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Trotz der ossiciösen Versicherung, das; die angebliche Aussage Baihaul'S, wonach ihm der damalige Fiiiaiizminister Carnot die Verheil» lichung des Berichtes Rousseau'S angerathen haben soll, eine Erfindung sei, behauptet der „Gaulois". daß die bezügliche Insormalion der „Cocardc" diese», Blatte durch Madame Baihaut überdracht worden sei. Tie „Lanternc" verdoppelt gegen Carnot ihre Angriffe, mit denen allgemein Freycincl in Verbindung gebracht wird. AuS rem Verlaus der letzten Kammersihung wird vielfach geschlossen, daß daö Ministerium Ribot auf schwachen Füße» stehe und dem ersten ernsten Zwischenfalle erliegen werde, wahrend aiidercrscils das reservirtc Auftreten Ribol's günstig bcurtheilt und be hauptet wird, die Zusammensetzung der Majorilät beweise, taß das Cabinet derselben sicher sei, falls cs energisch gegen tie reactionärcn und revolutionären Hetzer vorgehc. Verfolgt man aber daS Treiben dieser Hetzer und überblickt man las pilzartig aus dem Boten wachsende neue Material, ans das sie sich stützen, so begreift nian, warum das neue Cabinet nicht weiß, wo cS zuerst znfassc» und wie weil es greifen soll. So behauptet heute die „Cocardc", Freycinet habe 1887 einem Botschafter Ai. — aber nicht Münster oder Mohrenhcim, sondern dem Vertreter einer anderen, Frankreich nicht befreundete» Macht, welcher damals in Paris anwesend war — 500 000 Fr. Panamagelder ge geben. Das Blatt hält ferner seine Behauptung aufrecht, Flog net habe 500 000 Fr. Panamageldcr vedtbeilt, und verspricht, demnächst genaue Angaben zu machen Ter „Figaro" meldet, durch die Boruntersuchung der Panama anzelegenheit sei sestgcstcllt, daß InlcS Roche in keiner Weise belastet erscheine. Die Verfolgung sei demnach ein gestellt worden. Teni „XkX. Sn-cle" zufolge hätte dagegen Baibaut zugcstandcn, von der Panamagesellschaft I Mill. verlangt und 375000 FrcS. erhalten zu babc». Andere Blätter kündigen neue Verhaftungen und Haussuchungen an. Was das neuaufaehende Gestirn, Casimir Perier, an langt, so haben die Verhältnisse des neuen Kamiiiervorsitzcnden eine gewisse Aehnlichkeit mit denen des Herrn Carnot. Beide ünd Träger von Namen, die bei den freiheitlich gesinnten Franzosen im ausgezeichnetsten Andenken stehen, an beiden bai die weitere Leffentlichkeit hauptsächlich ikrc Eigenschaft als Enkel berühmter Großväter geschätzt, ehe sic ihre pcrsö» licken Eigenschaften kennen lernte. Tie Gleichheit» Demo Iralie hat ihren Adel so gut wie die geschichtliche Monarchie, und die Familien Carnot und Perier gehören zu den ersten Familien dieses Adels. Der Ruhm Carnot'S strahlt freilich Heller ^lS der Casimir PSrier's, denn jener ward der „Ordner te» Sieges", dieser bloS ein Kricdcnsminister, jener lalle Fcldberren-Eigenschaftcn, dieser die etwas weniger ge schätzten Gaben des ParlamcntSredncrs und Politikers, mit jener war ein Held der großen Umwälzung, dieser lloS ein Führer der kleineren und bescheideneren Juli revclulion. Aber dafür hastet an dem Namen des großen Earnvt etwas von den Erinnerungen des Iacobiiicrthuins und der Schreckensherrschaft, die eS erklären, daß die conser- oaliven Franzose» trotz ihres Stolzes auf Flcurus, Icm- mappcS und Balmy nur mit gemischten Gefühlen seiner ge denken, während Casimir Perier mit der beruhigende» Vor stellung