt und Amt Crimmitschau gekauft hatte. Um das Tuchmachergewerbe auf eine solide Grundlage zu stellen, traf er die Bestimmung, daß jedes Stück Tuch auf seine Breite, Länge und Güte von damit betrauten Handwerksmeistern geprüft werden mußte, und wenn es von diesen für „tüchtig vnnd vollstendig" befunden worden war, ver sahen es die prüfenden Meister mit einer bleiernen Marke. Ums Jahr 1613 wurden in Crimmitschau 812 Stück Tuch hergestellt. Die Tuchmacherzunft besaß ihr eigenes Jnnungshaus und zahlte alljährlich ein Altschock Rahmzins an die Pfarrkirche. Seit 1534 hatte die Innung vor dem Waflerthore eine eigene Walk mühle und ein Färberhaus, mit dem allgemeinen Verfalle des Handwerks in Crimmitschau gingen auch diese beiden Anlagen ein, erst 1810 erwarb die Tuchmacherinnung wieder eine Walk mühle. Dies blühende Gewerbe verfiel in und nach dem dreißig jährigen Kriege mehr und mehr. Da die wenigen übrig ge bliebenen Tuchmacher in Crimmitschau nicht Beschäftigung finden konnten, so wanderten sie zum Theil nach anderen Städten aus und verpflanzten damit auch die Vortheile der Tuchweberei in diese. Zur Zeit des tiefsten Niederganges erstand der Crim mitschauer Tuchindustrie ein Retter in dem am 9. December 1725 zu Schmölln geborenen David Friedrich Oehler. Als Knabe von vier Jahren kam er nach Crimmitschau, wo sein Vater die Färberei betreiben wollte. Da das Geschäft des Vaters nicht sonderlich blühen wollte, verließ der Vater Crimmitschau bald wieder, um sich in Altenburg niederzulaffen. Der 17jährige Sohn aber übernahm das Crimmitschauer Geschäft und ward so der Begründer und Retter der Crimmitschauer Industrie. Durch viele Versuche war es ihm gelungen, den mit Grün und Blau gefärbten Garnen einen so eigentümlichen Glanz zu verleihen, daß Sachverständige auf den jungen Mann aufmerk sam wurden. Ein findiger Engländer entführte ihn nach Eng land, nach Verlauf eines Jahres kehrte er mit einem Capital von 1000 Stück Louisd'or zurück und war nun in der Lage, sein Geschäft zu erweitern. Das Färbegeheimnitz verkaufte 1747 der junge Oehler an den Herzog Karl von Braunschweig für 4000 Thaler und einer dreijährigen Rente von 200 Thaler. Mit diesem Gelbe errichtete er 1748 eine Fabrik und Färberei, später ward sein Schwager Johann Christoph Seyffarth sein Kom pagnon. Beide Unternehmungen blühten rasch auf, so daß nicht nur viele Crimmitschauer Meister Arbeit fanden, sondern auch solche aus Werdau, Reichenbach, Meerane, Ronneburg, Gera, Frohburg und Borna. Eine weitere Erfindung Oehler's war der Berilldruck, mit dem es möglich wurde, auf den Woll stoffen erhabene Muster herzustellen, ferner führte er aus Holland die Streichgarnspinnerei ein. Der Kurfürst Friedrich August der Gerechte lohnte den Wohlthäter Sachsens dadurch, daß er ihm den Titel eines „Cammerrathes" verlieh. Die Spuren seiner segensreichen Erfindungen machten sich denn auch bald in Crimmitschau in erfreulicher Weise bemerkbar. Das Städtchen erhob sich in schönerer Gestalt aus den Trümmern, es war in der Lage, die 30 000 Thaler rückständige Kriegskosten zu bezahlen. Zum Bau der verfallenen Häuser gab der Schwager Oehler's.Johann Christoph Seyffarth, bedeutende Vorschüsse. Die Bürgerschaft Crimmitschaus empfand denn auch das Wirken dieser Männer als einen großen Segen, was man daraus erkennt, daß in den alljährlichen Neujahrszetteln der Beiden besonders gedacht wird. 1782 heißt es: „Laß unseren Stolz, die theuren Häuser von Seyffarth und von Oehler blühen!" 