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Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg^ Reklamen unter dem RedactionSsirtch (lg» hpalie») 50-H, vvl den Fauntieouachrichten (6 gesrxilten) 10 Vrotzrr» Schritten laut untere« Prei«. verzeichnib- Tabellarischer und Zifserasatz uach hdherem Tarif. Ovtr«»Bella«en (gefalzt», nur «tt dar Morgen'Aaagade, ohne Pastbesürdernag 6(1.—, mit Pastbeiorderung ^tz 7(1.—. Annahmeschluß für Anzeige«: Abend-Au-gabe: Vormittag« 10 Uhr. Marge o-Ausgabe: Siachimtiag« 1Uhr- Lonn- und Festtag« früh '/,8 Uhr Bei den Filialen und Annahmestelle« je »tu« Halde Stund« früher. >»tei«t» smd siet« an dt« GzDkbttt«« zu richten. Druck und Verlag von li. Polz tu Leipzig. 87. Jahrgang. Politische Tagesschau. ' Lettzztg. L4 April. Zur Tage-sraae schreibt un« unser Berliner ^.-Correspon- denl: .Daß dir Ofstciösen neuerdings wieder kräftiger Neu wahlen und eia der Regierung günstige« Ergebniß derselben in Aussicht stellen, hat keine Bedeutung. Ebenso wenig, wenn sie .schließen", daß die ersten Anerbietungen de« Freikerrn v Hucne über den Antrag Bennigsen'« bi»au«grgangen seien Sie sind hinter demselben zurückgeblieben ünv, die darauf bezüglichen Blättermeldungen entsprechen der Wahrbeit, vom KricgSminister au« rein nnlitairischen Gründen zurückgcwicscn Worten. Dagegen sind die Andeutungen, daß in Folge dieser Zurückweisung die Ueberrinstimmuna zwischen Kanzler und Krieg« in inist er eine weitere Deschädigung erlitten, einstweilen mit Vorsicht auszunehmen. Da e« keinem Zweifel unterliegt, daß die Verhandlungen mit Frbrn. v. Huenr fortdauern, so ergiebt sich, daß derselbe mit einem zweiten Angebot hervorgctrelcn ist, und diese« läßt vielleicht den Antrag Bennigsen hinter sich Inzwischen wende! sich ein offenbar ofsiciösrr Artikel der „Post" gegen die .Hamburger Nachr", welche bekanntlich von der Anwendung neuer Grundsätze bei dem dierjährigen Ersatzgcschäst gesprochen und die Einstellung körperlich wenig tüchtiger Leute beklagt batten. Dir .Post" bestreitet im Allgemeinen Beite« unv verlangt eine Vertagung de« Unheil«, bi« die Obcrersay- Eommission da« letzte Wort gesprochen bat. Ta« Blatt muß aber zugeben, daß die stärkere Heranziehung Bedingt- tauglicher neue Vorschriften zum Schutze der Infanterie vor Herabsetzung ihrer Qualität nothweubig gemacht habe. Die Vevingttauglichen sollen in Zukunft vorwiegend den Waffengattungen zugewiesen werden, an di« erfahrungsgemäß geringere Anforderungen hinsichtlich der körperlichen Leistungs fähigkeit gestellt werten. Eine andere ofsiciöse Stimme wendet sich — voraussichtlich mit größerem Erfolg — gegen tie .Kreuzzeitung", welche einen allgemeinen Nothstand al« Grund der weitverbreiteten Abneigung gegen die HeereSreform angeführt und e« mit ihrer .konser vativen Weltanschauung" vereinbar gefunden hatte, Verständniß, wenn nicht Billigung dafür zu bekunden, daß Angehörige de« Mittelstände« kein Interesse an der Armee bezeigen, weil sie im Falle eine« unglücklichen Kriege« nicht« zu verlieren haben. Die .Nordd. Allg. Zta." geht gewiß nicht zu weit, Heim sie eine solche Sprache al« an Frivolität streifend k nnzcichnet. Reckt interessant ist ein Vergleich der effrem-conservativen Agitation mit der gegenwärtigen social- demokratischen. Während die „Kreuzzeitung" im Hinblick auf die Möglichkeit von Neuwahlen den Acheron in Bewegung setzt, befleißigt sich der schon erwähnte socialdemokralische Auf ruf einer Mäßigung, wie sie bei Kundgebungen