verfassungsmäßiger Monarchie, gemäßigten Fort schrittes und tcS ,.gust» niilieu" verknüpft ist. Tie Familie Perier bat ebenso wie die Familie Carnot immer dafür gesorgt, taß sic von Frankreich nicht vergessen werte. Des großen Carnot Sobn war Senator und Minister, deS ersten Casimir Perier Sob» war Pair, Minister, Abgeordneter und Senator. Der Präsident der Republik »nd der Vorsitzende der Kammer sind beide das drille Geschlecht ihrer Familie, das im politischen Lebe» eine bedeuteiide Rolle spielt. Aber wenn die Verhältnisse ähnlich sind, so sind die Persönlichkeiten um so »»ähnlicher. Herr Sadi Carnot war immer ein stiller, bescheidener, etwas trüber Nian», den ein Ziisaiiiinciitrcsie» günstiger llmständc an die Spitze des Staates befördert bat Herr Casimir Perier (der Vorname des Groß vaters bildet seit 187 t einen Bestandlbeil des Familiennamens seiner männlichen Nachkommen) ist eine lhäkigc, angriffssrohe Kampsnatur. Herr Carnot tlmt seine Pflicht, verlangt aber weder »ach Ehre» noch »ach Würden; Herr Casimir Pöricr dagegen ist ehrgeizig und strebt nach dein Höchste». Cr saßt schon jetzt die Nachfolge deS Herrn Carnot ins Äuge und betrachtet die Wahl zum Kanimervorsitzenden nur als Staffel zur obersten Slaatswürte. Das Volk tciink ihn noch wenig. Die politischen Kreise aber bemerken ihn schon seit lange und haben sich ein Unheil über ilui gebildet. Ten Radiealen scheint er ein Rückschrittler. Tie Geniäßigtcn aber setzen große Hoffnungen ans ibn. Cr scheint ibnen der richtige Man», um eine conservativ-repnblikanische Partei zu bilden, welche die Republik gegen monarchistischc Anschläge ebenso entschieden vertbeidige» würbe, wie gegen anarchistische und selbst socialistischc Versuche. Ein Candidal für die Präsident- schast der Republik wäre also gefunden. Tamil aber wächst auch die Wahrscheinlichkeit, das; die Angriffe gegen Carnot immer heftiger und ungestümer werden und der Zeitpunct seines Sturzes init alle» Stürmen und Wirren eines solchen Ereignisses nahe gerückt ist. politische Tagesschau. * Leipzig. 14. Januar. Ter in der NotbstandS-Intcrpctlation im Reichs tag zum Ausdruck gekommene socialdemokratischc Vorstoß hat sein Ziel vollkommen verfehlt. Von dem Nothstand war eigentlich kaum die Rede, da er in der Thal einen solche» Umfang nicht angenommen hat. daß außergewöhnliche Maß regeln der Abhilfe angezcigt wären. Wenn da und dort örtlicher ArbeilSmangcl sich zeigt, so wird man, wie eS auch bereits vielfach geschehen ist, durch Beschleunigung öffentlicher Arbeiten, die sonst vielleicht noch einen Aufschub crsabrcn hätten, Abhilfe schaffen können. Darüber und über die Pflicht, »n verschuldeter Arbeitslosigkeit möglichst abzubelfcn, ist alle Well einig, und es bedarf dazu keiner socialtemokratischcn Crilincrnng. Diese cinsache Sachlage bot kenn auch wenig Stoff zu agitatorischen Reden. Um so erregter wandte sich die Debatte dem BcrgarbciterauSstand zu und bicrwurde den socialdcmokralischcn Hetzern einmal mit aller wünschenSwerthen Entschicteiibcit die Wabrbeit gesagt. Der AuSsland hat seinen Höhepunct bereits überschritten, cs kann nur noch kurze Zeit wäbrcn, bis er in sich zusanimcnbrich«, zahlreiche zerrüttete Existenzen zurücklasiend, ohne den Arbeitern irgend einen Nutzen gebracht zu haben. Das beweist schon, wie gewissenlos und leicht fertig