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Deutschlands Anmeldung in Genf beschlossen. Einmütigkeit im Kabinett. — Stresemanns Erwi-ernng an Mussolini am Dienstag. Der Reichstag über den Konflikt mit -er Reichsbahn.—Marx über -ie Strafrechtsreform.-Neuer Vorschlag Rußlands an die Schweiz. Die entscheidende Kabineltssihung. Berlln, 8. Febr. Daö ReichSkabiuett hat in seiner heutige« Sitzung die Abscndung einer Note einstimmig be, schlosse«, durch welche der Eintritt Deutschlands in de« Völkerbund ««gemeldet wird. Die Note wird «lSbald »ach der Uebcrrcichung in Gens verösscntlicht werde«. DaS R e i ch S ka b I n c t t soll sich in seiner heutigen Sitzung außer mit dem Nufnahmegcsuch Deutschlands in den Völkerbund auch mit der Rede Mussolinis beschäftigt haben. * lieber die für die Ent schlief,urig der MeichSregleruiig zum Eintritt Deutschlands in den Völkerbund entscheidenden Ge» sichtSounkte wird von zuständiger Seite bemerkt: Erst durch den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund wird das Ber» trags-wcrk von Locarno zur Wirklichkeit und damit gemäß dem Beschluß einer großen Neichtagsmchrheit für die Friedens- kräfte in Europa ein fester Boden geschaffen. Deutschland kann nur auf solcher Grundlage seine eigenen Kräfte entfalten und zur Geltung bringen. Hierbei ist von entscheidender Be- dentung, daß Deutschland sofort «ine« ständigen Rats sitz erhält. Die Reurtettnng der dadurch fvr Deutschland er» öffnete» Möglichkeiten politischen Wirkens kan» nicht «ach be» Maßstabe der bisherigen Betätigung des Völker, bundes erfolgen, die zu vielfachen berechtigten Beschwer» den Deutschlands Anlaß gegeben hat. Wenn auch angesichts der politischen Gesamtlag« nichts ver- kehrter wäre, als illirsionifrische .Hoffnungen über das zu hegen, was Deutschland erreichen kann, so wird doch Deutsch land künftig bei all den großen Angetegenhelten, für die der Völkerbund zuständig ist, zum mindesten mit beraten und mit abstimmen. Bei zahlreichen Entscheidungen des Völker- bundsrateS aber wird Deutschlands Stimme darüber hinaus von entscheidender Bedeutung sein, da nach der Satzung des Völkerbundes, soweit nicht in besonderen einzelnen Fällen anderes vorgesehen ist, der Bülkerbundsrat einstimmig zu beschließen hat. Was den Inhalt der Arbeit tm Völkerbund betrifft, so fteht bei alle» politischen Spannungen ernster Art den Bun- deSmttgltedcrn das Rech, zu. eine Iieratung tm Völkerbund herbetzuführcn, und aus diese Weise ihren Standpunkt zur Geltung zu bringen. Dadurch wird Deutschland die Wicdcr- betetligung an den großen polit.sckien Entscheidungen ge sichert. Im Völkerbund kann ferner die Nachprüfung unan» wendbar gewordener Verträge und solcher internationaler Verhältnisse veranlaßt werden, deren Aufrechtcrhaltung den Weltfrieden gefährdet. Anch für die allgemein« Abrüstung, die eines der wichtigsten Ziele des Völkerbundes ist, kann Deutschland als Mitglied nachdrücklichst eintrcten. Neben dielen allgemeine» Ausgaben hat der Völkerbund eine Reihe von Sonderausgaben übernommen, die gerade für Deutschland von lebenswichtiger Bedeutung sind. Dazu gehört zunächst die Verwaltung des SaargebtetS und der Schutz Danzigs, zwei Fragen, deren befriedigende Behandlung ohne deutsche Mitwirkung nicht denkbar ist. ES kommt hinzu die Frage in:r Kolontalmandate, an denen beteiligt zu werben das deutsche Volk seinen berechtigten Anspriuh erhebt. Endlich ist besonders auf dag Problem der Minderheiten kinzuweisen, deren Schutz dem Völkerbünde anvertraut ist. Angesichts der großen Zahl von deutschen Stammesangcliö- rigen, die i« fremden Staatsvcrbändcn lebe», hat Deutschland die Pflicht, sich an der Gestalt«»» des Schicksals der Minder, heilen nach seiner Kraft aktiv zu beteiligen. Deutschland muß in seiner bedrängten Lage in erster Linie nie nüchtern die Frage prüfen, ob