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Imius lirtilidln ^ itorurische^lmscliau knU II. M IM Moderne Erzühler. Die moderne ErzählungSkunst. soweit sie auf dichterische Geltung Anspruch macht, hat einen ungemein starken Stil entwickelt. Man fühlt sich manchmal ganz in den Naturalis mus von Anno »0 versetzt. alS Conradi seine „Brutalitäten" schrieb und ZolaS Kühnheiten im Abschildern auch des Wider- liebsten Aussehen erregten. Auch die Heutigen schrecken vor nicht- zurück und haben die Sachlichkeit des Lebens, das voller Schaurigkeiten steckt. Aber dann ist man plötzlich in der reinen Phantastik, im Reich des Unmöglichen, im über spannten fabuliere» und sucht oft vergeblich nach Recht- serttgung des Seltsamsten. Das unterscheidet die „neue Sach lichkeit" im Epischen vom Naturalismus, baß sie sich das Motivieren' leicht macht oder ganz schenkt und von der Wirklichkeit täh in die Phantast,k umschwcnkt. Darum er innert vieles an gewisse Seiten der Romantik, an Hossmanns Erzählungen, an die ganze Literatur des Spukes und der Gespenster, die einst alle Taschenbücher füllte. Aber eine große Kraft und Unmittelbarkeit des stilistischen Ausdrucks ist als Ergebnis des Expressionismus, dessen sprachliche Aus schreitungen überwunden scheinen, zurückgeblieben in dieser anS Wahn und Wirklichkeit gewobenen ErzählungSkunst. Arnold Ulttz hat in seinem neuen Roman „Barbaren" einen bedeutsamen Beleg für diese Stil- cntwtcklung gegeben. iBerlag Albert Langen, Münchens Er schuf eine Robinsonadc des 2«. Jahrhunderts, eine Kultur satire verwegenster Art, eine Kritik Europas durch Schil derung der Wirkung europäischen Geistes aus einen letzten Rest Natur in seinen Grenzen. Bon einer verunglückten Nordpolexpcbttton landet,Prosessor Falton, der Erfinder des Giftgases, unter den nördlichsten Lappen und gerät in die Gewalt des sungen Turrwnll, der ihn benutzt, um mit dem chemischen Künsten Faltons zum Herrn aller Herden zu werden. Falton, durch Zerschneiden der Sehnen der Füße am Fliehen verhindert, rächt sich dadurch, daß er dem Bar baren mit allerlei Begrifssverdrehungcn ein ganz falsches Bild der Zivilisationsmacht beibringt und außerdem den Alkohol auf das Naturvolk verheerend wirken läßt. Turrmull, zu zauber- Hafter Macht gelangt, wird vom eigenen Bater verraten und von einem an der Küste landenden Großhändler vertrieben, mährend es Falton gelingt, in kultiviertes Land zu kommen, wo er erst vom Weltkrieg und der Verwendung seines Gift gases hört. Mit einer wilden Phantastik ist diese Haupt- Handlung aiifgcschivcllt und zu einem Abcnteurerroman er weitert, der Szenen von fabelhafter Urwüchsigkeit enthält und von pessimistischen Kulturbetrachtungcn gesättigt ist. Eine tiefe Erbitterung gegen Europas technisch-chemische Ent wicklung erfüllt das Buch, dessen Wirklichkeitsgehalt aber durch die Zügellosigkeit der Erfindung verdächtig gemacht wird. Ulitz will, wie in seinem Roman „Arrarat", einen neuen Mythus schaffen, den Mnthus von den Barbaren, den Wilden, „die doch bessere Menschen sind", verfehlt aber sein Ziel, indem er die wilde Triebhaftigkeit des Barbarentums als sittliche Verwilderung eines Naturvolkes malt. Von dem epischen Fluß seiner Erzählung und der oft geistreichen Kulturkrittk wird man zwar mttgerissen, aber die Un- Wahrscheinlichkeit vieler Vorgänge, die romantische Buntheit der Bilder erzeugen beständig Zweifel und Mißbehagen im Leser. Trotzdem ist auch dieser neue Roman von Ulitz rin Werk von ungewöhnlicher Kraft und Fülle des Vortrags. Wie gesagt, die modernen Erzähler verstehen sich meister- lich auf Erregung der Phantasie, sind aber recht sorglos in der Begründung und Glaubhaftmachung eines