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Paul Schumann Worte des Gedenkens von Adolf Spemann Als Paul Schumann mich vor mehr als siebenundzwanzig Jahren im Frühling 1910 aufforderte, zusammen mit ihm das altberühmte Verlagshaus I. Engelhorn, das gerade sein fünfzig jähriges Bestehen feiern konnte, von Geheimrat Carl Engelhorn, dem Sohne des Gründers der Firma, käuflich zu übernehmen, war ich sehr jung und für diese Aufgabe wenig vorbereitet. Zwar hatte ich den Buchhandel in einem so hochangesehenen Hause wie Konrad Wittwer in Stuttgart erlernt und einige Monate bei F. Bruckmann in München und Berlin gearbeitet, aber sonst mit Begeisterung und Eifer Kunstwissenschaft getrieben, auch in diesem Fach promoviert, und die Lebenspläne gingen so ausschließlich auf die spätere Übernahme des väterlichen Verlags W. Spemann, daß der Ruf Paul Schumanns mich überraschend traf. Lange schwankte ich damals, ob ich diesen so gänzlich anderen Kurs ein- schkagen und mich mit meiner auf andere Ziele gerichteten Vor bildung als zweiter Steuermann auf ein mir fremdes Schiff stellen sollte, aber ich habe es nie bereut, mich mit Paul Schumann zu einer Gemeinschaftsarbeit verbunden zu haben, die über ein Vierteljahrhunbert gedauert hat, um erst jetzt durch den Tod ihr Ende zu finden. Schumann war der beste Lehrmeister, den man sich denken kann — er unterrichtete nicht, sondern er gab ein Beispiel; ist 'doch das Beispiel der eigenen Arbeit der einzige Lehrmeister, der nachhaltige Wirkung erzielt. War so das Verhältnis ganz natur gemäß zunächst ein solches zwischen väterlichem Freund und eifrigem Jünger, so wandelte es sich im Laufe langer Jahre zu echter Kameradschaft und Freundschaft, Gemeinsam haben wir mit allen Aufgaben gerungen, gemeinsam haben wir unsere Sor gen getragen, gemeinsam durften wir uns unserer Erfolg» freuen; daß dies nicht immer ohne Reibungen auch zwischen uns beiden, ja nicht ohne Kampf abging, ist wie in jeder Gemeinschaft von Menschen, die mehr sind als Stoffpuppen, selbstverständlich, aber stets wurden diese Gefahrenpunkte in ehrlichem Streite bei offenem Visier bezwungen, und es blieb ein höchstens noch vertieftes Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Freundschaft. Gewissenhaftigkeit und Treue zum Werk auch im kleinsten waren die Grundeigenschaften Schumanns, und sie umgaben ihn für jeden, der mit ihm in nähere Berührung kam, alsbald mit jenem Dunstkreis der Vertrauenswürdigkeit, der das wertvollste Kapital eines jeden Geschäftsmannes und gerade des Verlegers ist; handelt dieser doch mit jenem merkwürdigen Gegenstand Buch, das — wirtschaftlich betrachtet — Wohl Ware ist, jedoch zunächst Niederschlag des Geistes und Ausdruck der Persönlichkeit. Und wie wichtig ist es, daß diese Persönlichkeit des Dichters oder des Ge lehrten, die doch so oft der Verlags- und damit der Geschäftswelt fremd und daher mißtrauisch gegenübersteht, Vertrauen zu dem Manne faßt und behält, der seine geistigen Kinder betreuen soll wie ein Hausvater! Schumann hat dieses Vertrauen nie ent täuscht, wie jeder Autor unseres Hauses weiß; der Autor war ihm nicht melkende Kuh, sondern zunächst ein Mensch — und ec blieb dies für ihn, mochte ihm Erfolg beschieden sein oder versagt bleiben. Und als Verleger hatte er stets und in erster Linie seine kulturelle Verpflichtung vor Augen. Schumann war ein Buchhändler bester alter Schule. Am 17. September 1864 in Weißenfels a. d. Saale geboren, erlernte er zunächst den Buchhandel in Chemnitz und trat dann bereits mit achtzehn Jahren in den Verlag von I. Engelhorn ein; es war die Zeit der Prachtwerke in Lieferungen, wie »Die Kunstschätze Ita liens« von Carl von Lützow. Er erlebte dann unter dem Gründer der Firma, Johann Christoph Engelhorn, und dessen Sohn Carl das Entstehen des geographischen Verlages, der mit der von Friedrich Ratzel herausgegebenen »Bibliothek geographischer Handbücher« einsetzte (1882), und das Entstehen von »Engelhorns Romanbibliothek« (1884), jener Sammlung, die auf Jahrzehnte hinaus Weltberühmtheit erlangte. Durch seinen unermüdlichen Fleiß, seinen klaren Verstand, sein buchhändlerisches Können stieg