ihm sein Eintr.tt konkrete Vorteile bietet, von denen es eine Besserung seiner Lage erhoffen kann. Diese Frage kann nach dem Stadium, das in der politischen Entwicklung jetzt erricht ist. n i ch t m e h r v e r n e i n t werden. Nachdem die gleichberechtigte Stellung Deutschlands im Völ kerbund gesichert und seiner besonderen Lage für Konslikts- fülle Rechnung getragen ist, wird die Gefahr infolge unseres Mangels an äußeren Machtmitteln, reines Objekt der Politik der anderen zu werden, durch die Zugehörigkeit zum Bunde und die Beteiligung an seinen Entscheidungen keinesfalls ver größert, sondern sicherlich verringert. Selbverständlich kann niemand erwarten, daß der Eintritt in den Völkerbund einen plötzlichen Umschwung der Dinge herbeiführcn könnte. iWTB.) atnberusuna des Auswärtigen Ausschusses. Berlin, 8. Fcbr. Der Auswärtige Ausschuß des Reichs» tage- ist für morgen mittag 12 Uhr einberuscn worben. Er wirb sich mit der Vorbereitung für die Mussolini. Debatte beschäftigen. . » Berlin. 8. Fcbr. Mit Rücksicht auf die bevorstehende Er, «idernng Dr. Stresemanns ans die Rede MnsioliniS enthält man sich hier zunächst icder amtlichen Acußeruug darüber. Man bars aber annehmen, daß die Antwort Stresemanns nicht den Ton. den Mussolini angeschlagen hat. aufnehmen, sondern hei aller Entschiedenheit des deutschen Standpunktes ruhig m»d sachlich sein wird. Mussolini geht, wie man in maßgeben den Kreisen meint, von mehreren falschen Voraussetzungen auö. durch die bas ganze Problem verschoben wird. Für Deutschland ist SUdtirol kein politisches Problem. Kein ver ständiger Mensch denkt in Deutschland daran, die Grenze nach Süden zu verschiebe», um Südtirol von Italien loszulöscn. Unserem Eintreten für die Stammcsgcnollen in Siidtirol liegen ausschließlich kulturelle Motive zugrunde, die sich ans der StammeSgemcinschast und Blntverwandtschait ergeben. Eine andere Verschiebung ergibt sich daraus, daß Mussolini die Verhältnisse in Deutschland nach denen im faschistischen Italien beurteilt. Bei uns hat -ie Regierung nicht die Macht über die Prelle wie in Italien. Die deutsche Netcks- regierung kann nichts anderes tun als vor Verbreitung un richtiger Nachrichten und Uebertreibunaen warnen, bat aber kein Mittel, solche zu verhindern. Die Rede des bäurische« Ministerpräsidenten Held, die Mussolini offenbar zu seiner Rede veranlaßt hat. ist nicht als eine Acnßcruna des offiziell-« Deutschlands zu bcmerte«. Die deutsche Außenvolitik ist Sache des Reiches. beS deutschen Auswärtigen Amtes, nickt aber der Länder. Die Aeußerungen Heids sind daher — dies ist der änitltche Berliner Standpunkt --- nickt anders »u beurteilen, wie die eines Privatmannes, für die die ReickSreaieruna ebensowenig eist« Verantwortung übernehmen kann, wie für Auslassungen,der Prelle. Wenn Mussolini bas Bestreben fest- ftellte, die deutsche Bevölkerung Südttrols ihrer Sprache und Kultur zu berauben und gänzlich zu italianisieren. so bat er dabei offensichtlich nicht den Umstand genügend in Recku««g gestellt, daß Italien selbst eine» große« Teil seiner Bevölkerung außer Landes bat, der von de« Wirknnae» einer solchen Politik nachteilig betrosse» werden könnte Ucbriaens hat er sich damit auch in Widerspruch zu früheren italienischen Er klärungen gesetzt, wonach der Brenner nur die strategische Grenze sein sollte, nickt aber die kulturelle. Die deutsche Re gierung bat sich bisher die Pflege guter Beziehungen zu Italien angelegen sein lallen. Ob eS ihr gelingen wird, die bestehenden „Mißverständnisse" auszuklären und die er wachsenen Differenzen zu beseitigen, muß abaewartet werden. Alle Parteien sind sich darüber einig, daß der Vorstoß Mussolinis gegen Deutschland aus Gründen der Politik in Südtirol die schärfste Abwehr erfordert. Nach den Verträgen von Trianon und St. Germatn, die Deutschland im Artikel 