Geschehens. „Grauen" heißt ein Roman von Curt Corrtnth sim Werk-Verlag zu Berlins, und diesen Seclenzustand der Er wartung fürchterlicher Dinge versteht der Dichter tatsächlich hervorzurufen wie nur irgendein alter Romantiker. Eorrinth bleibt dabet auf dem Boden des Wirklichen, baut aber auf sehr brüchigen Voraussetzungen. Wird ein alternder Mann, der von krankhaftem Mißtrauen gegen die Treue seines jungen Weibes erfüllt ist, überhaupt einen Jüngling, den Sohn eines Geschäftsfreundes, in sein Haus nehmen, um zu erleben, was er vorausgcschen hat? Mit Naturgewalt treibt cs Jugend zu Jugend, aber der Alte und seine gespenstische Wirtschafterin umlauern das frevelnde Paar und foltern es durch das Grauen der ewigen Drohung mit Entdeckung und Sühne bis zum Wahnsinn. In atemlosem Tempo, in ab gerissener. leidenschaftlicher Sprache malt Corrinth das steigende Entsetzen der beiden, das schweigende Lauern des Alten, das Fieber der Flucht und ihrer Vereitelung und schließlich ein grauenhaftes Ende in Selbstmord der Frau und Wahnsinn des Jünglings. Paris ist der Hintergrund des Romans: alles Acußere ist anschaulich und nüchtern ge- schildert: aber die Scelenfolter ist mit den Mitteln einer modernen, expressionistisch auf letzte Entäußerung des Ge fühls gesteigerten Ausdruckskraft alles übertönend hlnaus- gcschrten. Wie man sich den grausigen Phantasten E A. Poes nicht entziehen kann, so packt einen CorrinthS naturalistisch scheinender Pariser Roman „Grauen" mit der Stimmung, die er erzeugen will. Kein Buch für schwache Nerven, als Kunstwerk ober eine starke Tempcramentsleistung. Verwandt mit diesem Motiv, aber mehr ins Geheimnis, volle gewendet, ist eine neue Novelle von HeinrichMann, „Liliane und Paul" lPaul-Zsolnay-Verlags. Hier vrr- schwimmt Wirklichkeit und Wahn fast untrennbar ineinander und über den Vorgängen bleibt ein letzter Schleier des Un- erklärbaren. Ein Liebespaar wird von einem reichen, alten Herrn auf seinem Schloß oder Gut mit sanfter Gewalt ge- sangen gehalten, weil der Alte sich an dem Glück der Jugend weiden will. Wie verwunschen ist alles um sie herum, von unsichtbaren Mächten fühlen sie sich bezwungen, aber unter dem überall spürbaren Banne des Greises, der sie sicht, auch wenn sie ihn nicht sehen, schwindet all ihre Unbefangenheit und Liebe. ES gelingt dem Dichter, die Willenlosigkeit, die Gesühlöverwirrnng. die Entnervung unter dem Drucke der Beobachtung mit einer Eindringlichkeit fühlbar zu machen, daß wir auch in dieser eigentümlichen Erzählung ein Pröbchen moderner Vermischung von Wirkllchkeitsschildcrung und Seelenpeinigung haben, die so charakteristisch für die Bedrücktheit der Zciistimmung ist. Heinrich Manns Stil in dieser Novelle ist dabei klar und glatt, anschaulich und farbig, nicht aufgeregt und erhitzt wie bei Eorrinth, und er schafft so erst recht die schwebende Stimmung eines selsamen Märchens im Alltag. Ohne mnstiichen Einschlag sind die Erzählungen von Leonhard Frank: „Die S ch i ck s a l S b r tt ck e". „An d e r L a n d st r a b c". „I m l e tz t e n W a g e n" «Ernst Rowohlt Verlag, Berlin». Franks Darstcllungsweise ist vielmehr von der unerbittlichen Schärfe, Nüchternheit und Sachlichkeit, wie sie in der neuesten Wendung der Malerei, in dem „Uebcr- rcalismuS" der neuen Sachlichkeit, hcrvortritt. Damit hat Frank auch den Blick für Schauriges und Widerliches in der Wirklichkeit gemein, ohne daß er solche Dinge wie der frühere Häßlichkeits-NaturaliSmuS zur Hauptsache machte oder tendenziös übertriebe. Sie gehören für ihn zum Bilde der Welt und werden an ihrer Stelle verzeichnet. Dafür glänzt bet ihm auch das Sonnige, die Schönheit einer Land schaft, die Form der Dinge in Hellem Lichte, und er luft die Gabe der Anschanltchkett mit wenigen Worten. Seine Men- chcn sind in all ihren Sonderbarkeiten des Individuellen ge- chen und oft genug mit dem satirischen Stift eines George Groß «mrtssen, wie «- denn seinen Erzählungen bei aller Objektivität nicht an sozialer Tendenz fehlt. Der Verfasser der .Fläuberbande" zeichnet sichtlich gern süddeutsches Land und seine Menschen, so besonders in der Erzählung „An der Landstraße", die den Unterschlupf eines steckbrieflich Versolgicn bei einem Sonderling von Landarzt in einer kleinen Stadt schildert. Aber auch Frank weiß das Grauen fühlbar zu machen. Die Novelle ,Hm letzten Wagen" beschreibt den Seelen- und LeibeSzustand einer zusammengewürfelten Gesell schaft im Schlußwagen einer Gebirgsbahn, der losgcrissen zu Tale saust. Schrecken der Todesangst, Auslösung aller- menschlichen Bindungen, Entsetze» und Raserei — seltsames Zurücksinden ins Leben und Wiederherstellung des Gleich gewichts nach unvermuteter Rettung, das ist mit kalter Sach lichkeit und schaurigen Einzelheiten beschrieben. Leonhard Franks Erzählungen stehen auf großer Höhe der Tarstellungs- kunst, blitzen von blankem, Hellem Leben, sind aber auch voll Grauen und Grausamkeit wie das Leben und die Natur. Dr. Felix Z i m m c r m a n n. Ernst Christoph Gras Manteussel. Als Heft 5 -er von der Sachs. Kommission für Geschichte dem sächsiscl,«» Volke dargebotenen Einzeldarstellungen „Aus Sachsens Vergangenheit" erscheint soeben im Verlag der Buchdruckerei der Wilhelm und Berta von Baensch Stiftung Dresden in guter Ausstattung ein bemerkenswertes Buch: Ernst Christoph Graf Manteussel. Kabinetts- Minister Augusts des Starken. Persönlichkeit und Wirke n" von Thea von Sende wt tz" Klein an Flächeninhalt ist unser Sachsenland, aber groß an geschichtlichen Ereignissen. Eng hängt Sachsens Geschichte zusammen mit der des gesamten deutschen Batcrlan-eS. Einzelabhandlungcn, wie die vorliegende, führen dem säch sischen Volke die Erinnerungen an längst vergangene Zeiten lebendig vor die Seele und machen aufmerksam auf die all mähliche Entwicklung des gesamten Kulturlebens in Sachsen. Es ist kein Titanenleben, das sich hier abspielt: wohl aber das Leben eines vielgeivandten höfischen Staatsmannes des 18. Jahrhunderts, eines Freundes Friedrichs des Großen, eines Schöngeistes, eines typischen Nokokomcnschcns. Für den Forscher bat es fa einen besonderen Reiz, die im Archiv verborgenen Schätze zu heben und die Ergebnisse zu einem Lebensbilde und soweit möglich auch zu einem Charakterbildc zu vereinigen, das dann dem großen Publikum zugänglich gemacht und der sichtenden Kritik ireigeacben wird. Im Nahmen dieser kirapven Besprechung liegt es nicht, die Nichtigkeit der gewonnenen Ergebnisse aucllenmäßig zu prüfen. Nur danken kann man für diese tiefgründige Arbeit, die auf streng wissenschaftlichen Grundlagen beruht und die in klarer, lichtvoller, leicht lesbarer Darstellung geboten wird. Ein pommerscher Junker war unser 1076 geborener Gras Manteussel. Aber nichts vom urwüchsigen biedern Pvmmerschen steckt in dem Charakter des große», brcitgewachscnen, bis in sein 73. Lebensjahr hinein rüstigen Mannes Als Kammer- iunker lebte er IMS—1701 am Berliner Hot und nimmt an der Königskrönung Friedrichs I. in Königsberg teil. Bald aber muß er Berlin fluchtartig verlassen, da er ein Spott gedicht auf die Gräfin Wartenberg, die dem Könige nahe stand, versaßt hatte- Manteussel floh nach Sachten. Hier fand er beim Grafen Klemming, dem Günstlina Augusts des Starken. Ausnahme und Freundschaft. Von diesem Meister der Intrige bat Manteussel viel gelernt. Bereits l705 sehen wir Manteussel als kursächsisch-pvlnischcn Gesandten in Kopenhaaen. Es gelingt ihn, zwischen Dänemark und Sachsen ein Bündnis ziisammcnzubriiigen und schließlich auch eine Einigung zwischen den Dänen und Russen herbeizuführen. Im Jahre 1711 kommt Manteussel als Gesandter nach Berlin. Höchst anschaulich schildert er das Leben am Berliner Hofe, aus der Zeit des Regierungswechsels, die erste Realerungs zeit Friedrich Wilhelms I. Aber Schulden gehören zn Man teussel wie sein Schatten. „Er ist eben der leichsinniae Nokokv- kavalier und stilvolle Grandseigneur, dem die Taler mit Grazie und Anstand durch die Finger rollen." Als Kabinctts- mtnistcr wohnt Manteussel der Zusammenkunft des Königs vou Preußen und Peters des Großen in Havclbera bei. Von l717 bis 1780 leitet er im engsten Zusammenwirken mit Gras F-lemmina die sächsischen auswärtigen Angelegenheiten. Bald zählt Manteussel zu den Vertrauten Augusts des Starken. Bei aller Ehrfurcht vor seinem Könige spricht Manteussel manches mannhafte Wort vorm Fürstenthron. Wir crlmltc» höchst interreffantc Einblicke in die damalige Art -er Di plomatie. wie Flemming und Manteussel ein Doppelspiel zwischen Wien und Berlin treiben, wie geheime Staats- dcpcschcn abgesangen werden und wie man politische Ränke spinnt. Manteuffels Ziel war, dem Sohne Augusts des Starken die Nachfolge, wenn möglich vielleicht die erbliche absolute Monarchie in Polen zu sichern. Einen Dreibund mit Berlin und Wien strebte er an. Frankreich war ihm der Erzfeind. Aber im sächsischen Kabinett war eine starke Strömung, sich Frankreich anzuschließcn. Die französische Cliaue siegte. Im August 1780 nahm Manteussel daher seinen Abschied. Aber er betätigte sich weiter politisch, hinter den Kulissen, als geheimer Agent. Obwohl er eine ansehnliche Pension aus der sächsischen Staatskasse bezog, stand Manteussel heim lich im kaiserlichen Solde. Die Verfasserin weist daraus hin. daß dieses eigenartige Doppelspiel in eine Zeit fällt, wo cö Im Interesse Sachsens lag, dem Kaiscrhos näher zu kommen der sich sür die Nachfolge des Wettiners aus den polnischen Thron einsetzte. Als geheimer Berichterstatter Brühls ist Manteussel auch in Berlin tätig. Er drängt zum Anschluß Sachsens an Preußen und Oesterreich. „Mantcuffel kann hier manchmal fast als Vertreter einer nationalen deutschen Politik erscheinen." Von ganz besonderem Interesse sind die Beziehungen Manteuffels zu Friedrich dem Großen, dem er die Wölfischen Lehren nahezubrtngen versucht- Später fällt Manteussel beim Berliner Hof in Ungnade. Friedrich der Große verlangte, daß der unbequem gewordene Beobachter binnen acht Tagen Berlin verlicß- Anschaultch behandelt die Verfasserin des fesselnd ge schriebenen Buches Manteuffels politische und religiöse An sichten. seine Gründung der Gesellschaft der Aletliovliilen, der Liebhaber der Wahrheit, seine engen Beziehungen zu Moli, und Gottsched und in welcher Weise er Friedrich den Großen in Walisischem Sinne beeinflußte. Am 30. Januar 1710 starb Manteussel: „ein Mann, der mit seinem Pfund an reichen Gaben gewuchert hat wie wenige, der dem Btldunasideal — dies Wort im weitesten menschlichen Sinne verstanden — keiner Zeit jedenfalls in seltenem Maße entsprach, und der alS Repräsentant dieses BilbungsidealS fortzulcben wohl verdient". — Dein Geschichtsforscher bietet diese fleißige Arbeit viel neues, wertvolles Material, dem Geschichtsfrennd aber an regenden und belehrenden Stoff. In dieser Abhandlung bat cs die Verfasserin verstanden, nicht bloß einzelne, an sich hoch interessante Ereignisse herauSzugreifen und gewandt zn schildern, sondern vor allem auch die Einzelsorschnnge» in einen inneren Zusammenhang und in eine tz^ziehung zu einem großen Ganzen