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Vezugs-Prei- tz> I > Houpteppeditio» oder den im Statt« trzi k and de» Vororten errichteten Äus- «äb tellea abgrholt: oiertrliätrlich^tSchO, hau« Ückü». Durch die Hast bezogen für Deatichland und Oenei reich: viertenLdrltch -I «.—. Direct» täglich« kreuzbandleaduag Abend-AusgaVe. Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Nrizeigen-PreiS Die 6gespaltene Pelitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4gv> Ivalten) b0^, vor den Famiiiraaachrichten (6 geipalten) 40^. Größere Schrifren laut unierem PreiS- verzeichniß. Tabellarischer und Zifferajatz uach höherem Tarif. Sptra Beilagen (gefalzt), nar mit de» Morgen-Ausgabe, ohne Posibefürderuag 60—, mit Poslbeforderuag ^ 70—. Ännahmelchlub für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Marge u-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Sonn- und Festtag» früh '/,9 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen l« ei« dalbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die ErtzeHttt«» zu richten. Druck und Verlag von <k. Polz in Leipzig. Donnerstag den 16. Februar 1893. 87. Jahrgang. Amtliche Bekanntmachungen. Der hinter der Verkäuferin Emilie Elisabeth Patzte am 6. Mai 1890 erlassene Steckbrief Hai sich erledigt. Leipzig, am 14. Februar 1893. Der Untersachungsrtchter bet de« Kgl. Landgericht das. Burkhardt. Politische Tagesschan. * Leipzig, 16. Februar. Berlin steht unter dem Zeichen der Landwirtkschaft. Es ist die „große LandwirthschastSwoche" mit nicht weniger als vierzehn Kachversammlungen, denen sich diesmal vier agrarpotilische Versammlungen anschließen, deren eine die Con- sliluirunz des Bundes der Landwirthe zum Zwecke bat, während der Deutsche Bauernbund, die Bereinigung der Steuer- und WirtbschastSresormcr und der Kongreß deutscher Landwirthe das Zusammengehen, wenn nicht die Berschmctzung mit dem Bund der Landwirthc beschließen werden. Daß dieser Action parlamentarische Präludien im Reichstage und Landtage vor dergeben, kann nicht Wunder nehmen. Die Strömung, mag man sie nun agrarisch oder wie immer nennen, ist stark und, wie sich mehr und mehr herausstellt, nicht von den Konser vativen gemacht, wenn diese Partei auch sicher sehr geneigt ist, im wirthschastlichen Rohr politische Pfeifen zu schneiden. Hcrrvr. Barth mit seinem eben zum lOOsten Male wldergekäutcn Satze, die landwirtbschaslliche Frage sei nur die Frage der verschuldeten Großgrundbesitzer, wird sich wahrscheinlich demnächst zu einer anderen Auffassung bequemen müssen. Tie Bauern sind erregt und zwar gleichmäßig in Rord und Süd und gleichviel, zu welcher politischen Partei sie sich zählen. Und mehr und mehr greift die Urberzeugung Platz, daß die Unruhe in der mißlichen wirthschastllchen Lage der Landwirthe begründet ist, wenn auch Niemand, der nicht rein demagogisches Capital au« der Bewegung schlagen will, ihre Richtung und praktischen Ziele geiiau zu bestimmen weiß. Frei vom Bcrdacht demagogischer Zwecke sind nun durchaus nicht Alle, die zur Zeit mitreden, und schon aus diesem Grunde ist eine möglichst große Theitnahmc an den mit so großer Energie sich geltend machenden Bestrebungen höchst wünschcnöwerlh; durch sie kann der berechtigte sachliche Kern vor parteipolitischer lleberwucheruug geschützt werden. Auf der Bersammlung, die am nächsten Sonnabend den Bund der Landwirthe in« Lebe» rufe» wird, werden denn auch mit Ausnahme von Teutschsreisinnigen und Socialdemokraten Angehörige aller Parteien, die Nichtconservativen selbstverständlich nur