448 des Vertrages von Versailles ausdrücklich anerkannt hat, gibt es allerdings für die Deutschen in Italien kein Minder» heitenrecht, da der Schutz der Minderheiten nnr einseitig sitr die Italiener in Oesterreich und Ungarn scstgclegt ist. Sine InlerpeUalion -er «egierungsparlelen. Berlin, 8. Februar. Die Regierungsparteien des Reichs- tags haben folgende Interpellation von Gucrard sZcntr.j, Dr. Scholz (D. Bp.j, Koch-Weser (Dem.), Lang (B. Bp.) ein gebracht: In der ParlamentSsihung vom ü. d. M. hat der ita lienische Ministerpräsident unter Bezugnahme aus die Lage in Südtirol Ausführungen gemacht, die das Verhältnis des Deutschen Reiches gegenüber Italien berühren. Wir fragen an: 1. Ist ber Rcichöregicrung ber amtliche Wortlaut dieser Ausführungen bekannt? L Ist die ReichSrcgiernng in der Lag«, dem Reichstag über ihre Stellungnahme z« dieser Ausführung Auskunst z» erteilen? Dal-win -emerrlierl. London, 8. Febr. Ans eine Anfrage Kennworthys d e - mcutterte Min.sterpräfidcnt Baldwin hente im Unter» Hanl« die Nachrichten, daß politische Abmachungen zwischenEnglandnndItalie» ans Anlaß der Schnl, dcnregelung als Rebcnabkommen getroffen worden seien. Anangenehmer Stnvruck -er Mufsollni-Re-e in Washington. Neuyork, 8. Febr. In Washingtoner politischen Kreise» wird die Rede Mussolinis lebhaft besprochen. Negie- rnngskreis« erklären, die Rede des italienischen Ministcrpräsi, dentcn stärke die amerikanische Opposition gegen die Ratifi, ziernng des italieuisch-amerikan scheu Schuldenabkommens. Der Zeitpunkt sitr diese Rede fei sehr unglücklich gewählt, denn die Opposition werde dafür sorgen, daß nunmehr auf Italien ein stärkerer Druck anSgeübt werde, wenn das Schnlbcn- abkommcn dem Senat zur Ratifizierung vorgelcgt werde. Die Sympathien, die Mussolini durch feine Rede verloren habe, werden dem cntwasfneten Deutschland znslicgcn. Die Schweizer Presse zur Mussoltni»R«-e. Basel, 8. Febr. Die „Neue Züricher Zeitung" schreibt zu den Erklärungen Mussolinis über Süd tirol: Nur einer Hypertrophie des Nationalismus konnte in talien, da» früher selbst AuSw-üchse einer fremdsprachlichen errschaft am eigenen Leide erdulden mußte, zu einem solchen orgchen gegen die Düdtiroler Bevölkerung liegen. Die Formulierung der Antwort Mussolinis bedeutet eine derartige brntale Enthüllnn« des faschistischen Geisteszustandes, daß di« letzten Zwettcl über die ltalieu schen Absichten in Südtirol schwinde«. An das Versprechen seiner Vorgänger, den Süd- tirolern di« kulturelle Autonomie zu gewähren, hat sich da» faschistisch« Regime in keiner Welse gehalten. Ein Garant von Locarno! Garanten des Friedens, wie er angeblich in Locarno stabilisiert sein sollte, und erklärte Hüter des „Geiste- von Locarno" sind England und Italien. Und am Vorabend des entscheidenden Schrittes zum Inkrafttreten dieser Verträge, am Borabend der folgenschweren deutschen Entscheidung über das A-usnahmegesuch an den Völkerbund macht sich der eine ber beiden Garanten im gleichen Atemzuge mit feinem Spott über die deutschen Touristen tm Wandervog-claufzuge über den „Locarno-Geist" lustig, weist Mussolini mit kriegerischer Gebärde über den Brenner und hält eine Red«, -ie, um mit dem „Dativ Expreß" zu sprechen, in der Brutalität des Tones nnb ihren schweren Drohungen selbst dann ungerechtfertigt gewesen wäre, wenn Italien vollkommen tm Rechte und Deutschland vollkommen im Unrecht gewesen wäre. Wir sind an Hetz-, Lärm- und Prahlreden des größenwahnsinnigen Duce reichlich gewöhnt, um nicht jedes seiner Worte aus die Goldwage zu legen. Wen« er aber diesmal ausdrücklich er. klärt, daß sein« Rede „als genaue politische und diplomatische Bedingung betrachtet werden müsse*, so haben wir kein Recht, In dieser Rode lediglich ein« unverschämte Zügellosigkeit red nerischen Temperaments und nur die empörende BrüSkierung eines