1793: „Wie mehrte sich des Nahrungsstandes Glück, da Seyffarth ihn und Oehler kräftig schützten!" Durch diese umsichtige Wirksamkeit der Beiden kam Crim mitschau zu neuer Blüthe, die Tuchmacherei hatte sich zu größerer Leistungsfähigkeit aufzeschwungen als vor dem dreißigjährigen Kriege; denn 1793 wurden 970 Stück Maaren gefertigt, 1613 aber 812 Stück. Die günstige Entwickelung machte weitere Fort schritte, denn 1808 betrug die JahreSproduction 1240, 1853 aber 50 000 Stück wollener und halbwollener Modewaaren. Von 1832 ab bildet in der Crimmitschauer Textilindustrie das Haupt fabrikat Buckskin. Die Masckinenspinnerei fand 1814 durch den Sohn des Neubegründers der Crimmitschauer Textil industrie Georg Ferdinand Oehler Eingang. In diesem Jahre stellte er die zwei ersten, 1817 noch drei weitere Spinnmaschinen mit Zubehör auf. Die erste Dampfmaschine ward 1824 in der Fabrik von C. H. Kauffmann <L Sohn, die zweite 1833 in der Oehler'schen Fabrik aufgestellt. 1853 waren in Crimmitschau 36 Dampfmaschinen im Betriebe, durch welche in 31 Streichgarnspinnereien 81 Sortimente mit 24 400 Spindeln, sowie 28 Appreturanstalten und 23 Walken in Gang gesetzt wurden. Im Jahre 1857 wandte sich die größere Mehrzahl der Crimmitschauer Fabrikanten der Baumwollstreichgar n- oder sogenannten Vigognespinnerei zu. Commerzien- rath Oscar Kürzel war der Erste, der eS im Jahre 1847 versuchte, Baumwolle unter die Schafwolle zu mengen und das Gemisch nach derselben Art zu verspinnen, wie die reine Schafwolle. An fänglich war der Zusatz von Baumwolle gering, seit Ende der 60er Jahre wird fast nur Baumwolle versponnen und der Zusatz von Schafwolle ist gering. Die Vigognespinnerei bildet neben der Buckskinweberei jetzt den Hauptzweig der Crimmitschauer Industrie, zu Ende des Jahres 1892 waren bei 22 Firmen 158 058 Spindeln im Betriebe. Mit der Buckskinfabrikation waren Ende des Jahres 1894 in Crimmitschau 49 Firmen mit 1370 mechanischen Webstühlen und 122 Sortimenten beschäftigt. Der Werth der in und um Crimmitschau hergestellten Buckskin stoffe hat, auf das Jahr berechnet, einen Werth von 14 Millionen Mark. In der Crimmitschauer Textilindustrie wurden am 1. Mai 1896 beschäftigt 3026 Arbeiter und 2896 Arbeiterinnen, zusammen 5922. Von der übrigen Industrie Crimmitschaus giebt nachstehende Zusammenstellung ein Bild. Es bestanden in Crimmitschau 1896 Buckskinfabriken 56, Vigognespinnereien 25, Färbereien 10, Papierhülsenfabriken 2, Kratzenfabriten l, Carbonisir- und Wollabfallreinigungsanstalten 6, Eisengießereien und Maschinenfabriken 8, Ziegeleien und Kalkbrennereien 8, Bauhöfe und Sägewerke 10, Buchdruckereien 2, Gerbereien 3, Cigarrenfabriken 1, Holzraspeleien 2, Metallgießereien 2, Dampfrohr- und Blechspulenfabriken 1, Dampfkesselfabriken 1, Bürstenfabriken 1, Seifen- und Waltfettfabriken 1. Jns gesammt fanden in der Industrie 176 Dampfmaschinen Ver Wendung. Die Einwohnerzahl Crimmitschaus läßt sich erst von 1790 genauer feststellen. 1526 betrug sie bei 115 Wohnhäusern ungefähr 690; 1543 bei 146 Wohnhäusern ungefähr 880; 1582/83 bei ca. 166 Hausbesitzern ungefähr 1000 Einwohner. Im dreißigjährigen Kriege sank die Zahl der bewohnten Häuser auf 131. Im Jahre 1790 zählte die Stadt 1504; 1804: 2214; 1815: 2682; 1834: 3767; 1837: 4220; 1840: 4768; 1843: 5716; 1846: 6435; 1849: 7067; 1852: 8251; 1855: 8382; 1858 : 9654; 1864: in 809 Wohnhäusern und 2482 Haus Haltungen 12 225; 1875 in 1174 Häusern und 4025 Haus Haltungen 17 705; 1895 : 23 596 Einwohner incl. des ani 1. Januar 1891 einverleibten Dorfes Wahlen. Dieses rasche Anwachsen der Bevölkerungsziffer hat seinen wesentlichen Grund mit darin, daß die Erwerbsver hältnisse in Crimmitschau sich seit Anfang dieses Jabr Hunderts wesentlich gebessert haben, hauptsächlich aber in den letzten Jahren. Dies erkennt man, wenn man die steuer Pflichtigen Einkommen der letzten zehn Jahre vergleichsweise gegenüberstellt. Im Jahre 1886 waren 7940 Steuerpflichtige mit einem steuerpflichtigen Einkommen von 7 749 800 vor Händen; das durchschnittliche jährliche Einkommen betrug 976 auf den Kopf berechnet 392 Für das Jahr 1896 zählte man 9000 Steuerpflichtige, die mit 12199120 c// eingeschätzk wurden, für den einzelnen Veranlagten stellte sich das Einkommen auf 1355 -M, also mehr 374 oA; auf den Kopf berechnet auf 510 <?<(, also mehr 118 <^. Auch der steigende Fleisch verbrauch läßt erkennen, wie in Crimmitschau die Verhält niffe sich fortgesetzt günstiger gestaltet haben. Im Jahre 185! betrug der Verbrauch pro Kopf noch 15,6 1890 aber bereits 36.7 icx. Diese Angaben beziehen sich nur auf das Rind- und Schweinefleisch. Ferner läßt sich aus den Geschäftsberichten der am 9. April 1847 errichteten SParcasse erkennen, wie gerade in den letzten zehn Jahren die Erwerbsverhältnisse in Crim mitschau sich immer günstiger gestaltet haben. Die Einlagen in diesem Jahre erreichten die Höhe von 1133 776,70 c//, 1896 je doch 1657 390,46 also mehr 523 613,76 Der erzielte Reingewinn stellte sich 1886 auf 32 292,46 1896 auf 59 261,63 »A, also mehr 26 969,17 -F. Die StaatLein kommen st euer betrug im Jahre 1879 für Crimmitschau 103 985 c/(, 1897 dagegen 190 606 das S t a d t a n l a g c n soll stieg von 133800 cki im Jahre 1879 auf 260 761 -ki im Jahre 1897. Die Gemeindesteuern betrugen 1879: 128.7 Proc.; 1889: 140,9 Proc.; 1897: 136,8 Proc., sind also im Vergleich zu vielen Mittelstädten Sachsens als mäßige zu be zeichnen. Von dem geschäftlichenAufölühen Crimmitschaus giebt auch der Ausweis über den Post-, Telegraphen und Güterverkehr ein recht erfreuliches Bild. Zum „Wenn's weiter Nichts war!" Skizze von Edvard Söderberg. Deutsch von C. Weldi. Nachdruck vlrbotcn. Ich möchte heute eine kleine Geschichte erzählen, die ich kürzlich aus dem Munde des Hofbesitzers Peder Tanggaard vernahm, als wir, sechs bis sieben Mann aus unserer Gegend, drüben mit Ersterem beim Kaffeepunsch*) zusammensaßen. Es mögen jetzt etwa zehn bis zwölf Jahre her sein, da stand ich unten im Himmerland bei einer Wittwe als