in ihrer Eigenschaft als Landwirthe, vertreten sein. Von der süddeutschen BolkSpartei sogar darf man sich versehen, daß in ihren Kreisen die Versammlung mindestens mil Sympathie verfolgt wird. Ob die große Ausgabe des Bundes der Land- ivirthe, sich wirlhschaslSpolitisch zu bethätigen, ohne in partei politisches Treiben zu verfallen, gelöst werden kann, muß freilich abgewartet werden. Vielleicht giebt schon der Grün tunzstag darüber einigen Aufschluß. Was ihm in den Parlamenten vorhergeht, erweckt kein Interesse mehr. Selbst der gestrige „große" Tag im preußischen Abgeordnetcnhause, zu dem man die Minister vorgefordert, ist in Wahrheit kein großer geworden. Da« BemerkenSwertheste in der Sitzung war die Unzweideutigkeit, mit der Graf Eulenburg gleich seinem College» Miquel vom nationalpolitischen Stanvpunctr de» Versuch tadelte, vom Einzettaudtag aus in die Gesetz zebung de« Reiches einzugreifcn. In der Militaircom Mission sind die Aussichten auf eine Verständigung nicht besonder« günstig, da gestern der Alg. Frhr. v. Hammerstein erklärte, die Conscrvativen könnten eine gesetzliche Festlegung der zweijährigen Dienstzeit nicht annehmcn, und der Abg. Ilr. Lieber die Erklärung abgab, das Centrum werde gegen alle drei Abgcordnelcnaiiträge, betreffend die zweijäbrige Dienstzeit, stimmen Immerhin werden sowohl die Conscrvativen, als auch das Cenlrum mil der Tbatsache rechnen müsse», daß in Wäblertreiscn immer zahlreichere Stimmen lau« werden, die energisch eure Verständigung über die Militairvorlage verlange». So fand gestern in Berlin unter dem Vorsitz de« Pros. Delbrück im Beisein de« Gebcimralh- Prof Wagner eine große Ver sammlung statt, in der die conscrvativen (Elemente stark ver treten waren und eine Resolution angenommen wurde, die den Reichstag zu einer Verständigung niik der Regierung ausfordert. Eine äbntiche Versammlung in Görlitz, die von etwa 800 den verschiedensten Parteischaktirunge» anzchörigen Personen besucht war, »at»n unter dem Vorsitze de« Kammer Herrn v.Witzleben durch Acclamation ein Resolution zu Gunsten einer Einigung an. Und in Essen findet nächsten Sonntag eine Bersammlung statt, welche zu Gunsten einer Verständigung in der Mititairsrage eine Kundgebung zu erlasse» beabsichtigt. BeinerkcnSwertb ist dabei, daß unter rem betreffenden Aus ruf sich auch Namen anerkannter Ce nlr um sm än ne r be finden. Man kann nur wünschen, daß alle belbeitigten Factoren, die Parteien sowohl, wie die verbündeten Regie rungen, dieses Drängen »ach einer Einigung, aus die ja auch die Thronrede bei der Eröffnung des Reichstag« eine Aussicht eröffnete, beherzigen. Eine ultramontane Kundgebung in Wien, deren wir bereits Erwähnung gelban haben, erregt namentlich wegen der vom Cardinal Gruscha ausgesprochenen Forderung nach Wiederherstellung der weltlichen Papstherrschaft peinliche- Aussehen. Diese Angelegenheit gewinnt dadurch an Bedeutung, daß in der betreffenden Versammlung mehrere österreichische Minister und die künftige Kaiserin von Oesterreich anwesend waren. Die „Neue Freie Presse" knüpft an diesen Vorgang eine Reihe scharfer Bemerkungen. Es sei, so bebt daS Blatt hervor, in der Festversammlung der Michaels brüderschaft in Gegenwart eines Mitgliedes de« Kaiserhauses und zweier Minister die Wiederherstellung der weltliche» Papst Herrschaft gefordert und damit gegen Italien demonst» in worden. WaS würde man in Oesterreich sage», so betont das genannte Blatt weiter, wenn an einer irretentistische» Bersammlung zwei italienische Minister thcilnäknicn, um Reden