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Größere Schriften laut unserem Preis- vkrzeichniß. Tabellarischer und Ziflernsatz nach höherem Tarif. Sxtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbeförderung 80.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen; Abend-AuSgabe: Lormstt.-.gS 10 Uhr. Mrrge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anjeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von <k. Polz in Leipzig. Donnerstag den 16. Juni 1898. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. —k>. Nun ist eS endlich Thatsache, daß die für Cuba be stimmten amerikanischen Landtruppen auf 35 Transport schiffen, begleitet von 13 Kriegsschiffen, nach Santiago, resp. nach Guantänamo unterwegs sind, aber wie lange bat es gedauert, bis eS so weit war! Die New Aorkcr Blätter kritisiren, wie der „Franks. Ztg." von dort gemeldet wird, scharf die Arrangements für die Einschiffung der Truppen. Die Leute mußten mehrere Tage vor der Abfahrt in ent setzlicher Hitze an Bord zubringen, da die Intendantur grobe Fehler gemacht hat; das sei die Ursache der vielen Er krankungen. Dem „Daily Chronicle" wird auS Washington berichtet, daß die von Tampa abgegangenen Transportschiffe nicht zurückkehren, sondern warten und entweder die amerikanischen Truppen zurückbringen, wenn das gelbe Fieber auSbricht, oder die spanische Garnison, wenn gefangen, nach den Ver einigten Staaten befördern sollen. Admiral Sampson erwartet die Truppen früher, als sie ankommen werden; er hat wieder holt dringend um Truppen telegrapbirt, zunächst um den bei Guantänamo zu frühzeitig ausgeschifften Marinetrnppen Hilfe senden, sodann um Santiago von der Landseite angreifen und die Flotte Cervera'S vernichten zu können. Da die Transportflotte morgen schon an Ort und Stelle ange kommen sein kann, darf man wieder ernsteren kriegerischen Ereignissen entgegensehen und so verlieren die Meldungen über die Kämpfe bei Guantänamo etwas an Interesse, zumal da sie lediglich aus amerikanischen Quellen stammen und daher keine Controle möglich ist. Sie besagen: * New Nork, 15. Juni. Einer Depesche aus Guantänamo vom 14. d. Mts. Abends zufolge schlug die amerikanische Marine-Infanterie eine 400 Mann' starke spanische Truppenabtheilung. Ein Amerikaner wurde leicht verwundet, 40 Spanier sind todt. * New Äork, 15. Juni. TaS „Evening Journal" meldet ans Guantänamo, daß eine Patrouille von amerikanischen Soldaten gestern Abend mit 18 spanischen Gefangenen ins Lager zurück gekehrt sei, unter denen sich ein Officier befinde. Ferner seien 100 Mauscrgewehre und 10000 Patronen erbeutet worden. Die Amerikaner hätten gemeldet, daß in den verschiedenen Gefechten mit den Spaniern der Verlust der Letzteren sich auf 100 Todte und 200 Verwundete beziffere. Es läßt sich, wie gesagt, nicht feststellen, was an diesen SiegeSnachrichlen der Amerikaner, die sich am 13. Juni noch in ziemlich verzweifelter Lage befanden, richtig ist. Fest zustehen scheint indessen, daß eS den Spaniern noch nicht ge lungen ist, die amerikanischen Marinetruppen zu vernichten. An eine rasche Okkupation Cubas glaubt man in Washington selbst nicht, sonst würde man nicht, wie der dortige Correspondent der New Aorker „Post" mittheilt, mit dem Plane umgehen, eine neue Aushebung von 100 000 Mann zu veranstalten, welche im Herbst, also nach Beendigung der gefährlichen Regenzeit, auf der Insel mit wirken