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Dienstag. 27. September 1S27 Dresdner Nachrichten" Nr. 454 Seile 5 Talsperre Lehnmühle. In nicht allzu grober Entfernung von Dresden, tm Tale der Wilde» Wetßeritz, ist inan oberhalb des Gasthauses zur Lehnmtihlr dabei, die grüble Sperre Sachsens entstehen zu lassen. — Der Zweck der neue» Sperre ist, der Stadt Dresden eine Trinkwasserrcserve zu schaffen, wie sie selten eine Stadt anszuiveisen hat. Das Wasser der Wilden Weisierltz kann viel eher diese» Zwecke» dienstbar gemacht werden, alö das der Noten Weißeritz. da das BerunrctnigungSmvment ein ganz bebentend niedrigeres ist, da sich in Flußnähe so gut wie keine Ortschaften uiw. befinden. Selbstverständlich werden die Wässer gefiltert und keimfrei gemacht. Die Sperrmauer soll bet einer Länge von 150 Meter und einer Stärke von 50 Meter eine Höhe von 48 Meier erreichen. Das Necken, dem die so tdnllisch gelegene und von Sommer, srischlern gern besuchte Ortschaft Steinbriickmilhie znm Opfer fällt, wirb 25 Millionen Kubikmeter Wasser fassen. — Ernste Nutze wird »ach dem erfolgte» Fülle» tm Herbst >020 dort kintreten. wo letzt fieberhafte Tätigkeit herrscht. Die Grund steinlegung zur Sperrmauer soll mit aller Bestimmtheit „och in diesem Monat erfolgen. Tag und Nacht wird geschasst an dem groben Werke Während Hunderte von fleibige» Händen in -er Baugrube d'e letzten Felsaiisschachtnngen vornehmen mit Prcblnsthammcr. Sprengstoff, Hacke und Schaufel, wurde in den letzten Tagen der Weiberitz durch ein 150 Nieter langes Holzgcsluder ein neuer — ein Interimswcg vorgeschriebe». Gleichzeitig gehen die Ausgrabungen der Maucrwider- lagcr sowohl am Hennerödorser wie am Hartinannsdvrser Talliang weiter. In den Werkstätten herrscht reges Leben: ssniiken sprühen Tag und Nacht. — Dampf- und Benzin- lvkvmotiven eilen mit ihren Lasten in flottem Tempo über rasch gelegte Gleise hi». Ein charakteristisches Bild erhält die Baustelle durch sechs Turmkräne, gigantische Banhilss- mcrke, die viele» Dutzenden von Menschenhänden die Arbeit abnclimcn und erleichtern. Sie bringen Mürtel und Steine von der Zubringer- nach der Bcrwendungsstelle und haben mit ihren weitanSgretfenden Armen einen beträchtlichen Arbeitsradius. Sie sind beweglich und fahren ans einem starke» Gerüst je nach Bedarf zur Arbeitsstelle. Eine» Kilometer unterhalb der künftigen Sperrmauer ist direkt an der Weisteritzstrabe ein Stcinbruch im festen blau- grauen Gneis angelegt. Er hat eine Länge von 200 Meter, eine Hohe von 15 bis 30 Meter und wird eine Tiefe von etwa 100 Meter erreichen. Nachdem das Gestein von den über lagernden Erdmassen befreit ist. wird mit Bohrmaschinen an der SprengminenhersteNnng gearbeitet. Nach erfolgten Sprengungen bringt ein wuchtiger Löffelbagger mit ganz erstaunliche» Leistungen die Felsniassen in die bereitstehcndc» lllcinbahnwagen, die sie zur Mauer nbtranoportieren, »nd znin andern in ein O-uetschwcrk bringe», das den not wendigen Sand und Kies zur Mortelherstellung daraus hcr- stellt. Mehrere Kilometer Kleinbahngicis waren erforder lich. »m die