Verwalter ihre» Hofes in Diensten. Diese Wittwe hatte eine Tochter, die Sidse hieß und einmal „verführt" worden war. Die Sach« war jedoch mit vierhundert Thalern verwischt worden. Das Kind war längst todt und vergessen, die vierhundert Thaler jedoch lagen noch unberührt auf dem Boden ihrer Lade. Die Tochter war nun bereits verblüht, die Mutter alters schwach und dem Trünke ergeben. Sie trank sich bald nachher zu Tode, und ich bewirthschaftete nun den Hof für die Tochter. Es war ein recht tüchtiges Mädchen, diese Tochter; sie mochte mich auch gut leiden, allein ich kehrte mich nicht sonderlich daran, wa» sie auch sogleich merkte. Dennoch blieben wir auch ferner gute Freunde, wie vorher, und sie zog mich in allen ihren Angelegen heiten zu Rathe. Ein wenig südlich von uns befand sich ein kleines Häuschen mit etwas Land, in welchem ein alter Bursche, Namens Ole Klin, wohnte. Er war unverheirathet, Maurer von Profession und mochte wohl recht warm in seinem Häuschen sitzen; die Leute behaupteten, er habe viel Geld. — Ole kam jetzt oft zu uns her über und ich begriff bald, daß Etwas im Gange war; denn er war jedesmal ganz „aufgetakelt", wenn er sich bei uns sehen ließ. „Seid Ihre Braut und Bräutigam, Du und Ole?" sragte ich Sidse eine» Tages. „Ja — a, ich weiß wirklich nicht recht; ich glaube wohl —" sagte sie in langgezogenem Tone. „Willst Du ihn nicht?" „Ja, ich möchte ihn schon . . . ." „Oder will er etwa Dich nicht nehmen?" „Ja; ach ja. Do» heißt, einen Tag sagt er ja, den anderen nein. Er hat sich noch kein Herz dazu fassen können." „Da will ich Dir schon helfen", versprach ich ihr, und dann ging ich, um mit Ole zu reden. Ich sagte ihm alle» mögliche Gute von Sidse, und trug ihr Lob in so starken Farben auf, daß es sogar einigermaßen übertrieben klang. *) Warmer Kaffee, Jucker und Branntwein, ein beliebte» Be< trink «ms dem Lande in Norwegen. „Ja, das mag Alles recht gut sein", meinte er. „Wenn ich nur erst mit ihr verheirathet wäre, dann wäre es überstanden und Nichts weiter zu bedenken. Ja, sie ist gewiß recht gut — und dann hat sie ja den Hof — und die vierhundert Thaler .... Ja, ich muß mich wohl dazu entschließen . . . ." Wieder ver ging einige Zeit, dann erfuhren wir, sie hätten sich verlobt. Sidse sprach davon, aus diesem Grunde eine kleines Fest zu geben, allein Ole nein Denn alsdann sei es abgemacht und Jedem offenbar", und damit war er nicht einverstanden. Ole war stets vorsichtig und bedächtig; er fürchtete sich vor allen endgiltigen Abmachungen. Er kehrte von jetzt ab auch seltener bei uns ein, es schien, als bange ihm vor dem Schritt, den er bereits gethan. Ich beobachtete, wie er und Sidse stundenlang zusammensaßen und mit einander Gespräche pflogen, es wurde ihr wahrlich schwer genug, ihn festzuhalten. — So kam sie eines Tages und erzählte, Ole wolle nicht und habe ihr ein' Klock (eine Uhr), ein' Kachel (einen Kachelofen) und hundert Thaler versprochen, wenn sie ihn losgebe. „Sag', Du willst zweihundert Thaler", rieth ich ihr. — Ja, Ole ging schließlich darauf ein. „Es ist gut", sagte ich. „Allein Du mußt Zeugen haben. Sobald er nächstes Mal kommt, so sei bedacht, die Rede noch mals darauf zu bringen." Nun denn, nach einigen Tagen kam er ja auch wieder und setzte sich mit Sidse in die gute Stube, wo sie anfingen, von der Sach« zu reden. Während dessen stand ich mit Anders, dem Knecht, vor der Thür und horchte. Erst versuchte Sidse ihn auf gütliche Weise zu fassen; er saß die ganze Heit da und rutschte auf seinem Stuhle hin und her, ohne ein Wort zu sprechen; er wußte wohl nicht recht, waS er thun sollte. Ich glaubte, es würde mit den Beiden doch noch Alles in Ordnung kommen, allein jedeSmal, wenn Sidse verlangte, seine Meinung zu hören, kraute er sich den Kopf und blieb stumm. Schließlich wurde sie aber doch ärgerlich und versetzte ihm Eins, was er, ohne zu mucksen, hinnahm, und hierauf begannen sie von Neuem ihre Unterhaltung. Zu guterletzt wurden sie einig, daß er ihr eine „Klock", eine „Kachel" und zweihundert Thaler geben solle und dann seiner Wege gehen dürfe. Jetzt kamen wir zur Thür herein. »Ja, jetzt sind wir Zeugen, Ole", sagte ich zu ihm. „Wir haben eben gehört, was Du Sidse versprochen hast, nun kannst Du getrost gehen." „Ach, Du lieber Herrgott, ihr Leutchen", jammerte er. „Jetzt ist gar Nichts mehr darüber zu schwatzen", unterbrach ich ihn. „Du kannst ebenso gut jetzt gleich bezahlen; dann kommen wir Nachmittag» hinüber und holen da» Uebrige." „Ach, lieber Gott, wa» soll ich armer Mensch thun", jammerte er, auf seinem Stuhle hin- und herrutschrnd, „Höre — ich möchte doch lieber da» Mädchen nebmen . . . ." „Ja, da» magst Du thun, wie Du willst, aber e» muß jetzt gleich abgemacht werden. Sagst Du ja, Du willst sie nehmen, so werdet ihr diesen Sonntag das erste Mal von der Kanzel abgekündigt." „Diesen Sonntag? Es eilt doch nicht so?" „Ja, wenn nicht, so mußt Du bezahlen." „Laß' uns sagen nächsten Sonntag . . . ." „Kein Gerede mehr! Ihr seid lange genug miteinander ver lobt gewesen." Und somit wurden sie in der Kirche ausgeboten. Ole lief voller Angst herum und wußte nicht, was er mit sich anfangen sollte. Als das dritte Aufgebot kam, meinte er, er habe sich's überlegt, er wolle lieber zahlen. „Ja, nun wird sie Dich unter vierhundert Thalern nicht los geben", versetzte ich. So wolle er mit dem Geistlichen reden. Es fand an diesem Tage gerade Katechismurlehre in der Schule statt und der Geistliche war dort. Sidse, Ole und ich gingen hinüber und baten, ob wir den Herrn Pastor sprechen dürften. „Du bist es, Ole Klin, der mich zu sprechen wünscht", redete der Geistliche ihn an, indem er ihm die Hand schüttelte, „Du willst ja Sonntag Hochzeit halten. Ich wünsche Dir viel Glück und Gottes Segen dazu!" „Ach, lieber Gott, Herr Pastor, steht da» schon so fest? Kann eS denn gar nicht rückgängig gemacht werden?" „Aber — lieber Ole Klin! Hat Er denn irgend eine Klage über das Mädchen?" „Nicht die geringste, Herr Pastor. Es ist ein ganz tüchtiges Mädchen." „Ja, dann sehe ich wirklich nicht ein . . ." „Ich möchte es so gewaltig ungern, Herr Pastor —" „Die Ehe ist ein Segen, Ole Klin. Ein Segen, daran halte fest . . . ." Ole drehte und wand sich hin und her. Er sah keinen Ausweg. „In Gottes Namen denn!" sprach er endilch, tief Athem holend. Der Hochzeitstag kam heran. Bei Ole