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Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. /V/ 87, 17. April 1914. setzt sic noch dazu einen Bearbeiter voraus, der sich nicht nur mit der Geschichte des Buchhandels beschäftigt hat, sondern der das ganze Rüstzeug der gelehrten Bildung in sich vereinigt. Es bedarf der eingehenden Kenntnis der Kulturverhältnisse Deutsch lands und der übrigen Staaten, von denen ja der Buchhandel ein sehr wesentlicher Bestandteil ist; es bedarf der Kenntnis der recht lichen und der wirtschaftlichen Verhältnisse, ganz zu geschweige» von der Bekanntschaft mit den technischen Zweigen, der Her stellung des Buches und deren Entwicklung. Nachdem nunmehr durch die Herausgabe des 4. Bandes die Geschichte einen vor läufigen Abschluß gefunden hat — es steht nur noch das Register zu allen vier Bänden aus —, darf mau es Wohl aussprechen, daß Herr vr. Goldfriedrich das Mögliche getan hat, einerseits in der Zusammenfassung und Erklärung der maßgebenden Fak toren, die die Entwicklung des Buchhandels bestimmt haben, anderseits in der knappen Darstellung, die stets das Wesentliche betont, aber auch das scheinbar Unwesentliche nicht außer acht läßt. Goldfriedrich hat im 2. Bande die Zeit vom Westfäli schen Frieden bis zum Beginn der klassischen Literaturperiode <1648—1746) behandelt, im 3. Bande sie von 1746 bis 1864, bis zum Beginn der Fremdherrschaft weitergeführt, während der vorliegende 4. Band die Zeit von 1805 bis 1889, also bis zur Reform des Börsenvereins behandelt. In dem Vorwort zum 4. Bande, der dem 3. nach 6 Jahren gefolgt ist, betont der Verfasser, daß der Quellenstoff dieses Ban des so umfangreich gewesen ist, »daß die Darstellung sich auf dem Grund einer ungleich ausgebreiteteren Lektüre erheben muß, die dem Bearbeiter Gesamtton, Gesamteindruck, Gesamtbild zu liefern hat, während ihre Einzeldarstellung räumlich und sach lich unmöglich ist«. Er weist auch darauf hin, daß seine Vorar beiten auf eine fortlaufend eingehende Darstellung bis zur un mittelbaren Gegenwart angelegt wurden, daß es dann aber dem Vorstand des Börsenvereins besser erschien, das Gesamtwerk mit der Krönerschen Periode abzuschließen. Leider verschweigt der Verfasser die Gründe, die den Vor- stand zu dieser Änderung des ursprünglichen Planes bewogen haben. Man mutz sich somit die Gründe selbst denken. Diese könnten darin liegen, daß der Vorstand befürchtete, die unmittel bare Gegenwart liege uns noch zu nahe, um das für eine histo rische Betrachtung nötige weite Gesichtsfeld zu erhalten; es kann aber auch sein, daß der Vorstand es vermeiden wollte, heute noch lebende oder noch nicht lange verstorbene Personen einer Kritik auszusetzen. Genug, wir müssen uns mit dem, was uns beschert ist, bescheiden, obgleich auch der Gesichtspunkt nicht un berechtigt ist, daß es Wohl angetan gewesen wäre, durch die Dar stellung der neuesten Zeit die Probe aus das Exempel zu machen, inwieweit die neue Gesetzgebung des Börsenvereins Erfolg ge habt oder versagt hat. Über die früheren Bände habe ich mich bei ihrem Erscheinen ausgelassen; heute will ich mich beschränken, nur den 4. Band zu besprechen, was bei seinem Umfang — beinahe 606 Seiten — schon eine erhebliche Mühewaltung des Besprechenden und eine ebensolche des Lesenden erfordert, um so mehr, als ich das ver sprochene Register noch heute schmerzlich vermisse; die Arbeit würde durch seine Hilfe wesentlich erleichtert worden sein. Wenn es angeht, will ich zum Schluß versuchen, einen kurzen überblick über das Gesamtwerk zu geben, vorausgesetzt, daß es mir gelingt, diesen in wenige Seiten zusammenzudrängen. Der 4. Band beginnt mit der Schilderung der Handels störung, die infolge der fortwährenden Kriege die einzelnen Län der erlitten haben. Goldfriedrich führt aus, wie die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts »ein Zeitalter der Auslösung in der Kulturwelt des literarisch-buchhändlerifchen Deutschland« ge wesen ist. Alles war im Flusse; es war eine Zeit des Drängens nach Neuem, ein Abschneiden alter Zöpfe, während das Neue erst wachsen mutzte. In den deutschen Ländern, denen noch eine Na tionalität fehlte, bildete die Literatur das geistige Band, und die zum Teil bejammernswerten politischen Zustände veranlaßten die besten Köpfe, sich auf die Literatur zurückzuziehen und das Leben, die Umwelt zu meiden. Große Aufgaben waren zu erfüllen; aber auch schwere Kämpfe standen noch bevor. Im Jahre 1805 nannte 550 noch Friedrich Perthes seine Zeit die »papierne« I »Noch L0 Jahre solcher Buhlerei mit der Literatur, solcher Verhätsche lung geistiger Bildung, solcher Krämerei mit belletristischem Lu- xus, und die Deutschen hätten ein sisslo litterairs erlebt, abge schmackter als das ihrer Nachbarn. Jetzt fühlt jeder der Jünge ren, daß das Vaterland nicht zum Dienste der Wissenschaft, son dern diese zum Dienste jenes da ist.