dieser Partei bisher unerhört gewesen ist; de« socialdemokratischen Pro gramm« oder auch nur eine- einzigen seiner Puncle geschieht mit keinem Worte Erwähnung. Hier wie dort handelt e« sich natürlich um eiue Täuschung de« Mittelstände«, nament lich de« bäuerlichen." Unter dem Eindruck der zunebmenden Arbeiter bewegung und der Straßrnunruhen hat die belgische Eonstituao 5 e da« Plural-Wahlsystem mit der nothiaen Zweidrittel »Mehrheit angenommen. Die parlamentarische Berathung und Alle«, wa« damit zusammenhängt, war Neben sache und diente lediglich zum Zweck, den Rückzug der Regierung und ihrer Mehrheit einigermaßen zu be schönigen. Allerding« eröffnet« Ministerpräsident Beernaert die Atzung mit der stolzen Erklärung, dir Regierung werde vor dem Straßcnaufruhr nickt capitulirrn, aber die Turchpeitschung des Antrag« Nyssen's sah roch einer Eapitulation sehr ähnlich, und e« ist klar, daß die Regierung und die Mehrbeit der Constituante sich mit der Entscheidung der RcvisionSsrage lange nicht so scbr beeilt habe» würden, wen» nicht draußen auf der Straße der Aufruhr getobt hätte.— Wa« nun da« Sv st ein Russen'« betrifft, welche« fortan jdic Grundlage de« neuen belgischen Wahlrecht« bilden wird, so beendigt dasselbe allerdings die schwere Krisis, welche der belgische Staat soeben durch- zumachen batte, aber c« beseitigt keineswegs die trübe politische Lage, denn es bandelt sich hier lediglich um die Ainvenkiiug eine« VerlegeuheiiSiuiltclü, »ach dem dir Parteien griffe», wie der Ertrinkende nach einem Strobhalm. llnd m der Tbathat man wenig Ursache, das SystemNyssen's zu bewundern. Wa« man der alten belgische» Berfassung mit Recht vorwars, war der Umstand, daß sie zwei Kategorien vo» Staatsbürgern chus: Wähler und Nichuvähler. Das System Ryssen's chaffl aber gar drei Kategorien von Staatsbürgern: Wähler mit einer, solche mit zwei und schließlich solche mit drei Stimmen. Das neue Wahlsystem birgl also denselben Grund fehler in sich, wie das alle und au« diesem Grunde ist der baldige Uebergang Belgiens zum aUgemeiuen Stimmrecht mit dem Grundsatz „ein Mann eine Sliinme" ziveisello«. Vorläufig ist man froh, wenigstens etwas gesunde» rn baben, waS die erregten Gcmüther beschwichtigt und zur Wicdcrkebr der Ruhe und Ordnung beiträgt. Fortan hat die Constituante nur eine Aufgabe: nämlich die Liste» der neuen Wäblcr an- sertigen zu lassen und fick dann auizulvsen, denn die alte Geschichte Belgien« ist abgeschlossen und eine neue Zeit bricht sür unlcr StaalSwesen herein. Da« neue französische Cabinet hat Dank den längeren Ferien, welche Deputirteutaiiimer »»d Senat sich gegönnt haben, eine mehrwöchige Schonzeit gehabt, während dem Lande die Aufregungen deftiger parlaiiieiilarischer Kämpfe erspart geblieben sind. Diese Woche werden jedoch sowobl im Palai« Bourbon wie im Luxembourg die Be rathungen wieder eröffnet, und wen» nicht Alle« täuscht, dürsten von diesem Augenblick an die ruhigen Tage für das Ministerium Dupuy vorüber sein. Namentlich der Leiter des Finauidcparlenicul«, Peqtral, dürste einen schweren Stand vabcn, da die starken Rückzahlungen der Sparkassen, denen man vor einigen Monaten durch «in GelegenheilSgesey vergeblich zu wehren versucht batte, sowobl die parlamentarischen Kreise wie da- große Publicum ernstlich zu beunruhigen beginnen. In der letzten Decadc wurden wiederum runv ltl Millioen au» den Spar kassen zurückgezogen und nur 3V, Millionen neu eingezablt. Seit Anfang diese« Iabrc« beliefen sich die