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> 78. Hahrzang. Zt rr» Dienolag, 18. Mai 1828 Gegründet 18S« 0«ms»e»ch«. Sanm-mw««, S0S41. «» sv» «achtgeiprSch«» 20 011. Bezugs. Gebühr NULL» >« ^ SUezel»»»» I« Dr» v»u»ta Anzeigen-Preise: auherkald! SchrtM»t«unft und 1iauplg,lchaft,8»U» w,rtr»ltr,I,« 38 42 Druck u. V«rt-a von Uckplck » »«ich«»« m Dr«»den. Poftlchrck-Konto 1008 Dr»»d»n. Hiochdruck nur mit d«ültch»r vuell»nangade .Drodner Nachr/- ,u>ÜMg. Unorrton«,» SchrlttNUck» w»rd»n nicht autbewahrt. külkerl Prager 81raüv, Leks SlüonIvvsIrLÜv. vlütknerL Präger 5trsüe l2 kernrut I637S Obksn unci Hsrrle ksust mun preiswert ün k«etig«»et»>»1 Ü2kW8 ^ 6r. rmngvnlr. IS I^ernoproctior ^ tk2S2 l»Si>« ^orrptotz. r»»r8e» III» 0-c>88»«-I»8» — e»r>8 0»»- lr»u»r8r»r,8-0»«»r> - »-»«»»«»>>». KWe Aufnahme des Kabinetts Marx. Auch die Demokralen zurückhaltend. — Dolksparleiliche Verärgerung gegen Deulschnalionale. Das schwierige Derlrauensvolum. — Der vorlöusige Abschluh -er Slu-ienkommission in Gens. Das Presse-Echo -er neuen Regierung. Berlin, 17. Mai. Die Aufnahme, die Dr. Marx in der Berliner Presse als Reichskanzler findet, ist überall sehr kühl. Als recht bezeichnend kann es schon angesehen werden, daß auch sämtliche demokratischen Blätter Berlins von einem bloßen UebergangSkabtnett Marx sprechen, das se eher desto besser einer anders gearteten Regierung Platz mache. Der Person des neuen Kanzlers werden auch in der demokratischen Presse gerade keine Lorbcerkränze geflochten. Findet die Ernennung Dr. Marx' zum Reichskanzler schon in der Linkspresse kein freudiges Echo so ist die Kritik natür- ltch noch viel schärfer in den Rechtsblättern. So bemerkt die „Deutsche Tageszeitung", eS brauche nicht erst gesagt zu werben, daß dieser AuSgang der Krise mit der Ernennung von Dr. Marx mehr als unbefriedigend sei. Es sei bedaner» lich, de' die demokratische« Kriseumacher i« der Regierungs» koalitio« verbleiben, noch bedauerlicher, daß auch «ach der letzten Erfahrung mit den Demokraten und überdies angcflchts der GesamteinsteUnng der Sozialdemokraten in Grnnbsragen des gesamte« StaatSlebenS das Zentrum offensichtlich bestrebt bleibe, einer Erweiterung de, Rcgiernngsbasts «ach rechts ernste S*wierigkeite« z« bereite«. Die Haltung des Zentrums bestätige nicht nur vollauf die Richtigkeit der Auffassung, baß der Einbeziehung der Deutschnatioualen in ein staatsbürgerliches Kabinett gegenwärtig nicht nur die be. kannten Meinungsverschiedenheiten in der auswärtigen Bolt- tik, sondern mindestens ebenso die Stimmung im Zen. trum entgegenstehe. Starke Kräfte im Zentrum suchten offen bar sogar den Weg für eine Annäherung nach rechts auch für die Zukunft nach Kräften zu verbauen. Die ,^kr euzzettung" spricht die Bermutuna ans. batz Herr Marx in den wenigen Wochen, die ihm zur Verfügung stehen, so regieren werde, datz wenigstens von seiner Seite nichts geschehe, was die Sozialdemokratie etwa verschnupfen könnte. Trotzdem würden die Dinge zwanaslänsia daz« siihre«. batz die ersehnte Frenndfchaft mit der Sozialdemo kratie nicht verwirklicht werde. Die „Tägliche Rundschau* befaßt sich in einem ein. gehenden Artikel mit der Haltung der Deutschnattonalen. DaS Blatt erklärt, datz mit der bekannte« Abmachung -wischen Zentrum und Deutsche» BolkSpartei ein deutlicher Strich gegenüber den Dentschnationale« gezogen worden sei, der die Konsequenz der bisher von der Deutschnattonalen Partei in außenpolitischen Fragen eingenommenen Haltung und formell auch die Konsequenz darstelle, die sich aus der Haltung der deutschnationalen Fraktion bei der Abstimmung über das Mißtrauensvotum gegen Dr. Luther ergebe. Die deutschnationale Fraktion hätte eS vollkommen In der Hand gehabt, sich gegen die sozialistischen Quertreibereien zu wenden. Sie hätte