sollen. Vor Havanna ist bis jetzt noch nichts geschehen und scheint auch keine größere Action in Aussicht genommen zu sein. Nur Folgendes wird uns berichtet: * Havanna» 15. Juni. Drei spanische Kreuzer verließen am Montag die Bai, um die Stellungen des amerikanischen Ge- schwaders auszukundjchastenwelches sich zurückgezogen hatte. Ein amerikanisches Kanonenboot erschien unter! der Parlamentairsflagqe vor Havanna, nm dem englischen Consul von dem englischen Botschafter in Washington übersandte ! Briese zuznstellen. Die Genehmigung zur Uebergabe der Briefe wurde rrtheilt, doch durste Las Kanonenboot sich dem Hafen nicht nähern. Einige amerikanische Schiffe versuchten, sich der Küste zu nähern, zogen sich aber vor dem Feuer der Batterien zurück. Auf den Philippinen, wohin am Dienstag daö zweite amerikanische Eppeditions-Contingeut von Francisco abgegangen ist, zieht sich das Unheil immer mehr um Manila zusammen, wie aus der im heutigen Morgen blatt wiedergegebenen Depesche des Generalgouverneurs mit erschreckender Deutlichkeit hervorgeht. Nur der Umstand könnte den Spaniern noch zu Hilfe kommen, daß zwischen den Insurgenten und den Amerikanern selbst Zwist aus bricht. Der in New Aork bestehende Revolutionsansschuß für die Philippinen gesteht selbst ein, daß es die aus gesprochene Absicht Aguinaldo'S sei, noch vor Eintreffen der nordamerikanischen Verstärkungen einen entscheidenden Kampf berbeizühren, um dann sofort die „Philippinische Republik" auszurufen und sich selbst zum Präsidenten derselben zu ernennen. Die Blätter sämmtlicher Partei richtungen in New Jork verlangen deshalb, daß Admiral Dewey angewiesen werde, jeden derartigen Versuch zu vereiteln. In Madrid hofft man dagegen, daß die vor Manila erschienenen deutschen Kriegsschiffe sich ins Mittel schlagen und eine Bombardirung der Stadt nicht gestatten werden, ja man giebt sich der Erwartung hin, Deutschland werde zu Gunsten Spaniens interveniren, von dem eS den Sulu-Archipel, die Mindanao, der südlichsten der großen Philippinen-Inseln, nach 8>V vorgelagerte kleine Inscl- grnpve, erhallen werde. Was man in Madrid hofft, fürchtet man in Washington. Wenigstens behaupten das englifcheBlätter, von weichen allein die Interventionsente aufgelassen zu sein scheint. So wird berichtet: * London, 15. Juni. DaS Washingtoner Eabinet be- schästigte sich in seinen letzten Sitzungen mit der Besprechung über die beunruhigenden Meldungen der deutschen Thätigkeit betreffs der Philippinen. Es verlautet, die Regierung besorge einen ernsten Zwist mit Deutschland. Vor einer Woche arbeitete das Marineamt für Mac Kinley den Ausweis über Deutschlands Flottenmacht aus. Er wurde dem Minister- rathe am vorigen Dienstag unterbreitet. Nach der Sitzung soll ein hervorragendes Cabinetsmitglied geäußert haben, jedwede Ein mischung Deutschlands in die Philippinenfrage bedeute Krieg. Wenn Deutschland dies noch nicht begriffen hätte, sollte cs dies sofort begreifen. Amerika beabsichtige die Philippinen zu behalten. Die Regierung werde keinen Eingriff von Deutschland oder einer andern Macht dulden. Wir lasten das „verlautet" und „soll" der englischen Sensationsnachricht auf sich beruhen. Directe Meldungen aus Washington, welche dieselbe auch nur im Entferntesten bestätigen, liegen nicht vor. Wenn, wie den „Times" aus Singapore gemeldet wird, auffällige langandauernde Conferenzen zwischen dem deutschen Consul