Rückzahlungen, welche allein die Oainss cke» Ospüt« et OousjWati»»» zu leisten batte, ans runv 180 Millionen Francs. Z„ diesem Zwecke mußte sie einen emsprechenken Betrag an Renten verkaufen, wodurch nicht blo« -ie Rcntcnbesiycr belrosfen werden, sondern auch die geplante Coiivcrsio» der 1>/, proc. Rente für absehbare Zeit unmöglich gemacht wird Die Er sparung von 80 Millionen jährlich, welche die Regierung von der beabsichtigten Rentenconversion erwartete, ist also in weitere Ferne gerückt, und da auch die Verminde rung der Staats - Einnahmen in Folge der Möline'schcn Schutzzollpolitik mehr und mehr forlschreitet, so wirk der Staatssäckel von zwei Seiten geschädigt. Zudem zeigt der letzte Ausweis der Bant von Frankreich, daß die Regierung bei ibr fast kein Guthaben mehr bat. Die ihr noch gutgeschrie- benen 70 Millionen sind mit neu anSgegcbrnen Tresorscheinen gedeckt, wabrrnd sie gegen daö Ende des vorigen Iabre« noch 235, Millionen bei der Bank liege» hatte. All' die» bietet Handhaben z» Angriffen gegen die Finanzverivaltung. Sollten die Kämpfe fick scbr in die Länge sieben, so dürfte die Re gierung ibre Absicht, da» Budget für >8Ut noch vor Schliff; der Kaiiiiiiersession zu Stande zu bringen, kaum verwirk lichen können. Der Oberbefehlshaber der Franzosen in West afrika, General DotbS, muß nun selber zugebc», daß König Bcbanziil sortfäbrt, i»i Norden von Abomcy den Franzosen heftigen Widerstand zu leiste», ja sogar seinerseit« wieder angrissswcise vorg-kl. General TvtdS, der schon längst nach Frankreich abreisen wollte, ja abgereist sein sollte, uni über die Gcsaiiimllage Bericht zu erstatte» und aus Grund seiner Erfahrungen Raibschläge zu ertheilen, was mit dem „eroberten" Lande Dabomcy werden soll, meldet jetzt selbst, bas; er seine Abreise .um mehrere Tage" zu verschieben sich genötkigt sehe Diele Eroberung bringt den Franzose» bis jetzt keinerlei Nutzen, verursacht aber dauernde Opfer a» Blut und Geld. Offenbar ist dem König Bcbanzin i» den nnwirtblichc» Gegenden von Norddabvinen nicht beizukommcn, und die Besetzung auch nur teS Landes südlich von der Hauptstadt Aboniey erfordert etwa k — 8 Millionen Francs jährlicher Ausgaben. Behanzin seinerseits scheint sich aber um cm Abkommeu mit den Franzosen nicht im Mindesten zu bemUben. was er sicherlich erzielen könnte, wofern er nur die Küste de» Franzosen unbedingt überließe. Bi« jetzt stellt sich demnach Dabomest in aller Form al« ein zweite« Tont in sür den französischen Staatsschatz dar. Eine Aenterung ist aber für die nächste Zukunft gar nicht ab- zuscheii. eingereicht. Anlaß bot, wir bereit« bekannt, die Weigerung de« König« O«tar. den vom Stortding angenommenen Vor- chlägen i» Betreff Errichtung rmc« selbstständigen norwegischen ConsulatSwesen« seine Genehmigung zu ertbeilen Der durch diese leidige Frage seit bald Iabreosrffl herausbeschworene Unionsconstict zwischen beiden Brudrr- staaten ist somit wieder i» «ine neue Phase getreten. König O«kar sah fick, alsbald den Kestiasten Angriffen der radikalen Blätter aus da« Königthum in Norwegen gegenüber. „Dagbladel", da« ministerielle Organ, hielt e« für geboten, Abstriche an der königlichen Civil- liste zu erörtern und die Frage vom .Nutzen de« Königthuins für Norwegen" auszuwersen; Verde»« Gang sagte dem König rundweg, er dürfe nicht darauf rechnen, daß da« Slorthing einen Beschluß ausgebr, der ganz gesetzlich sei. Auch dürfe er nicht kosten, daß eine Spaltung in der Mehrheit de« SlortkingS die Lage