aiizubvren, worin Trient und Triest als italienische« Besitzibum cin- grsordert würden? Wie sott in Italien daöVertrauen um Bündnisse mit Oesterreich vor Anfechtung icher sein, wen» in Oesterreich zwei Räthe der Krone an einer Bersammlung theilncbmen, welche die weltliche Macht des Papstes fordert? Wenn auch die Versammlung einen unmittelbaren Schaden nicht anrichten sollte, so sei sic dock» sehr bezeichnend für da« «Lclbstgesühl der klerikalen Parlci, die nicht davor zurückschrecke, ein Mitglied des Kaiserhauses und zwei Minister zu Zeugen einer gegen Italien gerichtete» feindseligen Kundgebung zu mache». Wir haben bereits einer Rede Jules Ferry'S gedacht, die dieser französische Staatsmann und Parlamentarier vor Kurzem gehalten Hat, einer Rede, womit er »ach längerer Zurückgezogenheit wieder auf dem politische» Schauplatz erschienen «st. Jules Ferry bat in dieser Rede ein förmliche« Resormproaramm für die republikanische Partei entwickelt und einige Puncte der Verfassung bezeichnet, deren Abänderung nothwenkig sei. Er verlangt, daß künftighin die Kammer ebenso wie der Senat »ur einer tbcitweisen Erneuerung unter zogen werde, die Verminderung der Zabl und die Erhöbnng der Bezüge der Abgeordneten. Uebergriffc der gesetzgebenden Gewalt in die Rechte der VollziigSgewall seien als Fälschung des parlamentarischen Systems hintanzuhalten. Die Rede Ferry'S, der sich seit Monaten vollständig im Hintergründe gebalte» halte, wird von seinen Freunden als Aiiiiielrung für die PräsidcntschastScandidatur ausgefaßt. Vorläufig siebt freilich die Cavaignac'S im Vordergründe de« Interesse«. Uebcr die Taktik, die ibr gegenüber von den Radikalen »nt Opporlu nisten geplant ist, wird beute berichtet, daß die Anfrage Lender'« sich nickt gegen die Regierung, sondern gegen Cavaianac und seine Hiiilermänner ve» der be- kcbrten Rechten wenden wird Die Vertraucnstundgedung fürs Cabinct wird dlvs von der Forderung abhängig gemachr, daß Ribot erkläre, ec wolle nickl mit den vertappie» Gegner» der Republik, sondern nach wir vor mit den allen repuhjikanischen Parteien regieren De«jardin« wird im Namen der be kehrten Rechte» eine Erklärung über deren Ansprüche aus die Tbeilnahine an der Regierung ahgebe». Die Republikaner wollen möglichst vermeiden, von Paiiania zu rede». Außer Leydet wurden die Abgeordneten Clenienceau »nd Manjean zu Redner» gewählt. Ter Abgeordnete Barlbou meldete eine» Anirag auf lbcitwcise Er»c»cr»»g der Kammer, sowie auf AllStcbnung der Dauer de« Kammcr MaiidalS aus 6 Jahre an. Dem „TempS" zufolge rechnet die Regierung aus die Zustimmung von 300 republikanischcii Abgeordneten. In dem britischen Inselrcich drängt selbstverständlich gegenwärtig der Kamps um Home-Rute jede andere politische Frage in den Hintergrund und dieser Zustand wirk wobt auch noch für geraume Zeit der vorherrschende sein. Die liberale Presse glaubt bereit« triumphiren zu könne» und hält den Sieg für gewiß, nachdem die beiden irische» Parteien sich mehr oder niindcr mit dem vorgclegten Gesetzentwurf einverstanden erklärt habe». Das ist aber da« Betcntlichc bei der Frage, daß eine so lies einschneidende Maßregel, wie sie Home Rule für England ist, lediglich durch die Unterstützung der Irländer turchgedrückt werde» tan». Darüber ist kein Zweisel, daß Glakstonc die Mehrheit seiner britische» Landsleute gegen sich bat. Dies wird sich bald durch die Haltung de« englischen Oberhauses zeigen, welches bei Durchführung der Gladstoneschcli Pläne einen gewichtigen Stein des Anstoßes bilden wird. Wenn man außerdem die