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14896 vörNnblaN 1 d. Lisch«. Buchhandel Nichtamtlicher Teil. 278. 1 Dezember ISIS. Nichtamtlicher Teil, Zum Verlags- und Urheberrecht. (Mitgeteilt von Herrn H. Worms in Berlin, gerichtlichem Sachverständigen sür das Kammergericht und die Bezirle der Landgerichte I, II und III Berlin.) Wannest der Rücktritt des Verlegers vom Verlagsvertrage wegen des Inhaltes des Werkes berechtigt? (Entscheidung des Landgerichts II Berlin vom 2. Novemb. 1910) Zwischen den Parteien — einem Schriftsteller A. und einem Maler B. als Kläger einerseits und einer Verlags buchhandlung als Beklagter anderseits — war im August 1909 ein Vertrag geschlossen worden, nach dem sich die Kläger ver- pslichteten, zu dem Tage, an dem der Graf Zeppelin mit seinem Luftschiss nach Berlin kommen würde, ein Flugblatt zu verfassen. Der Maler B. sollte die Zeichnungen, der Schrift steller A. den Begleittext machen. Die Beklagte verpflichtete sich, bei Ablieserung des Manuskripts .... 4t zu zahlen. Die Beklagte verpflichtete sich weiter, das Flugblatt durch Kolpor tage aus dem Tempelhoser Felde, dem Tegeler Schießplatz, in den Straßen Berlins und nach dem »Zeppelin-Tage« in der Provinz zu verbreiten. Am 23. August 1909 ist der Beklagten das Manuskript abgeliefert worden. Die Beklagte hat das Flugblatt aber nicht erscheinen lassen und Zahlung verweigert. Die Kläger verlangen außer der vereinbarten Vergütung weitere . . . Mark entgangenen Gewinn. Sie behaupten, der Grundgedanke des Flugblattes hätte die Belästigung des Grafen Zeppelin bei seiner Anwesenheit in Berlin durch die Berliner sein sollen. Bei ordnungsmäßiger Herausgabe und Verbreitung des Flugblattes wären mindestens. . . Stück über die erste Auslage hinaus verkauft worden. Hierbei sei der ungeheure Enthusiasmus in Betracht zu ziehen, mit dem Graf Zeppelin in Berlin empfangen worden sei und der ein überaus großes Interesse sür alles gesichert habe, was sich in anspre chender Weise mit der Person des populären Mannes be schäftigte. Weiter komme in Betracht, daß an dem Zeppelin tage eine Menschenansammlung von ungesähr 300 000 Per sonen auf dem Tempelhofer Felde und dem Tegeler Schieß plätze stattgesunden habe. Bei derartigen Gelegenheiten greife" die Masse gern nach Extrablättern und ähnlichen Er« scheinungen. Auf große Verbreitung hätte das Blatt auch deshalb rechnen können, well es nur 10 Pfennige hätte losten sollen und durch seinen humoristischen Inhalt dem Charakter der Berliner Bevölkerung entgegengekommcn sei. Ein der artiger Erfolg des Flugblattes in Berlin, hätte auch einen erheblichen Absatz in der Provinz zur Folge gehabt. Ein Konkurrenzunternehmen, das den Absatz des Flugblattes hätte schmälern können, sei nicht in Betracht gekommen. Die Beklagte habe nicht das Recht gehabt, die gelieferten Arbeiten nach Gutdünken zurückzuweisen, da sie sie fest in Austrag gegeben hätte. Die Beklagte habe dem Kläger B. gegenüber die Zeichnungen bei der Ablieferung als vorzüglich bezeichnet. Die Kläger haben deshalb den Antrag gestellt: die Beklagte zu verurteilen, den Klägern . . . Mark nebst 4 Zinsen von ... Mark vom 23. August und von. . . Mark vom Tage der Klagezustellung zu zahlen, das Urteil eventuell gegen Sicherheitsleistung sür vorläusig vollstreckbar zu erklären. Die Beklagte hat beantragt: H die Kläger mit ihrer Klage kostenpflichtig abzuweisen und der Beklagten im Berurteilungsfalle nachzulassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden. Sie^behauptet, die Parteien hätten ein Flugblatt^humo- ristischer Art geplant gehabt, das selbstverständlich das nationale