verändern werte. E« könnten in der Mehrbeit die Mei nungen über die Nvtbwendiqkcit der Ausnahme der Con- sulatesache gerade in diesem äabre gethcilt gewesen sein; sei dies aber einmal beschlossen, dann stehe die ganze Linke und da« Volk zusammen und setze seine ganze Kraft eia, um den Willen de« Stortbmg« durchgeführt zu bekommen. Solchen Drodungcn gegenüber dem Stortding-Beschlusse in der Con- sulaissrage seine Genehmigung zu versagen, war der König schon seiner Würbe schuldig, selbst aus die Gcsahr bin, den Cvnsiict von Neuem zu cntsachcn. Mutbmaßlich dürste der Königs da« EutlasiungSgksucb de« Cabinei« annebmen und de» Ltortdiag-Präsibenten Nielsen mit der Neubildung de« Ministerium« betrauen. Da das Crgebniß der Abstimmung über die Home Rule-Borlage im englischen Unterhaus schon im Voraus sestgestcllt war, io herrschte weder innerhalb »och außerhalb des Hauses d,e Begeisterung, wie zur Zeit des An sturms Salisburys »» vergangene» August. Das Haupt- crcigniß der Vcrbandlung war unstreitig Gladstone'« Rede. Der greise Premier, frisch und fast jugendlich, im Abciidanzug mit einer Blume im Knopfloch, hielt eine ll/estü»Lige Rede, die nach dem Zeugniß der konservativen Blätter cvic hervorragende Krastanstrengung war und von der Lebenskraft und Vertrauensseligkeit des Redner« einen neuen Be weis ablogtc. Selbstverständlich gilt den liberalen Organen die zweite Lesung als der Weiibepuiict für die irisch-britischen Be ziehungen, aber die »leisten Liberalen tbeilen diese Ansicht nicht, stimmte» jedoch sür die zweite Lesung, weil die Vorlage im Obcrhause scheitern wirv und sie mittlerweile Zeit für die britischen Gesetzentwürfe gewinne», welche durch Gladstone'S Sturz in Frage gestellt würden. — Der »i diesen Tagen ver storbene englische Staatsmann Lord Derby batte sich längst au« politischen Gründen, sowie wegen seine« Alter« und seiner Kränklichkeit an« dem öffentlichen Leben zurückgezogen, sodaß sein Tod obne irgendwelchen Einfluß aus die Tagespolitik ist. Er war zeitlebens mehr phitosopkischcr Professor atS ein praktischer Staatsmann, ibm mangelte daher gänzlich die Sympathie teS Volkes. Derby Hane nur wenige Freunde, für deren Schwächen er ein schärferes Auge batte als sür die Fehler seiner Feinde. Er litt an einer übergrcße» Ge- wisscnbastigkcit, welche die Initiative und die Enlschlubfähig teil überwucherte»; er starb vereinsamt. In Christiania ist die jüngst von den dortigen Blättern vorauSgcsagte CabinelökrisiS ailögcbrochc» und daö radikale Cabinel Steen bat sein Entlassungögesuch Deutsche- Sketch. * Berlin, 23. April. Herr Pres. Ilr. Gustav Sch moller ist von einem Mitarbeiter der Wiener .Deutschen Zeitung", Herrn. Bahr, über seine Stellung zur Iudensragr befragt worden und bat dabei folgende Auskunft erlbeitl: .Ich kann Ihnen eigentlich wohl kaum etwas Neue« sagen. Sie finden meine Stellung zur Iudensrage in meinem Aussatz über LaSker (.Zur Social- und Gewerbrpolilik der Gegenwart") erörtert; über die eigentliche Grundfrage de« Znsaminen- wobnenSver sck> icde ii er Rassen werde ich demnächst wohl ein Mal mich bssentlich aussprcchen. Diese Frage, ob ver schiedene Rassen mit Vortheil oder nur mit gewissen Rachtheilen und Gefahren einen Staat bilden, durcheinander wohne», verkehre», sich vermischen können, ist von der Wissenschaft »och laiige nicht genug erforscht und erörtert, um ein abschließen de« Urtheil zu gestatten. Daß da« Durchcinanderwohnen, tie Mischung und Kreuzung von Rasse», welche physisch» geistig