z» bringen. Und daraus kommt eS i» erster Linie an. So ist das empfehlenswerte Buch intim und großzügig zugleich. Dr. LurtTrettschke. Mammulleichen un- Urwal-menschen in Aoröost-Sibirten. Von E. W. Pftzenmayer. Wenn man von Sibirien spricht, so stellt man sich vielfach hierunter nur öde, von Schnee und Eis starrende Gebiete und unwegsame Urwälder vor, in denen bis zum Sturze der Zaren herrschast die russischen politischen Gefangenen als Verbannte ihr trauriges Dasein fristeten. Nur wenige wissen, daß es dort ausgedehnte srnchlbare Ackerbandistrikte gibt und dieses i» großem Umfange von jeder Kultur noch säst unberührte Natur- land außerordentlich reich an Mineralien und sonstigen Boden schätzen ist. Sibirien ist ungefähr Wmal größer als Deutsch land und zählt dabei kaum zwölf Millionen Bewohner. In dieses weltabgeschiedene, wenig bekannte Land, dem sich erst neuerdings das allgemeine Interesse mehr und mehr znwendet, führt uns Hosrat E. W. Psizenmayer in seinem kürzlich im Verlag von F.A. Brockhaus in Leipzig erschienenen Buch „Ni ammutleichen und Urwaldmenschen in N o r d o st - S i b i r i e n". Der Verfasser mar mehrere Jahre Kustos an den zoo - paläologischen Museen in Petersburg und Tislis und hat als solcher an zwei Expeditionen tcil- genvmmen, die 1001 und 1A>8 von der Russischen Akademie der Wissenschaften zur Ausgrabung und Bergung neu entdeckter Mammutkadaver nach Nordost-Sibirien entsandt wurden. Die eine Reise führte ihn nach der Bcrcsvwka, die andere in das Eismcerküstengebict, in die polare Omulachiundra. Psizcn- maycr hat es ausgezeichnet verstanden, den reichhaltigen Stofs außerordentlich abwechslungsreich zu gruppiere», so daß die Lektüre seines Buches nicht ermüdet, sondern man die ver schiedenen Phasen seiner Forschersahrt mit großer Spannung verfolgt. Die bedeutenden wissenschaftlichen Ergebnisse der Expeditionen bringt er auch dem Laien durch gemeinverständ liche Darstellung zum klaren Bewußtsein und schildert in lebendigen Farben die interessanten Erlebnisse auf seinen monatelangen Reisen, die er meist nur in Begleitung einiger weniger Eingeborener im Sattel, im Hunde- oder Renntier- Ichlitten durch Taiga und Tundra ausgeführt hat. Man bekommt aus dem Buch einen wirklichen Einblick in das primitive Leben der Nordost-Sibirien bewohnenden Stämme der Jakuten, Tungusen und Lamutcn mit ihren alter tümlichen Volksbräuchen, bei denen der Aberglaube aller Art und religiöser Fanatismus eine große Nolle spielen. Daß alles in dem Buche selbst gesehen und selbst erlebt ist, macht seine» Inhalt besonders wertvoll,- so schildert Pfizenmaycr beispielsweise aus eigener Kenntnis die sinnverwirrende Prozedur einer Schamanenbeschwörnng, die auch aus ihn einen tiefen Eindruck gemacht hat, eine Jakntenhochzeit, an der er selbst als Hochzeitsgast teilgenommcn hat, mit ihrem wunder baren Zeremoniell, und ein Kumysfcst, das Sommerfell der Jakute», das von dem reichlichen Genuß eisgekühlter gegorener Pscrdcmilch seinen Namen hat. Interessant sind auch seine Berichte über scincBegegnungen mit politischen Verbannten und seinen Besuch einer Tkropzensiedlung, einer slawischen Sekte, deren Angehörige sich selbst in grauenhafter Weise verstümmeln. Unter größten Strapazen und Entbehrungen hat Pfizenmaycr bei arktischer Winterkälte eine Strecke von 6000 Kilometer zu- rückgclegt, die ihn durch Gegenden von ungeahnter Naturschön- heit und Großartigkeit des Landschaftsbildes führte und ihm auch reichlich Gelegenheit bot, seine Jagdpassion zu befriedigen. Nicht nur Polarfüchse und Wölfe, sondern auch Adler, Auer wild und Schneehühner fielen seiner Büchse zum Opfer. Die eingehende Beschreibung der Ausgrabung und