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Die Mvrgen»AnSgabe erscheint nm '/,7 Uhr. die Abend-An-gabe Wochentag« um 5 Uhr. Filialen: Ott« lNemm'S Sortim. (Alfred Hahn). Untversität-straße 3 (Paulinum), LoniS Lösche, Katharknenstr. 14, pari, und König-Platz 7. Ne-action und Erveditton:' Johannes«affe 8. DieExpevitton ist Wochentag- ununterbrochen gevffnet von früh 8 btS Abend- 7 Uhr. BezugK-Preis öi her Hauptexpeditton oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten AuS- oabestellm abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« HauS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Krenzbandsendun- in« Ausland: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe. MpMer TaMlitt Anzeiger. Amtslitalt des Königkicheit Land- und ÄiulsMchtes Leipzig, des Nalhes und Nolizei-Ämles der Ltadt Leipzig. 270. Sonnabend den 30. Mai 1896. AnzeigeU'Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 PH. Reckamen unter demRedaction-strich (Sßr^ spalten) bO/H, vor den FamilteuuachrichUn lbgeipalten) 40-^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zisferusay nach höherem Tarif. Ertra-Beilagen (geftzlzy, »ne mit -er Morgea-Au-aabr, ohne Postbes-r-ennig 60.—, mit Postdefdrdernag 70.-^ ^nnahmeschluß für AlyeWr Abend-Au-gobe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- -Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» je eine halbe Stund« früher. Anzeigen sind stet» an die Ertzedition zu richten. Druck und Verlag von E. Pol» kn Leipzig SV. Jahrgang. Attramontanismus un- Socialdemokratie. K. Der UltramontanismuS offerirt sich unausgesetzt als „Bollwerk" gegen die Umsturzbestrebungen. Man weiß, was davon zu halten ist, aber es ist doch von nicht geringem Werth, wenn in dem klerikalen Hauptorgan Deutschlands auseinandergesetzt wird, daß die katholische Kirche jenes Boll werk weder sein kann, noch will. Die „Germania" läßt in einem „Von Luther bis Liebknecht" überschriebenen Artikel einen zum Katholicismu« übergetretenen früheren Protestanten über da« Thema zu Worte kommen und zwar, wie festgelegt sein mag, an leitender Stelle und ohne jeden Vorbehalt. Die Ueberschrift und die bezeichnete Eigenschaft des Verfassers lassen keinen Zweifel daran aufkommen, daß die Betrachtung sich hauptsächlich gegen die Reformation richten will. Jedoch dieser Zweck wird nicht erreicht, wohl aber wird eine zu treffende Charakteristik der natürlichen Stellung des Cen- trumS zur Socialdemokratie gegeben. Wenn ultramontane Schriftsteller, wie es bei ihnen Brauch ist, die Revolution auf die Reformation zurückfübren wollen, so befinden sie sich nur der überaus unbequemen That- sache gegenüber, daß die Revolution in gut katholischen Ländern beheimathet ist. Zn Frankreich war die Reformation durch Feuer und Schwert ausgerottet worden, Belgien ist ein glaubenseinheitliches Land, Spanien, die südamerikanischen (Staaten und, nicht zu vergessen, der Canton Tessin desgleichen. Dies aber sind die klassischen Länder der Revolution. Der Convertit der „Germania" empfindet gleichfalls das Unbehagliche dieser Thatsachen; er glaubt sich aber damit abgefunden zu haben, indem er schreibt: „Wissenschaftlich ist der Zusammenhang (zwischen Reformation und Revolution) schon oft demonstrirt. Der Wind hat den Samen „reformatorischer" Ideen auch in katholische Länder ver trieben, und dieser ist dort ebenfalls aufgcgangen, allerdings nicht in Gestalt der evangelischen Kirche." Man sieht, der ehemalige Protestant hat bei den Jesuiten profitirt. Die evangelische Kirche, das wird als ein Axiom