außerhalb Irland« gewählten Mitglieder de« Unterhauses gegen einander ahstimmcil lassen wollte, da»» würde Home Rule eine entschiedene Majorität gegen sich haben. Daß sic den Iren die Herrschaft im englischen Parlamente abtritt, das ist der ungeheuere Fehler der Home-Rule Bill. Neben diesem Gruntgebrecken «ritt der ganze übrige Inhall des Gesetzentwürfe« zurück. Die Befug nisse de« irischen Parlamentes sind allerdings begrenzt. Aber wa« kan» da« nützen, wen» die Beschlüsse de» Rcickspartainentes über eben diese Fragen von der Haltung der achtzig Ir käiider abbängen? Cs ist wobt wahr, daß im Iabre 188«, die Conscrvaliven und Unionislc» »n Unlerkanse stark genug waren, nm trotz der Irländer am 7. Juni die zweite Lesung der damatigen Home Rule Bill zu verwerfen und das Cabinet Gtadstone zu stürze». Aber eine sv überwältigende Mehr heit, sei e« dieser oder jener Partei, ist ini englischen Unter- nause sehr selten, und e« tonnen viele Parlament« Sessionen vergehe», bi« sic neuerdings zu Stande kommt. Bis dahin habe» die Irländer das Heft in der Hand, »nd es ist von ihnen zu erwarten, daß sic diese glückliche Vage rücksichtslos auSbeulen werde». Sic werte» das auch dahcini auf der Grünen Insel ldu», in deren Parlament die Nationalpartci einer sestgeschlosscnen Majorität sicher ist. Zum Schutze der Minorität, t. b. der protestantischen, rcicbslreuen Bcvötkc rung, bat Gladstone ein wählbare« irische« Oberhaus von achtunkvierzig Mitgliedern erfunden, welche« er de» gesetz gebenden Rail, nennt. Da nian, »>» da« Wahlrecht für diese Körperschaft zu besitzen, zwanzig Pfund jährlicher Steuer zahlen muß, so dürften viel mehr Wähler au« der wohl habenden protestantischen als au« der ariiicn katholische» Bevölkerung bervorgehen und der „gesetzgebende Rath" kein Tuinmclplay des nationalen irische» Fanatismus werden. Allein Gladstone untergräbt den Wall, den er für die Minderheit errichtet, mit eigener Hand durch die Bestim mnng, daß über eine Bill, die mehr als einmal von der gesetzgebenden Versammlung — dem irischen Unterhaus,: — angenommen worden ist, unter gewissen Umständen durch die beiden Kammern gcmcinsam entschieden werden muß. Da min die zweite Kammcr inebr als doppelt so viel Mitglieder zählt wie die erste, sv kann man erratben, wie die gemein samen Beschlüsse auSsallcn und wessen Wünschen sie genügen werte». AU da« müssen sich die Engländer selbst sagen. Glatsione'S Home Rulc-Bill ist ein Keil, den er in da« feste Gefüge de« britischen Reiches treibt. Jüngst hat die Retactivn der ofsiciöscn „Swoboda" in Sofia einen stattlichen Band unter dem Titel „Dokumente au« den geheiznc» Archiven der russischen Regie rung" erscheinen lasse», worin alle jene Notcn und Depeschen enthalten sind, welche die bulgarische Regierung im Lause der letzten Jahre ausgefangc» oder von dem vielgenannten Iakod- sobn, einem bei mehrere» russischen Consulatcn angestellt gewesenen Dragoma», erkalten bat. Einer der besten und verdienstvollste» Patrioten Bulgariens, Pctkow, hat ein orieiitirendc« Vorwort zu dem lehrreichen Buche geschrieben und dasselbe mit seinem Name» unterzeichnet. Da« Buch nt in doppelter Richtung ungemein lehrreich: sowohl rück- sichtlich der Ziele, wie der praktischen Mittel der russischen Balka » politik. Es stellt sich nämlich auch dieSmat heraus, daß Alle«, was in Rußland — ossiciell, ossiciös und privat — an der Politik miktbut, ein für allemal an der nach Konstantinopet »nd dc» Dardanellen gerichteten Eroberungs politik fcstbält und bei jedem Anlasse instinktiv in dieser