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i Donnerstag, den 11. Äü.i. ergev für Chemnitz und Umgegend. (Tächstscher Lande»-«,„etgsr). - Gegründet 1878 als „Anzeiger" «. Verlag «nd R»tation»mafchine«'Drna von Alexander Wied» in «hemnttz, Theaterstratz« Ar. 8. Amtliche Anzeigen ZwaugSverstetgerun-. Das im Grundbuche aus den Name» Kranz JnlinS Knttner ein getragene, in Chemnitz, Ecke über dem Rathhause und der bnchS, Nr. 1>2, 113 und >14 . . . Grundbuchs für Chemnitz, bestehend aus einem Vier Verkaufsladen ent haltenden Ecktvohnhause mitFlügelanban u.Hofraum, geschätzt auf148,500M., soll an hiesiger Amtsgerichtsstelle zwangsweise versteigert werden und es ist der I«. Jnni 18»», Vormitt.«S » Uhr, als R»n„ldetermin, ferner der 27. Juni 1»»V, Vormittags V-11 Uhr, als VersteigernngStermi«, sowie der 1«. Juli 1»«», Vormittags »» Uhr, als Termin znr Verkündung d«S VertheilnngsVlanS anberaumt worden. Die Realberechtigteu werden ausgefordert, die auf dem Grundstücke lastende» Rückstände au wiederkehrcnden Leistungen, sowie Kostensorderungen spätestens im Anmeldetermine anzumelden. Eine Uebersicht der aus dem Grundstücke lastenden Ansprüche und ihres RangverhältnisicS kann nach dem Anmcldetermiue in der Gerichtsschreiberei des käuigl. Amtsgericht- ein« gesehen werden. 10. öffentliche Sitzung der Stadtverordneten. Mittwoch, den 10. Ma! 1899, Abends 6 Uhr. Tagesordnung: 1. Geschäftliche Miltheitunge». 2. Berichte des Verfassungs-Ausschusses über: a. die Nathsvorlage, betreffend die Ge währung von Ehrengcschrnkc» an die hier wohnenden 1849er Veteranen; d. die Nathsvorlage, betreffend das Gesuch des Adreßbuchredakteurs Fischer um seine Versetzung in den Ruhestand; o. die RathSvorlage, betreffend die Ausbesserung der neu zu besetzenden Stadtbaninspektorstelle; ck. die Naths vorlage, betreffend die Wahl des Sparkassenkontroleurs Reinhold zum Sparkasscnkassirer, sowie die Festsetzung der zu erfordernden Dienstsicherheiten aus 20ao Mark bei Reinhold, 600 Mark bei dem Stenerexpedienten Illing und 1090 Mark bei dem mit Wahrnehmung der Geschäfte eine- Kontroleurs dauernd beauftragten Sparkaffenexpcdicuten Leupvld. 3. Berichte des Prüsnngs - Ausschusses über: a. die Rechnung bei Verwaltung des städtischen Grundbesitzes in Stelzcndors, Bernsdors und Hilbersdorf aus das Jahr 1893; b. die Rechnung des Reservefonds der Stadt Chemnitz auf das Jahr 1898; e. die Rechnung der Poliklinik aus das Jahr 1898; ck. die Rechnung der Stadtbiblivthek und der uaturwissenschasliichcn Sammlungen aus das Jahr 1898. 9. Berichte des Finanz-Ausschusses über: a. die Rathsvorlage, betreffend die Einziehung des Schtveukwiescuweges; b. die RathSvorlage, betreffend den Erweitcrnngsban er XI. Bezirksschnle; die Nathsvorlage, betreffend die Errichtung eines Volksschulgebäudes an der Reich.-nhainerstraße; ä. die Nathsvorlage, betreffend die Errichtung eines Volksbrausebades am Friedrich platze; v. die RathSvorlage, betreffend die Vergütung von Disserenzzinsen . a» das städtische Elektrizitätswerk, Pächterin Siemen« L Halske, Aktien- Gesellschaft Berlin; 1. die Rathsvorlage, betreffend eine Abänderung des Kabbergbebanungsplanes. — Hieraus geheime Sitzung. Deutscher Reichstag. 78. Sitzung Pom 9. Mai 1899, 1'/, Uhr. Am Tische des BiindeSraihs: Niemand. Das Hans ist äußerst schwach besucht. Auf dem Tische deS Hauses siege» die von den Antisemiten dort niedergclegten Werkzeuge zur BMibnng der Schlachtihiere. Auf der Tagesordnung steht die zweite Berathung des von den Abgg. Liebermann von Svunenberg und Genosse» eingebrachte» Gcsctz- eniwnrses, betreffend das Betäuben der Schlachithiere. Bei 8 1 erhält das Wort Abg. Liebedma«« von Sottttenberg (Antis.): Aus den Verhandlungen der ersten Lesung habe Ich ersehen, auf welchem Wege der Antrag schließlich zur Annahme gelangen wird. Man muß den Nachweis führen, daß das Schächten thatjächlich eine Thierquälerei ist und daß es eine vollkommenere Methode des Schlachten- giebt. Gegen die Juden ist unser Antrag nicht gerichtet, wer mich kennt, wird es mir wohl zutrauen, daß ich mich nicht scheue, es auszu sprechen, wenn ich gegen die Juden auflrete» will. (Heiterkeit.) Die von den Rabbinern geleiiete jüdische Presse hat aus Anlaß der ersten Berathung so heftige Angriffe gegen uns gerichtet, daß ich ihr ant- Worten mnß. Das muß in der Thal eine sehr jämmerliche Religion sei», wenn sie de» Verlust einer so nebensächlichen Bestimmung nicht ertragen kann. Andere Vorschriften, die direkt in den Büchern MosiS den Inden gegeben sind, wie von dem Scheldebrief der Frau u. A., sind vo» de» Juden einfach fallen gelassen worden, weil es vom Staat verboten wurde. Der Redner geht dann aus die Verhand lungen der ersten Lesung ein und schildert das Schächten als eine Thi-rquälcrei, namentlich die Vorbereitung dazu sei eine Brutalität sondergleichen. Die entgegengesetzten 253 Gutachten bedeuten nichts; einige dieser Gutachter haben nach ihrer eigenen Bekundung das Schächten persönlich nie gesehen, wie z. B. Professor Virchow und Professor DnboiS-Reymond. Dagegen haben sogar Rabbiner, jüdische Aerzte und Versammlungen von Beler'uiärpersonen offen anerkannt, daß sie das Schächten für eine Thierquälerei und jede andere Schlachtmet ode für besser halten. In den kleinen Städten muh man solche Piozedur einmal ansehen, um zu begreifen, wie brutal die Vorbereitungen zum Schächten sind. Nach den» Schächtschnitt verstopfe» sich die Ader», das Blut stockt, bis die Schlnchtergeselle» mit ihren Messern nachhelfen. Das Thier ist während dessen nicht bewußtlos, das Gehirn war sticht blutleer, das Auge zuckte noch 15 Minute» »ach dem Schnitt, der beste Beweis, daß noch Be wußtsein vorhanden war. Um nur etwas zu erreichen, möchte ich sogar mit eine», Gesetze zufrieden sei», das den Juden ausnahms weise das Schächte» gestattet. Tann würde die Empörung des Volkes die Ausiiahmestellniig bald beseitigen. Es giebt nun eine absolut unfehlbare, schmerzlose Tödiimgsart, durch die Schußmaske. Sie enthält eine scharfe, mit rauchschwachem Pulver gefüllte Patrone, die durch eine» schwachen Schlag zur Entzündung gebracht wird. DaS Thier ist sofort todt, und wenn dann der Schnitt gemacht wir>, strömt das Blut unaufhaltsam heraus. Die Anwendung der Schnß- niaske löunte also auch von den Juden vor dem Schächten geschehen. In Zwangslagen sind die Inden vo» dem Genuß gsschächtct-n Fleisches entbunden, man braucht sie also nur unter den gesetzlichen Zwang zu stellen, nicht schachten zu dürfen. Der Widerstand der Eine bange Stunde. Skizze von Andre Theuriet. Deutsch vo» Georg Linz. (Nachdruck verboten.) Mein aller Vetter Mvlassippc Rousielvt wohnte seit undenklichen Zeiten in L. Er war Arzt; ein großer, magerer und griesgrämig ansschcnder Mann, hartnäckig und leidenschaftlich i» seinen Ansichten, aber dabei ein h ncmlvser Mensch, der die Leute gern neckte. Er rühmte sich, nur einmal in seinem Leben i» Angst gewesen zu sein, »nd das war bei folgender Gelegenheit: Im Jahre l870 war das Departement der oberen Marne seit dem Monat August von preußischen Truppen besetzt. Aber obgleich L, der Wohnort meines Vetters, eine Festung war, hatten sie die Preuße» noch nicht belagert. So hatte man bis zum Januar 1871 ncch keinen spitzen Helm gesehen und noch keinen Kanonenschuß ge wechselt. Nichts destvweniger dauerte die Einnahme der Provinz fort, die Verbindung mit der Außenwelt wurde immer schwieriger, die Lebensmittel finge» an, rar »nd theuer zu werden, und da man von einem Tage zum andere» doch die Belagerung erwartete, so richtete sich Jeder ei», so gut er konnte, und ließ Schmalhans Küchen meister sein. Plötzlich bemerkte man, daß es den Feldlazarethen an Verbandstoffen und Medikamente» fehle und daß eS die höchste Zeit sei, sich damit wieder zu versorge». In einer Entfernung von 10 Meilen war eine vo» französischen Truppen bewachte Militär- apvthekc; aber um zu dem Städtchen zu gelange», mußte ma» sich der Gefahr aussetzc», den Deutschen in die Hände zu fallen. Mein Vetter Melassippe gehörte zum Genf r Verbände des rolhen Kreuzes und erb.-t sich.kühn, ans Recey das Chinin und die anderen Mittel zu holrn, welche fehlten. Eines Morgens also fuhr er ab, ge,chi»iickt mit dem Armstreifen des rothen Kreuzes, gut in seinen Pelzmantel eingehüllt und sanft Vvn seinen, alten Wägelchen geschaukelt, das eine leichtfüßige Stute zog. Der Weg war frei; kein Preuße auf der Hochebene oder im Walde zu sehe», und so kam er ungehindert an seine» Bestimmungsort. Nachdem er dorr seinen Wagenkasten mit einer ganzen Apotheke gefüllt hatte, ging er in das vornehmste Gast haus des OricS »nd beschloß, sich dort ein opulentes Tiner geben zu lassen. „Wenn ich mir in Zukunft den Magen ein chnüren „ruß," dachte er, »so ist es recht »nd billig, daß ich mich im Voraus ent schädige und mir etwas zu Gute thue." In dem Spcisesaal des Hotels fand er eine zahlreiche, lärmende Gesellschaft vo» Offiziere», Stabsärzten und Verwaltungsbeamten, die Alle gntc» Appetit halten und einen lecker» Bissen liebte». Ma» setzte sich vergnügt a» de» Tisch »nd that dem ausgezeichneten Menu alle Ehre an. Beim Dessert fing man an, von der politischen Lage und dem Vorrücken des Feiades zu sprechen. Mein Vetter erzählte sei» Unternehme» «nd sagte, daß er den Weg von L. bis Nrce,) frei gefunden habe. „Ach, Sie kommen aus L-, Doktor?" nntcrbrrch einer der Beamten von der Präfektur, „wann fahren Sie wieder nach Hause?" Anzeigenpreis: «gespalten« Lorp„Szelle(ca.9 Silbansassenb) oder deren Raum 20 Pfg, (Preis- Verzeichnisse ü Zeile 25Psg.)-» Bevorzugte Stelle («gespaltene Petit-Zeile circa 11 Silben fassend) 40 Pfg. — Anzeigen kL«rn nur bis Bormittag lO Uhv angenommen werden, da Druck und Verbreitung der großen Auflage längere Zeit erfordere Geschäftliche Anzeiger-Inserate finde» für billigsten Preis zugleich Verbreitung durch die täglich erscheinende Chemnitzer, Eisellbahil-Zettttng. Juden gegen das Schächtvcrbot stammt daher, weil die Inden sich als Staat im Staate aneinander schließe». Wir wollen keine Ver letzung religiöser Gebräuche, aber wir können keinen rituellen Ge brauch dulde», der gegen die Gebote der Humanität verstößt Abg. I),-. Lieber (Zentr.): Wesentlich Neues hat der Vor redner nicht vorgebracht. Fälschlich hat er behauptet, der Reichstag habe nenlich, am 25. April, festgestellt, daß das Schächten wirklich eine Thicrqnälere! sei. Gerade das ist aber eben nicht nachgewieseu und nicht anerkannt worden. Natürlich verwerfe» auch wir jede unnöthige Thierquälerei, wie sie bei den Vorbereitungen zum Schächten eben o gut Vorkommen kan», wie bei den Vorbereitungen zu anderst» Schlachtmethoden. «Dergleichen kann eben Vorkommen und kommt ^ vor bei jeder Schlachtweise. Ist uns doch mltgetheilt worden, daß ich Thi.re bei dritten und ferneren Schlägen auf die Maske los gerissen haben. Solche unnöthige» Quälereien verwerfen meine ivlitischen Freunde durchaus und sie meine», cs könnte da nöthigen- älls auf Grund des Strafgesetzbuches vorgegangen werden. Aber die Antragsteller verlange» ein Mehreres, sie wollen eine bestimmte Schlattart vorschreiben. Und sie scheinen sich dabei auf provinzielle- Vetcrinärarzt-Versamml,ingen zu berufe». Aber der letzte inter nationale Thierschntz-Kongreß hat das Schächten nicht als Thier- qnälerei erklärt. Und wenn der Antragsteller von dem Verbände deutscher Thierschntzvereine spricht, der da- Schächte» akS Thier- quälerei bezeichnet habe, so gehören diesem Verbände keineswegs alle deutschen Thierschutzvereine a»! Der Borr dner hat sich auf einen Thierschutzaujrus hervorragender Männer bezogen; in diesem Ausruse steht aber lein Wort gegen das rituelle Schächten, und außerdem haben den Ausruf sogar zwei angesehene Männer unterzeichnet, die in der Gutachtensammlung sich sür das Schächten »»'gesprochen haben. Meine Freunde unterscheide» sich sodann unversöhnlich von dem Anikdgsteller darin, daß wir aus die inneren religiösen An gelegenheiten der Juden Rücksicht nehmen. Die Emanzipation der I Juden ist eine geschichtliche und rechtliche Thatsache. Damit rechnen wir und lassen an ihren religiösen Gebräuchen nicht rühren. Das gesammte Judenthnm sieht auf dem Standpimfte, daß ein Eingriff, auch in der hier vorgeschlagcncn Form, in die rituelle Schlachlweise, ein Eingriff sein würde in religiös« Satzungen. Ich erinnere zum Schlosse an das Wort, das der verstorbene Erzbischof Krementz an eine Deputation der jüdischen Gemeinde richtete: „Die Mensche« sollen in den Werken der Nächstenliebe und Tugend wetteifern und in Ruhe und Frieden mit einander leben." Nach dieser Rede erhebt sich plötzlich auf der Zi, schanertribüne ein j »iiger, schmächtiger Ma » n und schleudert mit dem Rufe: „Nicht für Ochsen-, sondern Menschenrechte/" ein Pack kleiner Broschüren und Flugblätter in den Saal. Die Abgeordneten erhebe» ich vo» den Sitzen und rufen: „Rausk" Der junge Man» wird von einem Diener hin ans geführt. „Morgen früh." „Dann will ich Sie bitten, eine Depesche für den Unterpräfekten mitznnehincn; sie ist dringend.". Melassippe stellte sich dem Beamten bereitwilligst zur Verfügung. Der Nath setzt« seine Dep.sche auf, schloß sie in ein amtliches Kouvert und überreichte es feierlich meinem Vetter, indem er mit ernstem Ton hinzusügte: „Ich vertraue sie Ihnen an. ... Es handelt sich um wichtige Tinge, und ich würde Ihnen verpflichtet sein, wenn Sie sie eigen händig dem Unterpräfekten abgeben wollten." Nachdem Mvlassippc am folgenden Morgen die Depesche in der inneren Westentasche sorgfältig verwahrt und sich mit einem schönen Stück Schinken i» Bnrgnndcrsaiice gestärtt hatte, stieg er in seinen Wagen «nd trieb die Stute an, die im Trab in der Richtung auf L. lief. Es war schönes, klares Frostwetter; der Wein des Hvtelwirths hatte meinen. Vetter angeregt, und er befand sich in kecker Laune. AIS er einer» ihm bekannten Bauern erblickte, der