in Manila I und dem spanischen Gouverneur stattgefunden haben, Iso ist das Wahrscheinlichste, daß es sich bei den Ver- I Handlungen um die persönliche Sicherheit der Deutschen und Schweizer in Manila, sowie nm den Schutz der Interessen derselben gehandelt hat. Ueber die Abtretung von Inseln, Koblenstationen rc. würde doch nicht in Manila, sondern in Madrid oder Berlin direkt zwischen den beider seitigen Negierungen verhandelt werden. Ob nach dieser Richtung überhaupt Verhandlungen im Gange sind, wissen wir nicht. Im klebrigen haben wir unfern Standpunkt in der Sache wiederholt klargelegt. Er ist nicht der einer absoluten, blöden Zurückhaltung, wie er namentlich von den Gegnern einer strafferen Colonialpolitik empfohlen wird, aber auch nicht der einer Brüskirung Amerikas für den Fall, daß dieses in den Besitz der Philippinen gelangt. Vorläufig ge hören sie noch Spanien. An sonstigen Meldungen verzeichnen wir noch die folgenden: * Madrid, 16. Juni. Der Minister des Aenßeren gab dem früheren spanischen Lcgatlonssecretair in Washington du Bo sc und dem Lieutenant Carranza den Befehl, Canada zu ver lassen. Der Befehl hängt mit Len Neclamationen zusammen, welche ihr Aufenthalt daselbst hervorgerufen hat. — General Blanco ist ermächtigt worden, die Gefangenen auszuwcchseln. * Madrid, 16. Juni. Die Kammer nahm einen Antrag der Republikaner an, welcher dahin geht, ein Gesetz betr. der allge meine Wehrpflicht in Vorschlag zu bringen. — Im Senat wünschle Corvera zu interpelliren wegen der Verletzungen des Völkerrechts, welche die Amerikaner vollführt hätten. Der Minister des Aeußern weigerte sich zu antworten und begründete dies damit, daß die Discussion über die auswärtigen Angelegenheiten die monarchische Kraft der Regierung mindern wurde. Politische Tagesschau. * Leipzig, 16. Juni. Fürst Bismarck schrieb, als er eben nach Frankfurt a. M. als Bundestagögesandter gekommen war, an seine Gattin einen Brief, in dem er die traurigen Verhältnisse bei der preußi sch en Gesandtschaft schilderte. Es herrschekeine Disciplin und Einer intriguire immer gegen den Andern. Erwerbe aber bald reincSFeldmachen oder seinenPosten aufgeben. Dieselbe Energie, die der sechsundbreißigjährige Herr v. Bismarck hatte, bewies er bis an das Ende seiner Laufbahn. Er wußte dafür zu sorgen, daß er Herr war über seine Beamten. Wie ein greller Gegensatz zu dieser BiSmarck-Tradition be rührt es, wenn man jetzt anläßlich des Telegramms des Reichskanzlers an den Prinzen Carolatb in der anti semitischen „Staatsbürger-Zeitung" liest, dieses Telegramm habe in Regicrungskreisen sehr peinlich berührt, weil eS den Kanzler als im Gegensatz zu seinen Un t erb kamt en stehend erscheinen lasse. In Bismarck'schen Zeiten mag Wohl auch manche Handlung des Kanzlers einen Beamten peinlich be rührt oder im Gegensätze zu dessen Auffastungen ge standen haben, aber dann behielt der Beamte seine gegen sätzliche Meinung hübsch für sich oder aber er ging. Wenn jetzt derartige Dinge geschrieben werden können, so zeigt sich darin wieder einmal die Zerfahrenheit in gewissen Berliner Regierungskreisen. Es mag konservativ oder liberal, handelsvertragsfreundlich oder agrarisch regiert werden, aber eS muß einheitlich regiert werden. Nur durch die Einheitlichkeit der Regierung und dadurch, daß der Wille des leitenden Staatsmannes entscheidend war, ließ sich der gewaltige Umschwung der Wirthschastöpolitik