Richtung tbälig ist. Cs werden dabei freilich unausgesetzt Fehler gemacht, aber das verschlägt nicht viel, denn unter Anwendung von möglichst viel Geduld und noch mehr Rücksichtslosigkeit wird dock, wieder bei nächster Gelegenheit au« der verfehlten Ab irrung die Rückkehr zur Hauptricbtuiig nach der Aja Sofia wieder gesunden Darin liegt eben auch die Macht, um nicht zu sagen, die elementare Gewalt der russischen Balkan- politit, die immer wieder die O.uantität in die Waagschale wirft, wenn die O.ualität einige Male versagt hat. Cs ist so z. B. die Meinung verbreitet, daß cS den russischen Politikern bei der jahrelangen Agitation gegen den Battcnberger nur um dessen Cuttbronung und »m den Ersatz durch einen geringsügigcren Bulgarensürsten zu tbun war. Au« der vor liegenden Pnblicaiio» gebt jedoch überzeugend dervor, daß die Weisungen für alle russischen Agenten stet« dabin lauteten: die Bulgaren dabin zu vermöge», daß sie überhaupt keinen eigenen Fürsten wählen, sondern die Annexion an Ruß land fordern sollen. Bulgarien wäre dann gleich Finland als russische« Großsürstentkum proclaniirt worden; es hätte wohl seine locale Autonomie debalten, aber es hätte den Zweck einer Basis für die weitere Eroberungs politik gegen Stambnl leicht »nd sicher erfüllt. Nament lich die über die Sendung des General« Kaulbar« ver öffentlichen Schriftstücke entschleiern die Ziele der bulgarischen Politik Rußland- bis zur handgreiflichen Racklhcit, und e« erweist sich, daß weder der dem russischen Hose so nabe ver wandte dänische Prinz Waldemar, noch sonst Jemand den bulgarischen Tkron besteigen, daß vielmehr eine Correctur de« Berliner Vertrage« durch die unüberwindliche Gewalt der Thatsachen, durch den Willen des bulgarischen Volkes er folgen, daß nämlich der Zar der „Großfürst von Bulgarien" werden sollte Die Agenten hieße» der Reihe nach Ionin, KaulbarS, Hitrowo, aber die Weisung blieb immer dieselbe: Entthronung oder Ermordung de« Fürsten, Bestellung eine« russischen Generals zum Commissar oder Regenten und „frei willige Annexion" Bulgarien« an Rußland. Und die leitenden Gesichtspunkte wie die in Anwendung gebrachten Mittel blieben sich auch später gleich bei dem Attentate gegen Stambulow, denl der Fiiianzmiiiister Beltschew zum Opfer siel, wie bei der Ermordung des bulgarischen Gesäurten BulkovicS in Konstantinopet. Angesicht« solcher Erscheinungen habe» die Bulgaren offenbar nicht Unrecht, wenn sie trotz aller Petersburger Dementis und wohlmeinenden Versiche rungen an die Logik der Tbatsache» und an die rücksichtslose Cvnsequenz der russischen Politik glauben; wenn sie, wie auch Feuillrtsn. Der Sonderling. I0> Roman von P. Frlsberg. Nachdruck »erboten. (Fortsetzung.) Bebender eilte er nun weiter, der nächsten Fel-partie zu, die eine Art Grotte bildete und ein Lieblingsplatz der Walv- desucher war. Vielleicht batte da« Gewitter Gertrud hier überrascht. Tie Hoffnung gab ihm neue Kraft, anzukämpsen gegen den Sturm, der ihm Haar und Bart zerzauste und ihm den Aibem zu beengen drohte; Blitze blendeten ihm die Augen, so daß er oft taumelnd gegen einen Baumstamm stieß, oder niedrige Aeste ibm in« Gesicht schlugen, ehe er sie mit seinem starken Arm zurückzuhalten vermochte. Endlich kam er bei der Grotte an. IustuS blieb betroffen stehen. Er wußte nicht, sollte er da« Mädchen bewundern oder sich fürchten vor seiner kalten Ruhe inmitten diese» Aufruhr«. Er fand kein zitternde«, ängstliche« Weib, da« de« Schutzes bedurfte; seine Sorge, seine Augst war vergeben« gewesen. Gertrud fürchtete sich