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Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhanbel. Redaktioneller Teil. ^ 108, 11. Mai 1916. Wie staunt aber die gute Mutter, da sie hört, was bald nach Ausbruch des Krieges alles schon die Buchhändler für die Feld grauen ins Feld geschickt haben: Erzählungen, Rcisebeschrei- bungen, Geschichtswerke, Erbauungsschristen, Atlanten, Karten, illustrierte Zeitschriften, im Wert von Hunderttausenden von Mark gespendet! Und nach und nach immer mehr: eine Million Bücher ins Feld, auf die Schiffe, in die Lazarette! Wie staunt die Mutter, da sic vernimmt, daß im Reichstags- gcbäudc vier Buchbindermädchen acht Wochen lang ausschließlich die eingegangenen Bücher abgestrmpelt haben: »Aus der Kriegs- sammlung des deutschen Buchhandels. Unverkäuflich«. Indessen: wenn die Soldaten schon so viel Bücher bekamen, so konnte man ja — Nein, die gute Mutier lauste noch einen Band . . . (Vor dem Schaufenster.) Jeder, der vorüber geht, reckt den Hals nach der Aufschrift in der Höhe: Reichsbuchwoche! »Was soll das wieder?« »Was soll es? Geld herauslocken.« Die zwei gehen weiter, andere halten den Schritt an. Reichsbuchwoche! »Was soll das wieder?« »Im Tageblatt hat's gestanden.« »Was denn?« »Im ganzen Reiche sollen Bücher gesammelt werden für unsere Feldgrauen.« »So! Run, ich habe noch einen Hausen daheim, den können sie haben.« Tie zwei gehen weiter; ein Feldgrauer, der hinter ihnen gestanden, blickt ihnen nach und murmelt verächtlich: »Was werden das Wohl für muffige Schmöker sein, die die verschenken I« Dann musterte er lange die Auslage unter dem Plakat: eine bunte Reihe von Romane» und Geschichtswerken, Erbauungsschriften und Reisebeschreibungc» von Klassikern — Sein Auge leuchtet auf. Einen Klassiker könnte Mutter ihm schon noch kaufen . . . Nachdenklich schreitet er weiter; für schwere Stunden ist das Beste das Notwendigste . . . Zwei junge Frauen bleiben stehen und überblicken die Bü chertitel. Tie eine errötet leicht, eine freudige Erinnerung treibt ihr das Blut i» die Wangen. »Siehst du das Buch dort?« stößt sie ihre Schwägerin an, »das hat mir Julius geschenkt, als wir uns Verlobten; das schicke ich ihm ins Feld. Was haben wir gelacht, als wir das lasen!« »Meinst du«, zweifelte die Schwägerin, »ihm sei ums Lachen zu tun?« »O, der lacht immer; und wenn er dieses Buch noch mals liest, so wälzt er sich durch den Schützengraben. Vielleicht gehl dann gerade die Kugel über ihn weg, die ihn sonst getroffen hätte. Komm, das Buch muß ich kaufen!« Und lachend treten sie in den Laden, um das lustige Büchlein zu kaufen . . . Reichsbuchwoche! Zwei Spießer tupfen verärgert mit dem Spazierstock an das Schaufenster; ihre Bierherzen können's nicht fassen. Sogar am Stammtisch müssen sie sich über das großmäulige Plakat ärgern. Eine ganze Woche lang soll im ganzen Deutschen Reiche das Buch im Vordergrund alles Interesses stehen? Sie strecken die Bäuche vor und kneisen die Augen zu. »Die Kerle da draußen sollen ihre Nase nicht in die Bücher stecken, sondern sorgen, daß die verdammte Schießerei und Se- kicrerei endlich mal ein Ende nimmt.« »So ist es. Das Bier wird immer teurer und die Salz brezeln kosten vierzig Pfennig. Eine Gemeinheit!« Ziehe die Brauen zusammen, Olympier, schüttele die am brosischen Locken: es gibt auch solche Tröpfe. Nein, laß eine große Bierslut kommen, daß sie ersaufen in süffigem Stoff . . . Zwei Kinder bleiben am Schaufenster stehen, ein Knabe und ein Mädchen. »Was für ein Buch sollen wir dem Onkel kaufen?« ä«6 Das Mädel weiß keinen Bescheid; denn von den Erzäh lungen, die ihr Entzücken sind, wird der Onkel im Schützengraben Wohl nichts wissen wollen. »Aber von Siegfried und dem Drachen«, meint der Knabe. »Von der Nibelungentreue und Nibelungennot«. »Und von der treuen Gudrun«, schlägt das Mädchen vor. »Das schick' ich meinem Bräutigam auch«, sagt hinter ihnen eine schöne junge Dame und nickt den Kindern sreundlich zu. »Ihr habt mir einen guten Gedanken eingegeben. Kommt, wir kaufen zusammen.