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Der Sahnhof. von Seltr Pbtltv »t tverlinl. - vor etnsgeu Lagen erhielt ich an- Frankfurt »am Mot" einen Brief, in dem mir »Onkel Hermann" die freudige Mitteilung macht, daß »er die unwiderstehliche Luft vcr- spüre", nach dretkilg Mähren endlich mal Berlin wieder- zusehen". Er würbe im Hotel Adlon absteigen. »Weißt Du. mein Junge," schrieb er. »aus Museen, Findelhäusern und Iünglingvveretnen mache ich mir offen gestanden gar nichts. Aber unter Deiner bewährten Führung möchte ich «in bißchen untertauchen und mal das Nachtleben «Palais de banse und ähnliche Erbauungsstätten) gründlich studie ren." Er würde am nächsten Tage S Uhr S6 früh aus dem Anhalter Bahnhof etntrcsfen. gegenseitiges Erkennungs zeichen eine weihe Schleife im Knopfloch. Onkel Her- manni, und nennt mich »mein Junge"! Ich habe keine Ahnungl Nachdem ich 10 Minuten lang unter Zuhilfe nahme alter PbotvgraphiealbumS alle Onkel und Tanten. Vettern und Eousincn bis zum vierzehnten Grad in meinem Kopf berumgemälzt hatte, purzelte endlich wirklich ein Onkel Hermann heraus! Die letzten zuverlässigen Nachrichten über diesen Blutsverwandten — ich glaube, er war der angeheiratete Schwager einer gleichfalls ange heirateten Taute — stammten aus meiner Quartanerzeil! lieber die erste Jugendblüte muhte Oukcl Hermann doch nun eigentlich hinaus sein, und dennoch Palais de dansc'? Seiner Verpflichtung, schon einige Jährchen unter dem beliebten »kühlen Raken" zu schlummern, war er also bis her nicht nachgekommcn und zog es vor. das Berliner Nachtleben gründlich zu studieren! Seine Ankündigung, daß er bei Adlon wohnen würde, beruhigte mich über seine Vermögenslage und erösfnete mir die freundliche Aussicht, dah er einen Mann, den er „seinen Jungen" nannte, auch im Testament bedenken würde, wogegen sein vergnügungs süchtiges Programm leider a»f eine ungewöhnlich dauer hafte Gesundheit schließen lieh! Da es seit meiner Kindheit z» meinen Lieblingsbeschäf tigungen gehört, siebzigjährige Onkel, die ich nie gesehen so?aest?^t?urch'«in« Ta^? Ka?s«*rmd ^^mcht« ich «sch als», gestärkt durch die Segenswünsche meiner Wtrtsklxlfterin. aus die Expedi tion. Ein grämlicher, dunkler, nebliger Morgen, der mir Gelegenheit bot zu Len nicht gerade originellen Betrach tungen. dah es im Bett weder so grämlich, noch so neblig sei! Aber Onkel Hermann aus Frankfurt »am Moi" rief, und meine verfluchte Schuldigkeit war es. diesem ehren vollen Rufe Folge zu leisten. Mein kühn entworfener Plan, mittels Droschke oder Auto mein Ziel zu erreichen, wurde durch deren vollständige Abwesenheit vereitelt.' die einzigen Gefährte, die ich traf, war ein voller Gemüse wagen und ein leerer Leichenwagen, und da ich den ersten nicht besteigen durste und den zweiten noch nicht benutzen wollte, trabte ich loS. verschlafen zwar und frierend, aber dennoch die treue deutsche Männerbrust geschwellt von der Erwartung, endlich den wcihbeschleistcn, geliebten Onkel Hermann umarmen zu dürfen. Das Publikum, dem ich be gegnete. bestand hauptsächlich auS Herren, welche die Straße säuberten, und Damen, welche Zeitungen trugen, aber auch ein Elegant mit einem Zylinder erregte meine Aufmerksamkeit: ein Schornsteinfeger. Bor dem Anhalter Bahnhof traf ich auch ein leeres Auto . . . Das hell durch leuchtete Auge über dem Eingänge zeigte erst auf «i Uhr 22. ich hatte also noch volle sechsunddreihig Minuten Zeit, mich aus eine würdige Ansprache vvrzubereiten. Der Bahnhof schläft, das eiserne Ricsengerippe liegt im Dunkel, nur hier und da ein trübes Licht, das Leben ist noch nicht erwacht! Ein müder, blasser, junger Mensch im Arbeitskittel schlurft, mit einer