am Ende der siebziger und der Socialpolitik am Anfänge der achtziger Jahre durchführen. Die Einheitlicher der Regierung wird aber gerade jetzt wieder sehr nothwendig sein, wenn, wie es den Anschein hat, die Wahlen ein abermaliges Anschwellen der Sccialdemokratie zeigen, denn nur dann wird es denkbar sein, den Kampf gegen die Socialdemokratie mit einiger Aussicht auf Erfolg durchzuführen. ES sei dahin gestellt, ob die jetzt unternommenen Versuche, die Stellung des Reichskanzlers zu untergraben, von Erfolg begleitet sein werden — diese Frage wird nicht zum geringsten Theile von dem endgiltigen Resultate der Wahlen abhängen —, aber wer auch immer in Zukunft die Geschäfte des Reichskanzlers führen mag, der möge daran denken, daß schon vor nahezu 3000 Jahren der alte Homer ausgesprochen bat: „Nicht gut ist die Vielherrschaft, Einer soll Herr sein." Ein Kaiser und ein verantwortlicher Kanzler — so war es zu Bismarck'S Zeit und so muß es wieder werden, wenn anders das innere Gedeihen des Reichs mit dem äußeren Schritt halten soll. Dazu aber gehört, daß der Kanzler bei dem Monarchen so viel Einfluß hat, um alle gegen ihn gerichteten Jntriguen, mögen sie von Beamten oder von unverantwortlicher Seite ausgehen, mit dem Schwerte durchschneiden zu können. Wiederholt ist auf die mißliche Lage, in der sich die Deutsche» in den Südstaatcn Brasiliens >n Folge der Lässig keit der brasilianischen Justiz gegenüber den Ausschreitungen der einheimischen Bevölkerung befinden, hingewiesen und be tont worden, daß ein wirksames Mittel eine Vermehrung der Berufsconsulate sein würde. Im Reichstage ist mehrfach in den letzten Jahren, namentlich durch die damaligen nakionalliberalen Abgeordneten vr. Ham mack er, Professor vr. Hasse und Professor vr. v. Marquardsen, darauf hingewiesen worden, daß eine Vertretung des Reiches durch Wahlconsuln, die in manchen Fällen nicht einmal selbst die Reichsangrhörigkeit besitzen und jedenfalls mehr oder weniger in ihren persönlichen Interesten von den Behörden abhängig sind, denen gegenüber sie die Rechte der deutschen Reichsangehörigen verfechten sollen, unmöglich auSreicken könne. In Brasilien verfügte daS Reick bisher nur über zwei BerufSconsulate, in Rio de Janeiro und in Bahia, während andere Staaten, namentlich England und Frankreich, deren eine ganze Reihe dort besitzen. Die Unhallbarkeit dieser Zustände wird auch von der Reichs regierung anerkannt. Wie im heutigen Morgenblatte mit- gerheilt worden ist, sind für die drei südbrasilianischen Staaten Santa Catharina, Paranä und Sao Paulo BerufSconsuln ernannt worden bezw. in Aussicht ge nommen. Die seil Anfang des IahreS in dieser Angelegenheit schwebenden Verhandlungen haben demnach mit einem Resultat geendet, das in allen nationalgesinnten Kreisen nur mit großer Genugthuung ausgenommen werden wird. Es ist anzunehmen, daß die getroffenen Maßnahmen einerseits dazu beitragen werden, die Deutschen in Brasilien zur Aufrecht erhaltung ihrer Nationalität zu ermuthigen, und andererseits der brasilianischen Regierung beweisen werden, daß Deutsch land gewillt ist, die Interessen seiner Angehörigen noch energischer als bisher wahrzunehmen. In der ossiciösen Mit theilung ist nichts darüber gesagt, ob das Consulat in Rio I te Janeiro zu einem Generalkonsulate erhoben wird. Die I brasilianische Regierung hat sich bekanntlich dem bisher widersetzt, I doch ist zu hoffen, daß auch dieser Schlußstein der Organi- Feuilleton. Sauernblut. 