eingeschoben, ist eine revolutionaire Erscheinung, und die wirk lichen Revolutionen werden als „ebenfalls" solche Erscheinungen nebenher aufgeführt. So leicht kommt man „wissenschaftlich" doch nicht über das Mirakel hinweg, daß ein Same gerade dort aufgeht, wo er nicht gesät worden ist, ja seine Einfuhr mit Erfolg verhindert worden war, und so gut wie gar nicht in dem Erdreich, in das er angeblich gesenkt worden war. Solche „Wirkung in die Ferne" ist naturwidrig und in der Geschichte deshalb auch niemals beobachtet worden. Doch zum „Bollwerk". Die „Germania" sieht die sociale Revolution als unvermeidlich an: „Der Individualismus in religiösen Dingen, den daS 16. und 17. Jahrhundert entwickelte, führte im 18. Jahrhundert zu der Bildung des subjektivistischen autoritätsseindlichen Standpunktes in politischen Fragen, und das 19. Jahrhundert leitetet! diese Grund anschauung aus das sociale Gebiet über. Die geschichtliche Er fahrung hat gezeigt, daß solche Jdeenströmungen nach Aus gestaltung drängen. Auf die politische Revolution wird die sociale Revolution folgen." Dann der Trost: „Sollte die Socialrevolution zum Siege kommen, so wird ihre Herrschaft ganz gewiß wieder zerbrochen werden. Schon SSS-S-SS 1 nach kurzer Zeit wird man die Utopien ihrer Propheten daran er- kennen, daß dieselben ebenso wenig die Menschen zufrieden machen können, wie es die bisherigen „reactionairen" Regierungen vermocht haben. . . . Gerade dann, wenn durch einen Sieg der Social- demokratie die autorität-feindliche revolutionäre Theorie bis zu ihren letzten Consequenzen gediehen ist, darf man erwarten, daß die Stunde des Generalmarsches für die Rückwartsbcwcgung geschlagen hat. Ter Subjektivismus, dessen erste Knospe sich 1517 zeigte, wird sich dann auf allen Gebieten vollständig entwickelt haben — auf dem religiösen, politischen und socialen. . . . Was reif, überreif ist, füllt ab und verwelkt. . . . Wie sich die Dinge im Einzelnen entwickeln werden, kann Niemand auch nur annähernd Vorhersagen. Nur Eines wissen wir als katholische Christen: das „non pruevalebuvi", und damit hängt unsere Ueberzeugung zusammen, daß, wenn die Wasser der Revolu tion und des Antichristenthums den höchsten Stand erreicht haben werden, Gottes Hilfe — d. h. eine Wendung zum Besseren — am nächsten ist. Bevor man erwarten kann, daß die Welt zur religiösen Autorität wieder zurückkehrt, kann man als wahrscheinlich er achten, daß sie sich in Nutoritätslosiykeit ganz über nommen haben wird; denn gerade wer bis an den Hals im Sumpfe hat waten müssen, empfindet am lebhaftesten daS Wohl- thuende trockener Kleider." Die „Germania" Kälte statt der vielen Worte, die^ sie macht, ihr Meinen und Wünschen in dem engen kurzen Satze zusammenfaffen können: „Es muß alles socialdemokratisch „verrungenirt" werden, ehe die Alleinherrschaft der Kirche anbrechen kann". Da sie den Sieg der „religiösen Autorität" will und den socialdemokratischen Triumph als notbwendige Vor aussetzung dafür ansieht, so muß sie auch den letzteren wollen. Wir werden darüber nicht mit Ultramontanen streiten, auch nicht über die verkehrte Auffassung, daß der Subjec- tivismus seinen Höhepunkt in dem Siege des jede Freiheit des Individuums begriffsgemäß auszuschließenden Collectivismus erreichen könne. Für uns liegt der Schwer punkt der ultramontanen Auseinandersetzung in ihrer praktischen Bedeutung für die Gegenwart. Und die besteht in nichts Geringerem, als in dem Eingeständniß, daß der KlerikaliSmus heuchelt, wenn er behauptet, die Socialdemokratie bekämpfen zu können und be