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22. 28. Januar 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 1191 <vr. Philipp») Ziele, die wir wünschen, bezeichnen. Dazu bedarf es der Rück verweisung an den Ausschuß nicht, und deshalb sind wir gegen die Rückverweisung. Herr Pape hat allerdings bei der letzten Verhandlung unsern Antrag eine Ermunterung der Fabrikanten der Schmutz- und Schundliteratur genannt. Ich glaube: sehr viel brauche ich mich darauf nicht einzulassen, denn die offenbare Hinfälligkeit dieses Vorwurfes liegt so auf der Hand, daß wohl kaum auf irgend jemand diese Äußerung des Herrn Pape Eindruck machen kann. Auch kann ich mich nicht besonders darüber entrüsten, denn ich sehe ganz deutlich, daß Herr Pape seinem an sich lobenswerten Ziele mit so blindem Eifer nachläuft, daß er jedem, der ihm irgend wie entgegentritt, die übelsten Gesinnungen zutraut. (Zurufe.) Ich möchte aber Herrn Pape zu bedenken geben, daß er durch derartige Unüberlegtheiten, außer seiner Person, auch die Sache, die er zu fördern wünscht, in Mißkredit bringt. (Zurufe.) Und leider sind nicht nur diese Äußerungen unüberlegt, sondern auch vieles in dem Berichte und den Anträgen des Ausschusses selbst! Zunächst schon die Einfügung der Bestimmung 8ub I in die Straßenordnung. Strafgesetzbuch, nämlich auf § 366, Nr. 10. In diesem Para graphen ist mit Geldstrafe bis zu 60 oder mit Haft bis zu 14 Tagen bedroht, wer die zur Erhaltung der Sicherheit, Bequem lichkeit, Reinlichkeit und Ruhe auf öffentlicher Straße erlassenen Polizeiverordnungen Übertritt. Auf dieser Bestimmung beruht die ganze Straßenordnung. Sie gibt im ersten Abschnitt eine ganze Reihe von Bestimmungen über die Ruhe und die Sicherheit auf öffentlicher Straße, im zweiten Abschnitt über die Reinlichkeit; dann kommt ein Abschnitt, der die Musik, also die Ruhe, be handelt, und schließlich ist in einem Paragraphen gesagt: Wer alle diese Ge- und Verbote Übertritt, wird mit Geldstrafe bis zu 60 ^ oder mit Haft bis zu 14 Tagen bestraft. Diese Straf drohung wäre nicht nötig gewesen; wenn man auch gar nichts gesagt hätte, würden die Blankettbestimmungen des Strafgesetz buches zu solchen Strafen geführt haben. Nun soll diesem Hamburger Polizeigesetz, das nur auf Grund des Strafgesetzbuches erlassen ist, eine Bestimmung eingefügt werden, die das Ver fahren mit anstößigen Schriften, das in einem Gewerbebetriebe innerhalb der Häuser vor sich geht, betrifft. Das scheint mir ein ziemlich starkes Beispiel von juristischer Oberflächlichkeit zu sein. (Heiterkeit.) Es ist unmöglich, das hineinzusetzen, denn es kann nicht ein angeblich die Sittlichkeit gefährdender Betrieb des Buchhandels unter die Strafdrohung gestellt werden, die zum Schutze der Sicherheit und Reinlichkeit der Straßen erlassen ist. Es kommt dabei auch die ungewollte Konsequenz heraus, daß nun das Gebot der Straßenordnung Anwendung finden würde, das besagt: Wer immer einer polizeilichen Anordnung, die auf Grund der Straßenordnung erteilt ist, nicht sofort gehorcht, ver fällt in Strafe, bloß wegen des Ungehorsams. Nun, m. H., dies allein würde ja nicht hindern, die vom Ausschuß beantragten Repressionsmaßregeln an sich als selbständige Strafandrohung zu erlassen — nicht innerhalb der Straßenordnung, sondern außerhalb ihres Rahmens —, wenn sie im übrigen nur nach dem Reichsrechte zulässig wäre und man sie für richtig hielte. Es trifft aber nach unserer Überzeugung weder das eine noch das andere zu. Sie alle kennen den Grundsatz, daß Reichsrecht vor Landesrecht geht, und auf das Strafrecht an gewendet, heißt dies, wie das Einsührungsgesetz zum Strafgesetz buch es ausdrückt, daß die Einzelstaaten Strafbestimmungen nur in bezug auf die Materien erlassen dürfen, die nicht Gegenstand des Strafgesetzbuches sind. Solche Materien sind alle Arten von Handlungen, bezüglich deren das Strafgesetzbuch weder ausdrück lich bestimmt, daß sie strafbar seien, noch ausdrücklich oder still schweigend bestimmt, daß sie nicht strafbar sein sollen. Das ist die Definition des berühmten Strafrechtslehrers von Liszt, auf den sich auch der Ausschußbericht bezieht und den ich deshalb vor zugsweise herangezogen habe. Ein anderer Strafrechtslehrer drückt sich etwas kürzer aus, indem er sagt, daß die Einzelstaaten Straf bestimmungen nur erlassen können über Handlungen, über die das Strafgesetzbuch nichts bestimmt. Nun hat aber das Strafgesetzbuch ganz eingehende und ge naue Bestimmungen, die