dieser Streik nnternominen war. Daran herrschte auch, außerhalb der socialdemokratischen Partei, nirgends ein Zweifel. Weder in den Löhnen, noch in den Arbeitsbe dingungen, noch in der Behandlung kann eine irgend genügende Rechtfertigung für diese Bewegung erkannt werden. Cö bleibt nur die gcivissciiloscAilfbetzung gewcrbsinäßigerAufwicglcr übrig. Daß diesen fortan mit de» kräftigste» Mitteln cntgegeiigelretcii werte» soll, wenn es nicht schon jetzt geschehen ist, war das werlk- vollste Ergebnis; der Erklärungen vom Bundesrathstischc. Weder darf die Wiederkehr so frivoler, unter dem schnödesten Vertragsbruch vor sich gegangener Arbeitseinstellungen durch unziemliche und uiigcrcchkscrliglc Nachgiebigkeit gegen die er hobenen Fordernnge» begünstigt, noch darf irgend ei» Zweifel gelassen werden, daß alle Ausschreitungen gegen die öffentliche Ordnung und den Frieden dcsLankes, insbesondere Gcwalnl'äiig keilen »nd Bedrobungen gegen Genossen, welche die Arbeit fort- setzen wollen. der energischste» Abwcbr begegne» Recht, Zucht »nd Ordnung dürfen nicht von Aufwiegler» und Volksversübrcrn »ul Füßen getreten werde». In dieser Hin sicht werken die in dem ausständigen Gebiet ergriffene» Maß regeln zum Schutz der öffciillichc» Ordnung »nd zur Abntiiilg des Bruchs derselben, sowie die cittichiedenen Erklärungen der Regierung, ihrer Pflicht sich vollkommen bewußt zu sei», eine heilsam criiüchlerndc und warnende Wirkung ausüben. Die Militaircommissioii deS Reichstags bat gestern Abend ihre zweite Sitzung ahgetzallen, über die niiS soeben zwei telegraphische Berichte zugelie». Der eine lautet: „In der gestrige» Sitzung der Mililuireoiiimisiivii des Reichs tages lprachen die Abgg. Richter und Bebel gegen die Vorlage, Al'g. Liunini dafür. Ter Reichskanzler von Eavrioi erklärte, die polilisthe» Verhältnisse seien that sachlich nicht ungünstiger alS I8!«0. trotzdem sei die Regierung in jeder Beziehung von der Nolhwendigleil der Vorlage überzeugt. Er widerlegte die Möglich keit der Volkswehr. Das Verdn'iche Proiect sei schon dadurch voll, ständig begraben, daß die dreijährige Dienstzeit ausgegehen sei. Das Wort: „Der Weg nach Nonnantinopel führt durch das Branden burger Thor" sei ein Eilat aus einer paiislciwislijche» Zeitung, bas er sich nicht angeeignet habe." Der zweite anssübrlichcrc meldet ergänzend: „Der Abg. Richter sprach in längerer Rede gegen die AuS- slihriiiigcn des Reichskanzlers in der killen Sitzung, Gras Eaprivi habe die politische» Verhältnisse Deutschlands viel zu schwarz aus- gemalt. Der Dreibund werde wakricheinlich über seinen Ablaus hinaus dauern. Am Balkan habe Oesterreich allein ei» direeieS Interesse. Tie Regierungen hielte» an der Nothwendigkeit der An- sicht fest, die Lsscnsive sei die beste Strategie, aber die Balkanstaaten könnte» jedenfalls nicht osseniiv gegen Rußland verwendet werden Gras Eaprivi antwortete aus die Ausführungen Bcbel'S, welcher die Volkswehr kinpsohlen hatte, daß die Armee der Nordstaale» im amerikanischen Kriege 1865 kolossal theucr und wenig leisiungssähig gcweien sei. Nachdem noch v. Friesen Bebtt's Aussükrungkn bekämpft hatte, wurde die Berathung aus Mo»tag Abend vertagt." Nack diesen Meldungen hat die gestrige Bcratlmng der Cvinniissivn wenig oder gar nick-ls zur Klärung der Lage und zur Anbahnung einer Verständigung