kämpfen zu wollen. Er kann eS nicht, weil nach seinem Eingeständniß der Kampf aussichtslos ist, und er darf es nicht, weil er den vollen socialdemokratischen Erfolg zu dem eigenen endlichen Erfolg zu brauchen vermeint. Im Lichte einer Geschichtsauffassung, wie der von der „Germania" kund gegebenen, versteht man die Unterstützung socialdemokratischer Candidaturen durch das Centrum, aber allerdings nock weniger als sonst eine Regierung, die von dieser Seite etwas gegen die Svcialrevolution hofft, weil die klerikalen Wort führer in der Regel nicht die Offenherzigkeit zeigen, wie sie in dieser zum Pfingstsest von dem Hauptorgan des Cen- trumö veröffentlichten Betrachtung zu Tage tritt. Deutsches Reich. Berlin, 29. Mai. Verfolgt der Antrag deS Abgeord neten Groeder hinsichtlich der Erweiterung des Ein flusses des Laienelements in der Strafrechts pflege agitatorische oder praktische Zwecke? Man wäre versucht, das Erstere anzunehmen, denn das Centrum, das bemüht ist, das Bürgerliche Gesetzbuch in reaktionärem Sinne zu verschlechtern, hat ein Interesse daran, sich bei einer anderen juristischen Materie als „liberal" aufzuspielen, um ein gewisses Gleichgewicht herzustellen und Denen, die nicht alle werden,auch weiterhin weiß zu machen,daß es eine „Volks"partei sei. Verfolgt der Antrag aber praktischeZwecke,d.h. wünschen die Antragsteller, daß ihr Vorschlag nicht nur den Beifall deSReicks- tages, sondern auch die Zustimmung der verbündeten Regie rungen finde, so müssen sie für die große Erweiterung der Thängkeit der Laien ein Gegengewicht durch die Beseitigung der Schwurgerichte schaffen, einerseits, um den Regierungen, denen die Schwurgerichte zumeist nicht sympathisch sind, ent- aegenzukommen, andererseits, um das Laienelement zu ent lasten. An sich ist der Gedanke, nach dem Muster der bis herigen Schöffengerichte auch die Strafkammern und Straf senate in Gerichtshöfe mit einer Besetzung aus Berufs juristen und Laien umzuwandeln, ein ganz gesunder. Gerade in der Strafjustiz, wo die specielle juristische Schulung durch ein rasches Erfassen, logisches Denken und Welterfahrung lheilweise ersetzt, wenn nicht völlig ausgeglichen werden kann, ist eine breitere Entfaltung des Laienelements Wohl möglich. Dafür, daß die juristischen und gesetzlichen Grundsätze zur Geltung kommen und daß nicht ein oft übel angebrachtes Mitleid, das nur zu leicht in die Seele des Laien Eingang findet, dem Wallen der Gerechtig keit Eintrag thun, werden die mit den Laien zusammenwirkenden Beruföjuristen zu sorgen haben. Daß das in genügendem Maße geschehen werde, wagen wir nach unseren persönlichen Er fahrungen bei Berathungen der Schöffengerichte wohl zu hoffen. Auf der anderen Seite halten wir die Bcsorgniß, daß ein Ueberwiegen des juristischen Elements die Thätigkeil der Laienmitqlieder illusorisch machen würde, für völlig un begründet. Erstens nämlich genügt ja eine Minorität zur Freisprechung eines Angeklagten. Wenn also bei einer Zu sammensetzung von 3 Berufsjuristen und 2 Laien die beiden Laien für Freisprechung stimmen, so haben sie mit ihrer Minorität die Anderen tatsächlich majorisirt. Zweitens aber ist es eine vollkommen theoretische Auffassung, anzu nehmen, daß die juristischen Mitglieder immer geschlossen stimmen würden. Wer Strafkammerberathungen kennt, weiß, wie stürmisch es oft dabei zugeht. Es würde also ost genug ein Richter aus der Seite des Laienstanrpunctes stehen. Wir hoffen aber auch, daß die Laien sich nicht verpflichtet fühlen würden, gegen die gelehrten Richter zusammenzuhalten, sondern