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172 Gesang und Musikliebe der Argentiner. >6. Buch. blöstem Flecke Sicherheit vor den heranbrausendcn Flammen des Pam pas- oder des Prairiebrandcs zu finden. Der nordamcrikanische India ner benutzt Büffelhäutc, um über einen Fluß zu setzen, und der Argcnti- ner macht in ähnlichem Falle eine Pelota, das heißt einen großen run den Sack aus Ochscnhaut, und nimmt ihn zwischen die Beine; so kommt er wohlbehalten über das Wasser, und die Kochkunst »der Prairie-Jndia- ner gleicht vollkommen jener, die auf den Pampas üblich ist. Es kann nicht fehlen, daß die eigenthümliche und großartige Natur den Gaucho poetisch anregt, und in der That hat er seine Volkspoefie, und auch musikalisch ist er. Ein Argentiner, der in Chile zum ersten Male in eine Familie tritt, wird ohne Weiteres ersucht, sich ans Klavier zu setzen, oder man reicht ihm eine Guitarre; denn es versteht sich, mei nen die Chilenen, ganz von selbst, daß jeder Argentiner irgend ein In strument zu spielen wisse. Auch ist diese Meinung im Allgemeinen wohlbcgründet; in den Städten spielt wirklich jeder junge Mann von Erziehung Piano oder Guitarre, Geige oder Flöte; viele Mestizen wid men sich ausschließlich der Musik, und manche haben darin Treffliches geleistet. An Sommerabendcn hört mau überall Guitarrenklang und Serenaden. Das Landvolk hat seine besonderen Gesänge, zum Beispiel die Vidalita, einen Chorgesang, der mit Guitarre und Tamburin begleitet wird. Er scheint von den Indianern herzurühren, wenigstens hörte Sarmiento ihn an Mariä Lichtmcsse von Indianern zu Copiapö in Chile singen; er meint, als religiöser Gesang sei die Vidalita sehr alt, und glaubt nicht, daß die chilenischen Indianer sie von den spani schen Argentinern entlehnt haben. Die Melodie der Vidalita wurde auch anderen Gesängen untergelegt; der Gaucho dichtet die Verse, welche er singt. Er mag, wie schon bemerkt worden, den Bewohner der Stadt nicht leiden, aber diese Abneigung schwindet, sobald er in ihm einen Dichter und Musiker erkennt. Als Echeverria, ein ausgezeichneter Poet, im Jahre 1840 einige Monate in der Campana lebte, verbreitete sich sein Ruf weit und breit über die Pampas, und man lernte seine Verse. Die Gauchos behandelten ihn mit Aufmerksamkeit und Hochachtung, und wenn ein Neuangekommener verächtlich ans den Cajetiya, den Stutzer, herabsah, raunte man ihm ins Ohr: „Er ist ein Dichter!" Das war genug, um dem „Stutzer" Ansehen zu verschaffen.