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1434 nämlich ein ziemlich leidlich erträgliche- Aeußere, aber von feiner Mutter zu einem ungebildeten Menschen erzogen, quattfickte sich der junge Patricier in seinen plebejischen Manieren zu einer jener unausstehlichen Personagen, gegen die man vor Kurzem Sßeckbri-fe nebst Signalement gelesen zu habm sich erinnern wirb. Aber eben diese Manieren sind e-, die die sogenannte gut- Gesellschaft willig erträgt, weil der junge Schneffel der Eli,- der Crbme der dautv voläs de- Mittelstände- der Stadt angehört. Seine Re ferenzen sind so proper, daß man ihn elnladet, und da er nun eingeführt ist, muß man ihn wieder einladen, wenn auch sein neuliches Betragen in der That -twa- Außergewöhnliche-, auf deutsch ExtraordinaireS hatte. Unsere Cirkel — Apropo-, Sie irren, lieber Herr — Sie wissen wie Sie heißen, — wenn Sie glauben, ich spräche von unseren Cirkeln in verächtlich spöttischem Tone. Nicht rühr' an! Ich befinde mich sehr wohl in unfern Cirkeln — unser, birkel wollen nun einmal die praktische Einrichtung des )u»to wiUsu nicht adoptiren, ExtraordinaireS an diejenige Luft zu setzen, die für solche Auswüchse außergewöhnlich gesund zu sein pflegt. Ich entsinne mich au- der Hofluft eine- einzigen außer gewöhnlichen Falles, wo die Kohlensäure in einigen Seconde- lleutenanrs auf Ehre so massenhaft war, daß sie «inan unange nehmen Hofrath der vierten blasse der Hofrangordnung au- der Hofluft eine- HofballeS in die gewöhnliche Luft de- Schloßhofes hinausdrängelten, und außer dem Kohlengesäuerten krähte kein Hahn auf dem Schloßhofe darüber. Also warum drängelten Sie nicht, als der junge Schneffel unangenehm wurde? Jeremias, der die bekannten zwei Franzbrödchen acht Tage nach dem letzten FamilienbaUe in seiner Fracklasche fand, konnte nicht den Anfang machen, weil Dorinka Schneffel- LouiS protegirte, und die Familien Jmmerda, Wlsserfeind, Hahnemann und Nadelstein konnten auch nicht den Anfang machen, weil sie Töchter hatten, d. h. weil Louis doch eine ziemlich „gute Partie" genannt werden konnte, und man doch nicht wissen kann, ob u. s. w. Diese Nachsicht aus gewisser Rücksicht hatte die Folge, daß sich Schneffel- LouiS immer freier zu bewegen begann und sich auf diesem und jenem Parquet eines feinen FamilienbaUe- zu Aeußerungen und Ma nipulationen Hinreißen ließ, die auf öffentlichen Tanzbelustigungen gäng und gäbe sind, und alle- Das hatte wieder die Folge, daß Schneffel- LouiS immer wieder zu einem Diner oder Ibä ännsanl „ergebenst eingeladen wurde von Jmmerda, Wasserfeind, Hahne mann, Nadelstein nebst Frau". Heute aber war Schneffels LouiS wie umgewandelt, und be sonders pensiv war er von dem Augenblicke an, als seine Mutter, die lange mit dem alten Jmmerda geflüstert hatte, ihm ein Papier- strelfchen mit den Worten schickte: „die Verhältnisse klap pen! Mach los!" Und ich glaube anmhmen zu dürfen, daß jeder denkende Leipziger Leser für dieses Papierstreifchen dasselbe Verftändniß haben wird wie LouiS. Ja, der Doctor Spötlinger, der gegenüber saß, errieth augenblicks den ganzen Handel, ohne ein Wort der mütterlichen Depesche zu kennen. Es war ein sehr gefährlicher Mann, der Herr Doctor! „Ein lieber, angenehmer, netter junger Mann, der junge