auch Gegenstand vielen Streites gewesen sind, über den Verkehr mit unzüchtigen und anstößigen Schriften gegeben. Wir haben die Paragraphen 184 und 184a, wovon der erstere von den im eigentlichen Sinne unzüchtigen Schriften handelt und das Feilhalten, den Verkauf und das Verteilen ver bietet, und ferner verbietet, unzüchtige Schriften einer Person unter 16 Jahren gegen Entgelt zu überlassen oder anzupreisen. Es folgt dann der § 184a, mit dem wir es vorzugsweise zu tun haben, in dem es heißt: Wer Schriften und Abbildungen, welche, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen, einer Person unter sechzehn Jahren gegen Entgelt überläßt und anbietet, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 600 Mark bestraft. Also, m. H., welche Handlungen des Verkehrs mit an stößigen Schriften (nicht nur mit unzüchtigen Schriften, sondern auch mit Schriften, die das Schamgefühl verletzen und die auf die Jugend schädlich wirken — denn gerade das Anbieten an die Jugend ist unter Strafe gestellt —) bestraft werden sollen, sagt das -Neichsstrafgesetzbuch ganz genau. Man könnte nun ein wenden, daß im Gesetze nicht gesagt ist, daß Weiteres nicht ge troffen werden soll. Das haben aber die reichsgesetzgebenden Faktoren ganz klar und deutlich — man kann nicht sagen: still schweigend — ausgesprochen, sondern mit Eklat ausgesprochen, als die sogenannte Isx Heinze verhandelt wurde. Der Gang der Sache ist sehr weitläufig, so weitläufig, daß ich das Haus nicht allzusehr damit aufhalten möchte. Nachdem zunächst nach der ersten Lesung der Ausschuß eingehend die Sache beraten hatte, erstattete er einen Bericht, in dem er über den fraglichen Gegen stand folgende Bestimmung vorschlug: Wer Schriften, Abbildungen oder Darstellungen, welche, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen, einer Person unter achtzehn Jahren gegen Entgelt überläßt oder anbietet, oder zu geschäftlichen Zwecken oder in der Absicht, das Scham gefühl zu verletzen, an öffentlichen Straßen usw. in Ärgernis, erregender Weise ausstellt oder anschlägt .... Hier ist also unter Strafe gestellt sowohl dasjenige, was auch jetzt nach dem § 184 strafbar ist: das Anbieten und der Verkauf an jugendliche Personen, als auch die Ausstellung das Scham gefühl gröblich verletzender Schriften; also, der letzte Teil ähnelt dem Ausschußantrag, oder vielmehr: der Ausschußantrag kommt diesem Anträge nahe, geht aber viel weiter. Gegen diese Bestimmung erhob sich damals unter allem, was sich in Deutschland mit Kunst und Wissenschaft beschäftigte, die hellste Entrüstung. Es kam eine Bewegung in Gang, an deren Spitze Männer wie der berühmte Maler Menzel und der Histo riker Mommsen traten. Die gesamte Linke des Reichstags mit Einschluß der Nationalliberalen war an der Bewegung beteiligt und leistete im Reichstage Widerstand. Der Streit hat dahin geführt, daß auf die zweite Lesung 10 Sitzungen und auf die dritte Lesung 9 Sitzungen mit 25 namentlichen Abstimmungen verwendet wurden, wobei sich dann die gesamte Linke des Hauses, ein schließlich der Nationalliberalen mit größter Energie gegen den Kommissionsantrag wendete- der noch lange nicht so weit ging wie der Hauptantrag unseres Ausschusses. Der Hauptverfechter jenes Antrages war der Zentrumsabgeordnete Roeren, der sich durch sein Auftreten im Reichstage einen nicht gerade beneidens werten Ruf geschaffen hat. Herr Roeren kann froh sein, daß er von einem Ausschüsse der hamburgischen Bürgerschaft, dem Mit glieder der sozialdemokratischen Fraktion, der Vereinigten Liberalen und aller Parteien — alles Protestanten — angehören, in dieser Weise übertrumpft ist. (Hört, hört!) Schließlich wurde man des Streites müde, und es kam zu einem Kompromiß, der in dem Anträge Hompesch verdichtet ist. Dieser ist von der überwiegenden Mehrzahl der Parteien angenommen, wobei die Linksliberalen und auch ein Teil der Nationalliberalen gegen den jetzigen § 184 a stimmten. Er war einer der hauptsächlichsten Streitpunkte; so viel steht jedenfalls fest, daß man sich allseitig darüber einig wurde, daß die Straf androhung nicht auf das Ausstellen von Schriften, die, ohne un züchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen, ausgedehnt werden sollte, sondern sich darauf beschränken sollte, das direkte Anbieten an jugendliche Personen unter Strafe zu stellen. Der Reichstag hat ganz ausdrücklich nach unendlichen Sitzungen betont, daß er die Strafbarkeit der Ausstellung nicht wollte, nicht 155*