nicht in der Einsamkeit de« Walde«, fürchtete nicht die Gewalt der Elemente, die sie umtosten; sie sah ruhig im Hintergrund der Grotte aus einer Bank und hielt ein Buch in ihren Händen. Ihr Kleid war durchnäßt, ibr Haar hing feucht um ihre Schläfen. Sie sab etwa« bleich au«, und ibr Gesicht schien wie au« Marmor gemeißelt; kalt, ruhig, rmpfindung«- lo« blickte sie IustuS entgegen. Erregt stand er vor ibr, seine Brust athmetr schwer. Er fand kein Wort, da« er ihr sagen konnte; starren Blicke« sah er in da» schöne, weiße Gesicht mit den großen Augen, die beinahe spöttisch jetzt zu ihm aufblicktea „Ich glaube gar. Sie haben sich geängstigt um mich", kam c» mit losem Hovn von den vollen rotben Lippen, die wunder bar adstachen von der Bläffe der Wangen. „Nein! Warum sollt« ich? — Ich denke, rin warmer Gewitterregen wird Ibncn nickt schade», der Zufall führt mich nur hierher. Ich suche Schutz hier in der Grotte — wie Sie", entgegnetc Just»« mit demselben leichten Spott im Ton, wie er durch ihre Rede klang. Er setzte sich dicht neben sie, als ob er den Regen scheute, der nun heftiger hcrniedrrströmte und bereit« eine kleine Wasserflut!, aus dem Boden der Grotte bildete. Er sah Gertrud nicht an, und doch fühlte er die Unruhe, die plötzlich über dieselbe gekommen war. „Sie frieren", begann er mit seinem leisen bedächtigen Lächeln; „eS tbut mir leid, aber ich habe nicht«, Sie gegen die Kälte zu schützen." „Der warme Gewitterregen wird mir nickt schaden", er widerte Gertrud mit Betonung, „ein Arzt muß die« ja besser wissen als ich." „Ich rathe Ihnen aber jetzt dock, ziehen Sie Ihre Füße empor; ein kaltes Fußbad könnte Ihnen Übel bekommen", meinte aleichmüthiz Iusiu« und bob die Spitzen seiner Stiesel hoch, so daß die Hacken nur im Wasser standen, da« nun den Boden der Grotte ganz bedeckte. Gertrud rührte sich nicht. Der Saum ihre« Kleide« hing in dem lehmigen Wasser, sie beachtete c« nicht; ibr leichte« Schubzcug war vollständig durchdrungen vom Wasser, sie empfand r« nicht, ibr ganze« Sein war empört über die Art, wie er mit ihr sprach, zu ibr, der stolzen Baronesse. Sie wollte fort, mußte fort au« seiner Nähe, die einen Zauber auf sie übte, der ihr unverständlich war Da fuhr rin blendender, greller Blitzstrahl dicht vor Beiden nieder; e« flammte eine Secundc auf vor ihren Augen, ein fürchterlicher Krack erfolgte, der Beide betäubte. Gertrud subr taumelnd zurück, und Just»« schlug mit der Stirn gegen die scharfe Kante de« Felsen». Vor ihnen stürzte einer der Waldriesen nieder, von oben bi« unten gespalten; die mächtige Baumkrone verdeckte den Eingang zur Grotte, die plötzlich in vollkommene Finsterniß gehüllt war. IustuS fühlte, als er die Betäubung überwunden, wie warme« Blut Uber sein Gesicht rann, ein >äber Schmerz batte einen Augenblick ihm die Besinnung geraubt, daun fuhr er angstvoll empor und rief mit bebender Stimme: „Gertrud, wo sind Sie?" Gertrud erschauerte, als sie ihren Nanicii so ängstlich von seinen Lippen hörte; da« eine Wort batte ibr verralbcn, daß sic geliebt wurde, geliebt von einen, leidenschaftlichen Manne, und daß es die Gewalt der Liebe war, die sic mit ihrem Zauber bann umfing, wenn sic in seiner Näbc weilte. „Gertrud", klang cs wieder leise, zärllich dicht an ibrem Ohr; sic fühlte sich uinschlungen von seinem Arm, halb be täubt lag sic eine Minute in seinem Arm; dann riß sic sich Io«. „Lassen Cie mich — ich di» nickt verletzt", klang e« laut und kalt von Gertrud'« Lippe»; sie richtete sich cmpor, und ein tiefer, erlösender Atbcmzug bob ibre