und moralisch sehr weit von einander abslebe», schwere Gefahren sür Staat und Cultur bringe» muß, scheint wohl unzwcisclbasl. Führt doch Hehn den Niedergang Rom« in den Jahrhunderte» der Kafferzeit daraus zurück; baben doch die älteren indische» Culturstaaien deshalb die schroffsten Ver bote de« Coiinubium», die strenge Scheidung der Raffen an- gcordnel. Was aber die Juden betrifft, so wäre zweierlei zu untersuchen: 1) ob ihre Zahl eine zu große sei, um sic zu verdauen und zu assimiliren, und 2) ob Germanen und Semiten von einander wirklich in einem solchen Maße verschieden sind, daß die Mischung ungünstig wirlte. Bei einem mäßigen Zusatze mit bei einem geringeren Grade von Verschiedenheit kann ja die Mischung auch große Vort heile bieten, und tie Juden haben gewiß manche Eigenschaft, deren Ausnahme in den ' VolkScha»alter, in die Sitten und Gewohnheiten sür die Indo- Feuilleton. Lady Sibylle. Noma» von L. Schroeder. Nachdruck «nbolrn. Erste« Buch. 1. Capitel. Eia heiterer Septembernachmittag an der Südküste von Devon, der Perle englischer Grafschaften. Zu unserer Linken haben wir da« Meer, tiefblau wie der wolkenlose Himmel, den e«widrrspiegelt. Leise rauschend zieht e« den Spitzrnsaum seiner Wellen neben un« der über die an geschwemmten Kiesel, auf denen wir Mühe haben, zu schreiten. Zu unserer Rechten heben sich die Ufrrfelsrn. Sie schimmern in allen Abstufungen eine« köstlichen Roth, da« durch den Eonlrast der dunkrlviolettrn Schatten, die in den Spalten unv Höhlen lagern, jetzt im grellen Sonnenschein fast augen- dleadcnd wirkt. Hie unv da springt ein malerischer Ausläufer kahl und nackt in da« Meer, die Hauptwand bleibt un« treu zur Seite, b>« sie auf einmal weit — lbalweit — au»einanderklafft. Ein Flüßchen drängt sich hervor. E« ist, al« wolle e« un« quer über den Weg, allein e« besinnt sich eine« Höflicheren. Im Nu ist r» verschwunden, und unter dem Kieselgeröll, das un« trägt, sucht r« fick im Finstern sein Endziel. Nun aber kebren wir dem Meere den Rücken, und es lohnt sich der Mühe. In irgendeinem gedruckten Führer durch Devon steht über da« entzückend« Thal da vor un« zu lesen: .Es ist «in kleine« südliche« Paradir«, in dem der Winter unbekannt ist." Wir glauben e« gern, den» wo sollte wohl der Nordwind her mit seinem Schare, oder der Ost mit seinem EisrSalhrm? Die Hügel halten ja so sorgsam Wacht, daß nur dem milden Süd die Paffckge sreibleibt Solch saftige Wiesen, solche Weizenfelder zwischen Dlumen- bccken, solche düstrrragend« Ulmen und immergrüne Eichen baben wir nirgend« gesehen, und daß irgendwo in Alt - Eng land die Fuchsie zum Baume würde, daß man zwischen Lor beer» und Myrten wandelte und Feigen äße von seinem eigene» Feigenbaum, hätten wir nirnial« gedacht. E« ist den Kindern Albion« eigentlich nicht »u verargen, daß sie sich inmitten dieser Schönheit ein Seebad angelegt habe», «wer gewisirrmaß«» schade ist e« doch auch. Die Weißen, blumenüberrankten, bergankletterndcn Villen wirken ja reizvoll genug, allein die große», steifen Hotel« und Bate- väuser, die schnurgeratc Dcichpromenade, die dicke Gaösabrik sind ebenso viele Flecken auf da» Bild gesetzt. Doch, wo fände nian die Schönbcit wohl vollkommen? Wir fragen c« un«. und — unser Held und Landsmann Richard Waldstedt, fragte sich « auch. Freilich Ware» c« nicht landschaftliche Reize, die ibn im Augenblicke beschäftigten. Er war soeben an« dem Hotel „Zum Herzog von Kcnt" getreten, schritt »un gemächlich die Promenade entlang