daß jeder seiner Ueber zeugung und rechtlichen Auffassung folgen würde. Denn wenn man die vorgeschlagene Institution so aufsassen wollte, als ob sich nun zwei feindliche Heere entgegenzustehen hätten und als ob bei jeder Berathung auf den Lippen das Losungs wort schweben müßte: „Hie Richter, hie Laien", dann sollte man lieber von dem Gedanken eines Zusammen wirkens beider Elemente absehen; daS Ansehen der Straf rechtspflege müßte durch eine solche Incohärenz schweren Schaden leiden. Gerade dieses nicht Zusammen-, sondern Nebeneinanderwirken ist es, was die Thatigkeit der Schwur gerichte vielfacher und zum Theil nicht unberechtigter Kritik durch die Berussjuristen aussetzt. Wirft man den Strafkammern vor, daß sie manchmal vor lauter juristischer Spitzfindigkeit dein gesunden Menschenverstände nicht Rechnung tragen, so kann man den Schwurgerichten vorwerfen, daß sie manchmal, wie bereits erwähnt, das Mitleid über die Gerechtigkeit siegen lassen und darum zu ganz verfehlten UrtheilSsprüchen gelangen. Man beseitige daher beide Institutionen in ihrer gegenwärtigen Gestalt und man schaffe ein lebendiges Zusammenwirken von Gelehrten und Laien. Dann wird zweifellos eine größere Zufriedenheit mit der Strafrechtspflege herrschen, als gegenwärtig. * Berlin, 29. Mai. Ein „SuccessionSfragen und Klei nstaaterei" überschriebener Artikel deS „Hann. Cour." knüpft an die dem Rudolstädter Landtage zugegangene und von ihm angenommene Regierungsvorlage an, die den Prinzen Sizzo von Leutenberg als thronsolgefähig erklärt wissen will, und verweist aus das kürzlich in Meiningen zu Stande gekommene Gesetz, das den Söhnen des Prinzen Friedrich aus seiner Ebe mit einer Gräfin Lippe-Biesterseld die Erbfolge sichert. Während durch dieses Gesetz die Gräfin Lippe-Biesterseld in Meiningen für vollbürtiq anerkannt wird, wird ihrem Bruder in Schaum burg-Lippe Ebenbürtigkeit und Erbberechtigung abgesprochen. In Coburg-Gotha hat vor drei Jahren ein englischer Herzog das Thronerbe angetreten, und das Oldenburger Land wird, falls der Erbgroßherzog sich nicht wieder vermählt oder in seiner zweiten Ebe keinen Nachfolger erzielt, dem Prinzen Peter von Oldenburg, einem Slockrussen, zufallen. Zn Baden, in Coburg, in Reuß ä. L. und in Altenburg stehl überall die Erbfolge nur auf zwei Augen. Hiernach heißt es im „Hann. Cour." weiter: Es"ist mit einiger Sicherheit vorauszusehen, daß im Lause einer nicht allzu fernen Zeit die Mehrzahl der deutschen Fürstenhäuser er- löschen wird, während doch hei der jetzt beliebten Behandlung der Dinge an eine Verminderung der seit drei Decennien bestehenden 22 Bundesstaaten mit fürstlicher Spitze nicht zu denken ist. Diese Politik der Erhaltung auf dein »tulu» quo findet ihre Begünstigung gleicherweise von oben wie von unten. Die Motive, welche die regierenden Kreise bestimmen, liegen aus der Hand, und wenn die Bevölkerungen für die Erhaltung einer wenn auch noch so beschränkten Selbstständigkeit eintrrten, so fallen hierbei die Gründe materieller Art mindestens ebenso InS Ge- wicht wie die ideellen. . . Auf dem Wiener Congreß 18l5 wurde kurzer Hand eine Reihe von deutschen Fürstenhäusern mediatisirt, indem man ihre Ländchen dem nächstgelegenen größeren Staate einverleibte. In der darauf folgenden halbhundertjährigen Periode starb noch dies und jenes Geschlecht aus; so ward aus vier anhaltijchen Ländern mit der Zeit daS einzige Anhalt-Dessau, und heute lebt als alleinige Repräsentantin aller jener erloschenen Häuser in Ballenstedt nur noch die 85jährige Wittwe des letzten, 1863 verstorbenen