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Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. vik 268, 15. November 1816. Umstände und Veränderungen die Zeit zu solcher Nebenbeschäf tigung, die anstrengender ist und mehr Arbeit erfordert, als man anfänglich Wohl denkt. Dabei sind es immer nur wenige, die so den allgemeinen Interessen zu dienen bereit und fähig sind. Sie haben keinen Zuzug und finden keinen Ersatz. Dann verflachen ursprünglich gut angelegte und sorgsam ausgedachte Pläne in der Ausführung. Aber wenn auch Ersatz da wäre, das Ergebnis wäre doch das gleiche, weil eine einheitliche Leitung fehlt, die dafür sorgen könnte, daß ein aufgestelltes System auch durchgefllhrt wird. Was da geplant und bezweckt und verhandelt und aufge setzt worden ist, das liegt in meist unzugänglichen Archiven ver graben; schon wenige Jahre danach besteht nur noch eine etwas vage Tradition. Fast das Gleiche trifft auch auf die Lernenden, aus die Teil nehmer an Unterrichtskursen zu. Auch sie betreiben — in Berlin - diese Sache nur nebenbei, nach Geschäftsschlutz, in nachtschla fender Zeit, meist miwe und abgespannt, und haben dabei oft noch weite Wege zurückzulegen, um an die Stätte des Unterrichts zu gelangen. Was Wunder, daß auch bei ihnen oft die anfängliche Lust verschwindet oder unter dem Zwange angestrengter Arbeit die Zeit zu rcgelmähigem Besuche bald heute, bald morgen fehlt. Ist aber erst eine der Lehrstunden versäumt, dann fehlt der Zu sammenhang mit der nächsten, und das Ergebnis ist stets eine dem verbeißenden Anfang schlecht entsprechende, fortschreitende Ver minderung der Teilnehmer. Es ist ein unbedingtes Erfordernis, daß die jungen Leute genügend Zeit zum Besuche des Unter richts haben, und daß sie auch genügend frisch sind, ihm zu folgen. Dazu kommt, daß die durch Vereine veranstalteten Kurse, so ver dienstlich sie mangels fester und dauernder Einrichtungen sind, doch stets etwas Behelfsmäßiges haben und behalten, und daß in ihnen auf die verschiedene Vorbildung unter den Lernenden keine ausgleichende Rücksicht genommen werden kann. Warum wird nun für die Lehrlinge im Buchhandel nicht ein gewisses Gleichmaß der Vorbildung gefordert? Das bleibt eine nicht zu beantwortende Frage. Ich habe den Beschluß der Kon ferenz vom Jahre 1889, »daß von der Forderung eines Mindest maßes von Schulkenntnissen abzusehen sei«, nie verstanden und werde ihn auch nimmermehr verstehen. Wie die Vertretung eines Standes, der nicht etwa Heringe und Seife verkauft, son dern in ganz wesentlichen Teilen zur Wissenschaft in den engsten Beziehungen steht und stehen will — wonach sich natürlich die Anforderungen richten —, bei all den jahrzehntelangen Klagen über die nicht nur mangelhaften, sondern direkt ungenügenden Kenntnisse und Fähigkeilen seiner Gehilfen sich zu einem solchen Grundsätze bekennen konnte, das ist und bleibt unerfindlich. So kann das nicht weiter gehen. Sehen wir uns einmal in einem verwandten Berufe um, der dabei besser vorgebildete jüngere Buchhändler leicht zu sich hinüberzieht, weil er im großen und ganzen einträglicher ist, als der Stand der Buchhandlungsgchilfen und dabei sein Arbeits pensum in täglich nur sechs Stunden erledigt, und betrachten wir einmal, was dort gefordert wird. Ich meine den mittleren Bibliotheksdienst. Für diesen wird zunächst die Reife für Obersekunda und daun eine vierjährige Vorbereitungszeit zur Bedingung gemacht, wo von ein Jahr an einer wissenschaftlichen Bibliothek, ein Jahr an einer unter fachmännischer Leitung stehenden Volksbibliothek zurückzulegen ist. Die beiden anderen Jahre sind der theoreti schen Ausbildung zu widmen, und der Dienst in einer Buchhand lung gilt dabei auch als Vorbereitung. Den Abschluß bildet eine Diplomprüfung, in der folgende Kenntnisse nachzuweisen sind: 1. in der Vibliotheksverwaltungslehre: Vertrautheit mit der Führung der Zugangsbllcher und der son stigen in Bibliotheken gebräuchlichen Verzeichnisse und Listen, Verständnis für die verschiedenen Katalog- und Verleihshsteme, allgemeine Kenntnis von den Einrichtungen des Buchhandels, vom Buchdruck, insbesondere vom Katalogdruck, von der Buch binderei und den in ihr verwendeten Materialien; Verständnis