und dachte im Schreiten: „Es ist vier Uhr Nachmittag« — nach de« Wirthe« Aus sage die Stunde de« Flaniren« und Evqueliiren« bicr am Strande. Wir sind mitten in der Saison, und statistisch nachgewiesen scheint'», daß in diesem Iabre in Salimoutb aus eine» männlichen zebn weibliche Badegäste kommen. Uebcr- mäßig unbescheiden wäre e« also nickt, wenn man erwartete, unter der gesammten anwesende» Weiblichkeit eine einzige Schönheit zu finken, vor der man den Hut abzieken töniiie, aber — Mutier Natur macht'« hier wie überall. Hat sie ein hübsche« Stück beinake fertig, so verpfuscht sie es rasch noch rin bischen — wie Figura da zeigt: Ein reizende« Krau«- köpschen auf eine ellenlange Hopfenstange gesetzt! Unv da Wieder! Teufel noch einmal! Auge» wie strahlende Sonnen mit rußigen Fingern in ei» Mulattenacsicht gedrückt!" So spottete er weiter, wäbrend die Krilisirten ihm aknungS- loS Böse« mit Gutem vergalten. Seine stattlichschönc Er scheinung, sein freier Gang, die edle Haltung, La« vornebm geschnittene bräunliche Antlitz mit dem schwarzen Schnurrbart und den Jalkenaugen unter buschigen Brauen vcranlaßten fast eine Jede, sobald er vorüber war, den Kops bewundernd zu dreben, und dann gab e« allemal eine Geflüster mit der Be gleiterin — etwa in dieser Weise: „Sicher einer von den Gasten in Walstonc Abbey! Oder sollte er gar nach CarSbrookc Court gehören? Wenn e« der Herzog von Bangor selber wäre!?" Einen leibhaftigen Herzog von Angesicht zu Angesicht gesehen zu baben, da« ist ein Gedanke, um da« Herz einer lungen Britin vor Wenn« beben zu machen. In diesem Falle war er leider nur nicht baltbar. Man ninßle sich sagen, daß der Herzog von Bangor kaum majorenn sei und der interessante Fremde sicher schon die Dreißig überschritten bade. Da« batte er nun auch in der Tbat, allzuweit war er nicht mehr von seine« Leden«wege« Mille. So etwa« siel ihm selber plötzlich ein, und er fragte sich mit Ironie, ob er nicht uu Grund« er« bischen zu alt und zu gewltzig sei sür da« Studium, da« er treibe und bei dem erfahrungsgemäß ja doch nickt« berauSkommc als ein wüster Kopf und ein Herz voll Verachtung — Welt-, Menschen-, Selbstverachlung. Weiter fragte er sich, wa« ib» eigentlich ans Deutschland sortgetriebe» habe, und wa« für ein Brief e« sei, den er in der Hotrltbür vorhin in Empfang genommen und, nachdem er den ersten wütkenren Impuls, >t>n zu einem Klumpe» ge ballt von sich zu schleudern, überwunden — in dir Brust- lasche geschoben hatte. Ein bitter böbnischeS Auslachen culsubr ihm, und stall seine SchönbeilSforschliiigen sortzusetzc», tbat er den kurze» Sprung aus den Strand hinunter. Die Kiesel stoben weitlnn aiiScinander unter seine,» Gewicht, und zwei Backsischchc», die abuiingtloS a>» Wellcnsauiiie entlang gewandelt käme», fuhren kreischend zurück. Höflich um Verzeihung bittend, trat er zur Seite »nv machte, während die Dämchcn mit nieder geschlagenen Auge» errötkenv an ihm vorüberlrippelten, die Bemerkung, daß die Kleinere von den Beiden wirklich recht passabel sei. Hinterher nannte er sich kann einen unverbesser lichen Narren »nd lackte wieder, aber schon mit weniger Bitterkeit. Die Erinnerung — er merlte e« niil Genuglhuu»^— Halle nicht mebr tie Macht, ibn dauernd a»szureacn. Sag und Nacht halte er sich mit ibr beruiiischlagen müssen in der ersten Zeit, jetzt zog sic in einer flüchtigen Zorneswolkc an seiner Seele vorüber. „Die Heilung schreitet gut vorwärts, finkest Tu nicht, meine Kolke Irene?" böbnte er, die