beklemmte Brnst. Ihr Stolz wallte auf. Sie zürnte ihm, ein verletzende« Wort schwebte aus ikren Lippen; aber sic unterdrückte e« doch, sie erkannte, suhlte, daß er eine Herrschaft über sic besaß, der sic willenlos unterlag. Wie batte cS sonst geschehen können, daß sic, Gertrud Felten, die Spröde, Stolze, ihn nicht zurück gestoßen. Schweigend standen nun Beide eine Weile in der finsteren Grotte sich gegenüber. Tann und wann zuckle ein Blitz und erleuchtete matt die Dunkelheit, die sie umgab. Ferner rollte der Donner, nur der Regen floß »och in «trömen. „Vergeben Sie, Gertrud", begann IustuS und ergriff die Hand de« Mädchen«, da« einen Schritt zurückzetreten war und an der Felswand lebnte. „Vergeben Sie meiner Angst um Sie", bat er und küßte innige ekrsurcktSroll ibre Hand. „Ich werke zu einer passenderen Stunde kommen und fragen, ob Sie mir zürnen können." Er wandte sich dem Au-gang der Grotte zu und versuchte mit seiner ganzen.Kraft die Aeste de« gestürzten BanmeS zu entfernen, um Gertrud und sich den Austritt zu ermöglichen. „E- wird schwer batten, hier hcrauSznkommen; die Dunkelheit nimmt zu, ich glaube, wir dürfen den Rege» nicht scheuen, um dann in« Trockene zu kommen —" meinte IustuS, und Gertrud stimmte ihm bei. „Ja, ja — nur fort — nach Hause — durchnäßt sind wir doch schon —" erwiderte sie, und eine angstvolle Hast lag in ihrem Ton. Schweigend sah Gertrud zu, wie er sich mühte, den Aus gang frei zu machen. Sie half ihm nicht dabei, sie lehnte ruhig an der Felswand und ihre Blicke hafteten an seiner elastischen, kräftigen Gestalt. Ein teiseö Lächeln lag um ihre Lippen, eine wunderbare, seltsam weiche Regung beschlich sic. Sie wußte, daß er sie liebte, daß er sic begehrte zu seinem Weibe. Gewaltsam schüttelte sie das Gefühl ab, das sic zu ängstigen begann, weit cs ihr so fremd war, weil ibr der Gedanke bisher fern gelegen, daß sic sein werde» könnte, sein, des einfachen Land arztes Weib. „Nimmermehr", dachte sie, und der alte, unbändige Stolz bäumte fick ans. „Nimmermehr", wieder holte sie fick, „ich will nickt leben von der Arbeit eine« ManneS: ich will nicht biiiabsteigcn, nickt einen Schritt, mein Weg geht hinauf, nicht hinab!" Plötzlich wandte sie sich dem Ausgange zu, und wie ein scheue« Reh durch da« Dickicht bricht in eiliger, angstvoller Flucht, so suckle sic tick Bah» zu drecke», »nd c« gelang ihr, obwobt ihr Kleid fick scstbatle in dem Geäst; sie riß c« lo«, daß eö in Fetzen hing. Schweigend, ohne einen Blick wollte sic sorteilen von iki»; aber er (prang ihr nach, faßte sie fest am Handgelenk, »nd zwingend klang cs in einem Herrsckcrton, der Gertrud roll Staunen ihn anblicken ließ: „So scheiten wir heute nicht!" Sein Blick bohrte sich in ibr Auge, daß sie erbebte; angstvoll, demüthiz stehle sie: „Lassen Sie mick geben, allein gehen." So demütbig, so wie jetzt, so batte IustuS sie seben wollen; sie sollte die Macht erkennen, die er über sie besaß. „Bitte — lassen Sie mich lo«", klang e« weich von dem stolzen Munde. „Ich lasse Sie nicht allein durch den dunklen Wald geben." „Doch — ich bitte darum — ich fürchte mich nicht", kam c« von des Mädchen« bebenden Lippen und die weißen Zähne schlugen zusammen wie im Fiebersrost. „So gehen Sie, Gertrud, aber wir sehen un« bald wieder — nickt wahr — bald?" „Ja — ja — bald", stimmte sie zu in hastiger Ungeduld, nur um sich freizumachen In IustuS Blicken leuchtete e« aus; er glaubte, die« ungeduldige „bald" komme au« einem liebenden Herzen. Er gab sie frei, in der Hoffnung, sie bald an sich zu fesseln für immer.