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Redaktioneller Teil. Zk 137. 16. Juni 1916. torius praktisch gelehrt. Über eine sehr fortgeschrittene kunstge- schichtliche Unterweisung verfügt die Staatliche Kunstgewerbe schule in Hamburg, wo vr. Niemeyer nicht nur über Stil geschichte liest, sondern innerhalb des vierstündigen kunstgeschicht lichen Unterrichts auch über die literarischen Parallelen mit vor- trägt. während die eigentlich« Literaturgeschichte, in der Hand von Prof. Spiero. sogar selbst Hauptfach ist. Über Stillehre un terrichtet ferner Pros. Czeschka, unterstützt durch ein Kolleg über Kulturgeschichte von Pros. Bromig. Bucligcwerbe und Buchkunst sind hier ein sehr bedeutsamer Teil Ser Kunstgeschichte. Die sehr beträchtliche Lichtbildcrsammlung erstreckt sich über alle buchge- wcrblich-graphischcn Gebiete, einschließlich der Einbände, der Plakatkunst und der Reklame. Das praktische Schriftzcichnen hat Direktor Professor Meier übernommen, für den Buchdruck sorgt der Schriftkünstler Bi. Salzmann, der frühere Steglitzer, für den Buch einband der bekannte Kunstbuchdinder Fr. Weiße. An der König!. Kunstgewerbeschule in Stuttgart unterrichtet vor allem Prof. I. V. Cissarz über graphische Künste und Buchgewerbe, unterstützt von einer wohlausgestatteten Vorbildersammlung. An der Mag deburger Kunstgewerbe- und Handwerkerfchule erteilt M. Henseler Schriftunterricht, während K. Winkel die Graphik inne hat. Allgemeine Kunstgeschichte liest der Kunsthistoriker vr. Greischel. Für Darmstadt muß des Schriflkünstlcrs Prof. Kleukens Erwähnung getan werden, in Offenbach an den Staatslehranstalten übt Rudolf Koch, der deutschest« Schrift schöpfer, eine solide, tüchtige Wirkung aus. Es gibt noch einige in Betracht kommende Anstalten, die genannte» sind aber die wichtigsten. An der Leipziger Kgl. Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe hat es sich ihr Direktor Geheimrat Professor Max Seliger angelegen sein lassen, der Schriftkunde eine besondere Stätte zu bereiten; die Pflege der Schrift bedeutet hier ein eigenes Fach, und die Nachbarfächer schließen sich dieser Pflege wohlorganisiert an. So wirken berufene Schriftkünstler von ver schiedenen Seiten ihres Lehramts zusammen, Hugo Steiner-Prag, Tiemann, Delitsch, Georg Schiller, Georg Belwe. Delitsch kam aus der Lartsch-Schule, Prof. Schiller aus der Reichsdruckerei, Pros. Belwe war mit Ehmcke, Kleukens. Salzmann einer der vier Steglitzer, von denen die beiden letzten gleichfalls an der Leipziger Akademie unterrichtend tätig waren. In den kunstgeschichtlichen Kursen nehmen Schriftkunde, Illustration und Graphik einen sehr breiten Raum ein; das Lichtbilder-Material umfaßt über 1200 Diapositive. Für den theoretischen buchgewerblichen Unterricht wurde eine selbständige Lehrsammlung gegründet, in der vor allem alle modernen Buchkünstler vertreten sind. Diese Blattsamm lung, die sich des steten Interesses von Geheimrat Seliger erfreut, umfaßt 4000 Schriftblätter, 2000 Blätter Privat- und Geschäfts drucksachen und Reklamen, sowie etwa 500 Bucheinbandvorlagen. Dazu treten noch Abteilungen zur Geschichte der Schrift, der Jllu- strationskunst (teilweise in Photographie), der modernen Orna mentik, des Exlibris usw. — Abteilungen, die zusammen einen Bestand von etwa 2000 Blättern ausmachen. Dieses Demon strationsmaterial wird stetig vermehrt. Die reichen original graphischen Bestände an ausgezeichneten Holzschnitten und Ra dierungen usw., sowie an miniierten Werken, wie an köstlichen Er zeugnissen alter und moderner Einbandkunst lassen die Studie renden mit den besten Hecvorbringungen ihres Faches unmittelbar vertraut werden, sie sind es, an denen der Sinn für Qualität ge weckt und ausgebildet wird. Aus diesem überblick über den deutschen wissenschaftlichen Betrieb in Hinsicht auf Schrift und Buchkunst sieht man schon, daß er in dieser Form nicht von den Universitäten ausgeübt werden könnte. Was im Bereiche der kunstgeschichtlichen Fächer dort läge, wäre die Geschichte der Schrift und die Ge schichte der Illustration. In diesen Feldern wäre ihre Mit wirkung außerordentlich dankenswert. Buchkunst aber, sowie Neklamekunst und angewandte Graphik wären eben den speziellen Lehranstalten Vorbehalten, wie sie sich dafür bei uns entwickelt haben. Ästhetik der Schrift und des Buches könnte nicht unter den Ausspizien auch des gelehrtesten Privatdozenten, son dern nur unter denen der Buchkünstler stehen. 