Nohstosslieferstätten mit der Baugrube zu ver binden. Maschinenhalle», Wohnbaracken. .Kantinen »sw. ergänzen das Bild dieser Stätte von Kleist und Hochleistungen. In der Öffentlichkeit tritt daö Projekt wenig in Erscheinung, dem Besucher aber prägt es sich wnchtia ein. In aller Stille wird stier ein Werk geschaffen das kommenden Geschlechtern ein Denkmal von deutschem Kleis, und deutscher Gründlichkeit >» schwerer Zeit darstellen wird. SO-Iahr-Feler der 11. Volksschule (K. Bürgerschule). Bon dem Schulgebäude am Seidnihcr Platz wehte» heute die Kahne» und winkten golddnrchwirkte .Kränze. Bor siinszig Jahren, am 21. September 1877, wurde die jetzige II. Volks schule als 0. Bürgerschule begründet, um die 1. Bürgerschule aus der JohanncSstraste zu entlasten. Ans diesem Anlas, wurde am Mvntagvormittag in der znm Festiaale herauo- geschuüicktcn Turnhalle ein F e st a k t n s abgchaltcn, an dem mehr als Ollll Fcstgäste — staatliche und städtische Bebördcii- vertrctcr, Eltern, Lehrer, Freunde der Schule und Abord nungen der Schülerschaft — tctlnahmcn. Im Mittelpunkte der schlichten, aber würdigen Feier stand die Festrede des Schulleiters Wagner, die der Freude über das gesegnete Gedeihe» der Schule in ihrem ersten Halbjahrhnndert be redte» Ausdruck verlieh. Eine Schule werde eigentlich nie all, auch wenn sie fünfzig oder gar hundert Jahre bestünde,' denn die Jugend gehe in ihr ein und aus. Aber ewige Jugend bedeute nicht ewiges Sichgleichbleiben. Auch eine Schule sei der Entwicklung unterworfen,' auch sie müsse mit der Zeit fvrt- schrciten. Eine geschichtliche Uebcrschan über die znriick- liegenden fünfzig Jahre des SclnillcbenS führte diesen Ge danken weiter aus, »nd besonders eingehend wurden die Wandlungen und pädagogischen Bestrebungen der Neuzeit lArbeitsschule, Schulwanderungen, Leibesübungen, Eltcrn- bcirat usm.j gewürdigt. Eine dankerfüllte Erinnerung weihte der Ncdner de» drei früheren Schulleitern Endner, Bruno Müller und Theodor Innghannö und allen ehemaligen Lehrer» der Schule. Unter den letzteren wurden besonders die vier an der Feier teilnehmenden Herren Viktor Franke jder bereits vor fünfzig Jahren von der 1. nach der 0. Bürger- schule als Lehrer mit tibergesiedelt istj, Emil Lenschke, Isidor Freyer und Direktor Wiedemann ermähnt. Die Ansprache schloß mit dem Pestalozzi-Worte, das auch in Zukunft de» Geist der Schule kennzeichne» solle: „Kommt, last! uns unsere» Kindern leben!" Eine lange Reihe von RcgrüstungSansprachen und Be glückwünschungen folgte der Festrede. Es sprachen im Namen der Bezirksschnlinspetlivn Dresden I Bezirksschulrat Dr. Sturm, der den guten Geist pries, wie er allezeit t» dieser Bildungsstätte gewaltet habe: ferner Oberlehrer t. N. Viktor Franke, der sich besonders an die Schülerschaft wandte. Im Namen des Bezirkslehrerrates nnd -ckusschüsses übcrbrachtc Schulleiter Sachse herzliche Wünsche, das gleiche taten Pfarrer Walther im Aufträge der Jvhanneskirchgemeinde, Kirchenbuchführer P e » d e r im Name» des Elternrateö und der Elternschaft, ferner Professor Dr. Weiler für die be nachbarte Oberrenlschnle