Staates zu sehen, von dem er keinen machtvollen Wider- stand erwarten kann. Das deutsche Ehrgefühl bäumt sich auf gegen den schneideuden Hohn, mit -cm Mussolini da- deutsche Düdtirol als ethnographische Reliquie bezeichnet, obwohl da» Denkmal Walthers von der Vogclwcidc von einem tausend- lährigen deutschen Kulturschaffen zeugt, bäumt sich auf da gegen. als .LSilde" verspottet zu werden und die deutschen Touristen anpöbeln zu lassen. Wir wären kein Volk, irgend welcher Achtung würdig, wenn wir unS schweigend derartig mit Füßen treten ließen, wenn wir jemals ein italienische- .Recht" stillschweigend anerkennen würden, das deutsch« Süd- tlrol italienisch zu machen. Und der „TcmpS" wird sich irren, wenn er triumphierend in das Hirn Mussolini- bläst und verkündet, daß „nur starke Worte und ein stark entschlossene» Auftreten Deutschland zur lEntente-j Vernunft znrückführen »ud an die Realität der Dinge erinnern können". Würdig und bestimmt muß die deutsche Zurückweisung dieser Flut von Verunglimpfungen, Schmähungen und Drohungen sein. Und daß dies geschieht, kann man in diesem Falle um so mehr hoffen, als wir gerade gegenüber den Hebelgriffen Italiens eine geschlossene deutsche Front haben. Die Gründe dafür fallen nicht in» Gewicht. Mag es im höchsten Maße bedauer lich bleiben, daß sich die gesamt« Linke nur deswegen so ener- gtsch für Südtirol ins Zeug legt, weil der Kampf dem ita lienischen Faschismus gilt, -aß sie die gleiche Energie gegen sogenannte Demokratien in Böhmen, Polen. Elsaß-Lothringen nicht aufbringt. Im Kampf um Siidtirol haben wir jeden falls die Einheitsfront, und selbst die Erbpächter „real- politischer Verständigungspolitik" werden um so weniger An- laß haben, ins Mauseloch zu kriechen, als bi« Red« Musso linis nicht nur einen Wutausbruch gegen Deutschland, sonder» den Ausdruck einer diplomatischen Neuorientierung Italien» bedeutet, an der auch weitestgehende Nachgiebigkeit und die völlige Preisgabe eines deutschen BolkSstammeS nichts ändern können. „Drei Jahre lang hat die faschistische Negierung eine sehr gemäßigte Politik gegenüber Deutschland verfolgt", verkündet Mussolini uud echot der „TcmpS", der noch bis Mitte Januar sehr stark gegen Mussolini zu Felde gezogen ist. Aber Italiens „gemäßigte" Politik gegenüber Deutschland war nicht Selbstzweck der Diplomatie Mussolinis, sondern eine natür liche Folge der Tatsache, daß der Faschismus seit Be ginn seiner Herrschaft der grüßte Störenfried der Front der Alliierten gewesen ist. Die traditionelle italienische Politik deS lachenden und Vorteile einheimscndcn Tritten war das Geheimnis der Erfolge Mussolinis. Er beunruhigte di« Fran zosen durch sein Eintreten für die Italiener in Tunis »nd durch seine Annäherung an Spanien. England gegenüber betonte er das italienische Reckt auf Malta, aus Kolonien und Seegeltung.. Bride zusammen brachte er ans durch die Störung des Geschäfts in Tanger. Dazu kam ein listige» Augenzwinkern, wenn bas italienisch-russisch« Verhältnis an geschnitten wurde. Und noch jedesmal wußte er für gelegent liche Freundschaftsdienste materielle Vorteile einzuheimfen. Daraus entsprang notwendig ein« abwartcnde Haltung gegen- über Deutschland. Heute sind di« vielen Streitigkeiten mit der Entente einer auffälligen Betonung der gemeinschaftlichen Interessen in der englischen, französischen und italienischen Presse gewichen. Und wenn man sich klar macht, baß das ltalicnisch-englische Dchuldcnabkommen in der Praxis die völlige Streichung von annähernd sechs Siebenteln der tta- lienischen Schuld bedeutet, wenn man weiter erfährt, daß Italien von England die Zustimmung erhalten hat. im Falle einer kriegerischen Austragung des englisch-türkischen Mossul- KonfliktcS einen ausgedehnten Küstenstrich in Kleinasten zu besetzen, so zeichnet sich da» englisch-italienische Geschäft -reif-