7S4 Es ist nun die Frage, wie der kunstgeschichiliche Unterricht unter solchen Verhältnissen und bei solchen Forderungen be schaffen sein muß. Wertvolle Streiflichter hat schon Schmai- sow hierüber in seiner Schrift; »Die Kunstgeschichte an unfern Hochschulen« geworfen, für die Bedürfnisse der Kunstakademien hat Max Georg Zimmermann in seiner Abhandlung »Kunstge schichte und Literatur« (1892) gleichfalls treffliche Leitsätze auf gestellt. In neuerer Zeit wurde das Problem des Lichtbilder- unlerrichts öfters behandelt, so von Prof. Polaczek. Es mag er laubt sein, den Unterrichtsgang an der Leipziger Akademie heran zuziehen, zumal Prof. Schramm an der Deutschen Bibliothekar und Museumsfachschule ähnliche Erfahrungen machte, wie sie dort gemacht wurden, nämlich, daß ein Überblick über die Kunst epochen als Stillehre der wichtige Unterbau für jede Behandlung der Schrift und der Buchkunst ist. Der Universitätsstudent bringt im allgemeinen ein« einheitliche Bildungsgrundlagc mit, die Besucher jener Fachschulen müssen zumeist diese Einheitlichkeit erst erwerben, dafür ist ihre Bildung auf ihren besonderen Feldern eine um so tiefere und gründlichere. Wenn nun die Kenntnis einer einzelnen Epoche nicht grundlegend wirken kann, so bedarf es der Darbietung allgemeiner Kunstgeschichte als Stillehre mit bloßer Hervorhebung bestimmter Epochen. So wird auch in Magdeburg und Hamburg verfahren, in Magdeburg be sonders ist die Stilkunde sogar ein« Geschichte der Formpcobleme, unter Berücksichtigung der systematischen Zusammenhänge. In diese kunstgeschichtliche Stillehre wird sowohl an der Leipziger Akademie wie an der Bibliothekar- und Museumsfachschule die Geschichte der Schrift, des Buches und der Graphik hineingebetiet. Unmittelbar ergeben sich so die kulturellen Zusammenhänge, die alle Kunstäußerungen einer Epoche verknüpfen und die das Archi tekturornament wie die Buchdekoration als Ausdruck der gleichen Stilgesinnung erweisen. Der Unterricht zieht auch die literari schen Hilfsnrittel mit heran, so greift die Dante-Illustration selbst tief in die viviua eommeclia hinein; die Graphiker Preller, Carstens, Genelli leiten von selbst auf Homer hin; der Jllu strator Chodowiecki bedarf der Begründung durch Schilderung unserer Literatur in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Schrift, und Einbandwandlungen fügen sich so stets in das Ge samtbild der Kunst ein. Die Geschichte der Reklamekunst ist ohne diese Zusammenhänge nicht darstellbar. An der Leipziger Akademie hat sich von altersher ein viersemestriger Turnus für die Gesamtbehandlung dieser Ge genstände eingebürgert. Im 18. Jahrhundert unterrichtet« -Ss« r selbst, an Hand seiner reichen Sammlungen von Kupferstichen, Ra Vierungen, .Handzeichnungen. Damals versuchte Prof. Clodius auch, die Ästhetik an der Akademie einzuführen. Später übten Anton Springer, der begeisterte und begeisternde Lehrer der künstlerischen Jugend, Eduard Flechsig, der Cranach- forscher, und Alb recht Kurzwelly das Lehramt aus, der Inhalt wandelte sich natürlich entsprechend dem Wandel der Auf gaben, denen sich die Akademie widmete — aus der alten Zeichen- undMalerch-Akademie wurde die »Hochschule des Buchgewerbes«, als welche sie, wie bekannt, von Thiersch bezeichnet wurde. Die Schriftwissenschaft wird an ihr in enger Verbindung mit der Illu stration und der Ornamentik gepflegt, ist doch z.B. die Buchillustration des 15. und 16. Jahrhunderts stets mit der Schrift Verknüpft, und hat doch die Ornamentik der Zeit dieselbe Wurzel für die innere Dekoration wie für den Einbandschmuck. Die richtige Demo» stration des Materials für den Zuhörerkreis ist nur praktisch zu lösen. Es wird sich darum handeln, Lichtbildervorführungen mit Darbietungen der konkreten Gegenstände, seien es Bildtafeln oder die Werke selbst, wirksam abwechseln zu lassen. Für die Schrift sind Tafeln maßgebender, da im Lichtbild die Schrift einzelheiten oft zu verschwommen herauskommen. Di« Frequenz ist nur von den größeren Lehranstalten be kannt. Von den über 100 Hörern und Hörerinnen, die von den Kunstgewerbeschulen in Berlin und München gestellt werden, ist nur ein wechselnder Bruchteil auf Schrift- und Buchwesen zu rechnen, dem die Leipziger Frequenz Von 65 Teilnehmern <1916 während des Krieges natürlich überwiegend weiblichen Ge schlechts), doch vorzugsweise gilt.