Schneffel!" sagte der Doctor vertraulich zu seiner Im Schweigen verharrenden Nachbarin Frau v. Wichtig. „Es ist ein sehr gebildeter Mann!" sagte sie und neigte sich beifällig - grotesk. „Ader dieser abscheuliche Name, gnädige Frau!" „Ja, in der That, er ist sehr eigentümlich! Jndeß . . . ." „Penetrant, gnädige Frau! Denken Sie doch, wie unangenehm ist die Aussicht für eine junge Dame, die gnädige Frau Schneffel zu werden!" Frau v. Wichtig preßte die Lippen zusammen und trank und schwieg jetzt wieder abwechselnd. „Sie sind heute so pensiv!" sagte Rosaura Wichtig zu Louis. „Ich erkenne Ihnen nicht wieder, Hörnse. Sie waren doch auf dem Tunnel so heiter trotz der fürchterlichen Quetsche!" „Rosaura, dieser Tag ist wichtig!" erwiederte LouiS in feiner Wendung. „Ich sammle mich, um Ihnen ein Grständniß . . . ." „Schneffelchen!" rief Spöttinger, „der MauS ... der Haus mann wartet meuchlings hinter Ihnen!" „SchöpScoteletteS mit Rosenkohl, Fräulein Rosaura!" kohlte LouiS wieder in feiner Wendung. „Ich sagte, um Ihnen ein Geständniß abzulegen, Rosaura . . . ." „Ich bitte Ihnen, sprechen Sie mit meiner Mutter!" sagte Rosaurachen er^öthend, senkte da- rosige Köpfchen und aß ein Rosenkohiköpfchen. Und SchneffelS LouiS schickte eine Depesche mit dm Wortm an seine Mutter: „Ich habe losgemacht, Mama! Es klappt!" „Mein Fräulein, SchöpScoteletteS mit Rosenkohl!" schmunzelte der Reisende von Grundmeter zu Laurachen „Da dmke ich immer an dm SchöpS, den man, wie Einer gesagt har, nur in Familien so finden kann. FamilimschöpS! Sehr guter Witz! Sie habm Recht, Doctor, er ist Mridinger, aber doch sehr guter Witz! Wissen Sie, Fräulein Laurachen, auf meinen langjährigen Reism durch die Wüsten Deutschland- ist so ein Diner eme grüne Oase! Drnkm Sie, überall nicht- als Kalbsbraten und ein Viertel Roth- spohn! Da muß ja der beste Mensch . . . „Aber «am» h-irat-m Ole nicht? * fragte Laurache» naiv, eirat he«? Darin ist nicht- «ehr zu mache», beste- Fräulein!" versicherte Grundmeier sehr ernst und spitzte mit einem Seitenblick« emf Rosaur« seinen Napoleon IH. „SchöpScoteletteS mit Rosenkohl!* offerlrte da- blonde Secretair- chm seiner Nachbarin Minnachen. „Auch diese Rosmknö-pchm blühten für Sie, mein Fräulein, und mag Ihnen jede- KnöSpchm sagen, daß . . , „Mas?* ftagte Minnachen auch naiv, aber sehr gespannt. »Daß e- ohne Dornen für Sie gekocht ist!" „Gecretalrchen, Secretairchm, Sie sind doch wie ein Aal!" rief Frau Krautschneider. „Man dachte jetzt, e- sollte etwa- Andere- kommen und . . . ." „Die erste Polka, beste Frau, schenke» Eie mir," bat der Secretair mit gewinnendem Lächeln. „Ich muß Ihnen gestehen, wie lieb und werth mir Ihre Nähe ist und wie gern ich, ja, ich kann e- sagen . . . ." „Nun?" fragte die heitere Witwe leise und hörte auf zu essen. „Und wie ger« ich mit Jhnm Polka tanze!" sagte da- Aal- chm und fuhr wieder in den Kohl. „Nun, bieder Hausmann, was bringen Sie jetzt?" fragte der Doctor. „SchöpS mit PsmpöSchen!" Lehrte Gottlieb, und der Doctor weinte vor Lachen, als Dorinka hinter ihm dem Gottlieb in- Ohr fl-lsterte: „Esel, mit KohlröSchenl" Da erhob sich der junge Orthodoxe, „um mit einem Blicke auf die Gaben der freundlichen, gütigen Wirthe einen Hinblick auf die Spende der Mutter Erde zu