Empfinden des Volkes nicht hätte verletzen, geschweige denn die Persönlichkeit des Grafen Zeppelin hätte herabwürdigen dürfen, sei es durch unseine und heikle Scherze, sei es gar durch Verse und Abbildungen, die geeignet wären, den Grafen Zeppelin in seiner Ehre zu kränken und zu beleidigen. Die zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen seien dahin gegangen, die Kläger sollten ein dem ungeheuren Ent husiasmus und dem nationalen Stolz des deutschen Volkes Rechnung tragendes Flugblatt humoristischen Inhalts ver fassen. Trotz dieser Bedingungen sei noch Raum genug ge blieben, in humoristischer und nicht verletzender Weise in Wort und Bild komische Situationen darzustellen. Aber auch wenn eine derartige Vereinbarung nicht ausdrücklich getrofsen wäre, hätten die Kläger jene Grenzen des guten Geschmacks und nationalen Anstandes innehalten müssen; dies um so mehr, als die Beklagte den Rus einer angesehenen und vor nehmen Verlagsanstalt genieße und dafür bekannt sei, daß sie nicht nur aus nationalem Boden stehe, sondern sich auch geslisjentlich von allen zweifelhaften Erzeugnissen der Kunst und Literatur sernhält. Die Beklagte hätte aber nach ihrer Stellung innerhalb des Berliner Verlagsbuchhandels durch die Herausgabe der Zeichnungen und des Gedichtes der Kläger unter ihrer Firma erheblichen Schaden erlitten. Diese Stellung der Beklagten hätte den Klägern bekannt sein müssen und sei ihnen auch bekannt gewesen. Da das zwischen den Parteien geschlossene Abkommen nach Treu und Glauben und nach der Verkehrssittc auszulegen sei, hätten die Kläger auf das Renommee und die wirtschaftlichen Interessen des Geschästs- unternehmens der Beklagten Rücksicht nehmen müssen und hätten nicht das von ihnen gelieferte Werk bringen dürsen. Das vom Kläger A. gelieferte Gedicht ermangele nicht nur jeglichen Humors, sondern sei von Anfang bis zu Ende eine trockene, vollständig kalt lassende Arbeit, als deren Urheber man sicherlich nicht einen namhaften Schriftsteller wie den Kläger A., sondern einen Ansänger und Stümper schlimmster Art voraussetzen könnte. Abgesehen davon trage es aber dem nationalen Empfinden des Volkes nicht nur in keiner Weise Rechnung, sondern verunglimpfe obendrein die Persönlichkeit des Grasen Zeppelin und mache sie in einer geschmacklosen Art und Weise lächerlich, wie es sonst nicht üblich sei. Noch viel ärger liege die Sache hinsichtlich der von dem Kläger B. zu diesem Gedichte gelieferten Zeichnungen, die sich bei den Akten befinden und aus die hiermit verwiesen wird. Einige Zeichnungen seien unbedeutend und nichtssagend, andere geschmacklos. Keine von ihnen bringe auch nur im Entsern testen zum Ausdruck, daß das Unternehmen einen Mann seiern wolle, den das ganze deutsche Volk verehre und die gesamte Kulturwelt bewundere. Bon Humor wiesen diese Blätter, wenn sie in technischer Ausführung vielleicht auch recht gut gelungen seien, keine Spur auf. Diejenigen Bilder, in denen der Graf in Gesellschaft von Frauenspersonen dar gestellt sei, seien unsittlich und anstößig. Bei dieser Sachlage habe die Beklagte den Verlag mit Recht abgelehnt. Daß auch die Kläger von einem derartigen Prüsungs- und Entjchließungsrecht der Beklagten ausgegangen seien, zeige ein Brief des Klägers, nachdem die Kläger der Beklagten ihre Idee »zur Billigung« unterbreiteten. Die Beklagte bestreitet dann, daß die in der Klage behauptete Auslage erreicht worden wäre, auch die Preisangemessenheit bestreitet sie. Aus Grund der hiermit in Bezug genommenen Beweis beschlüsse vom 20. November 1909 und vom 13. April 1910 hat Beweiserhebung stattgefunden durch eidliche Vernehmung