Iohannstadt, Schulleiter Böhme für die Ehrlichsche Gestistsschnle »nd Lehrer Brehm für die mit der Jubilänmsschnle zu einer Schnlgrnppe vereinigten Volksschule» <1., 10. und 18. Volksschule!. Eine frühere Schülerin begrüstte in schonen Verse» das alte, unvergessene Schulhaus, und eine Abordnung von ehemaligen Schülern überreichte einen gerahmte» Denkspruch. Für alle Ehrungen und Wünsche dankte Schulleiter W a g ne r. Musikalische und dichterische Gaben, dargeboten von dem Mehlhose-Quartett iStreichtrio und Klavierl, vom S ch ü l e r i n n e n ch v r nnd von einer Schülerin, nmrahmtcu die Jubelfeier. Am Montagabend sollten die Inbilänms- veranstaltnngc» mit einer W i e d c r s e h e n s f e i e r ans dem Waldschlößchen und am Dienstagnachmittag mit einer Schüler- Dampsschissahrt nach Pillnitz und einem K > ndcrfe st anf der Waldschlöstchcn-Terrassc fortgesetzt werden. — Der Bund der Ausländsdeutschen sucht aus dem Wege gcsellschastlicher Veranstaltungen, die er immer wieder zu Werbezwecken abhült, die Geldsummen zu schassen, die zur Stillung der dringendsten Not ihrer wirtschaftlich nnd durch die Zeitvcrhültnisse in Bedrängnis geratenen Brüder und Schwestern erforderlich sind. In diesem Zeichen stand auch das am Sonnabend tm Saale der Waldschlöstchcn-Terrassc ab- gehaltcne Stiftungsfest der Dresdner Gruppe, das sehr gut besucht war nnd dank der umsasscndcn Vor bereitungen des VergnügnngSvorstandeS Ritter recht har monisch verlies. Er bestritt das gcsamte Arrangement und fand auch noch Zeit zu einer warmherzigen BegrüstnngS- ansprachc, in der er alle» Teilnehmern des Festes, die durch ihr Erscheine» die Cache der Unterstützung der Ausländs deutschen zu fördern suchte», dankte und daraus hinwics, dast die Behörde» immer anss neue durch reges Entgegenkommen bewiesen, wie sehr ihnen die Hilfsaktionen für das Anslands- dentschtum am Herzen läaen. Insbesondere galt sei» Dank dem Polizeipräsidium für die Regelung der Flüchllingssragc. Dann bot Professor Chartvsilax, der Mandolinen- virtuoS aus Athen, Gaben seiner mit hauchzartem Anschlag nnd sabelhastcr Technik geübten .Kunst, während die jugend lichen Tänzerinnen Mosch und Bretschncidcr von der Ttaatsoper durch sehr hübsche Tänze, namentlich heiterer Art, die Versammlung vorzüglich unterhielten. Die Konzcrtmnsik bestritt das Kilian-Orchester. Eine rcichbcschickte Tombola nnd ein Fcstball rundeten die Feier ab. —* Im Ev.-lnth. LandeSschnlverein für Sachsen, Ge- mcindegruppc Innenstadt, berichtete am 2l. Septe»'ber Ober schulrat Bang über die machtvolle Kundgebung des 18. All gemeinen Ev.-lnth. Schulkongreises in Leipzig nnd sprach, neben Major a. D. v o n B ü nau, über den wahren Sinn der Gegnerschaft gegen den Entwurf deS Reichsschulgcsetzcs nnd die Gefahren des Konkordats. Den begehrlich drängen de» nnchristlichcn Bestrebungen gegenüber wurde folgende Entschlie st n n g angenommen: „Der Ev.-lnth. Schnlverein vertritt den Grundsatz, dast Unterricht und Erziehung der deutschen Kinder an sdcm Eckstein, den Gott selbst gelegt hat, ruhen mnst. Da das „sächsische Sclmlelend" weit und breit beklagt wird, müssen Regierung und Ellern fest znsammcn- stchen, inn im Lande der Reformation die evangelisch-luthe rische Bekenntnisschule sicherznil^en. Den sächsischen Kindern darf der kostbarste Schatz für die Ewigkeit nicht vorentlialten sein: „Die Herrlichkeit deS eingeborenen Sohnes vom Vater voller Gnade nnd Wahrheit." Eingcleitct und be^lonen wurde die Verl""inlnng mit Gebet und dem Lutherlicd: „Ein feste Burg ist unser Gott." — 21. Iahrcötagnng des Weisten Kreuzes. Am Sonn abend und Sonntag trafen sich die sächsischen Vertreter des Deutschen Sittlichkeitsbnndes, Sitz Nowawcs, in Tchnecberg- Nenstädtcl. Den Festgottesdicnst hielt der Bnndcsvorsitzendc Pfarrer Knabe iArnsdorsj in Nenstädtcl. Gleichzeitig pre digten Pfarrer Aü lDrcsdcu-Planens in Aue »nd Pfarrer Te ichert lLangenbcrnsdvrf» in Lanier über die Ziele der Weisten-Krcuz-Bewegnng. Zn der Tagung am Nachmittage hatten sich eine ganze Reihe Vorkämpfer n»S dein Reich eiu- gcfnnden, so Wunderlich iBambergj, Schlenker lEharlotten- bnrgj, Bäuerle und Wicklein sBerlinl. Anschlicstend an die Tagung soll eine groste Anfklärnngstätigkcit im Erzgebirge stattsindeu. — SU-Iahrseier der Elbtal-Logc im Druidenordrn. Die im Verbände des Deutschen Druidenordens V. A. O. D. stehende hiesige Elbtal.Lvge begeht am 2. Oktober die Feier ihres 50. jährigen Bestehens. Im Anschlust an die Jubiläumsfeier findet eine Tagung der R e i ch s g r o st l o g e in Dresden statt, die voraussichtlich vier bis fünf Tage dauern wird. — Geschästsjubiläum. Tie Kaklecngänncrel von WllIY TchwebS ln »löplchenbroda und das Ltadlgeschäsl von Krau SchwcbS, Weltlnerstraßc .17, können am 10. September aus ihr LöjährigeS Bestelle» znrncklOickeii. Tie .ciulluren und das zuverlässige Bersandgelchäst haben ln ganz Tculschlad einen geachteten Namen. — Die Kranriikirchgemeinde sclcrl ihren Kirchgemeindelag von Sonnlag, de» U„ bis mii Tienslag, den ll. Oklvöer. Ter Posaunen- chor des IungmännervereinS wird den Fesisonnlag mit einer Morgenmusik cinleiicn. Uirchgcmeinüeverireiung und sämtliche Gcineindeucrclnc stellen gegen 0 Uhr zum Festzuge. Tie Festpredigt hüll der PsarramlSleiler Qbcrkirchenrai Sup. Reimer. Ter Frei willige Kirchenchor und der Moznriverein sichren unter Leitung von Erich Schneider daö deutsche „Saneius" von Melchior Vulpiuö aus. Ter Uindergvllesdicnst, den Psarrer Schuknechi hält, wird gleich- lalls festliches Gepräge trage». Montag, den 10. Oktober, abends 8 Uhr, findet erstmalig im Gemeindesaai, Moritzstraste 1, Kircki» gemcindeversammlung statt, mit Berichten auS dem Gemeinde- und Bereinölcbcn, anschlicstend Aussprache. Ter Familicnabend am Tienslag, dem tl Oktober, i-68 Uhr, im BercinshauS. Zinzcndorf- strastc 17, bringt in seinem Programm musikalische Tarbiciungen des KirchcnchorcS und verschiedener bekannter Solisten, ebenso werden lebende Bilder über das Teuische Bolkslied und neue Licht bilder über die Frauenkirche und den ErneuerungSbau gezeigt werden. Gleichzeitig finde! in den Tagen vom ». bis II. Oktober eine interessante Ausstellung: „Tie Frauenkirche in der Reklame" im Gemcindesaal, zum Besten des zu schassende» Ehrenmals statt. Karten zum Familienabend sind in der Kirchcukanzlci, Ncumarkt 8, I. Stock, zu haben. — Sonderslihrnngcn in der IahreSschau. Morgen Mittwoch 4 Uhr Führung Tr. Hosmann in der Sondcrschau der Sächsischen Landcsbiblioihek: „TaS Buch." Teilnahme unentgeltlich. Ein schwächlicher Schulknabe als Bügelbrett Ein ganz ungewöhnlicher Fnll von vorsätzlicher Körper verletzung kam vor dem Schöffengericht Dresden zur Verhand- lung. Der nm Holbcinplntz 5 wohnhafte Schlossergchilfe Rudolf Max T ä s ch n c r ist in zweiter Ehe verheiratet. Ans erster Ehe ist eine jetzt 10 Jahre alte Tochter vorhanden, während die zweite Frau einen Knaben mitgebracht hat, der etwas kränklich ist. Zwischen den Eheleuten soll cs schon öfter zu Zwistigkeiten gekommen sein, der Mann hat seine Frau früher wiederholt misshandelt. Täschner halte sich wegen vor sätzlicher Körperverletzung zu verantworten, wobei es sich um folgendes lxnideltc: Am 10. 'November vorigen Jahres bügelte er den Mantel seiner Frau auf. Ta der Angeklagte dazu keine sogenannten Aerniclhölzcr und Schulterkissen besäst, so hing er den Mantel über die Schultern des jetzt 12 Jahre alten Stiefsohnes und setzte die Biigclei ans dessen Körperteilen fort. Zuvor will Täschner ein feuchtes Tuch nnd auch eine» Topflappen ans die Schultern des schwächlichen Knaben ge legt haben, der aber zusammengezuckt war, als das heiße Bügeleisen über die Tchultertcile hin und her geführt wurde. Der kleine Knabe hatte dabei Verbrennungen zweiten Grades erlitten. Als sich die Blasen geöffnet, waren wunde Stellen zu verzeichnen, die der Schularzt als von jener ganz unver ständlichen Bügelei stammend sestgcstellt hatte. Der Angeklagte gab an, er habe den Stiefsohn genau so behandelt wie seine eigene Tochter. Wenn er die Ehefrau geschlagen habe, so lägen diese Vorgänge bereits zwei Jahre zurück. Die Be nutzung der Schultern deS Knaben als Bügelunterlage habe er nicht für bedenklich gehalten. Er müsse demnach bestreiten, sich einer vorsätzlichen Körperverletzung schuldig gemacht zu haben. Ter kleine Junge sagte aus, es habe sehr weh getan, als der Vater auf der Schulter bügelte, der Vater habe aber ge sagt, er solle kein Aufhebens machen. Tie Tochter des An geklagten, die ll, Jahre alte Hausangestellte Täschner, gab au, ihr Stiefbruder habe die Zähne zusammengebisscn. Anf jeder Schulter des Knaben habe der offenbar angetrunkene Vater ungefähr je fünf Minuten gebügelt. Ter Schularzt machte als Sachverständiger ernst belastende Angaben bezüglich der fest- gestellten Verbrennungen, wie auch sonst bezüglich der Person des Angeklagten, der als Rohling bekannt sei. Der Vertreter der Anklage forderte empfindliche Bestrafung. Täschner wolle sich nicht in die menschliche Ordnung cinfügeu, die bereits vorliegenden Akten beim Schulamt kennzcichncten seine rohe Nainr und verwerfliche Handlungsweise. Das Schöffengericht verurteilte Täschner wegen vorsätz licher Körperverletzung nach 8 223a Absatz 1 StGB, zu einem Monat Gefängnis. Vorsatz liege vor, -er Angeklagte habe ruhig wcitergebügclt, als der schwächliche Knabe vor Schmerzen gcschricn habe nnd znsammcngeznckt sei, er habe ihn im Gegenteil noch barsch ungefähren. S«I« 1S2S I Hu§sn§I38ei' rrasiiig venger SleaS« 23 knbeilinieäeckapie äee Nlrn>!> V»I>I Dom Wer-en un- Sein. Von Ottomar Enking. Meine Urgroßväter waren ein Forstmann in Holstein, ein Soldat im Laucnbnrgischen, ein Landwirt in Nvrdschlcswig sdie Familie war früher aus Thüringen eingcivandcrtj und cin Bäckermeister in Trvndhjem. Dieser must den Berns zum Künstler in sich gespürt lrabcn, denn cs heißt von ihm in der Familienchronik: „Er legte sich auf das Modellieren in Teig, quittierte die Bäckerei und wurde Bild- und Steinhauck." Bon Norwegen zog er nach Flensburg, und auf dem dortigen alten Friedhöfe kann man noch Denkmäler von ihm sehen. Aach seinem Tode, führte sein Sohn, mein Großvater mütter licherseits. die Stcinhaucrei weiter. Er heiratete mit 17 Jahren und zeugte 15 Kinder. Ich sehe ihn noch immer vor mir. den breitschultrigen Mann mit dem geraden Blick und den entschlossenen Zügen. Glühend liebte er sein dänisches Vaterland, den Schleswig-Holsteinern wie den Preußen hat er das Leben sauer genug gemacht. Mein anderer Großvater war eine trockene Bcamtennatur, mein Vater, die verkörperte Pflichttreue, gelaugte als tüchtiger Lehrer zu hohen Jahren, während meine Mutter schon in meiner Iüngltngszeit starb. Sic war kränklich, dichtete gefühlvolle Lieder und gab sich viel mit »iiistischen Dingen ab. Ich selbst wurde am 28. September 1867 in Kiel geboren und war zuerst so schwächlich, daß mein Vater oft, wenn er des Morgens zur Schule ging, gedacht hat, er werde mich nicht lebend wicdcrsindcn. Aber ich kam durch, und schon von meinem zehnten Jahre an regte sich die Plnintasie in mir. Sie wurde mächtig dadurch ausgestachelt, daß ich eine ganze Bibliothek ausländischer Klassiker verschlang. Shakespeare, Byron, Shellen, Ehauccr, Leopardi, Mvliöre, Äe Spanier und die Skandinavier lmbe ich in den Enlwicklungsjahren kennen gelernt, daneben las ich Goethe, Scnme, Kleist, und auch die Antike blieb mir nicht fremd. Ich dichtete selbst, spielte Theater, sah Geister und war cin großer Zauberer. Als ich vom Kieler Gnmnasium aus die Lateinische Schule nach Flensburg kam, wucherte mein Tricbleben immer mehr empor. Als Sekundaner liest ich unter einem Pseudonym ein Lustspiel von mir anfsührcn. Meine Kameraden und die Prima wußte» Bescheid, erschienen vollzählig im Theater und riesen mich immer wieder heraus. Die Standrcdc, die mir unser Direktor am nächsten Tage hielt, mar nicht von schlechten Eltern. — „Ucberhaupt — ein Schüler mit Theaterstücken!" schloß er und drückte mir damit seine tiefste Verachtung auS. — Tie Schularbeiten wurden häufig vernachlässigt, denn ich mußte große Epen nnd Dramen verfassen. Nach dem Abitur widmete ich mich zunächst der neueren Philologie und ging dann ohne rechte Lust zur Jurisprudenz über. Meine Sehnsucht war cs, Schauspieler zu werden. Nach harten Kämpfen mit meinem Vater setzte ich meinen Willen durch. In Kiel, Barmen »nd Stuttgart habe ich auf den Brettern gestanden, um freilich bald ciiiznsehcu, daß ich nicht die Gabe zu etwas Großem in diesem Reiche besaß. Dttomar Enking. Das überschwenglich Phantastische in meiner Seele sank während einer schweren Krankheit ab, ich begann, mich zu finden und Erzähler zu werden. Die Gestalten meiner Heimat wurden mir dichterisch lebendig, und meine ersten kleinen Werke .Lreiiie Stölting" und ,-Schlanksch'lcna gaben ja schon all das. was ich später heiter ausgcbaut habe. Bei der Bühne war meines BlcibcnS nicht länger. Ich wurde Redakteur, zuerst in Kiel unter Moritz v. Egidn und Adolf Damaschke, hierauf in Köln, dann in Wismar und zu letzt in Dresden, wo ich nun schon lange Jahre ganz meiner Kunst lebe. Bon entscheidendem Einfluß ist für mich der Auf enthalt in Mecklenburg geworden. In der alten Hansestadt Wismar — zu meiner Zeit hatte sic »och viel Trauliches — wurde ich mir meiner Liebe zum kleinstädtischen Wesen bc- mußt, und meine Bücher spielen denn auch fast sämtlich in kleinen Städten an der Ostsee. Mögen freilich die behandel ten Kämpfe durch die enge Umgcbiina ei» besonderes Gepräge erhalten, so sind sie doch allgemein menschlich und finden sich ebenso in der Großstadt. Wie sollte cs auch anders sei»? Unser Herz, an welchem Orte cS immer schlägt, ist das gleiche wunderliche, ungebärdige Ding. Die meiste Anregung znm Schaffen empfange ich durch Häuser. Das Gebäude ist für mich etwas Lebendiges, das seine Bewohner nach sich bildet. Und je nüchterner solch ein HanS da steht, desto größer ist oft sein Reiz für mich. Die Zahl meiner Erzählungen ist recht erheblich. Bekannt wurde ich mit einem Male durch „Familie P. E. Bebm", und von diesem Buche über den „Drngcs", den „Matthias Tedebus", die „Monegrund" hinweg bis zum „Elans Icsup", dem .Massermedicus von Schaddelni" und zu „Röne und Syrithe" — das ist ein langer Weg, aber ich darf von mir sagen, daß ich alle meine Menschen mit Liebe erschaut nnd ersaßt habe, und daß ihr Leid mein eigenes Leid war. Erlebtes zu bekennen, darin bestellt mein Dichten. Auch ans dramatischem Gebiete habe ich mich versucht. Meine Komödie „Das Kind" ist viel gegeben worden, nnd mein Lustspiel „Der Glücks wagen" bat sich gleichfalls Freunde erworben. Meine Vor- tragsknnst hat mich in zahlreiche Städte geführt, und als Lehrer der Literatur an der Staatlichen Akademie für Kmist- gewerbe in Dresden gebe ich der Jugend, der mein Herz ge hört, daS Beste, was ich habe. Dichtertch bin ich stets, unbekümmert um alle Moden, meine eigenen Pfade gegangen, menschlich ist meine Devise: ,/Dtolz in Einfachheit!" Sechs Jahrzehnte! Wohl hancht mich Wehmut an bei Sem Gedanken, daß sich diese, der Welt für alle ihre Schönheit so dankbaren Angen nun vielleicht bald schließen werden, aber noch spüre ich kein Alter, und meine frohe Hoffnung ist cs, mit der von früh an geliebten Lebensgefährtin nnd der uns geschenkten Tochter rüstia eine tüchtige Slreckc weiter vorwärts zu schreiten. Manche Pläne harren der Ausarbeitung,' ich habe noch viel vor! lind die Sonne hebt sich niemals, ohne daß Ich ans tiefem Genrüte spreche: „Du bist mir wert, mein Tag!"