bcigetragcu. Die angebliche Erklärung des Reichskanzlers, die politische» Ver hältnisse seien thatsäcklich nicht ungünstiger als 1800, ist im Gcgentheil weit eher geeignet, den Widerstand der principiellen Opposition gegen die Vorlage zu verstärke». Ader vielleicht wird auch diese angebliche Acußerung deS Kanzlers von der „Norddeutschen Allgem. Ztg." dcmentirt und dadurch die herrschende Verwirrung »och mehr gesteigert. Wenn nicht mehr und nichts Sichereres auS der Commission an die Ocffcnl lichkcil gelangen soll, so wäre es weil besser, man schwiege ganz und gar über diese Bcralbuiigen, deren Thciliichmcr sich wahrlich nicht im Vertrauen der Wählerschaft befestigen, wenn sic entweder llnnnyes ansplandern oder gar den Bei dacht erwecken, sic hätte» die Ausführungen deS Reichskanzlers nicht begriffen. Obgleich sic weder genau bekannt ist, nock voraussichtlich genau bekamst werden wird, wird die jüngste Rede des Reichskanzlers Grasen Eaprivi in der Milttaircoiiiiiiisstvii in der anSwärligen Presse viel besprochen. So sagl der ungarisch ossiciöse „Pcstcr Lloyd", die Rede biete die erfreuliche Gewißheit, daß die Politik Bisinarck'ö von „zwei Eisen im Feuer", jene „zwiespältige" Politik, die Ocstcr- rcich-llngar» gegen Rußland und Rußland gegen Ocstcrrcich lliigarn babe auSspielcn wolle», und „in der inlimcn BnndcS- gcnossenschast mit unserer Monarchie unser Orientiiilcressc als CvmpcnsalionSködcr sur den Paiislavismus in Bcrcitschast hielt und die panslavislischcGesahr wieder als beständiges Di ohmittel gegen Oesterreich-Ungar» anSnützte", nunmehr abgcthan sei. „Wenn eS möglich wäre", so bemerkt der „Pestcr Lloyd" weiter» „den Inbalt unserer Freuntschast für das deutsche Reich zu ver liefe», so würde das gewiß durch Liese Wahrnehmung be wirkt; denn sie bietet uns die Bürgschaft für die volle Solidarität Oesterreich-Ungarns und Deutschlands in der Verlhcidiguiig der beiderseitigen Interessen." Vielleicht bat inzwischen die Erklärung der „Nordd. Allgem. Ztg.", daß Graf Eaprivi einfach mißverstanden worden sei, den „Pcstcr Lloyd" schon etwas abgekühlt. Was der deutsche Reichskanzler aber auch gesagt haben mag, jedenfalls würde man sich in Ungarn eine», bedauerlichen Irrthniuc durch die Annahme bingebcn, Deuischlaiid stehe im Begriff, einen Bruch mit Rußland herhciz»sührcii, »in »ist desto größerem Feuereifer die Interessen von Oesterreich Ungarn zu wahren. Insbesondere kann von einer vollständigen Gcmeinsanikeil aller Interessen zweier Großmächte nicht füglich die Rete sein. Jeder Staat hat »eben de» mit seine» L-crbünketeil gemeinsamen Inter esse» auch seine besonderen Interessen, die er besonders wahrzniiehmeit bat. Bei dieser Wahrnehmung kann der BUntiiißsall erst ciiilrctcn, wenn die Kraft und Größe des Berbniitclcn bedroht und gefährdet erscheint. Der vom Prager Stadt rath in seiner Sitzung am Dienstag gefaßte Beschluß, die von der Gemeinte auf dem Hradschi» erbaute Kaserne dem MilitairsiSkus ohne jede Inschrift zu übergeben, war dem dortigen Stadtverordnelcn- Collegiu», »och lange nicht schroff genug und dieses ist deshalb de», Beschluß nickst dcigctretc» Das Collegium beschloß vielmckr in seiner Sitzung am Mittwoch, de» Stadtrath zu bcaujnagc», daß er die Angelcgenkeit nochmals in reifliche Erwägung ziebc. Dem Beschlüsse ging eine stürmische Debatte voran. Mehrere