damit auch nach außen ein sicheres Zeichen dafür gegeben, daß ihre eigene Politik auf Stabilisierung der Verhältnisse und auf ein künftiges Zu sammenwirken mit den anderen Parteien von ihnen selbst wirklich befolgt werde. Die „Tägliche Rundschau" läßt ihre Kritik an dem Verhalten der Deutschnationalen in dem Satz gipfeln, daß der Ersolg der dcntschnatioualen Abstimmung bei dem Mißtrauensvotum gegen Dr. Luther die Linksentwicklung sei. Im übrigen aber erklärt auch die „Tägl. Rdsch.", die ganze jetzt getroffene Lösung für eine Notlösung, heraus, geboren aus dem unmöglichen Zustand der Ding«, in einer Zeit außen- und innenpolitischer schärfster Spannungen -aS Land ohne eine Regierung zu lasten. Jeder, -er es mit dem Reiche gut meine, könne nur wünschen, daß aus dieser Lösung sich feste Verhältnisse entwickelten, und daß es unseren Par teien gelingen möge, sich über die eigenen Parteiinteresten hinwegznsetzcn. Der „Vorwärts" schreibt: Wenn durch die Ereignisse der letzten Zeit überhaupt etwas wesentliches gewonnen ist, so kann es nur erkenntlich sein, daß der Kampf zwischen rechts und links die Entscheidung ist. Die Entscheidnngsteht zwischen Nationalen und Sozialdemokraten. Sic wird im Volksentscheid fallen und dnrch die nächsten RcichstagSwahlen bestätigt werden. Die Schwierigkeilen -es Derlrauensvolums. Wie stellt sich die Sozialdemokratie? Berlin, 17. Mat. Nachdem daS Kabinett Marx gebildet ist. sind schon die ersten Schwierigkeiten anfgetaucht. Das Kabinett bedarf zu einem Vertrauensvotum der -Zustimmung der Sozialdemokraten. Infolgedessen müßte eine Regierungs, erklärung sehr weitgehend auf die besonderen innervolitischen Wünsche der Sozialdemokraten insbesondere in der Flaggen frage, in der AuswertungSfragc und wohl auch in der Fürstensrage Rücksicht nehmen. Sobald diese Fragen aber in einer programmatischen Erklärung der neuen ReichSregterung »über erörtert werden sollten, entstehen wieder Schwierigkeiten zwischen der Deutschen BolkSpartei, dem Zentrum und den Demokraten. Es ist infolgedessen schon im Kabinett der Gedanke ausgetaucht von einer Re gierungserklärung Abstand z« nehmen «nd «in Vertrauens votum vom Reichstag nicht zu fordern Dieser Gedanke ist aber verfassungsmäßig undurchführbar,.denn daS alte Kabinett Luther hat seine Gcsamtdemission etngereicht- Ueber die Formulierung der Regierungserklärung wird augenblicklich zwischen den Führern des Zentrums, der Deut schen Volkspartei, der Bayrischen Volksvart»t und der Demo kraten verhandelt. Die größt« Schwierigkeit macht die Formulier«»« über die Flaggenfrage. ES ist selbstverständlich, daß der neue Reichskanzler ent sprechend dem Wunsch des Reichspräsidenten sich für die Schaffung einer EtnheitSflagge einsetzen muß, obwohl die Sozialdemokraten diesen Wunsch deS Reichspräsidenten in den Verhandlungen der letzten Woche abgelehnt haben. Ebenso selbstverständlich ist, daß der neue Reichskanzler nicht etwa die vollständtge Auf. Hebung der Flaggenverordnung des Reichspräsi denten und des früheren Reichskanzlers Dr. Luther ver künden kann, weil dadurch Schwierigkeiten bet der Deutschen Volkspartet eritstehen würben. Wahrscheinlich wird sich das Kabinett mit einer ganz inhaltlosen knrzen Erklärung be gnüge«, in der Hoffnung, daß dann die Sozialdemokraten zu, stimmen «nd die Mehrheit gesichert ist. > Aeber die Äaliung der Deuifchnaitonalen erfahren wir ergänzend aus parlamentarischen Kreisen, daß von dcutschnattonaler Sette Klarheit über folgende zwei Fragen verlangt werden soll: 1. über die unverzügliche Durchführung der Flaggenverordnung,' 2. eine klare Erklärung gegen den Fürstenraub, den die Sozialdemokratie mit dem Volksentscheid plant. Im übrigen glaubt man auf deutschnationaler Sette ab- warten zu können, bis sich das Zentrum durch einen prak tischen Versuch noch einmal davon überzeugen werde, daß mit den Sozialdemokraten fruchtbar« NegterungSpolttik nicht möglich ist. Gegenüber der Auffassung, die Deutschnattonalen hätten nicht zu dem Sturze Luthers beitragen sollen, wird von deutschnattonaler Seite erklärt, datz das Kabinett Luther in sich selbst zusammengcbrochen sei. Auf di« Versuche. Sucher zu bewegen, eine Rechtsorientierung wenigstens als wahr scheinlich in Aussicht zu nehmen, hätte Dr. Luther eine Er. klärung versagt. Mit der Hinausschiebung der Ausführung des FlaggenerlastcS hätte Dr. Luther vielmehr einen Rück zug gegenüber den LinkSströmungen in seiner Koalition an- getretcn. Die Deutschnationale BolkSpartei wird, wie verlautet, ihre Entscheidung bet der Abstimmung über ein Vertrauens, votum von der Erklärung des neuen Reichskanzlers Dr. Marx und von der Erklärung der übrigen Parteien abhängig machen. Besonders komme es ihr darauf an, welche Aus legung der Redner der Deutschen Volkspartei der gestrigen Vereinbarung mit dem Zentrum gibt. Wenn die Deutsche BolkSpartei darin eine BereitfchaftS- erklärung zur Großen Koalition sehe und sich damit grundsätz lich gegen die Bildung einer rein bürgerlichen Regierung aussprechen wolle, würde bas Kabinett Marx schon jetzt ein reines Kabinett der Linken sein. Die Zusammensetzung des Kabinetts zeigt auch nach Ansicht sehr maßgebender Ab. geordneter der Deutschen Volkspartet ein sehr starke Links- tendenz. Parleibesprechungen bet Marx. Berlin, 17. Mai. Der Reichskanzler Dr. Marx empfing heute im Lause deS Nachmittags einzeln die Parteiführer sämtlicher Reichstagsparteien mit Ausnahme der Kommunisten und der Völkischen. Gegenstand der Besprechung war die Vor bereitung der Regierungserklärung, die voraussicht lich am Mittwoch in der RetchStagssitzung abgegeben werden wird. — Die Sitzung des AeltestenrateS de» Reichstages, in der der Zeitpunkt der Abgabe der Regierungserklärung fest- gesetzt werden wird, dürfte morgen mittag vor der Plenar sitzung stattftndcn. Die demokratische ReichStagSfraktion hat in der heutigen Fraktionssitzung festgestcllt, baß bet der Regierungs bildung ihr keinerlei Bedingungen gestellt worden sind. Die sozialdemokratische RetchStagssraktio« nahm in ihrer Sitzung am Montagabend den Bericht des Abg. Müller». Franken, über seine Besprechungen mit dem Reichskanzler Dr. Marx entgegen und erörterte die zu erwartende Regie rungserklärung. Beschlüsse hinsichtlich der Haltung der Fraktion wurden noch nicht gefaßt, da Rückfragen noch er- forderlich sind. Die Fraktion wird in einer neuen Sitzung am Dienstag ihre Entscheidung treffen. Die ReichStagSfraktion der Dentschen BolkSpartei nahm den Bericht des Abg. Dr. Scholz entgegen, ebenfalls ohne Beschlüsse zu fassen. Sie sprach sich für den dänischen Handelsvertrag aut». PUsu-skls Sieg. Trotz allem, man hatte es nicht erwartet. Warnungen, Drohungen hatte Pilsudski, der neue Herr von Polen, in regelmäßigen Abständen bereits seit etwa sechs Monaten er- gehen lassen. Er sprach immer nur vom Heer, und eS war ihm oberster Leitsatz, daß er. nur er allein, würdig und berufen sei, an der Spitze der polnischen HeereSmacht zu stehen. All« andere» Angebote, die ihm von den Führern der Rechten ge macht wurden, die seine Gefährlichkeit wohl kannten, wies er zurück. Dunkel blieb immer, was er eigentlich wollte: dl« dRinisterpräsidentschaft, die Diktatur, bas Kriegsministerium oder nur die erste Stelle im Gcneralstab? Er betonte nur immer, oberster Heerführer zu sein, das sei sein Amt und Beruf. Und dafür müsse ihm eine entsprechende Stellung g^ schaffen werden, ihm, der unlängst von sich selber sagte: „Na poleon sind einige ähnlich effektvolle Siege geglückt wir mir.