für die Förderung der Benutzer in bezug aus das Lesebedürsnis, Kenntnis der wichtigsten Einrichtungen und Anstalten des Volks bildungswesens, insbesondere der Aufgaben der Volksbiblio- 1414 iheken; endlich Kenntnis der Grundzllge des Bureau- und Kassen Wesens; 2. in der Bibliographie: Kenntnis der wichtigsten deutschen, englischen, französischen und amerikanischen allge meinen Bibliographien und enzyklopädischen Nachschlagewerke und der wichtigsten deutschen Fachbibliographien; 3. in der Wissens chasts- und Literaturge schichte : allgemeine Kenntnis der Einteilung der Wissen schäften und der ihr entsprechenden wissenschaftlichen Terminolo gie, Kenntnis der wichtigsten Erscheinungen der schönen Lite ratur des deutschen Sprachgebiets sowie der Hauptwerke der Literatur des Auslandes; 4. in den Sprachen: die mündliche wesentlich sehler- sreie Übersetzung eines nicht zu schwierigen französischen, eng lischen und lateinischen Textes. Man braucht, den Verhältnissen entsprechend, nur einige wenige Worte zu ändern, um hierin einen vollständigen Lehr- und Ausbildungsplan für die Mehrzahl der angehenden Buch händler zu haben. Ich will dabei nicht behaupten, daß nun für alle Tätigkeiten im Buchhandel ein solches Matz von Kennt nissen nötig ist; andererseits müssen in einzelnen Zweigen, im wissenschaftlichen Verlag und Sortiment, im Antiquariat zum Teil noch höhere und weitergehende Anforderungen gestellt werden. Angestellt beziehen diese Beamten dann Gehälter, die in den verschiedenen deutschen Staaten verschieden sind, mit »kk 1800.— bis »kk 2100.— beginnen und mit «L 3600.— dis «/k 4500.— nach durchschnittlich Zljähriger Tätigkeit abschlietzen. wozu aber fast überall noch ein jährliches Wohnungsgeld hinzu tritt, das zwischen 360.— und »kt 800.— beträgt. Außerdem sind sie pensionsberechtigt. Angesichts dieser, wenn auch noch nich! gerade glänzenden Einkommenberhältnisse kann sich der Buch Handel nich! Wundern, wenn ihm die besser vorgebildeten Kreise insgesamt Valet sagen, um so mehr, als diese auch im Zeitungs dienst und in anderen mittleren Stellungen eine ganz andere Be zahlung als im Buchhandel finden. Hier ist der Hebel anzusetzen, und ich meine, man hat von einem Gehilfen, der etwas gelernt hat und etwas kann, und den man dafür auch anständig bezahlt, mehr Vorteil als von dreien, die nichts verstehen und für einen Hungerlohn arbeiten, zusammen aber doch mehr kosten als der eine tüchtige. Man kann, wenn man ausreichend bezahlt, auch etwas von der Vorbildung der Buchhandelsjünger verlangen. Beides muß Hand in Hand gehen. Wie aber gelangt man dazu? Ich glaube, es ist an der Zeit, mit dem ganzen, allenthalben als eine durchaus unzureichende Vorbereitung für den Buch handlungsgehilfenstand anerkannten Lehrlingsshstem zu brechen. Ist es nicht ein alter Zopf, der uns noch anhängt, ein über bleibsel der »guten alten Zeit«, in die es noch patzte, das sich jetzt aber überlebt hat? Ist es nicht vielmehr ein Mittel ge worden, sich kostenlos oder für ganz billiges Geld Kräfte für nebensächliche Arbeiten zu schaffen, an deren »Ausbildung« man gar nicht denkt? Durchbrochen ist es schon. Nicht von den männlichen Jün gern des Buchhandels, aber von unseren weiblichen Mitarbeitern. Einer buchhändlerischen Lehre setzen diese in ihrer größten An zahl Widerstand, erfolgreichen Widerstand entgegen. Sie bereiten sich zumeist theoretisch auf den allgemeinen Handelsschulen vor — und kommen damit durch. Mir scheint nun, daß die neuen Einrichtungen der Buch händler-Lehranstalt zu Leipzig hier den Weg weisen mit ihrer einjährigen Vorschule und mit ihrem einjährigen Fachkursus. Aus solchem Wege mutz die für den Buchhandel nötige Vorbil dung, da sie in der Hauptsache zunächst nun einmal nicht da ist und in der Lehre zumeist nicht erreicht wird, eben geschaffen werden und das unter tätiger Mitwirkung sämtlicher buchhändle rischen Vereine. Der Börsenverein müßte den Kreis- und Ortsvercinen hier über allgemeine Richtlinien aufstellen, und diese hätten dann in ungefähr folgendem Sinne zu beschließen: Drei Jahre Lehrzeit sür den Buchhandel waren bisher üb lich. Diese Zeit der Ausbildung bleibt auch fernerhin bestehen. Sie teilt sich aber