geballte Faust aus die Brusltasche pressend, daß der Brief darin börbar knisterte „Vierzehn Tage — länger, meine ick, wäre cö noch gar nickt her, seitdem Du mir dir kleine Ucbcrraschung bereitetest! Ha, ba, ha! Wenn c« so sortgcbl. so tanze ich in nochmal» vier zehn Tagen auf Deiner Hochzeit!" Ein Triumpbblitz schoß unter seinen düsteren Braue» hervor, und in sekr gebobener Stimmung setzte er seine Wanderung fort. Sie war nicht ohne Zweck. Denn durch Zufall batte er vorhin erfahren, daß ein guter Freund au« seinen Iugendjahren ganz in der Nähe hier Hause. Diesen auszusuchen, war er im Begriffe Quer über Laub hätte er sei» Ziel rascher erreicht, aber der Küstrnweg war ihm ver lockender erschienen. Menschen begegneten ibm nickt mebr, Stadt und Tbal lagen bald dinier ibm. Recht« ragten tie Felsen, link« dehnte sich da« Meer — spiegelglatt wie ein Binnensee. In der trotzig brrautsordernten Laune, in der er war, hätte er e« bi« in di« tiefsten Tiefen aufgewühlt sehen mögen, mit der ganzen Macht seiner wilden Wasser gegen die Felsen prallend, statt ihnen schmeichlerisch um de» Fuß z» scherwenzeln. Tic Felsen wiederum wahrten nickt durchweg streng ibren Ebarakler, sondern ließen nach oben bin allzu deutlich merken, daß sie nur da« steinerne Herz de« Hügel« waren, welche« daö Meer bloßgelegt halte Schroff und jäh genug schosse» sie empor, aber stall in wildlaunigen Nalursculpturcn »u endigen, rundete» sich in der Höbe die scharfen Linien, über de» rotben Stein schichtete sich rotbe Erde, und die letzte» Härten deckle «in Mantel au« Gras und Moo«. Ganz Felsen — ganz nackt und wild und kühn erschienen sie »ur, wo sie sich, eine Bucht zu schließen, gleich Riesen- ungelbüme» quer über de» Weg warfen. Vor solch' einem klugetbiim — man sab ebne allzu große Mühe einen ruhende» Löwen heran«, der mit der vorgestrcckten Tatze weit binau« in da» Meer griff — stand Richard Waldstedt still. Er überzeugte sich, daß c« vier unten am Strande sür ibn kein Vorwärts mebr gab, hielt kurze Um schau und sing dann an, einen der Zickzackpsadc binanzuslcigcn, die tie FrüblingSwasser auSböhlcii und die da« Fischervolk der Küste sich nutzbar macht. Zum Fußverrcnlen w»r eS wegen de« herabgeschwemmten SleingerölleS i»i Uebrigen für einen schwindelfreien Kops eine ziemlich harmlose Kletier- perrlie In einiger Hobe überlagerte auch schon eine Erdschicht daS Gestein, und die Vegetation balle hier einen Vorposten aufgeslcllt in Form eines Ginstcrbuschcs. Im Schatten dieses GinslcrbuicheS ließ sich Waldstedt nieder. Der Löwe erschien vo» kier aus wie ein unsörm- licker Koloß, aber das Panorama, soweit cS in seinen Ge sichtskreis kam, war von überraschender Wirkung. Nun erst befand er sich in Wahrheit in einer Felscnwildniß, denn nun batte er den weichliche» Abschluß teS Ganze» im Rücken, und das Schroffe, Spitzzackige. Wildphantaslische de« Einzelvor- spriligendcn siel klar in daS Auge. Sowohl die größere Bucht, au« der er herausgesticgen, wie die kleinere, zu der die Löwentatzc ibm den Zugang vrrszerrt balle, zeugte» von der Cyklopenarbeit des Meere? — Liese« McercS, da« sich da so ohnmächtig gebeitete, au« seinem Diamaulcnaugr so fromm und rabi» auswärts blinzelte. „Wenn ick ei» Laster Haffe vor allen Lastern", sagte Richard Waldstedt, nach dem Meere hinnickend, „so ist e« die Heuchelei — die Falschheit!" Dabei erinnerte er sich de« Briese«, den er noch un gelesen bei sich trug, und ingrimmig auslachrnd zog er ihn hervor. (Fortsetzung folgt.)