jungezechische Redner bczeichnctcn daö Vor gehen des Stadiratbs als eine Feigheit. Der Iung- czcchc 1>r. Czernohorsky erklärte, die Magvaren würden sich ein solches Vorgehen deS Militair-AcrarS nicht gefallen lassen, sondern die Kaserne demoliren. Ein all- czcchischer Stadtverordneter erwiderte, die Magyaren könnten dies leicht Ihn», da die andere Reichskälste den Schaden tragen würde. Iungczeche Klima bemerkte, die Kaserne sei unter keiner Bedingung an daS Aerar zu übergebe». Man möge ausbarren; es werde endlich doch die Zeit kommen, wo der Kaiser als böhmischer König seinen Einzug aus dem Hradschi» kalten werte. Dann werte er die czechische Inschrift, welche auf dieser Kaserne prangen wird, gern sehen. Man bars nun begierig sein, ob Gras Taasse den obstinaten Czcche» der Prager Stadtverwaltung gegenüber bald eine ähnliche Schncidigkeit cnlwickcln wird, wie gegen den deutsch- nationalen Rcichcnbcrger Statlralh. In London bat am Donnerstag ein Ministcrrath statlgefiinde». lieber daS Ergebnis; verlautet zwar »och nichts Näheres, man darf jedoch nach den früheren Andculungen aniicbmcn, daß das Programm der Negierung für die nächste Parlamentsscssio» den Gegenstand der Bera- lbuiigcn gebildet hat. Cs gilt die letzte Hand an die irische Vorlage zu legen und das taktische Vorgcbcn zu erörtern. Im klebrigen bcgt fast jedes Negierung» Departement der inneren Verwaltung des Reiches Rcsormpläne, »nd cS wird dem mit Verlegenheiten reich bedachten Premier nicht leicht werke», sich über das zu entscheiden, was nach der Homc-Rulc.Vorlage i» die Hand genommen werden soll. Welche» Weg Gladstonc auch einschlagen wird, von allen Seilen droht Opposition. In unionistischcn Kreisen setzt inan, wie wir schon hervorbebcn konnten, nicht mit Unrecht große Hoffnungen auf die spröde Haltung, welche die ParncUitcn jetzt wieder cinnehmon. Kampf gegen Home Rulc ist der Schlachtruf, der jetzt drei Wochen vor der Parlaments - Eröffnung i» den Unionistenblättcru lauter und lauter ertönt. „Standa'-d" findet, daß die Newcastlcr Rede des Cvlonialministcrs die Zweifel vcrrathc, die im Cabinete selbst über den Home Rulc-Crsolg bestehen. Allerdings ist eS Fenillotsi,. Für die Ehre der Familie. Roman von Clarissa Lohde. NachtruS verkett». (Fortsetzung.) 9. Capitcl. Commerzienratb Rösicke und seine Gattin waren bei ihrer Heimkehr auS der Oper am Abend des vergangenen Tages erstaunt und »nzusrieden, ClSbeth und Margot nickst an- zulreffen, eS stiegen ihnen aber wegen dieser Abwesenheit noch kemerlci Besorgnisse auf. Ans Befragen erfuhren sie ron den Ticnstboten, die beiden Fräuleins wären noch bei Hellem Tage, zuin AuSgohen angeklcidet, auS dein Hause gegangen mit nun sagte der Commerzienratb zu seiner Gattin: „Ich kann mir schon denken, wie die Sache zusammcn- bäiizt, der schöne Abend hat sie zu einem Spaziergang ver lockt, sic sind plaudernd Weiler gegangen, als sic »rirrünglich gcwollt haben, zuletzt haben sic sich am anderen Ente deS TkierzartenS bekunden und ClSbeth hat Margot nach Hanse begleitet." „Auch in diesem Falle müßte sie jetzt schon wieder hier sein", bemerkte die Commcrzienräthin, aber ihr Gatte cr- viterte lachend: „Kennst Du meine Schwester so schleckt! Als ob die jenialS einen Menschen fortließc, ehe er etwas bei ihr gc- zeisen hat. ElSbclh bat zum Abendbrod bleiben müssen, laß jiir unS jetzt auch etwas auftragen, Figaro hat mich hungrig -«macht." DaS Ehepaar verfügte sich i»S Speisezimmer, wo der Tiich für die Abendmahlzeit bereits gedeckt stand, und der Eemmerzienratb sprach den aufgetragcnen Speisen tapfer zu, während seine Frau nur wenig aß, ibrc Unruhe wegen ElS beidS Ausbleiben wuchs von Minute zu Ministe; endlich vcr meckite sic sic nicht mckr zu verbergen. „Clsbcth sollte doch scho» lange hier sein", begann sie. „Sollte sie Wohl", versetzte der Commerziei.ratb, immer noch kauend und blickte auf die Uhr. „Die junge Dame fühlt sich als Braut und wird selbstständig." „Ach, das war sonst so gar nicht ihre Art", seufzte seine Frau. „Und mir gefiel daS an ihr, ich liebe die sehr selbst ständige» Frauen nickt", antwortete der Herr Cvmmcrzic» rath, „aber ehrlich gestanden, cS ist mir ganz reckst, wen» daS Mädchen sicki etwas selbstständig gcwöbiit. Sie wird daS brauchen könne» der lgnädigcn Schwiegermutter gegen über »nd in Arnold steckt auch die Anlage zu einem HauS- tyranncn." Ein seines Lächeln umspielte Frau Nösickc'S Lippe», als sic hörte, wie ihr Gatte bei Amold Anstoß a» Eigen schaffen nabni, die cr selbst ziemlich stark bei sich aus gebildet balle, laut sagte sie: „Wenn der Assessor wüßte, daß ClSbcth jetzt neck nicht zu Hause wäre —" „lind wir nicht einmal ganz genau wissen, wo sie sich befindet, cr würde sich nickst so leicht über diese Verletzung der guten Sitte zufrieden gebe», und waö würde erst die Frau Präsidentin dazu sagen!" siel der Commerzienratb ein und lackstc belustigt. Tic Vorstellung, welchen Possen seine kleine ClSbeth den Leisten, deren Wesen seiner innersten Natur aistipalbisch war, gespielt batte, und welche Gesichter sic aussiecken würden, wenn sic den Streich crfübrcn, wirkte so erheiternd ans ibn» daß er darüber vergaß, daß er eine solche Eigenmächtigkeit unter anderen Umständen Lock auch recht ungehörig gesunden und streng gerügt baden würde. Frau Nösickc batte nur die ersten Worte ihres Mannes ausgegriffcn. „Du hast reckst, es ist doch nur eine Bcrmuthung, daß ClSbelb bei Deiner Schwester ist", begann sie. „Wo soll sie denn anders sein?" „ES ist mir doch ängstlich —" „Aber ich bitte Dich, Sophie, sei doch kein Kind, wir befinden uns doch nickst in den Abruzzen; waö sollte denn zwei Mädchen zustcßen?" unterbrach cr sie. „Ich weiß cs nicht; aber — waS meinst Du? Ich möchte den Diener binscbickcn." „Meinetwegen; eigentlich sollte man's nickt tlnin und ab warten, waS aus der Sache wird", versetzte Rösicke, seine Frau war aber bereits auS dem Zimmer geeilt und gab dem Diener ihre Aufträge. „Nehmen Sie Droschke für den Rückweg und besser auch für de» Hinweg, Heinrich", gebot sie, „damit Sie recht schnell wiederkomiiicii." Heinrich, ein älterer Mann, der bereits viele Jahre im Dienste des Cvmincrziciiralhes siand, machte sich »nverzüglicki aus den Weg, und die Comnicrziciirälhi» ging ins Wohn zimmer, wobin ihr Mann sick> inzwischen begeben batte. Cr griff nach einer der ans dem Tisibe liegenden Abendzeiliingc» »»d zündete eine Cigarre a»; auch Fra» Rösicke »aki» ein Blatt auf und versuchte zu lese», aber sie konnte cs nickst. Von Minute zu Minute wuchs ihre Unruhe, nur mit MUl,e vermochte sic es über sich, gelassen in ihrem Sessel sitzen zu bleiben; verstohlen rickstclc sic ibrc Augen auf ihre» Gatte», »in