Vlechtannc in der Hand, den Perron entlang: zwei Schaffner mit Laternen be grüßen sich, ein mit Paketen beladener Postwagen, ein Gepäckkarren mit bunt beklebten Koffern, von irgend woher der schrille Psiss einer Rangiermaschine. in einer Ecke ans Körben und jämmerlich verschnürten Kisten Aus- wandercrsnmilieu, die Weiber in die Kopftücher eingc- mummelt, schlafen, die Kinder schlafen, die Männer schlafen. Tie Lippen umspielt ein seliges Lächeln, er träumt von da drüben, von Alaska, von den Goldgruben!.. Alles noch trübe und dunkel.» nur die grünen und roten Lampen auf den Signalstangcn jenseits der Brücke leuchtet durch de» nebligen Tunst.... « UH» » ... W» Mn», k»pp»V «»«1 «»«ander... Ein grauer Schimmer fällt aus di« schmutzigen Scheiben der GlaShalle. hebt die Umrisse und kündigt den kommenden Tag!... Ich frage eine vorübergehende Dienstmütze mit Habnbart und durchgezogenem Scheitel, auf welchem Gleise der Frankfurter Zug hält'?... »55 Minuten Verspätung!" Der Teufel hole den verspäteten Onkel Hermann mit seinem plötzlich erwachte» Unteriauchungs- bedürfniö ins Berliner Nachtleben!... Das ist ja 'ne nette Geschichte, noch anderthalb Stunden muß ich die Geduld, den Onkel in meine wcitgeüfsnrlen Arme zu schließen, be zähmen! Was fange ich nun an'? Nach Hause fahren? Unsinn! In ein Nachtrag? Noch dttmmcrl Ach, wac>! Ich werde hier umherschlendern..., vielleicht gibt's was zu sehen! Ich gehe vorüber an den Wartesälen, durch deren hastig geöffnete Türen mir eine üble Wolke von Bouillon und Zigarrenbamps entgegenstrüwl: drüben ist ein Zug zilsammengestellt. die erleuchteten Wagen tragen die verlockenden Schilder: Berlin—München—Verona Rom. Die Bucklxmdlnng hat ausgemacht und ihre Schätze ausgebreitct, lauier Meisterwerke! eins immer knalliger und auffallender und verlockender gebunden als das andere! Ich lause mir eine Zeitung: Reinhardt und Tri polis, Reinhardt und Konstaniinvpel. Reinhardt und China, Reinhardt »nd der Kaiser! Die Bogenlampen flanu men ans »nd werien ein geisterhaftes Licht über Halle und Menschen. .. Ein Fernzug mit einer endlosen Wagcn- schlange poltert herein... »Träger!" „Träger!" Im tief ste» Baß, im hellsten Sopran! „Manne! um Gottes willen, ich habe ia die Hutschachtel in München vergessen!" „Das Kind vielleicht auch!" antwortet er verschlafen und indigniert... „Träger!" „Träger..." Beim Schein einer melancholisch ihr Dasein fristenden Nernstlampe studiere ich in einer Ecke die Plakaie, die mir eine währhast tiefe Beruhigung einslvßen: „Heimat für Mädchen!" „Mädchen schütz", „Mädchcnhvrt". „Mädchcnhilse" „Mädchenas»!". -Zuflucht, -Heimstätte, -Obdach, -Wacht und -Aussicht!" Alle Achtung! Wie cs bei so vielen höchst löblichen Boll werken gegen die verruchte Nnsittlichkcit doch noch so zahl reiche Besucherinnen des Palais de danse geben kann, ist nur ganz unverständlich!... Als ich aber unmittelbar unter all' diesen höchst verdienstvollen Mahnrufen an die (äut V^unscd rur Stiele, der Ankauf Verrecdnun§.) unser kennen ru lernen wünscbt, verlange Prospekt 8 uncl Lin- IlläunZ unseren konterten. 00. OlvLLlDM-^., ?ra§er Ltrake 49 (am biauptbabnbof). Nräsickcnt bk. N. Treinaine 8 -r rs Z «Las I^FingStkSSl kleMnte Nerren kerliA Lür jsÄs Z'LZAr ^reisla^srl: 18- M7 Bi». -1 «rollt «rnxl. f^unl. !6S. LutaPvav 26, 42, 56 d»s L5 LVt. 2 ** » rr «i . stS ?? ^ ^ rr n » »Mt HU köMg v»in«r Ls lie^t in lbrem eigenen Interesse, bei Bedarf von V»rr»vn- W»Z 2 und Dresdens grösstes Oamenbut-8oe?ialbaus D«Z Llslarred Kaseli L Ls. ZtrL88S mit Ilirem werten Lesucli ru beebren. 8,'e finden dort alle IvlLivii speziell in IlvIIvu Zig HiLtv«, ivnvr und vor ^IIvI ANV!,»1v Diivr»» dklliAv I^ivll««: