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Bezugs. PretS I» der Hauvtrxpeditiou oder den i» Dtadb> bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich ^ 4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich vierteljährliches, für die übrigen Länder laut ZeitungsprriSliste. Lr-action und Expedition: IohanniSgaffe 8. Fernsprecher 153 und 222. Filialerprditionerr: Alfred Hahn, Buchhandlg., Universitätsstr.s, ti. Lösche, Katharinenstr. 14, u. Königspl. 7. —«r-k» Haupt-Filiale Dresden: Strehlenerstraße 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. —-»-i» Haupt-Filiale Lerliu: Königgrätzerstraße IIS. Fernsprecher Amt VI Nr. S3SL. Abend-Ausgabe. MMr Tageblatt Anzeiger. Amts »satt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Aathes nnd Nolizei-Ämtes der Lindt Leipzig. Anzeigen »PretS die 6gespaltene Pentzelle 2S Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. 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Es besteht Grund zu der Annahme, daß keine Schwierigkeit erhoben wurde, den Boeren das Recht zuzugestehen, Waffen zur Ber- theidigung gegen Eingeborene und gegen wilde Thiere zu behalten. Neben den hoffnungsvollen Stimmen werden aus Negie- rungSkreisen auch Aeußerunzen einer mehr pessimistischen Ausfassung bekannt. An der gestrigen Lonvoner Börse er klärte eine als unterrichtet geltende Persönlichkeit, einer der Minister habe ihm gegenüber die Möglichkeit zugegeben, der Friedensschluß könne ein ganzes Jahr lang dauern. Dies sei so zu verstehen, daß die jetzigen Verhand lungen nock kein bestimmtes Ergebniß haben würben und raß deshalb ein vorläufiger Waffenstillstand zu Stande kommen dürfte. Die größte Schwierigkeit biete die Rückführung der Gefangenen und andererseits die mögliche Auswanderung eines größeren TheileS der Boeren. Für England würde eS natürlich ein großer Vortheil sein, wenn die 20 000 Gefangenen nicht zurück kehrten, sondern in einem anderen Lande angesiedelt werden könnten. — Trotz alledem aber dürfte man annehmen, daß die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten nicht erfolgen werde. * London, 29. Mai. Nach den heute veröffentlichten Verlust- listen hat am 25. d. M. zwischen Aliwal North und Jamestown ein Gefecht stattgesunden, bei dem 1 Officier und 5 Mann ver- wundct wurden. * Capstadt, 29. Mai. Der Arbeitsminister vr. Smartt ist zurückgetreten. Politische Tagesschau. * Leipzig, 30. Mai. Auswärtige Blätter beschäftigten sich in den letzten Tagen lebhaft mit Auslassungen der „Leipz. Volksztg." über den Mordversuch auf den Gouverneur von Wilna. TaS socialdcmokratische Blatt hatte von dem Mörder als einem Helden, von dem Gouverneur aber als der „einstweilen glücklich geretteten Canaille" gesprochen. Uns hatten diese Auslassungen weder überrascht, noch zu einer Betrachtung veranlaßt, denn das Leipziger Socialistenblatt bat seine frei willigen und unfreiwilligen Leser längst an derartige Herzens ergüsse gewöhnt. Jetzt aber haben diese Auslassungen wirk liche Bedeutung erlangt, und zwar dadurch, daß sie die officielle Sanktion erhalten haben. Dies ist so gekommen. Ein freisinniges Blatt, das seit Jahren auf die socialistische Mauserungspolitik schwört, war natürlich durch die blutdürstigen Ergüsse des Leipziger Socialisten- organS sehr in seinen Cirkeln gestört und verlangte deshalb energisch, daß die „Leipz. Volkszeitung" sofort osficiell des» avouirt werde. Das Blatt war seiner Sache so sicher, daß es erklärte: „Wir sind gewiß, daß ein großer Theil der socialdemokratischen Fraction und Partei dieses Gebühren verurtheilt ... Es wird nützlich und noth- wendig sein, klipp und klar mit Personen zu brechen, die den Mord vertheidigen und den Mörder feiern." Was aber geschieht? Genau das Gegentheil. Der „Vorwärts", das officielle Organ der socialdemokratischen Partei Deutschlands, denkt gar nicht daran, die Anregung des freisinnigen Blattes als Rückzugsbrücke zu benutzen, sondern er bezeichnet sie als „weiteren Beitrag zur rettungslosen Entartung der Bourgeoisie." Er erklärt ferner ausdrücklich: „Die gesammte Social demokratie theilt in diesem Falle die Gefühle der „Leipz. Volksztg."". ES handelt sich hier zweifellos nicht um die journalistische Entgleisung eines beliebigen Redac- teurs des socialistischcn Ccntralorgans, sondern es ist selbst verständlich, daß eine derartige wichtige principielle Erklärung nur erfolgen kann im Einverständnisse mit der Lei tung der socialdemokratischen Partei. Damit aber ist den freisinnigen Mauserungspolitikern jede Möglichkeit entzogen, sich künftighin noch so anzustellen, als glaubten sie an die Möglichkeit der Entwickelung der Social demokratie zu einer Art radical-bürgerlicher Partei. Wir wollen doch wenigstens hoffen, daß diese freisinnigen Mauserungspolitiker sich nicht etwa ihrerseits dahin mausern wollen, den politischen Meuchelmord für zulässig zu erklären. Die Socialdemokratie sucht bereits die Brücke zu dieser Entwickelung der „Bourgeoisie" zu bauen, indem sie an „historischen Beispielen" darzuthun sucht, daß die Ver- urtheilung des politischen Meuchelmordes eine Inkonsequenz sei. Führe man doch sogar an Hoftheatern Schiller'S „Tell" auf und sei doch jetzt die Rede davon, daß möglicherweise in Berlin ein Denkmal des „Revolutionärs" Washington als Geschenk der Vereinigten Staaten aufgestellt wevde. Beide Beispiele sind möglichst unglücklich gewählt. Ganz abgesehen davon, daß eS höchst fraglich ist, ob Tell überhaupt eine histo rische Person war, so gilt seine That der Befreiung eines Volkesvon der Fremdherrschaft. Ebenso revolutionirte Washington gegen eine Fremdherrschaft. Bei dem Mord attentat in Wilna und bei der Ermordung Scipjagins aber handelt es sich um Verbrechen gegen auSsührende Beamte der eigenen angestammten Regierung. Man kann also nicht Washington oder Tell auf eine Stufe mit den russischen Meuchelmördern stellen, sondern nur etwa die Mörder des Präsidenten Mac Kinley und des Königs Humbert. Daß selbst die radicalsten bürgerlichen Organe für diese Mord gesellen Sympathie bekundet hätten, ist uns unbekannt. Das eben ist der Beweis der unüberbrückbaren Kluft selbst zwischen dem politisch-radikalen Bürgerthum und der Socialdemokratic, und der „Vorwärts" hat sich ein Verdienst dadurch erworben, daß er seinen mauserungspolitischen Gönnern die Augen ge öffnet hat. In der k l e r i k a l e n Presse herrscht begreiflicher Weise großer Jubel wegen des Verlaufes der Verhandlungen in der Münchner Reichsrathskammer über das bayerische Schulbedarfsgesetz. Die „Germania" verkündet trium- phircnd den „Sieg christlicher (soll heißen: klerikaler) Schul politik in Bayern", und die Münchner ultramontane Presse verhöhnt in ihrer Sicgsfreude den übrigens gut katho lischen Grafen Törring, der allein entschiedenen Wider stand gegen -en Coufcssionsschul-Paragraphen geleistet hat. Der ganze Ton der klerikalen Blätter, nicht zuletzt die wiederholte und nachdrückliche Bezugnahme auf die Ab stimmung der Mitglieder des Königshauses, zeigt klar, mit welchen Zukunftshoffnungcn man sich auf ultramontancr Seite trägt. Die Mehrheit für den Antrag v. Würtzburg war erheblich stärker, als das Eentrum zu hoffen gewagt hatte, und ebenso war das Eintreten des Ministerpräsi denten Grafen C r a i l s h c i m für den Antrag, wenn auch mit der mitgethcilten Auslegung, eine Ueberraschung, tue von den Siegern als „Hauptschlag für die Liberalen' ge feiert wird. In der Freude wird vorläufig ein Auge zu gedrückt und übersehen, daß die Erste Kammer den Kate cheten - Paragraphen gestrichen hat, der den Ein fluß der Kirche auf die Schule unter gleichzeitiger finan zieller Entlastung der Kirche noch verstärken sollte und in der Zweiten Kammer den größten Streitpunkt bildete. Augenscheinlich nimmt man nach der lauen Haltung der Minister im Reichsrath an, daß das „Unannehmbar", das die Regierung diesem Paragraphen gegenüber früher aus gesprochen hat, künftig nicht mehr so entschieden klingen werde. Was die Klerikalen gelegentlich des Schulbedarfs- gcsetzes Alles für die Kirche hcrausschlagen zu könuen glauben, haben sie ja an einer genügenden Zahl von Bei spielen gezeigt. Eins der naivsten war der am letzten Bc- rathungstag in der Kammer der Rcichsräthe vorgebrachte Antrag, wonach auch Entschädigungen für Dienstalters zulagen und Ruhcgehalte an die Mutterhäuser erfolgen sollen, aus denen Ordcnspersonen hcrvorgehen, die sich mit dem Dienst in der Volksschule befassen. Diese Ordcnspcr- soncn werden von ihrem Mutterhause beliebig abcomman- dirt, Staat und Gemeinde haben gar keinen Einfluß darauf, wie lange sie im Dienste der Schule bleiben trotzdem sollen ihnen nach dem Gutdünken der Mutter häuser von den weltlichen Instanzen Dienstaltcrszulagcn und Rnhegehälter gewährt werden! Auch auf dieses An sinnen fand der Eultusministcr nur eine ausweichende Ant wort — kein Wunder also, daß die Ultramontanen voll froher Zuversicht sind. Der Verlauf dieser Verhandlungen über ein Gesetz, welches ursprünglich ungefähr das werden sollte, was man in Preußen unter einem Schul- dotationsgeseyc versteht, ist, wie die „Nat.-Ztg." mit Recht betont, eine Warnung, die in Preußen hoffentlich be achtet werden wird. In Bayern ist geschehen, was in Preußen von einem derartigen Entwurf befürchtet wird: seine Umwandlung in ein reactionäres Volksschulgesetz. Gelegentlich der Aürehdebatte in der bul» garischcn Svbranjc ergriff gestern der Minister - Präsident Danew das Wort, um sich über die Politik der Regierung zu äußern. „Was die innere Politik be trifft", führte der Minister aus, „so wird die Regierung Maßnahmen ergreifen, um die politischen Freiheiten zu sichern und das Land in seiner wirthschaftlichen Ent wickelung zu stärken. Es wird während der außerordent lichen Session der Sobranje die Aufgabe der Negierung sein, die Consolidirung der finanziellen Lage durchzu führen und einem Budget mit faktischem Gleichgewicht zur Annahme zu verhelfen." Bezüglich der äußeren Politik könne er, der Minister, in richtiger Erkenntniß der Kräfte des Landes, nicht von hochtrabenden Plänen sprechen. „Unsere Politik", sagte der Redner, „ist durch den aufrichtigen Wunsch der Regierung gekennzeichnet, mit allen Staaten, insbesondere mit unseren Nachbarn, freund schaftliche Beziehungen zu unterhalten. Unsere Be ziehungen zu Rumänien sind trotz einiger Fragen, die bei uns zu Klagen Anlaß geben, durchaus gute, und im Hinblick auf den guten Willen beider Thcilc läßt sich schon für die nächste Zukunft eine vollkommen befriedigende Regelung dieser Fragen erwarten." Was Serbien anlangt, sagte der Minister, so sei er für eine innige Freundschaft mit diesem Staate. „Es liegt nicht im Interesse der beiden Nachbarländer, einen prineipicllcn Antagonismus unter einander aufkommen zu laßen, und es ist nur zu wünschen, daß beiderseits Mittel und Wege gefunden werden, um einen solchen Antagonismus zu be seitigen. Die Interessen Bulgariens erheischen auch ein loyales, freundschaftliches Verhältniß zur Türkei. Zur Förderung dieses Zieles hält es die Negierung für ihre Pflicht, die türkische Bevölkerung im bulgarischen Fürstcnthum ebenso zu behandeln, wie die bulgarische, und keine ungesetzlichen, gegen das Nachbarreich gerichteten Handlungen zu dulden." Der Minister gab zugleich der Hoffnung Ausdruck, daß die interessirten Mächte, be sonders aber die Türkei selbst, Maßnahmen zur Besserung des Schicksals der Bulgaren in Makedonien treffen werde. „Die von Bulgarien in dieser Hinsicht erhobenen Forderungen sind nicht nur durch das Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit, sondern auch durch die eigenen Interessen des Fürstenthums geboten. In Folge der Unterdrückung in Makedonien nimmt die Auswanderung aus dieser Provinz ständig zu, was der bulgarischen Regie rung nicht wenig Schwierigkeiten verursacht. Diese Aus wanderung durch Besserung des Schicksals der Christen in -er Türkei zum Stillstände zu bringen, liegt im eigensten Interesse der Pforte." Bezüglich der Beziehungen zu den Großmächten erklärt der Minister, die bulgarische Regierung werde auf dem seit mehreren Jahren verfolgten Wege fortschreiten. Redner sieht in der Unterzeichnung der mit Oesterreich-Ungarn geschloffenen Consular Con vention einen Beweis dafür, daß das Vertrauen Europas in die Ordnung in Bulgarien zu erstarken beginne. Dieses durch eine gute Verwaltung und Gerichtsverfassung gewonnene Vertrauen sei für Bulgarien von großem Wcrthe hinsichtlich seiner culturellen Bestrebungen, zu deren Erreichung cs fremder Capitalien bedürfe. (Leb hafter Beifall.) — Die Adresse wurde darauf mit 88 gegen 60 Stimmen angenommen. Deutsches Reich. * Berlin, 29. Mai. DemSchahvoriPersien und seinem Großvezir widmet die „Köln. Ztg.1 eine Begrüßung, die für den deutschen Handel und die deutsche Industrie einige nicht unwichtige Hinweise ent hält. Sie lautet: Der Schah Muzaffer Eddin befindet sich bekanntlich auf einer Reise durch Europa und seit heute innerhalb der Grenzen des deutschen Reiches. Der Selbst herrscher des alten Perserlandes gilt als ein Mann, der von dem Willen beseelt ist, die Einrichtungen der euro päischen Staaten kennen zu lernen, um diese Kenntniß zu Gunsten seines Landes zu verwerthen. Bereits sind in Persien belgische Fachleute in verschiedenen Zweigen der Verwaltung angcstellt; ihr Nutzen ist indessen bisher noch gering gewesen, da die orientalische Regierungsart sich nur sehr langsam verständigen Neuerungen anbequemt. Durch die Pläne der Bagdadbahn und russischer, wie englisch indischer Absichten, eine Schienen-Verbindung nach Persien herzustellen, rückt das Land des Schahs auch dem deutschen Interesse näher. Schon früher hatte eine deutsche Unter nehmung das Recht des Baues gewisser Straßen erworben, schließlich aber anscheinend zu Gunsten russischer Unter nehmer von dem Bau Abstand genommen; es scheint, daß auch in Zukunft deutschen Unternehmungen nicht zu rachen ist, sich in Persien festzulegen, wohl aber darf der deutsche Handel von einem Erschließen Persiens manche Bor- Frrrilletsn. sj Gesellschaftssiinden. Von Irmgard Sorrau. Alle Rechte Vorbehalten. Nach einer langen Zeit richtet sich Charlotte auf, cs tostet ihr Mühe, sich gerade zu halten und ihre Augen blicken mit todtem Ausdruck ins Leere. „Ich muß auch dies Neue überwinden", sagte sie endlich zu sich, „ich muß, weil ich will. Schon lange, lange darf ich nicht mehr zeigen, daß ich ihn liebe, oder daß ich noch um ihn leide. Mir ist gar nichts geblieben, denn zu Allem hat er mir selbst das Recht genommen. Ich habe mich nicht einmal vertheidigen dürfen, dem gemeinsten Verbrecher wird's zwar zugebilligt, mir wurde cs nicht gewährt. Der Schein war gegen mich und das genügte für den Mann, dem ich mcinHcrz geschenkt habe, mn mir zu mißtrauen.Des halb seine Härte. Und ich, Thörin, die ich war, und die da meinte, seine Liebe zu mir könne gar nicht sterben, habe mich noch vor ihm gcdcmttthigt und habe ihm bittend ge schrieben. Keinem anderen, als ihm gegenüber hätte ich meinen verletzten Stolz überwunden. Es war umsonst." Bei dem Gedanken stieg eine dunkle Blutwelle in ihr blasses Gesicht, sic sprang auf und fing an, rastlos im Zimmer auf und ab zu wandern. „Daß er aufhörcn konnte, mich zu lieben, das ist traurig, daß er aber aufhörcn konnte, mich zu achten, daß ist daS Allcrtraurigste, was kommen