zu erspähen, ob cr in der That so sorglos sei, wie er sich den Ailsck'cin gab. WaS sie da sab, >war nickt gcei.znct, ihre Angst zu ver mindern. Der Coiiimcrzicnralb stieß unregelmäßig starke Züge Rauch vo» sich, was immer ei» Zeichen war, daß er sich in großer Aufregung bcsand, und während cr sonst sehr schnell zu lesen pflegte, hielt cr jetzt das Blatt schon lange i» der Hand, ohne cs ein einziges Mal umgcwcndct zu Hatzen Weniger gewohnt, sich zu beherrschen, als seine Frau, warf cr cS jetzt auf den Tisch, sprang auf und rief, im Zimmer auf- und adgcliciit: „Cs ist doch aber eine ganz unerhörte Rücksichtslosigkeit, unS hier so sitzen und warten zu lasse», und ich werde mir, so lange Fräulein ClShcltz »och in unserem Hanse lebl, eine Wiederholung derartiger Extravaganzen entschiede» verbitten." „Du bist doch auch besorgt —" „Durchaus nicht, aber unwillig, aufgebracht bin ick", unterbrach er den Cinwnrs seiner Fra» und erging sich min in Anklagen und Vorwürfen gegen Clsbctb, gegen Margot, die sie sicher zu dem Unsinn verleitet habe, gegen seine Schwester »nd schließlich gegen seine Frau, welche zwei die beiden Märchen verzogen hätten und allen ihren Ihörichtcn CiiisäUcn nur Vorschub leisteten. Fra» Rösicke ließ diesen ZorneSauSbruch vbne Gegenrede über sich ergehen. Sie kannte ihren Mann und wußte, taß Angst und Sorge bei ihm sich auf diese Weise Luft zu machen pflegten; an seinem sich steigernden Unwillen konnte sie er messen. welchen Grad seine Äugst bereits erreicht hatte, und damit wuchs die ihrige. Zuletzt wurde kein Wort mebr zwischen ibnen gewechselt; »iil klopsciidci» Herzen lauschten Beite, ob sie nicht endlich daS Ansahrcn eines Wagens veriiekmen würden. Und da war cS endlich. Durch die Stille der Nacht hörte man schon von Weitem daS Rollen des Wagens; cr kani näher, cr kielt. „Da sind sic!" ncf die Commcrzienräthin mit einem tiefen Seufzer und auch Nösickc murmelte einige Worte, die dein Obr seiner Gattin wie ein recht inbrünstiges: „Gott sei Dank'." klangen. Cs wäbrle aber noch lange, den Harrenden viel zu lange, cbc die Angekomvienen den Weg von der Einfahrt bis zu», Thorc zurückgclcgt batten. Tie Conimcrzicnrälbin vermochte eS nicht mebr zu ertragen. Sic verließ das Zimmer, sic eilte ihnen entgegen. „Clsbcth!" ries sie. als sic Geräusch ans der im Halb dunkel liegende» Treppe vcriiabni Ader das war nicht der leichte, bcslngeltc Schritt ihrer Pflegetochter. Schwerfällig, und dock» in erkcniibarcr Hast keuchte cS herauf. Frau Hoin- berg's kleine, rnndlichc Gestalt, mit nni sic flatterndem Mantel, der Hut schief ans dem Kops sitzend, ward sichtbar. Hinter ihr erschien Heinrich mit erschrockener, unheilverkün dender Miene. „Renate, Du!" stammelte die Comnierzienrätbin. schon suhlte sie sich atzcr von den Armen ihrer Schwägerin um schlungen, und schluchzend, kreischend stieß diese, nach Atbcm ringend, die Worte hervor: „Die Kinder! Die Kinder! Wo sind die Kinder?" „ClSbeth war nicht bei Dir?" fragte der Commcrzicn- rattz, der auf den Lärm beranSgetrcten war; er ergriff den Arm seiner Schwester, führte sie ins Zimmer ui,v gab seiner Frau und dem Diener einen Wink, ihm zu solge». „Ich habe ClSbelb seit So»»lag, wo wir bei Euch zu Tiick'c waren, nickst gesehen, und Margot seil beute Mittag nicht!" schluchzte Frau Homberg, Hut und Mantel von sich