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174 Der Rastreador. (6. Buch. Der eigentliche Rastreador ist ein ernster, umsichtiger Mann, dessen Aussagen von den Untergerichten allemal als glaubwürdig angenommen werden. Im Bewußtsein seiner Ueberlcgenheit und mannigfachen Erfah rung hat er eine gewisse mit Zurückhaltung gepaarte Würde, und thut gern etwas gcheimnißvoll. Er wird von Jedermann mit Achtung be handelt, denn dem Armen kann er schaden, wenn er ihn verleumden oder angeben will, und dem Grundbesitzer kann er Unbequemlichkeiten mancher Art verursachen, zum Beispiel ihn vor Gericht laden. Während der Nacht ist ein Diebstahl begangen worden; dcrThäter ist unbekannt, man weiß nicht woran mau sich halten soll und sucht eine Fußspur, die man endlich auch aussindet und sorgfältig zudcckt, damit nickt etwa der Wind sie verwehe. Nun wird der Rastreador geholt. Er betrachtet die Spur genau und verfolgt sie, ohne dabei stets das Auge am Boden hasten zu lassen; er sicht ohnehin Dinge, von welchen ein Anderer nicht einmal etwas ahnt. Er geht durch Straßen und Gärten, tritt zuletzt in ein Haus ein, zeigt aus einen Menschen und sagt: „Der ist es!" Nur in seltenen Fällen leugnet ein aus solche Weise Uebersührtcr die That; denn der Rastreador gilt für einen zuverlässiger» Richter als der am Tribunal, und es wäre lächerlich ihm gegenüber etwas in Abrede zu stellen; der Rastreador ist „ein Finger Gottes." Sarmicuto war mit einem gewissen Calibar bekannt, der fünfzig Jahr lang als Nastrea- dor gedient hatte, damals fast achtzig Jahre alt war, und auch dann noch seinem Geschäft vorstehen konnte. Doch bemerkte er: „Nun tauge ich nicht viel mehr, aber hier sind meine Söhne." Diese waren allerdings in der Schule eines berühmten Meisters herangebildet. Als Calibar einst aus einer Reise nach Buenos Ayres von seiner Wohnung abwesend war, stahl man ihm sein bestes Roß aus dem Stalle. Seine Frau be deckte die Fußspur des Diebes mit einem Backtroge. Etwa acht Wochen später kam Calibar beim, betrachtete die schon sehr schwach gewordene Spur und redete weiter nicht von der Sache. Ungefähr anderthalb Jahre später ging er gesenkten Hauptes durch eine der Vorstädte von Buenos Ayres, trat in ein Haus und fand sein Pferd. Er hatte den Dieb nach Verlauf von sieben Vierteljahren aufgespürt! Im Jahre l830 war ein zum Tode Verurtheilter aus dem Ge- sängniß entsprungen, und Calibar erhielt den Auftrag ihn ausfindig zu