er vom jungen Verlagsangestellten zum Prokuristen auf, bis ihn Carl Engelhorn, seit 1. Oktober 1896 Alleininhaber der Firma, am 1. Januar 1904 als Teilhaber aufnahm. So umfaßt denn seine Tätigkeit innerhalb des Hauses Engelhorn und Engelhorns Nächst volle fünfundfünfzig Jahre, nur unterbrochen durch das einjährige Militärdienstjahr, gewiß schon rein äußerlich eine »Dienstzeit« von seltenen Ausmaßen. Wie groß das Vertrauen war, das Engelhorn seinem Prokuristen und späteren Teilhaber schenkte und schenken konnte, geht wohl am besten daraus hervor, daß er regelmäßig viele Monate des Jahres ins Ausland ver reiste, wobei nur die wichtigste Post nachgeschickt wurde, und auch als ich in den Mobilmachungstagen 1914 an die Westfront ab marschierte und dann über vier Jahre durch den Kriegsdienst nahezu vollkommen für die Geschäftsleitung ausfiel, wußte ich das Verlagsschiff in treuer und bewährter Hand. Innerhalb der Verlagserzeugung betreute Paul Schumann von früh auf den erdkundlichen Teil; sein Jugendwunsch, Mathe matiker zu werden, war nicht in Erfüllung gegangen, und so fand er ein Genügen in vorbildlicher Ausgestaltung der geo graphischen Abteilung des Verlages. Ebenso aber vermochte er sich in ständiger Zusammenarbeit mit dem Schriftleiter Zetzschs in die Herausgabe der »Architektonischen Rundschau« vollkommen einzuleben, um maßgebenden Anteil daran zu gewinnen, bis diese Monatsschrift im Frühling 1910 an den Verlag Paul Nefs in Eßlingen verkauft wurde. Dem Persönlichen Einsatz von Schu mann entsprang ferner im besonderen die Reihe Engelhorns Lebensbücher, die 1964 mit dem Welterfolg von Ralph Waldo Trines »In Harmonie mit dem Unendlichen« begönnen wurde und heute eine Äefamtauflage von 840 060 Stücken aufweist. Im späteren Verlaus wurde gerade der geographische Teil von ihm in enger freundschaftlicher Zusammenarbeit mit den Autoren, besonders mit Geheimrat Albrecht Penck, ausgestaltet, fodaß ihn die Universität Erlangen anläßlich des vierzigjährigen Bestehens der -Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde« im De zember 1923 zum Or. Mil. ehrenhalber ernannte, eine wohl verdiente Ehrung, die ihn besonders beglückt hat. Zahllos sind die Dienste, die der unermüdliche Mann unserem Berufsstand und darüber hinaus der Allgemeinheit geleistet hat. Jahrelang Schriftführer des Deutschen Verlegervereins wurde er im Jahre 1936 von dessen Rechtsnachfolgerin, der Fachschaft Verlag, zum Ehrenmitglied ernannt. In langen kampfreichen Jahren gehörte er dem Vorstand des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler an; die Stuttgarter Verleger-Vereinigung wurde von ihm gegründet, der Süddeutsche und der Württembergische Buchhändlerverein ernannten ihn zu ihrem Ehrenvorsitzenden. Schumann war ferner Handelsrichter, Mitglied der Württember- gischen Handelskammer, verschiedener Ausschüsse des Deutschen Industrie- und Handelstags, der Internationalen Handelskammer, des Berwaltungsrats der Deutschen Reichspost, des Wirtschafts- Beirats des Deutschen Ausland-Instituts. Diese außerordentlich zahlreichen Ehrenämter wurden von Paul Schumann jedoch nicht etwa als bequemer Zuwachs seines persönlichen Ansehens, sondern als Verpflichtung zu ernstester Mitarbeit betrachtet; niemals hat er auch nur von ferne daran gedacht, eigennützige Firmeninter essen damit zu verquicken. Der rastlose Dienst in diesen Ehren ämtern drühte oft über seine Kraft zu gehen, er verschäffte ihm aber einen Überblick weit über den Rahmen des eigenen Berufs hinaus und gab ihm das stolze Bewußtsein, dem Ganzen nach seinen Kräften an vielen Stellen dienen zu dürfen. Im täglichen Leben war Paul Schumann ein zu echter Kameradschaft, ja Freundschaft geborener Mitarbeiter, der von jeher mit dem Gemeinschaftsgödanken Ernst gemacht hat, wie ihm nicht nur seine überaus zahlreichen Freunde im Berufsstand bezeugen werden, sondern wie jeder weiß, der sich mit der Bitte um Hilfe an ihn wandte. Wie vielen, die zu ihm kamen, hat er mit seinem uneigennützigen, stets von Verständnis und Gerech tigkeitsgefühl getragenen Rat wertvollste Hilfe geleistet! Paul Nr. 226 Donnerstag, den 30. September 1837 777