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26 Amtlicher Teil. Beilage zu 275, 27. November 1899. Vorsitzender: Diesen Herren würde ich sofort antworten: fragen Sie Reclam, was nach 30 Jahren überhaupt noch druckfähig ist. Geheimrat Daude: Gewiß! Deshalb sagen wir ja auch, daß wir an und für sich mit 30 Jahren zufrieden sind. Aber ich sehe nicht ein, warum die Autoren von Werken der Litteratur gegen die Komponisten znrückgesetzt sein und sich mit einer dreißig jährigen Schutzfrist begnügen sollen, wenn den Komponisten eine fünfzigjährige Schutzfrist für ihre Schöpfungen gewährt wird. Herr vr. Ruprecht: Unsere Stellung ist gewiß nicht die, daß wir den Autoren etwas vorenthalten wollen. Wir sind uns klar darüber, daß in den allerwenigsten Fällen die Erben des Autors etwas davon haben, wenn der Schutz auf 50 Jahre erstreckt wird. Andererseits sind wir uns darüber vollständig klar, daß, wenn wir dieses Gesetz mit dem fünfzigjährigen Schutz und den Bestimmungen des Z 10, die Aenderungen rc. betreffend, erhalten, wir nach 30 oder 40 Jahren unter Umständen bei einem einzelnen Buche mit hundert Leuten zu thun haben; das können schon die Urenkel sein, die wir einzeln fragen müssen; und was macht es für diese Urenkel aus, ob sie dann noch ein paar Mark davon kriegen? Der Schriftsteller hat thatsächlich nichts davon, und wir haben die größten Schwierigkeiten. Und dann hat Herr Spemann schon niit Recht hervorgehobcn, daß es für die Kultur der Nation ungemein viel wert ist, ob nach 30 Jahren die Preise heruntergehen, ob nicht nur Goethe oder sonst hervorragende Dichtwerke, sondern z. B. auch Lieder von Schumann oder Robert Franz mit sechs bis sieben Mark oder nur zwei bis drei Mark für einen mäßig starken Band bezahlt werden müssen. Ich glaube auch nicht, daß der Unterschied zwischen den Musikalienhändlern und den Buchverlegern so groß ist. — Es wurde im Börsenblatt hervorgehoben, daß auch einzelne Autoren von Büchern erst später bekannt geworden sind, z. B. Schopenhauer. Ich glaube, es wäre schwer nachzuweiseu, daß gerade musikalische Autoren später bekannt würden als andere. Die Musikverleger haben sich mit dem Vorschlag der 50 Jahre sehr in die Nesseln gesetzt. Sie brauchten jetzt nicht ihre Anträge zu den Paragraphen 64 und 65 zu stellen, wenn sie nicht die bedauerliche Bestimmung mit den 50 Jahren hereingebracht hätten. Hier haben sie nun die Folgen. Halten wir an den 30 Jahren fest, und scheuen wir uns nicht ferner zu sagen: wir sind der Meinung, daß auch die Musikalienhändler ebensogut mit den 30 Jahren auskommen können wie wir. Herr vr. Strecker: Es ist schwer, jetzt noch einen gegenteiligen Standpunkt zu vertreten, ich muß es aber doch versuchen, und erlaube mir dabei zu betonen, daß dieser Standpunkt in den früheren Verhandlungen bereits vertreten worden ist. Die Musikalienhändler haben das Bedürfnis einer Verlängerung des Schutzes aus den verschiedensten Gründen. Die Herren, die an den früheren Verhandlungen teilgenommen haben, waren so freundlich damals zu sagen: ja nun, wenn Sie uns das so auseinander setzen, so haben wir nichts gegen den längeren Schutz für Musikalien einzuwenden; wir Buchhändler sind mit den 30 Jahren zufrieden. Wir Musikalienhändler waren damals sehr froh, daß Sie nicht gegen die 50 Jahre eintreten w.ollten. Es waren zwar sogar in unserem Kreise Stimmen vorhanden, die sich gegen die 50 Jahre aussprachen; aber die Gründe, die dafür vorgebracht wurden, sind doch nicht ausschlaggebend gewesen. Man hat gesagt, die Nation werde durch den längeren Schutz geschädigt. Das mag beim Buchhandel anders liegen als im Musikalienhandel. Wir haben in Deutschland eigentlich nur zwei Firmen, die die sogenannten Konkurrenzausgaben publizieren; der Handel im großen Ganzen zieht aus der Möglichkeit, Konkurrenzausgaben zu veranstalten, gar keinen Nutzen. Diese beiden Firmen haben gewissermaßen ein Monopol auf die sogenannten billigen Ausgaben und wir erleben es fortwährend, daß nach Ablauf der Schutzfrist