« Die Zensur blühte, ebenso der Nachdruck, und der Buchhandel mutzte sich gegen beide wehren. Die Faust des französischen Er oberers drückte schwer aus alle Länder deutscher Zunge, und jede Schrift, die als eine Auflehnnng gegen die französische Herrschaft betrachtet werden konnte, wurde an ihrem Urheber oder an ihrem Verleger aufs strengste geahndet. Namentlich Nürnberg, das schon den deutschen Regierungen des 18. Jahrhunderts als Werk statt und Niederlage ärgerlicher Broschüren galt, erregte auch Napoleons äußerstes Mißfallen. »Alle Pamphlete, die in Deutschland Verbreitung finden, kommen aus der Stadt Nürn berg«, schrieb Napoleon. Der Buchhändler Palm mutzte daran glauben. Als Verleger der anonymen Schrift: »Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung« büßte er den Verlag dieser Schrift mit seinem Leben. Während bis zum Jahre 1805 die Metzkata loge ein stetiges Aufsteigeu der Verlagsproduklion im deutschen Buchhandel zeigen und ihren Höhepunkt in diesem Jahre mit 4181 Artikeln erreichen, stürzt sic vom Jahre 1866 in schroffem Abfall herab und sinkt im Jahre 1813 auf eine Stufe zurück, »die um mehr als ein Menschenalter, um 35 Jahre zurücklag (2323 Artikel)«. Die Hemmung des Bücherverkehrs, die Geldteuerung, die Kontinentalsperre und damit die Unterbindung des Absatzes nach England, waren die natürlichen Ursachen des Herabsinkens der Produktion, des Verkaufs und der langsamen oder ganz unter lassenen Zahlungen. Aber nicht nur der Handel nach England war unterbunden, auch der nach dem übrigen Auslande, und die russischen Verhältnisse waren derartig, daß jeder, der es konnte, lieber seine Finger von diesem Handel ließ; und wer es nicht tat, mußte gewärtig sein, das Schicksal des Buchhändlers Jaco- bäer in Leipzig zu teilen, dessen Sturz Michaelis 1807 mit 100 060 Talern Passiven erfolgte. Die deutschen Zeitschriften wurden meist unterdrückt oder gingen an Abonnentenschwund zugrunde. Das gelesenste Blatt »Der Beobachter am Roer-Departement« zählte im Jahre 1809 1052 Abonnenten, die im Jahre 1807 be gründete »Oaretts äs Ovlogne« im Jahre 1809 364 Abonnenten. Die Cottasche Allgemeine Zeitung mutzte sich bereits im Jahre 1865 dem Rapoleonischen Regiment unterwerfen. Sie durfte nur die offiziellen Aktenstücke bringen, die sie durch Vermittlung der kaiserlichen Gesandtschaft in Stuttgart von der französischen Re gierung zur Veröffentlichung erhielt, und der Redakteur trat zur kaiserlichen Regierung in ein persönliches Korrespondentenver hältnis. Goldfriedrich führt in beredter Weise aus, wie die deutschen Buchhändler in damaliger Zeit »durch die Stürme der Zeit steuerten als ein glückhaft Schiff und als Patrioten den Besten der Zeit sich an die Seite stellten«. Ich nenne nur Georg Andreas Reimerin Berlin, »den gebildetsten Buchhändler, den es Wohl geben mochte«, dessen Haus »die geachtetste, immer offene Stätte für die ausgezeichnetsten Männer des deutschen Vater landes war«. Aber auch eine Burg der Wehr und Waffen war sein Haus. »Man warnte ihn der vielen Waffen wegen, die er im Hause hatte.« »Laßt sie suchen bei mir«, sprach trotzig Rei mer, »ich kann ihnen nicht wehren, und wenn sie etwas finden, laßt sie mich erschießen, wenn sie wollen und können!« Dies er zählt Fouqus, »und daß es keine leeren Worte waren, sollte das Jahr 1813 zeigen«. Am 5. Februar 1810 wurde das Dekret Napoleons über das Zensurwesen veröffentlicht, das geeignet erschien, den Buchhan del vollständig lahmzulegen, da die Schwierigkeiten, die dem Hersteller eines Buches entgegentraten, kaum zu überwinden waren. Von Goldfriedrich wird dieses Dekret ausführlich be sprochen und gezeigt, daß es auch hier hieß: »allzu scharf macht schartig«, und daß die Bequemlichkeit der Beamten, so des Generaldirektors, des alten Staatsrats von Pommereuil, es bewirkten, daß die französische Zensur durch Jlliberalität keinen