7j Roman in drei Büchern. Bon Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck verboUn. „Nun, Einiges hat die Ueberlieferung in unserem Kreise doch aufbewahrt", wandte Gotenberg höflich ein. „Sie sollen als junger Officier der wunderschönen Gattin eines aus Amerika herübergekommenen reichen ManneS sehr auffällig den Hof ge macht und allem Anscheine nach auch nicht ganz vergeblich ge schmachtet haben . . . Sir waren eben, wie man bei uns immer noch mit einem gewissen Stolze berichtet, ein ganz unwider stehlicher Herzenbezwinger ... ja, ja, Herr von Brank, leugnen Sie nicht! Wir ertheilen Ihnen nicht nur Indemnität, wir gratuliren Ihnen vielmehr zu Ihren Pagenstreichen und beneiden Sie darum." Die Erwähnung einer jungen schönen Amerikanerin hatte dem Staatsanwalt einen ahnungsvollen Schrecken bereitet; er hatte von dem Schicksale seiner Mutter immer nur in halben Andeutungen sprechen gehört; Frau Lampert hatte den natür lichen Gefühlen des Sohnes, soweit dies ihrer Redseligkeit möglich war, stets Rechnung getragen, aber doch war ihr ab und zu ein Wort entschlüpft, das dem aufmerkenden Sohne mehr verrathen hatte, als er eigentlich misten sollte. Ein banges Vorgefühl preßte ihm jetzt das Herz zusammen, über den Rücken rann ihm ein kalter Schauer, während jähe Hitze in sein Hirn schoß . . . was würde er da noch zu hören bekommen? Zum Glücke kamen die Kellner mit dem Nachtische herein und schnitten durch ihr Erscheinen jede weitere Mittheilung des Freiherrn ab. Man kostete ein Scheibchen Pumpernickel, zu dem man sich auS einem Quodlibet von allerlei französischen Sahnenkäsen irgend eine Probe herausgelesen hatte; dann nahm der Gastgeber sein Glas zur Hand und bat die Gäste, auszutrinken. „In diesem Sect ist Geist und Leben!" rief Völker, der sich mit schnalzender Zunge noch am Nachgeschmack des Weines er- labte; „so müßten auch alle Weiber sein! Wenigstens wünsche ich unserem liebenswürdigen Wirthe, daß die Dame, die er dereinst erwählt, nicht weniger Geist habe." „Den haben ja die Weiber im Ueberfluß, nämlich Wider spruchsgeist!" versetzte Tollen. „Sie Unverbesserlicher!" lachte der Freiherr und bot Tollen mit einem kräftigen Prosit Mahlzeit die Hand. Man ging in ein Nebenzimmer, wo kleine Schalen mit duftigem Moccaextract und die obligaten Liqueure und Kistrn mit Havannacigarren bereit standen. Schon nach einem Viertel stündchen lichtete sich der Kreis; es blieben nur der Freiherr, der Staatsanwalt, Gotenberg und der Maler bei ihrem Wirthe zurück. Tell hätte sich am liebsten auch zurückgezogen, aber eine Art Trotz gegen sein eigenes Schicksal bewog ihn, auszuharren und den Faden jenes bei Tische unterbrochenen Gespräches wieder aufzunehmen. „Sie erwähnten vorhin einer fremdländischen Schönen", wandte er sich gegen den Freiherrn, „und meinten, wir ahnten nicht, um was es sich damals für Sie gehandelt hätte. Sie haben uns neugierig gemacht, Herr Baron,; ist es indiskret, wenn wir sie um Mittheilung des Näheren bitten?" „Ihr sollt's erfahren, meine Herren; es ist freilich nichts Be sonderes; immer die alte Geschichte, die ewig neu bleibt, und wenn mir auch nicht das Herz dabei entzwei gegangen ist, so hätte ich sie doch lieber nicht erlebt . . . Doch nein! Tausendmal nein! Ich freue mich, sie erlebt zu haben, denn was ist schließ lich köstlicher als die Liebesgunst