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Redaktioneller Teil. Lehrstühle für Schrift, Buchkunst und Graphik. Von vr, Julius Zeltler, Leipzig, Wenn das alte Wort, daß der Streit der Vater aller Dinge ist, auf die Schrtstsrage angewendet werden könnte, müßte sie schon längst entschieden sein. Der Streit um die Schrift scheint aber ein solcher zu sein, der stets nur eine Weile ruht. Kaum hält man ihn für begraben, so flammt er wieder auf, und die Heftig keit neuer Kämpfe überzeugen einen, daß er immer noch lustig am Leben ist, und vom einen zum andern Mal wird man betrübter, daß die jeweilige Austragung so wenig zu letztgültigen Ergeb nissen führt, wie die vorhergehende. Es muß doch etwas mit daran liegen, daß cs uns an den entscheidenden Instanzen fehlt, denen selbst die größte Verbohrtheit nicht mehr zu widersprechen wagen darf, an Instanzen, die sich durch ihr« Kennerschaft der Geschichte und Ästhetik der Schrift das Recht auf Autorität er worben haben, Odor wir haben solche Instanzen, es fehlt ihnen aber eben die öffentliche Reichweite ihrer Erkenntnisse, ihres Wissens, Nicht nur die letzten Erörterungen über die Inschrift am Reichstagsgebände haben es bewiesen, daß über die Schrift frage weithin noch eine erstaunliche Unklarheit und Verwirrung herrschen; es ist erstaunlich, wie gering noch in weitesten Kreisen die Schriftenkenntnis ist, wie ahnungslos auch künstlerische Kreise, die Architekten und Kunsthandwerker, der Schrift gegenüberstehen. Nur sehr wenig ist in der Schrift für Belehrung gesorgt, sie ist trotz aller typenforschenden Gesellschaften und anderen Bestrebun gen ein Stiefkind der Wissenschaft, Wenn nun die Frage aufgeworfen wird, wo in deutschen Landen die Schriftwissenschaft gepflegt wird, so mögen gleich das Buch und seine Kunst, und mit ihm die Illustration, hinzuge nommen werden, denn in diesem Zusammenhang entfaltet die Schrift doch ihren größten Zauber, In den kunstgeschichtlichen Lehrgängen unserer Universi täten hat die Schrift so gut wie keine Stätte, Bei der unge meinen Spezialisierung dieser Lehrgänge kommt es schon hoch, wenn einmal eine allgemeine Einführung in die Kunstgeschichte, allgemeine Stilkunde, geboten wird, zumeist wird nur über ein zelne Meister und einzelne Epochen gelesen, den zusammenhän genden überblick hat sich der Hörer selbst zu verschaffen. Da ist begreiflicherweise kein Platz für die Schrift oder das Buch, nicht einmal für die Graphik, Natürlich werden Dürer und Holbein behandelt, aber eine zusammenhängende Geschichte der Graphik wird nicht gegeben, Fritz Kern, Karl Brandt und Kautzsch sind Ausnahmen; der Untcrrichtsbetrieb wird ihnen schwerlich Ge legenheit geben, aus ihrem reichen Wissen etwa ein Schristkolleg zu lesen. An den technischen Hochschulen steht natur gemäß die Geschichte der Baukunst im Vordergründe, obwohl gerade dem Architekten eingehendere Schriftenkenntnis dringend zu wünschen wäre, besonders wenn man bedenkt, wie er seine schönsten Bauschöpfungen mit leichtsinnigsten und widerwärtigsten Beschriftungen verunstaltet und ungescheut mit solchen Flecken fein Werk in Frage stellt. Auch in Kunstakademien alten Schlags pflegen nur die für Künstler anziehendsten Kunstepochen behandelt zu werden, keine Schriftprobleme, Wir müssen uns zu den Kunstgewerbeschulen, zur Leipziger Akademie für graphische Künste und 'Buchgewerbe, sowie zur Deutschen Bibliothekar- !nnd M u s e» m s f a ch