Herzogs von Anhalt-Bernburg, eine holsteinische Prinzessin und Schwester des Königs von Dänemark. Jetzt ist das anders, weder wird mehr mediatisirt noch annrctirt; auch die Successionsverträge, nach welchen beispielsweise die sächsischen Herzogtümer in absehbarer Zeit ebenso verschmelzen würden, wie es einst mit den anhaltijchen Ländern geschah, sucht man in guter Manier zu umgehen, um Livpe-Tetmold und Schaumburg-Lippe, Schwarzburg- Rudolstadt und Schwarzburg.Sondershausen dem deuschen Reiche auch ferner in getrennter Selbstständigkeit zu erhalten. Die Fürsten wollen es so und auch „ihre Völker". Uebrigens sind wir durchaus nicht der Ansicht, daß der Erfolg dieser Bestrebungen nur Schatten seiten aufzumcisen hätte. Was aber von Reichs wegen zu be- jeitigen wäre, das ist der Zuzug nicht-deutjcher Fürst- lichkeiten auf deutsche Fürstenthrone und der völlig antiquirte Begriff der Unebenbürtigkeit. Die „Unebenbürtigkeit" gehört zu den vorsündfluthlichen Ideen, an dteNiemand mehr glaubt, Feuilleton. Dichterstimmen aus dem Volke. Nachdruck verboten. II. Manche der Bechert'sch en Lieder sind ganz Stimmung, so daS an Hölderlin'sche Classicität gemahnende „Im Haide kraut", in dem eS heißt: An sonniger Haide, Lag ich in träumendem Sinnen, Umduftet, umblüht Von röthlich flimmerndem, Herbstlichem Haidkraut, Von Faltern umspieltem, Äoldleuchtendem Ginster; Und nickend hindurch, Auf schlankem Stiele Eine einsam träumende Glockenblume — Die liebliche blaue Blume de« Märchen-. » Ring- um mich so still; Nur leis' durch die ernsten Tannen, Die lächelnden Birken Jetzt ein verlorner Ton Ein sanfte«, rinlullendeS Vogelgezwitscher. So still, daß mein Ohr es hört, Wenn leise rin welke- Blatt Vom Baum zur Erde flattert; So still, daß es vernimmt Im Tann des Käfers Gebohr, Im Moo- der Eidechse flinke«, Raschelndes Gleiten, Der Biene Gesumm, die emsig Sich tummelt im leckeren Haid kraut. DaS ist gewiß eckte Poesie, die kaum übertroffen werden kann. Man wird bemerkt haben, wie eindrucksvoll Bechert die Tonmalerei zu handhaben versteht. Ein wahres Muster in dieser Beziehung ist daS grandiose Gedicht „An die Wetter wolke", auS dem wir nur folgende Strophen citiren: Die du dort oben, vom Abend her, Dunkel heraus am Himmel schwebst, Finster, drohend, verderbenschwer Hoch die rauschenden Flügel hebst — Wetterwolke, sage wohin Deine nächtliche Bahn du ziehst, Sage, was Arge« brütet dein Sinn, Daß du so drohend zur Erde siehst? Immer wachsend noch — riesengroß, Schwarz von schwefligem Rand umlobt — Wehe, wenn heut dein dunNer Schooß Flammenspeiend verderben droht! Weh', wen heut deine Stimme schreckt Bon dem Lager mit Donnermacht, Wen dein zündender Blitzstrahl weckt Auf vom heiligen Schlaf der Nacht. — Wetterwolke, flög ich wie du Frei durch die Luit hin, fesfello«, Flügelraufchend dem Himmel zu, Fluch und Segen bergend im Schooß! Süßerquickenden Trost ich brächt', Wa« verschmachtend zum Staub sich bückt — Nieder auf Alle-, wa« foul und schlecht, Meine flammende Kling' ich zück'. Einig« kleine stilistische Härten übersiebt man in diesem Gedicht gern vor der Großartigkeit der Anschauung, dem mächtigen Schwung der Phantasie und der natürlichen, nicht gesuchten Kraft der Sprache. Dieser „HymnuS" läßt er kennen, daß Bechert keinen Fehltritt thun wird, wenn er die engen Grenzen des lyrischen Liedes überschreitet. Wir haben jedenfalls noch Manches von ihm zu erwarten, hoffentlich versucht er seine Schwingen noch öfters zu höherem Flug! Stark ausgeprägt ist bei dem durch und durch deutsch empfindenden Dichter