eines süßen Geschöpfes, das überhaupt zum ersten Male seine Seele öffnet, wenn man dabei auch bitterböse Erfahrungen machen muß?" „Um Gottes willen, Herr von Brank", fuhr Tollen in komischer Angst dazwischen, „Sie wollen uns doch nicht etwa einen Roman erzählen?" „Silentium!" commandirte Gotenberg, der sich, wie Völker meinte, einen ziemlich dunklen Kopf angeraucht hatte, „der Frei herr Brank von Giesdorf hat da» Wort; ich bitte Platz zu nehmen." Man ließ sich auf den umherstehenden Polstersesseln nieder und lauschte dem Landedelmanne, dem die Lust gekommen war, einmal den jüngeren Herren ein Abenteuer aus seinem früheren Junggesellenleben onzuvertrauen. „Ich war eben erst zum Officier befördert worden", hob er mit gedämpfter Stimme an, „als ich eines Abend- im Theater die Bekanntschaft einer reizenden jungen Dame machte. Der Duft und Zauber einer Rose läßt sich nicht beschreiben, und ebenso wenig könnte ich die magische Wirkung schildern, di« die großen, nachtdunklen, träumerischen Augen dieser Schönen auf mich ausübten. Ich hielt sie erst für ein Mädchen und benutzte die erste beste Gelegenheit, mich ihr vorzustellen und mit ihr zu plaudern, da erst erfuhr ich von ihr, daß sie verbeirathet und erst seit einigen Monden mit ihrem Gatten von Amerika nach Berlin llbergesiedelt war. Schon am anderen Tage hatte ich ihre Wohnung ermittelt, und da man mir mittheilte, daß der Gatte auf großem Fuße lebte und auch Herren der besseren Gesellschaftskreise in seinem Hause empfinge, so machte ich dem Paare einen förmlichen Besuch. Drei oder vier Mal wurde ich auch eingeladen. Ich fand meistens nur Herren dort; die Damen, schien es, hielten sich von den zwar anscheinend wohl habenden, aber doch immerhin etwas zweifelhaften Leuten fern. Besonders war nicht herauszubringen, was er, der Amerikaner, drüben eigentlich getrieben hatte; er sprach wohl dann und wann von seinen früheren Geschäften, verrieth aber mit keiner Silbe, welcher Art diese Geschäfte gewesen waren. Dagegen bewies er eine staunenswerthe Geschicklichkeit durch allerlei Kunststücke, mit denen er bei Tische und auch nach der Mahlzeit seine Gäste zu unterhalten pflegte. So erinnere ich mich eines Abends: er stand nur drei Schritte vor uns, zog sein rothseidenes Sacktuch, drehte und knotete es derart zusammen, daß es einer kleinen Puppe glich, stellte diese Puppe vor unseren Augen auf den Fußboden und siehe da, die Puppe fing an, aufrecht zu mar- schiren und nach der Walzermelodie, die er pfiff, tactmäßig zu tanzen. Wir waren wirklich ziemlich verblüfft, da wir beim besten Willen nicht entdecken konnten, womit er die Puppe eigent lich bewegte. Seine Gattin stand neben meinem Sessel, ich flüsterte ihr zu: er hat Wohl an Pferdehaaren das Tuch befestigt? Sie schüttelte das Köpfchen, neigte sich zu mir herab und hauchte mir ins Ohr: „Ich weiß es selbst nicht, wie er es macht; auch mir will er es nicht verrathen." Ich fühlte den warmen Odem des jungen WeibeS und war wie berauscht; auch muß es wohl im Rausche gewesen sein, daß ich ihr zurückflüsterte: „Wie kann er vor Ihnen ein Geheimniß haben? Wen man lieb hat, dem schüttet man doch sein ganzes Herz aus; stellen Sie mich auf die Probe, ich wäre nicht im Stande, Ihnen irgend etwas zu verschweigen." Ich fühlte, das war ziemlich unverblüumt ge sprochen, und fürchtete schon, sie würde mir meine Kühnheit übel nehmen, wie ich aber unsicher