* Man glaubte auf Grund solcher überheblicher Aeußerunge», die jedes politische Augenmaß vermissen ließen, und auf Grund ähnlicher Redensarten, in denen er der ganzen Nation Dinge sagte, die jedem anderen den Kopf gekostet haben würden, daß der Marschall eben alt werde und nicht mehr ernst genommen zu werden brauche. Skrzynskt hatte sich noch in den letzte» Tagen seiner Negierung bemüht, durch allerlei Angebote PU- sudski auf seine Seite herüberzuziehen. WitoS aber, -er neue Chef des Nechtskabinetts, glaubte ihn gering achten zu dürfen, und ist darüber gestürzt. Gleich nach seiner Amts übernahme begann er mit der Abhalfterung der Pilsudskt- Anhänger in der Armee und reizte damit den Zorn des alte« Legionärs. Als vollends die Beschießung seines Landhause» durch irgendwelche Faschisten ihm die Möglichkeit bot. die neu« Negierung eines Anschlages auf sein Leben zu bezichtigen, da hielt Pilsudski den psychologischen Augenblick für gekommen. Er schlug los und handelte schnell und sicher. Die Einzelheiten deS Staatsstreiches werden erst jetzt allmählich bekannt, nach- dem sich daS Gewirr einander widersprechender Gerüchte aus- gelöst hat und der militärische Sieg Pilsudski- vorläufig wenigstens feststeht. Seine Popularität in großen Teilen be» Heeres und seine Freundschaft mit den Sozialisten gaben ihm überraschend schnell die Regierung und alle Machtmittel de» Staates in die Hand. Zwar fehlt eS auch jetzt den gestürzte« Rechtsgrößen nicht an Anhängern in -er Armee und im Lande» und eS ist anzunehmen, daß sie die mit Waffengewalt erzwun gene Entscheidung nicht ruhig hinnehmen werden, wenn auch zu nächst eine militärische Gegenaktion aussichtslos erscheint. Aber man darf deshalb nicht erwarten, daß damit die innere Ruhe für Polen auf die Dauer wieder gewährleistet ist. Der Staatsstreich hat nur die in früheren Jahrhunderten -er pol- Nischen Geschichte zur Tradition gewordene Acra des inneren Krieges aller gegen alle wieder eröffnet. Die zügellose Sol dateska, einmal in den Strudel des politischen Getriebe» hineingezogen, kann ebenso wie sie heute in Hellen Haufen zu dem Sieger Pilsudski überlief, morgen einem anderen Agt- tator zujubeln, -er sich geschickt in die Gunst der Massen zu setzen weiß. Alles deutet darauf hin, daß die Revolution in Polen zur bauernden Einrichtung werden wird, genau so, wie sie in den südamerikanischen Republiken da» ständige Hilfsmittel der Innenpolitik bildet. Wenn die geplante Gegen- aktion der Generale Haller und Sikorski ln den entscheidenden Tagen nicht gelang, so hauptsächlich deshalb, weil die Streik beschlüsse der Gewerkschaften den Umstürzlern zu Hilfe kamen» und weil es eben im Bürgerkriege ein anderes ist, die so genannten Rcgierungstrüppen in Marsch gegen die Rebellen zu setzen und sie einem gut geleiteten und entschlossenen Geg. ner gegenüber wirklich zum Schlagen zu bringen. Die Recht». Parteien, die besonders in Mcstpolen eine starke Stellung ei«, nehmen, sind in Posen zu einer Beratung »usammengctretcn, in der sie entscheidende Beschlüsse über ihre Haltung gegenüber der neuen Lage fassen wollen. Ungeklärt ist auch die Frage, wie sich Pilsudski und dt« mit ihm zur Macht gekommenen politischen Parteien die weitere Entwicklung im Innern denken. Man ist in diesen Kreisen eifrig bestrebt, -er neuen Negierung den Anschein einer Diktatur zu nehmen, da sich diese Herrschafts« fort» doch schlecht mit den politischen Grundsätzen der Linke« verträgt. Es ist in diesem Zusammenhang auch interessant zu beobachten, wie sich der „Vorwärts" in krankhaft gewundenen Ausführungen bemüht, dem revolutionären Vorgehen Pil- sndskis ein verfassungsmäßiges Mäntelchen umzuhängcn und den Anschein zu erwecken, als ob die aktive Teilnahme der polni schen Sozialisten am Staatsstreich notgedrungen habe erfolgen müssen, weil e» sich darum gehandelt habe, zwischen zwei yot-