der Heimath- und Familiensinn, und im poetischen Ausdruck dieses schönen Zuges findet er mit Glück auch ernste, ergreifende Töne, z. D. in dem Svnett „Meiner Schwägerin Anna": Dir ward auf Dornen oft Dein Pfühl bereitet, Du Liebe, Du, doch hört' man nie Dich klagen. Liebreich und warm hat stet- Dein Herz geschlagen, Ein frommer Sinn durch'« Leben Dich geleitet. Und dann, als es Dich traf — unvorbereitet Die gute Mutter starb, da, ohne Zagen, Hast muthvoll gläubig Du Drin Kreuz getragen Und den Geschwistern weich das Nest bereitet. Gar muthig hast gekämpft Du und gestritten Und nie gefragt, wa- gebt ihr mir zum Lohne? So laß auch etwa« denn für Dich erbitten: Daß all' Dein Müh'n Dir einst der Himmel lohne, All' Das, was Du getragen und gelitten, Daß floh Du sprechen magst: Durch's Kreuz zur Krone! Aber wenn eS gilt, keck und übermüthig und mit schalk haftem Lachen in die Saiten zu greifen, da ist der Dichter doch noch mehr in seinem Element. Man lese nur seinen „Jungwinter", ein prächtiges Gedicht, daS beginnt: Sage, Winter, wa« ist das nur, Daß du Heuer so faul und träge? Nebelverschleiert liegt Wald und Flur, Triefend di» Bäume, grundlos die Wege. Murrend am Thor steht der Buben Troß — Regen und Nebel zu allen Seiten! Möchten lieber aut stählernem Roß Ueber die blühende Eisbahn gleiten. Raff' doch, Fauler, vom Schlaf dich auf. Heb' dick empor au« der schlammigen Pfütze, Laß deinen Zauberkräften den Lauf, Echleud're vom Haupte die Nebelmühe,c. Doch genug der Proben! Wir müßten sonst annähernd die ganze Gedichtsammlung abschreiben. So viel ersieht der unbefangene Leser schon au« dem Dargebotenen, daß Schrattenthal keinen Fehlgriff gethan hat, al« er Bechert an dir Spitze seiner Sammlung von Dichtrrstimmen au« dem Volke stellte, und daß die Blüthen, welche hier aus dem > Boden deS BolkSthümlicken hervorsprießen, de« Ansehen- und des Aufhebens schon werth sind. Es ist keine Frage: Der Herausgeber hat sich eine dankenswerthe, literar- und culturhistorisch bedeutsame Aufgabe gestellt mit dein Streben, alle die Sänger und Sängerinnen aus dem Volke, soweit es ihre Begabung als gerechtfertigt erscheinen läßt, zu der ihnen gebührenden Anerkennung zu verhelfen und das Geistesleben der unteren Stände nach seiner idealen Richtung durch Herausgabe der poetischen Aeußeruugen desselben zur leben Ligen Anschauung zu bringen. Wenn in einer Zeit, wie die unsrige, die duftlosen Blüthen der Ueberbildung ins Kraut schießen, viele Dichter und Schriftsteller in einer Sprache sprechen, die dem großen Volke schon allein durch die grassirende Metaphernseuche kaum ver ständlich ist, wenn in einer solchen Zeit das Volk zur künst lerischen Selbsthilfe zu greifen scheint, darf das nicht Wunder nehmen. In der That singen die Vertreter der niederen Gesellschaftsschichten mehr denn je, sie sagen, waS sie fühlen, denken und leiden in ungeschminkter Herzens einfalt, oder in jenen rauschenden Rhythmen, die nur echte Begeisterung oder der Herzensschrei der Noth und das Aufjauchzen der Freude hervorznbringen vermögen. Man kann jedes Wort unterschreiben, wenn Schrattenthal zur Begründung seines Unternehmen« sagt: „Diese Strömung der Geister „von unten herauf" erfordert unser ganzes Interesse. Ist cs nicht erfreulich zu sehen, wie in den Tagen deS Materialismus und des Pessimismus in den Vertretern der unteren Stände der mächtige Zug des Ideals noch lebendig ist'? Ist es für uns, die wir lange genug unsere „Modernen" auf den mystischen und pathologischen Holz wegen begleitet, nicht erfreulich zu sehen, welch' reicher