konnte. Und doch — was mag cs einem Menschen kosten, ehe er so weit kommt, zu verachten, wo er erst liebte? Ich will nicht hart gegen Dich sein, Nndolph, — und ich kann es immer noch nicht, weil ich immer noch nicht die glückliche Zeit, die ich Dir verdanke, vergessen kann. » Ein Anderer zwar, zum Beispiel Graf Montleart, wenn der ein häßliches Wort über mich hörte, dann würde er den Menschen, der cs ausspräche, für einen Lügner erklären und sofort für meine Ehre eintreten, und erst dann, wenn das geschehen wäre, würde er eine Aufklärung verlangen, und hätte er sie, dann würde er mich noch um Verzeihung bitten, daß er überhaupt um eine Aufklärung gebeten habe. — So würde Graf MontlSart handeln, und Graf Montleart weiß sich nicht einmal im sicheren Besitze meiner Liebe, er weiß, daß er sich dieselbe erst nach und nach gewinnen kann. DaS ist der große Unterschieb zwischen ihm und Rudolf." Dann denkt sie wieder an den heutigen Brief. „Ist so viel Ge meinheit überhaupt möglich? Elise Ronchcs und eine ganze Stadt hatten sich gegen sic zusammcngethan. Ist es denn denkbar, daß Andere, Fremde, das Recht und die Macht haben sollen, derartig unheilvoll in das Geschick zweier Menschen einzugrcifen und deren gemeinsames Glück für alle Zeiten zu zerstören? Sie, Charlotte Attcnburg, möchte diese ganze Welt fordern und gegen sie ankämpfen. Aber welcher Gedanke! Wie käme sie zu dem Vorrecht? Ich bin ja nur ein einzelnes Glied von den täglichen Opfern, unter den Milliarden ein armseliges, bedeutungsloses Nichts, über dessen Vermessenheit man eben noch die Achseln zuckt, und dessen Existenz in der nächsten Minute vergessen ist. Täglich und stündlich wird in allen Schichten an der Zerstörung so und so Vieler gearbeitet. Wer zählt die Opfer und wer fragt nach ihnen, die Welt geht unbe kümmert ihren Weg und mit ihr im ewig gleichen Schritt — die Verleumdung! Charlotte besinnt sich auf einen einzigen bezeichnenden Fall. Er mag sich vor ungefähr drei Wochen ereignet haben, während eines jour kixs bei einer Bekannten. Sie sitzt jetzt mitten drin in einem Kreise lachender, schwatzender Menschen. Baron B., der sich gern reden hört, erzählt soeben mit erhobener Stimme von seinen letzten Jagdcrleb- nisscn auf seinen Besitzungen. Der junge Mann hat keinen eigentlichen Beruf, weil er ganz frei sein und nur seinem Vergnügen leben will, und sein Hauptvergnügen besteht eben ans seiner Jagd. „Wie wenig man zum ungestörten Genuß seines LebcnS kommt und wie sehr man sich um jede Kleinigkeit kümmern muß, das glauben Sie gar nicht, meine Verehrten. Komme ich auf das Gut, — der Aerger, reise ich nachcinem anderen, — jener Verdruß. Es ist nicht zum aushalten, wie ich be stohlen und betrogen werde, besonders in meinen Forsten. Da kann tch's für den Tod nicht leiden, wenn mir da Leute herumkrtechen und das Wild verjagen. Ich halte mir deS- halb eine Anzahl Förster, die auf Ordnung halten sollen, und außerdem sind die Verbote über Beerenpflücken, Holzholen n. s. w. an allen nur denkbaren Stellen ange schlagen. Glauben Sie aber, das könnte die Lento ab- schrecken? Nein, nicht im Mindesten. Letzthin, ich reite nur am Hellen, lichten Tage ein paar Schritte in den Forst, da sehe ich auch schon ein altes Weib mir entgegcnkommcu und ihren Korb hat sie voll dürrer Reiser gepackt. Nein, ich sage Ihnen, so was von «uspacken habe ich bald noch nicht erbebt. Wie He mich^benn kommen steht, bleibt sie gan- erschrocken stehen und sagt schon von Weitem: „Ach, Herr Baron, verzeihen Sie's nur, daß ich das Holz geholt habe, ich will's auch später Alles bezahlen. Mein Mann und die Kinder können s vor Kälte gar nicht mehr anshalten, und mein Mann ist noch dazu krank. Bon den Änderen bekommt man nur Holz gegen baare Bezahlung, und das könnt' ich jetzt nicht allein erarbeiten. Und die Förster habe ich