mußte man auf Alles gefaßt sein. Am frühen Morgen, als Sidse im Begriff war, sich in ihren Brautstaat zu werfen, und die Gäste einen Bissen Brod und einen Trunk zu sich nahmen, sandte ich Ander», den Knecht, hin, um auf ihn Acht zu geben. Allein die Zeit verging und Ole kam nicht. Sidse war längst fertig, — für ein älteres Mädchen sah sie recht hübsch aus — die Gäste standen wartend da ... . keine Spur von Ole Klin! Mir glühte bereit» der Kopf, und auch Sidse war dunkel- roth vor innerer Erregung. Ich lief hinüber: das Haus war leer, kein Ole zu erblicken. Die Uhr zeigte bald zwölf. Um zwölf Uhr sollten wir in der Kirche sein. Einen Moment stand ich rathlo» da; doch in demselben Augenblick kommt dort auf der Landstraße, Holter de Polter ein Wagen in Gieb«nimilen- geschwindigleit des Weges gefahren. — „Wenn das nicht der Teufel ist, so ist es Ole Klin!" war mein erster Gedanke. Es war Ole. Er sei nur fort gewesen, um sich einen hohen Hut zu leihen, erzählte er; allein Anders, welcher der Lenker des Wagens war, berichtete, Ole habe sich in aller Stille fortschleichen wollen. Er sei ihm gefolgt, habe in einem weiter südlich gelegenen Bauern Hofe Pferd und Wagen geliehen bekommen und sei mit dem Bräutigam heimwärts gefahren, was Zeug und Riemen nur halten konnten. Uebrigcns sah unser Ole recht nett aus; bestaubt und bc schmutzt und ohne Hut. Es gab nämlich keinen Menschen in der Gegend, der einen hohen Hut besaß, und Ole wollte als Bräutigam mit einem hohen Hut vor dem Altar stehen. Zum Glück besaß ich eine solche Angströhre, die wir ihm über die Ohren stülpten und ihn in größter Eile säuberten — dann fubr der Wagen vor, Sidse nahm Platz, Ole ward herausgeschleppr und kam zwischen zwei handfeste Männer und dann ging cs fort. „Ach, liebe Leutchen", begann er, als die Kirche in Sicht kam. „Ach, liebe Leute . . ." „Fahr' zu, Kutscher!" rief ich. „Gieb den Mähren die Peitsche!" „Ach, Du lieber Herrgott im Himmel!" „Halt's Maul!" Und nun fuhren wir an der Kirchenthllr vor. Ole zitter!? am ganzen Leibe, als wir ihn vom Bock herunterzogen. Es fehlte nicht viel, daß er geweint hätte, er winselte und betet, für sich und phantasirte von einer „Klock" und einer „Kachel", aber da half ihm kein Heiliger. Als wir in die Vorhalle traten, mußten wir ihn einen Augenblick an die Mauer lehnen, um ihn zu stützen, so sehr schlotterten seine Beine. Der Geistliche stand da und wartete, die Uhr war weit über zwölf. Nun riß ich die Thür auf, Sidse ergriff seinen Arm und zog ihn den Gang entlang, vorwärts. „Halt' ihn recht fest!" rieth ich ihr. Sie nickte bejahend, indem sie an mir vorüber ging. Ich glaubte, er würde niemals lebendig bis an den Altar kommen, so taumelte und schwankte er hin und h«r. Alles verlief gut, und ehe eine halbe Stunde um war, war Ole Klin Ehemann. — Al» jedoch Alles gut und glücklich überstanden war und Ole, zur Heimfahrt bereit, wieder draußen vor der Kirchen thür stand, da that «r einen Ausspruch, welchen man noch jetzt in jener Gegend anwendet, wenn Jemand sich als ein garncr Mann bewiesen hat. „Wenn'» weiter Nichts war!" so lautete Ole Klin'» Au»spruch. Er war ganz übermüthig davon ge- worden.