der Verlag aus der Hand des betreffenden Originalverlegers heraus in die Hände der beiden anderen Firmen übergeht. Ferner ist nicht zu übersehen, daß bei der Musik nicht nur die be deutenden Erscheinungen sehr viel länger brauchen um zur Geltung zu gelangen als bei der Litteratur, sondern auch, daß es bei der Musik dazu viel größerer Aufwendungen bedarf. Ein Musikstück dringt nicht wie ein Buch ins Volk ein, sondern muß durch Mittelspersonen: Künstler, Vereine :c. erst der Welt zugänglich gemacht werden. Daher muß man sagen: der Verleger hat ein Recht auf einen längeren Schutz, einerseits wegen der Schwierigkeiten im eigenen Lande und andererseits im Hinblick auf den Verkehr mit dem Auslande, der beim Musikalienhaudel sich sehr viel einfacher gestaltet als beim Buchhandel. Dieser hat, um mit dem Auslande in Verbindung zu treten, immer erst Uebersetzungen nötig. Die Musik dagegen hat eine Weltsprache, und die zivilisierten Staaten, in denen unsere Ausgaben verbreitet werden, haben diesen längeren Schutz. (Zuruf: Oesterreich nicht!) Aber Ungarn hat ihn. Und ich habe mit österreichischen Herren darüber gesprochen, die sagen: wir hoffen, daß das deutsche Gesetz die 50 Jahre bewilligt, damit wir uns bei unserer Regierung bemühen können, um sie auch zu erhalten. Frankreich, Belgien, Italien, Spanien haben auch den längeren Schutz. Um nur ein Beispiel auzuführen, hat Richard Wagner bis zum Jahre 1893, zehn Jahre nach seinem Tode, es nicht er reichen können, daß ein Werk von ihm in Frankreich aufgeführt wurde. Er wäre also im ganzen genommen nur zwanzig Jahre in Frankreich geschützt. Das ist ein großer Verlust für Autor und Verleger, und wie es bei Wagner ist, so ist es bei vielen anderen auch. Hätten wir die gleiche Schutzfrist wie Frankreich, so würden unsere Autoren dort auch 50 Jahre geschützt sein. Ich kann nicht umhin, den Herren dringend zu empfehlen: seien Sie nicht so ängstlich mit den 50 Jahren bezüglich der Litteratur. Der Musikhandel hat einen ganz anderen Standpunkt und darf die Ausnahmestellung, die ihm die Reichsregierung auf dringenden Wunsch gewähren will, mit Recht für sich in Anspruch nehmen. Herr Schwartz: Verschiedene Schutzfristen kommen so wie so im Gesetzentwurf vor, auch glaube ich nicht, daß die Photographen 30 Jahre bekommen. Herr Voigtländer: Ich möchte mir noch erlauben, auf den inneren Grund der Begrenzung der Schutzfrist mit ein paar Worten zurückzukommcn. Es ist eine unbestreitbare Thatsache, daß kein Autor, sei es der bedeutendste, nur aus sich heraus geschöpft hat. Er steckt immer in der Kultur seines Volkes und schöpft aus ihr, und auch Goethe wäre ohne seine Vorgänger nicht Goethe gewesen. Niemand steht auf sich allein; jeder steht mehr oder weniger auf den Schulter» seiner Vorgänger, und aus dem Grunde meine ich, daß die Autoren das Pfand, das ihnen von ihren: Volke anvertraut ist, das sic in Erziehung, Unterricht und der ganzen Kultur empfangen haben, nach einer gewissen Zeit ihrem Volke wieder schuldig sind. Auch von diesem Standpunkt aus gesehen, scheint mir die Begrenzung der Schutzfrist auf 30 Jahre ganz zutreffend zu sein; 30 Jahre sind die Zeit in der auch die jüngsten Kinder eines verstorbenen Autors aufwachsen und erwerbsfähig werden. Möglich, daß wir nicht durchdringen, daß es zur fünfzig jährigen Schutzfrist kommt; aber ich meine, wir sollten nicht nur als Buchhändler, sondern auch als Volksgenossen nochmals, vielleicht in letzter Stunde, sagen: nein, 30 Jahre sind genügend, auch für den Musikalienhandel. Geheimrat Daude: Wenn nach den Verhandlungen im Reichstage in dem definitiven Gesetz der Musikalienhandel 50 Jahre Schutz erlangt, soll dann der Buchhandel sich wirklich mit 30 Jahren begnügen? Dazu würde ich mich nicht entschließen können. Vorsitzender: Ich bin nicht Ihrer Meinung, ich bleibe bei den 30 Jahren, und sehe keinen Grund ein, sie zu verlängern. Noch etwas anderes: Es ist verkehrt, wenn wir aus dem Buchhandel das Moment der Spekulation herausnehmen, und das nehmen