Schatz an poetischem Empfinden auch in jenen Schichten lebt, die des Segens einer höheren Schulbildung nicht theilhaftig geworden sind'? Ja, uns thut eS wohl in der Schlichtheit, Einfachheit und Natürlichkeit solcher begnadeter Seelen aus zuruhen, ihren Schmerz mitzufühlen, ihre Freuden zu thrilen." DaS sind ganz gewiß beachten-werthe, für die VolkS- psychologie wichtige Gesichtspunkte, die ins Auge zu fassen auch für den modernen Volk-wirthschaftler von hervorragen dem Interesse ist. Man nimmt gemeinhin an, der praktische Atheismus, der gott- und ideallose Materialismus, wie ihn die socialistischen VolksbeglückungS-Theoretiker in allen Ton arten, de« Siege« absolut gewiß, zu predigen nicht müde werden, bereit« die unteren Schichten unsere« Volke- und auch schon einen Theil der mittleren vollständig verseucht habe und daß e« kein Aufbalten mehr gebe in diesem „naturnoth- weudigen" Zuge der Zeit. E« Ware höchst betrübend, wenn dem wirklich so wäre, aber e- sprechen mancherlei Gründe dagegen. Diese um einen sehr gewichtigen vermehrt zu haben, ist daS Verdienst Schrattenthal-, der durch die Heraus gabe der „Dichterstimmen" nachweist, daß in unserem, von den größten Dichtern und Denkern aller Zeiten erzogenen deutschen Volke bis hinab zum geringsten Bauer noch etwas vorhanden ist, was hinau-strebt und hinausringt über die profanen AUtagSfragen: was werden wir essen, was werden wir trinken, daß da noch ein guter unzerstörbarer Fonds völlig ins Fleisch und Blut Lbergegangener idealistischer Welt anschauung vorhanden ist und daß es eine Grenze giebt, an welcher die Propheten des Umsturzes auf gesellschaftlichem und politischem Gebiet, sowie aus dem des seelischen Innen lebens, des religiösen so gut wie des ethischen und ästhetischen unverrichteter Dinge, weil völlig unverstanden, umkehren müssen. Wo die Ströme der Begeisterung für alles Schöne und Erhabene, für alles Edle und Göttliche noch rauschen, da soll es wahrlich schwer fallen, die blühenden Gefilde indi viduellen, frei sich entfaltenden, bei aller Misere des Lebens sich nicht verlierenden, sondern »ud spscie aetermtLtis sich selbst behauptenden Menschenthums in ödes, steriles, freudloses Wüstenland zu verwandeln! In einem seiner tiefreligiösen, aber nicht« weniger als gesucht frommen Sonette „Lru-ita," singt unser Dichter Es geht ein Engel segnend durch die Erde, In seiner Hand ein grüne« HoffnongSrei«, Und wo in Angst und Qual rin Herz er weiß, Tritt er hinzu mit tröstender Geberde. Und froh empiängt man ihn an jedem Herde, Es schwinden Gram und Leid auf sein Geheiß, Es streift sein Hauch des Kranken Stirne leis, Der froh nun glaubt, daß er genesen werde. Manch' Strauchelnden sein treuer Arm erfaßt, Manch' müdes Herz, da- sonst am Wege bliebe. So schreitet hin der Erde holder Gast. Und stille ihm zur Seite geht die Liebe, Die Liebe, die Vie ganze Welt umfaßt, Dir süße, heil'ge, allbarmherz'g« Liebel Hört man in solchen Klängen nicht die Wasser des „ewigen Leben«", das die Apostel de« Diesseits dem Volke zu nehmen an der Arbeit sind, sanft in die Herzen gleiten? Es ist gut, daß die kostbaren Quellen solch' volkSthümlicher echt deutscher Dichtweise nicht länger im Verborgenen rinnen sollen. Wir danken dem Herausgeber für seine neuer lichen selbstlosen Bemühungen, die, wir bei Johann Ambrosius, so auch jetzt wieder gleichzeitig dahin gehen, denen, welche mit der Noth de« Leben« zu kämpfen haben, durch den Ertrag ihrer Dichtungen die Last, die auf solchen Äemüthern doppelt drückend ruht, in etwa« wenigsten- zu «leichtern. 0.8.