werfen und die verehrten Anwesendm zu bitten, auf die Jahre 1857, 185L und 1859 einen dankbaren Rückblick zu wenden, die au- den Bergen de- Rhein- einen solchen Segen an erquickendem Labsal fluthen gelassen, davon er anjetzo eine Probe in der Hand halte, in dem trauten Kreise, allwo dcr Wein da- Herz zu erfreuen und die Zunge zu beleben begonnen habe. Fühle er nun gleichermaßen auch sein Herz höher und wärmer schlagen und gehr dessen der Mund über, wessen sein Herz voll sei, so müsse er e- freudig offenbaren, e- sei da- Lob der Frauen, das seinen Busen schwelle!" Und nun verlor sich der junge Orthodoxe in dem Weinberge, den er mit dem Erdengarten verglich und an dessen Rebstöcken er eine längere, in drei Abschnitte getheilte Parallele »u den Frauen zog, und von dm Frauen ging er zu einem Aufblicke nach der Sonne, unter der die Trauben CanaanS schmoren, und von der Sonne zu der Liebe, unter der die Menschen reifen, über, und schloß endlich ^nit einem Seitenblicke auf seine Nachbarin und mit einem Hoch auf die knospenden, reifen und reiferm Jungfrauen. „In der That, ein sehr gebildeter Mann!" sagte Frau v. Wichtig. „Aber sehr gefräßig, gnädige Frau, und äußerst leichtsinnig!" „Wie so?" „Er hat ja die gnädigen Frauen vergessen!" „In der That, ja, indeß . . . ." Und Spöttinger erhob sich, um dem geehrten Vorredner in einer kleinen Nachrede einen kurzm Nachtrag vorzuschlagm und zu beantragen, in dem dritten Abschnitte nach den Worten „reiferen Jungfrauen" annoch dm Zusatz „und gnädigen Frauen" gefälligst hinzufugen zu wollen, in dem Hinblicke, daß der Wein berg außer der Sonnenseite auch eine Schattenseite Hab«, allwo auch Rebstöcke schmorten. Jetzt kam der Oberlößnitzer bloöt «1 Obanäon, und Grund meier wurde sehr heiter, der blonde Secretair krautschneiderte heftig und knabberte mit Minnachen ein Vielliebchen, Schneffel-LouiS schil derte Rosaurachen den glücklichen Hafen einer glücklichen Ehe, der nette Tomkiese hatte einen stillen GchwibS und seufzte zwischen dm beiden reiferen Tanten; Grau, der einem gräuliche» Zustande ent gegenging, murmelte mehrmals da- Wort „Oberlößnitzer", der junge Orthodoxe otthodoxt« gegen die freiere Glaubensrichtung seiner abgeklärten NachbaripM», vr. Spöttinger störte Schneffel- LouiS und Rosaura mit guten schlechten Witzen und die Familien Jmmerda, Wasserfeind, Hahnemann, "Nadelstein und andere waren ucüou, volvn» einstimmig der Ansicht, daß Louis und Ro saurachen ein Paar werden müßten, al- in demselben Augenblicke Spöttinger eine Depesche, die ihm der rachsüchtige Jeremias zu steckte, der Frau ».Wichtig mit benWoAen mittheilte: „Gnädige Frau, retten Sie Ihr Rojamachr», Schneffel- LouiS liebt eine Nichte von'- Ballet!" ^ Und dann erhob sich der aute Doctor, und während tiefe Stille eintrat, sagte er mit einem Hinblicke auf JeremiaS: „Meine werthm Herrschaften! Mahlzeit!" Stadttheater. Wie da- üblich, seitdem überhaupt an ersten Feiertagen hier wirkliche Theatervorstellungen (nicht bloS, wie in früherer Zeit, „declamatorisch-musikalische Abendunterhaltungen") stattfinden, ward auch diesmal am ersten Ostertage eine große Oper gegeben und zwar eine von denen, deren Werth von unserem Publicum mit ganz besonderer Vorliebe anerkannt wird: Marschnrr- „Templer