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275, 27. November 189S. Nichtamtlicher Teil. 9031 Nichtamtlicher Teil Eine englische Stimme über die Lage des englischen Verlagsgeschäfks. Die nachfolgende Betrachtung über die geschäftliche Lage eines angeblich großen Teiles des englischen Verlagsbuch handels entnehmen wir in Uebersetzung einem englischen Finanzblatt »llbs iiivs8tor8 rsvisv« vom 26. August d. I.: Wenn wir von Zeit zu Zeit sehen, wie Sir Walter Besant über die von Verlegern gemachten Gewinne schmäht und sich über die harte Behandlung armer Schriftsteller be klagt, so können wir nicht umhin, uns die Frage vorzulegen, ob er denn irgend etwas vom Verlagsgeschäft versteht. Nie mals haben die Schriftsteller in der ganzen Geschichte des Bücherschreibens eine so gute Zeit gehabt wie gerade jetzt, vorausgesetzt daß sie überhaupt beim lesenden Publikum in Gunst stehen. Dank der großen Verbreitung des Lesens verschwinden deren Bücher manchmal zehntausendweise vom Lager des Verlegers, und solche Antoren werden in wenigen Jahren reiche Leute. Allerdings ist es auch wahr, daß hinter diesen Günstlingen des Glücks zahllose Schriftsteller stehen, deren Einkünfte zwischen einem bescheidenen Auskommen und den bloßen Existenzmitteln schwanken. Jedoch auch diese letzteren genießen beim Abschluß von Kontrakten mit Ver legern jetzt Vorteile, die vor zwanzig Jahren oder sogar noch später völlig unbekannt waren. Vermittelst der litterarischen Agenturen können Manuskripte jetzt einem Verlagsgeschäft nach dem andern angeboten werden, bis ein Käufer zu günstigen Bedingungen gefunden wird, und der Wettbewerb, Bücher auf den Markt zu bringen, ist so lebhaft, daß beinahe immer eine Firma gefunden wird, die ihr Geld für irgendein dem derzeitigen Volksgeschmack entsprechendes Werk riskiert, so gering dessen innerer Wert auch sein mag. Das ist eine Seite des Verlags, und diese erfordert eine Reihe von Wagnissen, die durchaus nicht alle zum Heil des Verlegers ausschlagen. Dieser muß ein Kapital aufs Spiel setzen, das vielleicht vollständig verloren geht oder doch nur zum geringen Teil durch das von ihm angekaufte Werk wieder eingebracht werden kann. Von dieser Seite betrachtet, können wir demnach nicht einsehen, daß der Schriftsteller zu klagen hat. Er hat den Verleger gezwungen, immer mehr zum Spekulanten zu werden, und zwar zu einem solchen, der imstande sein muß seinen Einsatz bar hinzuzählen, ehe die Würfel überhaupt ge worfen werden; der Schriftsteller übernimmt in solchen Fällen keinerlei Risiko, der Verleger hat sie alle zu tragen. Jedoch ist das weder die einzige, noch die wichtigste Veränderung, die auf das Vernwgen der heutigen Verlagshäuser eingewirkt hat. Für jeden Beobachter ist es seit vielen Jahren klar, daß noch andere Einflüsse bcigetragen haben, deren Stellung zu untergraben. Die Verleger haben immer und immer wieder gegen die verderblichen Folgen des Rabattsystems an gekämpft, sind aber in ihren zu spät begonnenen Bemühungen vollständig erfolglos geblieben. Es ist auch zu befürchten, daß die Verleger erst dann versucht haben, die Sortiments- buchhändlcr vom Rabattgeben auf Bücher abzuhalten, als sie selbst eingesehen hatten, daß sie durch diese und andere Ur sachen zum Ruin getrieben werden müßten. Wäre ihr Verdienst immer ein guter und sicherer gewesen, so würden sie ihre Gedanken gewiß nicht auf den Detailhändler hingelenkt haben. Sie fühlten, daß ihnen der Ruin drohte, sie versuchten das System der Nettopreise und gerieten dabei immer tiefer in den Sumpf. Die Gewohnheit, zwei oder drei Pence auf den Schilling des Ladenpreises abzulassen, hat die Wirkung gehabt, daß der Detailhandel allmählich in verhältnismäßig wenigen Händen konzentriert worden ist, die stark oder schwach sein