sch u l e wenden, wenn wir ans Heim stätten der Schriftpflege treffen wollen. Ist bei jenen mehr die praktische Schriftpflege zuhause, so hat die letztere die theoretische Unterweisung mit ans ihrem Programm, Es ist die vortrefflichste Personalunion, daß der Direktor des Deutschen Buchgewerbe- und Schriflmuseums den Lehrgegenstand betreut, gehörtProf. Schramm doch zu den ausgezeichnetsten Kennern der Schristgeschichte, der nicht nur die europäischen Schriftshsteme, sondern auch die des Orients in seincnBereich gezogen hat. Die angekündigtenVorlesun- gen von Prof, Kippcnberg und Geheimem Hofrat I)r, Volkmann über Geschichte und Ästhetik per Buchkunst haben dnrch den Krieg eine hoffentlich nicht zu lang währende Verschiebung erfahren — in der Tat haben wir in diesen Veranstaltungen die ersten deut schen Lehrstühle für Schrift nnd Buchkunst zu begrüßen. Das Kolleg über Geschichte und Entwicklung der Schrift ist in vollem Gange, möchten die andern bald folgen dürfen. Unsere deutschen Kunstgewerbeschulen trieben natürlich zu nächst Geschichte des Kunstgewerbes, zumeist im engeren oder loseren Zusammenhang mit dem benachbarten Kunstgewerbe museum, Seit 15 Jahren aber haben sie zumeist die Schrift in ihren Lehrplan mit ausgenommen, eben seit dem Beginn unserer neuen Schriftbewegung, die vielfach besonders von diesen Stätten aus gefördert wurde. Nehmen wir einmal die hauptsächlichen in Betracht kommenden Anstalten durch. In B e r lin ist an der Unterrichtsanstalt des Königl, Kunstgewerbemuseums die Kunst geschichte in die Hände von vr, Max Deri gelegt, der Unterricht zieht natürlich im weitesten Matze Schrift- und Buchgeschichte mit heran; auch kommt ihm das Wirken von Jessen und Loubier, diesen verdientesten Förderern der Buchkunst, wesentlich mit zugute. Für den Unterricht stehen 4008 Diapositive zur Verfügung, Die praktische Lehre in Graphik und Buchkunst wird ausgeübt von den Professoren Orlik, Doeplcr nnd E, R, Weiß; es ist bekannt, welche Ströme von Anregungen besonders von letzterem ausgehen und wie er mit einem nie irrenden Geschmack der Buchkunstsache dient. An der Königl. Kunstgewerbefchule inDresden betreibt der Direktor, Prof, Berling, selbst das Amt der Kunstgeschichte, für die Schrift wirkt hier vor allem der Bibliothekar Professor Heinrich Wieynk, Die Dresdner Anstalt ist die glückliche Besitzerin eines Megadiaskops und kann daher jede Schrift- oder Einband vorlage, auch in den Objekten selbst, dem Zuhörerkreis sichtbar machen, ist also des Umwegs über das Lichtbild enthoben. An der Königl, Kunstgewerbeschule in München lehrt Prof, vr, E, W, Bredt, der Konservator der graphischen Sammlung, Kunst geschichte; die Anstalt besitzt 3200 Diapositive und eine von der Bibliothek unabhängige Lehrsammlung; hier erfreuen sich die graphischen Künste guter Pflege, Professor F, H, Ehmcke ist der Vertreter der Buch- und Schriftkunst, er ist sowohl einer unser förderndsten Ästhetiker der Schrift, dem wir viele schlagkräftige Kundgebungen für sie verdanken, wie auch einer unserer bedeutend sten »Schriftgelehrten«, Ihm und Prof, H, Deutsch in Leipzig muß unter den Praktikern die tiefgründigste Schristkenntnis zu gesprochen werden. Dazu kommen noch die »Münchener Lehr werkstätten«, deren kunstgeschichtlicher Unterricht von Professor Hans Cornelius neugestaltet wurde, Schrift, Illustration, Plakat- ttrnst, Reklame werden hier von Paul Renner und Emil Pree- 753