Bergung der Mammute, die seit 25 000 Jahren im Diluvialeisc eingebettet waren, und des Transportes der vorwiegend sehr gut er haltenen Fundstücke nach Petersburg sowie der neuartigen Rekonstruktion dieser diluvialen Elefanten gibt ein anschau liches Bild der Schmierigkeiten, mit denen diese wissenschaftlich bedeutsamen Arbeiten verbunden waren,- auch die Fauna und Flora Sibiriens sind in dem Buche ausführlich behandelt morden. Eine große Zahl wohlgelungener Abbildungen und mehrerb Tiefdrucktafeln erhöhen den Wert der inhaltrcichcn Veröffentlichung, deren gediegene Ausstattung besonders hcr-> vorgehobcn zu werden verdient. Walther Schicck. Geschichksbuch sür die -euksche Ingen-. Von Dr. B. Kumsteller, Dr. U. Haacke und D r. B. Schneider. Der Geschichtslehrer der Mittel- und höheren Schulen von heute hat es nicht leicht. Kaum ein anderes Lehrfach ist in seiner unterrichtlichen Behandlung so stark abhängig von Weltanschauungen, wie gerade die Weltgeschichte. Welcher soll er folgen im Chaos unserer von Gegensätzen er füllten Zeit? Man wende nicht ein, daß sich der Geschichls- lchrer einfach ans die objektive Darbietung geschichtlicher Wahrheiten, wie sie sich aus den Quellenschriften ergeben, zu beschränken habe. Das hieße für ihn, sich des besten Teiles seiner Ausgabe, an der Jugend erzieherisch zu wirken, zu begeben. lind gerade auf geschichtlichem Gebiete wird immer und immer wieder die alte Pilatusfrage gestellt werden müssen: „Was ist Wahrheit?" Man denke, daß auch die Gcschichlsschrciber aller Zeiten, die uns heute als Quellen diene», stark von den jeweils herrschenden Weltanschauungen beeinflußt waren. Die ersten Geschichtsschreiber waren be kanntlich Mönche und Geistliche, in späterer Zeit bcsoratcii vorwiegend in fürstlichem Solde stehende Historiographen die Aufzcichiittiiaen über Ereignisse und Kultiirzuständc. Wer möchte behaupten, daß solche von einseitigen Anschauunacn be fangene Chronisten bei dem, was sic erzählten, lind vielleicht erst recht bei dem, was sie verschwiegen, nichts als unbeein- slnßtc, objektive Wahrheiten zutaae gefördert haben? In welchem Umfange Weltanschauungsfragen bei der untcrricht- lichcn Darstellung geschichtlicher Bvrgängc maßgebend sind, sei mir mit dem Hinweis auf das Kapitel der Resvrmations- acschichtc angedeutct. ES ist doch klar, daß ein katholischer Lehrer, wenn er sich auch noch so sehr der Objektivität be fleißigt, seinen Schülern von Luther und seinem Werk ei» ganz anderes Bild entrollen wird, als sein evangelischer oder gar sein mosaischer Amtögenosse. Uebrigens: ein charakterloser, verwässerter Geschichtsunter richt, der sich lediglich von dem Bestreben leiten läßt, nach keiner Seite hin „anzncckcn", ist ganz gewiß nicht das Ideal, das der Schule von heute vorznschivcbcn hat. Und erst recht wäre ein Unterricht verwerflich, der sich einseitig in den Dienst einer politischen Partei oder einer Religionsgemeinschaft stellt. An gesichts solcher Problemschwicrigkciten ist ei» mehrbändiges GescbichtSwcrk mit Freude zu begrüßen, das zwischen beiden Extremen die rechte Mitte cinhält und nur einen Gesichts punkt voranstcllt: nämlich, Verständnis und Liebe zu wecken für deutsches Wesen, sür das deutsche Volk in allen seinen Schichten nnd zu allen Zeiten seiner Entwicklung und für das deutsche Vaterland. Gemeint ist das vor kurzem im Verlag von Quelle S> Meyer, Leipzig, erschienene „Geschichtsbuch für die deutsche Jugend" von den in der Ucbcrschrist genannte» drei Verfassern, zu denen sich alS Bearbeiter der MittclschnlanSgabe noch Wilhelm Rüdiger gesellt. Es kann nicht die Aufgabe einer „Literarischen Umschau" jein. aus die methodischen Vorzüge des sin je einer B»