mögen, und dieser Umstand hat den Verkauf von Büchern aller Arten, außerhalb der stark bevölkerten Mittelpunkte des Ver kehrs, bedeutend beeinträchtigt. Die Landbuchhändler an kleinen Orten sahen ihr Geschäft allmählich versiegen und mußten sich andere Sachen, Kurzwaren, Photographieen, Strickgarne, feine Lederwaren, Schmucksachen oder irgend etwas anderes zulegen, was ihnen passend erschien, um das im Buchhandel verlorene Einkommen zurückzubringen. Diese Veränderung fand langsam und allmählich statt, und während einer Reihe von Jahren fuhren die Verlagshäuser fort, Detailläden über das ganze Königreich mit ihren Waren nach einem verderblichen Kreditsystem anzufüllen. Sie verkauften dem Detailhändler Bücher, der sie in das Regal stellte, wo sie gewöhnlich auch blieben, und nahmen für den Betrag der Rechnung Wechsel von ihm. Auf diese Weise wurde mit der Zeit eine ungeheure Masse Außenstände angehäuft, von denen viele zweifelhaft wurden, da der Detailhändler außer stände war, den Vorrat abzusetzen. Wir wissen von einem der ersten Verlagshäuser, daß ihm vor einigen Jahren von drei ver schiedenen Banken der City der Kredit verweigert wurde, und zwar nur infolge der ungeheuren Masse kleiner Wechsel, oft von zwei oder drei Pfund, die die Firma zum Diskont vor legte. Sie mußte sich einrichten, so gut sie konnte. Da die Verleger ihr Geld vom Detailhändler oft nicht bekommen und dabei noch unter den Wirkungen der Ueber- produktion im Verlag leiden, die zuweilen sehr empfindlich waren, so sind sie in den letzten Jahren immer mehr in die Hände ihrer Drucker und Papierhändler geraten und kämpfen in dieser Weise unter vielen Wechselfällen weiter, ohne gerade zum offenen Bankerott zu gelangen. Aber sogar dieser könnte ihnen nicht wieder aufhelfen, denn zu dem Verfall des Buch handels gesellte sich in gewissem Grade derjenige von mehr als einer Leihbibliothek. Die letzteren blühten nur bis zu einer bestimmten Grenze; man kann sagen, daß die Lesewut für einen oder den anderen Schriftsteller auf einige Wochen oder Monate entflammte, aber ebenso schnell wieder verging, wie sie kam, und den Ruin einiger dieser Leihbibliotheken vollendete. Sie hatten plötzlich auftretender Nachfrage nach einem bestimmten Werke zu genügen, schafften sich bedeutende Mengen davon an, die nach einigen Wochen nur noch Maku latur waren, und mußten zu gleicher Zeit die regelmäßige Anschaffung anderer. Werke, und zwar oft infolge der mit Verlegern eingcgangenen Kontrakte, fortsetzen. Während der Verleger demnach schon in großem Maße den Detailhändler zur Last hatte, kam noch die Leihbibliothek dazu, die weiter kämpfte, dann und wann im Stillen Vergleiche machte, den Gläubigern Sicherheiten oder Schuldscheine gab in der eitlen 'Hoffnung, eines Tages aus den Schwierigkeiten herauszu kommen. Wenn der Verleger also wirklich Bücher verkaufte, so bekam er doch recht oft kein Geld dafür. Dann kamen Verlagshäuser in vielen Fällen auf den Gedanken, sich in Aktiengesellschaften zu verwandeln, einen Teil des Aktienkapitals wenn möglich ihrem Drucker und den Papierlieferanten aufzubürden, oder auch diesen und anderen Gläubigern für ihr Guthaben Schuldscheine auszu stellen. Das Ergebnis solcher Umwandlungen ist in den letzten Jahren nicht selten das gewesen, daß die gewöhnlichen Handels gläubiger der Verlagsfirmen und namentlich ein Schwarm kleiner Schriftsteller, entweder gar nichts oder nur eine sehr kleine Vergleichssumme für ihre Forderungen bekommen haben. Wenn die Schwierigkeiten zu einer Krisis führten, so schritten die Schuldschein-Inhaber ein und ergriffen Besitz von allem was vorhanden war. Vielleicht sind es Erfahrungen dieser Art, die Sir Walter Besant seinen tödlichen Haß gegen die ganze Gemeinschaft eingeflößt haben. Jedoch würde 1196'