« Da traten die Kinder freudig ermuntert mit der schönen jungen Dame in den Laden, und der Buchhändler legte ihnen ! die Heldenlieder ihres Volkes vor . . . Reichsbuchwoche! Feldpost. In Litauen. ,21. April ISIS. Nach halbjährigem Aufenthalt in Wilna hat Gott Mars mich kürzlich nach der vordersten Spitze der Etappe ver schlagen; ich befinde mich am Narvcz-See bei der am weitesten vorgeschobenen Gruppe der KrankentranSportabteilung. In den ersten Tagen haben wir den Kontrast zwischen Großstadt und russischem Urwald natürlich stark empfunden, aber bald gab's so reichlich Arbeit, das; abends schnell das Lager im Zelt ausgesucht und das elektrische Licht gar nicht mehr vermißt wurde. Schmerzlich ist's aber dennoch für den, »der schreiben oder lesen kann«, daß weder Post noch Zei tungen ankommen, und hiermit wäre ich wohl schon bei der Beant wortung Ihres Schreibens. Ein starkes Lesebedürfnis besteht hier draußen unumstritten, es erstreckt sich wohl aber hauptsächlich auf Zeitungen, da man in der knapp bemessenen Freizeit nur immer gern das Neueste wissen möchte und die wohl allgemein schon stark ange spannten Nerven weder gern auf schwere wissenschaftliche Werke, noch auf Romanliteratur konzentriert. Hiervon find allerdings einzelne Son- dcrerscheinungen ausgenommen. Die Versorgung mit Lesestoff in der Etappe klappt ja »tadellos«, und es dürfte wohl schwer sein, weitere Anregungen zu geben. In Wilna z. B. erscheinen zwei deutsche, eine jiddische, eine polnische und eine litauische Zeitung, vier deutsch-mili tärische Buchläden sind im Betrieb, viele Formationen haben eigene Büchereien und dem Schriftkundigen stehen außerdem die zahlreichen Wilnaer Büchereien zur Verfügung, wenn die darin befindlichen deutschen Bücher oft auch recht vorsintflutlich anmuten! Die fech tende Truppe mit Literatur zu versorgen erscheint mir außer im Stellungskrieg nicht nur schwierig, sondern fast unausführbar. Ich habe aber schon früher einmal die Anregung gegeben, dies durch die Angehörigen daheim mittels Feldpost ausführen zu lassen, da, abgesehen von der pekuniären Erleichterung für den einzelnen Feldsoldaten, die Angehörigen ja die Neigungen ihrer Lieben auch in literarischer Be ziehung am besten kennen. Hoffentlich macht ein baldiger ehrenvoller Frieden all diesen Erörterungen ein Ende; Kunde, Sortimenter und Verleger sind sicherlich gern bereit, eine neue große deutsche Sieges und Friedensliteratur herauszubringen und zu verbreiten. Mit kollegialem Ostergruß freiw. Pfleger Richard Ehrlich, i. Fa. Jonas Alexanders Wwe.. Nogasen. Zur Nelchsbuchwoche. Viel lieber hätte ich es gesehen, wenn die Neichsbuchwoche nicht jetzt, zur beginnenden wärmeren Jahreszeit, sondern bereits Mitte Herbst ins Leben gerufen worden wäre. Man muß bedenken, daß sowohl 1914/15, als auch 1915/16 der typische Stellungskrieg mit seinem Leben auf einer Stelle und mit seinen oft langweiligen Tagen und Nächten im Unterstand vorherrschend war, während sofort mit Beginn des Frühlings der Bewegungskrieg an den meisten Stellen der Front, sowohl im Westen als auch im Osten, einsetzte. Wo wir nicht zur Offensive schreiten, da tut's der Gegner, wie hier bei uns in Rußland, wo er seine vergeblichen Durchbrnchsversuche vom 19. bis 28. März nnternahm. Nun denke man sich den betreffenden Ver band, mag es nun Kompagnie oder Bataillon sein, mit ekligen Ballen Büchern noch belastet, wo ohnehin Pferde wie Wagen Mühe haben fortzukommen. Daraus ergibt sich ohne weiteres, daß man eine Truppe, soferu sie im Bewegungskriege ist, nicht mit noch mehr Lasten, als sie ohnehin zu befördern hat, beladen darf. Auf eine Kriegs-