den Blick zu ihr erhob, bemerkte ich zu meiner größten Genugthuung, daß sie tief erröthet war. Da besiegelte mein Geschick; nun wußte ich, ich war ihr nicht gleich- giltig, und dieses Bewußtsein versetzte mich in einen Taumel des Entzückens." Der Erzähler hielt inne, um einen Schluck aus seiner Moccataffe zu naschen, dann schnellte er die Asche von seiner Cigarre in einen kupfergetriebenen Aschenbecher und fuhr munter fort: „Sie werden begreifen, meine Herren, daß ich mit keinem Fuße mehr das Haus des Amerikaners betrat. Die Gastfreund schaft eines Mannes und zu gleicher Zeit die heimliche Gunst seiner Gattin zu genießen, das wäre mir wider den Strich ge gangen; zu einer solchen Heuchlerrolle konnte und wollte ich mich nicht erniedrigen. Wir trafen uns nur noch am dritten Orte, und je heimlicher und vorsichtiger das geschehen mußte, um so wilder lohten in mir die Flammen der ersten Liebes leidenschaft. Auch sie liebte zum ersten Male, denn sie gestand mir, daß sie im Alter von fünfzehn Jahren und sechs Monaten von ihrer speculirenden Mutter überredet worden war, dem Bewerber ein Jawort zu geben, von dessen Bedeutung sie in ihrer Unerfahrenheit und kindlichen Unbefangenheit keine Ahnung gehabt hatte. Ihre Gunst machte meine Sinne wirbeln; ich verlor mehr und mehr die dringend gebotene Vorsicht und ließ mich mit dem holdseligen Geschöpf gelegentlich auch öffentlich sehen; natürlich dauerte es nicht lange und die Katastrophe brach unaufhaltsam herein. Ein Briefchen von ihrer Hand meldete mir, daß ihr Gatte Verdacht geschöpft und ihr eine fürchterliche Scene gemocht hätte; er bewache sie jetzt mit Argusaugen, und sie könne mich nie mehr Wiedersehen. Sie nahm in diesem Briefchen schmerzlichen Abschied von mir, indem sie mir erklärte, daß sie durch mich zum ersten Male die wahre Liebe kennen gelernt hätte und daß sie diese Liebe mir bewahren würde bis zu ihrem letzten Hauche. Wenige Wochen später war das Paar aus Berlin verschwunden; ich habe seinen ferneren Aufenthalt nie ermitteln können, man sagte, sie wären nach Amerika zurückgekehrt. Ich war wie vernichtet; so mußte Adam zu Muthe gewesen sein, als er aus dem Paradiese verjagt worden war. Die Strafversetzung, die mich bald darauf ereilte, fühlte ich gar nicht als Strafe, mein Leben war so inhaltsleer ge worden, all mein Hoffen so jäh verwüstet, daß ich ins letzte Dorf an der russischen Grenze gegangen wäre, ohne irgend etwas zu vermissen. Bis zur Erstarrung war ich abgestumpft; nur Eines fühlte ich noch: Reue, bittere, namenlose Reue, daß ich das süße Geschöpf durch meine Unvorsichtigkeit dem Zorne, vielleicht der Mißhandlung durch den beleidigten Gatten aus gesetzt hatte." William Tell hatte die Empfindungen eines Ertrinkenden; in seinen Ohren sauste und kochte es, vor seinen Augen tanzten sprühende Funken. Die Frau, von der da der Freiherr, wie es ihm schien, voll sybaritischer Genugthuung erzählte — kein Zweifel, es war seine, des Staatsanwalts, Mutter gewesen! Der Freiherr hatte sie verführt, des ehelichen Glückes und Friedens beraubt, sie aus dem Lande getrieben, um sie drüben endlich dem Tode einer umherziehenden Abenteurerin zu über liefern! Sollte er, der Sohn dieser Frau, nicht aufspringen und dem hochgeborenen Wüstling an die Kehle fahren? Aber dann bekannte er ja, daß er der Sprößling dieser leichtfertigen Dame war; dann verrieth er sein« dunkle Herkunft und zerstört«