schon darum gefragt, aber die haben mir's Alle abgeschlagen . Da hab' ich halt aus Nvth das Holz gestohlen." Sehen Sie, das Alles ist nur so ein Beispiel vom täglichen Aerger." „Was haben Sie denn mit der Frau gethan, Herr Baron?" „Oh, sie hat ihr Holz vor meinen Augen abladcn und brcittragcn müssen, und nachdem sie das gethan hatte, habe ich dem heulenden Weibe eine Rede über ihre Unverschämt heit gehalten, und darüber, daß sie mir das Wild ourch ihr Herumkrtechen vertreibt, und -um Schluß habe ich ihr «och anzuhöreu gegeben, wenn sie jetzt, wo sic schon alte Leute wären, noch nicht mal so viel zurückgelegt hätten, daß sie sich Holz kaufen könnten, dann wäre überhaupt nichts an ihnen, und es wäre gar nicht zu verwundern, daß sie stehlen müßten. Ich unterstützte aber solche Leute nie mals.". „Haben Sie denn die Frau nicht angczeigt?" „Ne, erstens macht das unnöthige Scheercreien, und dann hat man schließlich doch auch ein Herz, ich sogar ein sehr mitleidiges!" „Wie edel Sic doch immer sind, bester Baron", sagte eine junge Wittwe und wirft demselben einen bewundern den Blick zu. Der ganze Chor stimmt bei, und in allen Tonarten wird ein Preislich auf den jungen Mann an gestimmt. „Solche gewöhnliche Leute wissen doch niemals, waS recht oder unrecht ist!" „Nein, das konnnt gar nicht vor, und wenn sie auch uralt wären nnd ein ganzes Leben hinter ihnen liegt!" „Denk' Dir nur, Gred, wie gräßlich, wenn Jemand von uns z. B. auch in den Wald gehen wollte, um Holz zu stehlen!" „Schrecklich!" „Ganz undenkbar. Dazu hätten wir ein viel zu feines Empfinden für „Gnt" und „Böse"." „Stehlen ist auch eine große Sünde." Dann hatte der Baron eine ganze neue Scandal- geschieht«, die er eben erst erfahren hatte, aufgettscht. Und dieser Scandal spielte in der Gesellschaft. Da hatte eine junge Frau ihren Mann schmählich be trogen, der Acrmste ahnte nichts davon, er war rein mit Blindheit geschlagen nnd merkte nichts davon, -aß sich seine Frau mit einem Andern traf, den sie früher geliebt hatte. Mal da, mal dort waren die Beiden getroffen worden, oft mit einer anderen Dame noch zusammen. Aber — wer weiß! Die junge Frau war jedes Mal, wenn sie jemand Bekanntes getroffen hatte, glühend roth geworden oder war -en Betreffenden aus dem Wege ge gangen. Kurz und gut, die Sache war entschieden sehr auffallend. Der Baron hatte dankbare Zuhörer. Athemlose Spannung bei all' den lauschenden. „Gott, wie inter essant!" Und nach und nach besann sich die Dame, Das und Das gehört zu haben, und jener Herr hatte wieder etwas Anderes bemerkt, bis zuletzt eine außerordentlich sensa tionelle Geschichte zusammcngesponnen war. Nach acht Tagen Rendezvous im selben Haus. Der Baron: „Denken Sic nur, wie furchtbar, jene Dame, Frau H., hat sich das Leben genommen!" „Wie?" „Was?" „Der Mann hat zuletzt doch von dem Gerede gehört. Es soll eine entsetzliche Scene gegeben haben. Die Frau hat sich seinen Zorn und das Gerede so zu Gemüth gc- nommen, daß sic ins Wasser gegangen ist. Eben hat man sie gefunden." Ein einziger Entsetzensschrei antwortet dem Erzähler. „Ja, und denken Sic, es hat sich jetzt aufgeklärt, durch einen hinterlassenen Brief, daß der Herr der Bräutigam einer Freundin war. Frau N. hat ihn gar nicht vorher gekannt. Die beiden jungen Leute hatten aus Familien gründen ihre Verlobung ganz geheim gehalten. Nur Frau H. ist die Vertraute gewesen und hat nicht einmal ihrem Mann davon sprechen dürfen." Die Damen ringen die Hände, die Herren machen sorgenvolle Gesichter. „Furchtbar!" „Entsetzlich!" „Wie traurig!" schwirren die Ausrufe durch die Luft. „Ach, die arme Frau", jammert eine Dame, „ich habe ja immer geglaubt, daß sic unschuldig war." „Nun, meine Liebe! Ich dächte, vor acht Tagen waren sie anderer Meinung und erzählten andere Dinge!" „Jq — damals. Ich hatte eS auch nur gehört. Uebex-