sorgenvoll an der Schwelle der Scheune stand, fragte er ihn »eckend: „He, gute» Tag, Vater Sansseret, was macht Ihr da eigentlich? Wartet Ihr vielleicht ans die Preußen?" „Ich brauch« nicht »lehr auf sie zu warten," antwortete der Andere spöttisch, „sie sind schon da; Sie brauchen nur nach der Richtung von Moulavoir hinznschc»." Mölassippe erhob rasch den Kopf und sah i» der bezcichneien G gend, daß der ganze Abhang vo» Preuße» wimmelt', die ans dem Walde kamen. Ein Frösteln dnrchschaiierle ihn vom Kopf bis zu den Füßen, der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn und er ermuntert,: da; -pserd durch einen Peitschenhieb zu neuem Trabe. Er dachte an das anuliche Schreiben in seiner Tasche, und eine Reihe düsterer Gedanken zog in seinem Gehirn vorbei: „Der Weg wird besetzt! sein . . . Man wird mich durchsuchen und die Depesche finde».! Verbindung mit dem Feinde unter dem Schutze des rothen Kreuzes!! Das militärische Gesetz ist unerbittlich. Das ist kein Spaß!" Wie' konnte er die palrio:ische Mission erfüllen, mit der ec beauftragt' war, und sich doch schleunigst des kvmpromillircnde» Papicrcs' entledigen? Er erinnerte sich zu rechter Zeit an cinc» Noma» a» Dumas, wo Chicot in gleicher Lage wie cr einen ver traulichen Brief Heinrichs 111. zerriß, nachdem er ihn auswendig gelernt hatte. Das war eine Idee! Er wollte die Depesche ver> brenne», nachdem cr sie gelesen und sich den Wortlaut elngcprägt hatte. Aber die Wälder rechts und links waren vielleicht mit Preuße» besetzt. Sicherlich be.rachte man ihn schon. Ein Zündhölzchen an- streichcn und ein Papier verbrenne», das möchte gar zu verdächtig aussehen und man wurde ihn fcstnehmen. Wahrend er in Todes ängsten und unbestimmte» physischen Schmerze» sein Gehirn zermarterte, und bei dieser peinlichen Operation i» Angstschweiß gebadet war, fühlte er plötzlich die Pseise in seiner Manteltasche. „Gerettet!" dachte er. Eine Pfeife Tabak mit einem Fetze» Papier anznsteckcn, ist nur natürlich und wird leinen Argwohn errege». Hiera: f hakte er die Zäume an das Schntzleder seines Magens, entsiegelte eiligst die Depesche hinter seinem Mantelkragen und fing an zu lcs n. FolgeniKd-war der Inhalt Wort f»r Wort: Präfektur der Cole d'Or an den Unterpräfekten von L. „Guten Morgen, alter Junge, wie geht cs Dir? Du mußt ja in dem Nest vor Laug rweile auswachsc». Heute Abend werden wir eine gute Flasche auf Deine Gesundheit leeren. Gaflon." „Donnerwetter!" fluchte Ronsselol, ballte wüthend das amtlichk Schreiben zusammen und ließ es in seinem Pfeisenkopf verbrenne». „Der hat mich schön angeführt!" Er kam ruhig »nd nnangefochte» nach L. zurück, wie er abgefahren war; aber noch heute, nach bald 30 Jahren hat Vater Melassippe dem Verfasser der Depesche nicht verziehen. JedeSmal, wen» er die« Abenteuer erzählt, ballt cr die Faust, als ob er den Fopper vor sich hätte und sagt: „O, der infame Kerl soll mir das bezahle», wenn cr mir jemals unter die Finger kommt!" Der finnische Volkscharaktcr hängt ans's Engste mit dem seiner Natur zusamme n Eriiste Zähigkeit, geduldige passive Kraft ist vie l leicht sein Hanptzug. Die Finnen sind nie aggressiv gewesen, aber in der Verlheldi^ung haben sie sich stets überaus beharrlich gezeigt. 150 Jahre haben die Schweden, fast 300 die Nüssen gebraucht, »m das finnische Gebiet stü lweis an sich zu reißen. Der Finne ist langsam, r»h g. konservativ, pfli htlon, ehrlich. Er ist zurückhaltend, wird aber, wenn erst aiifgethant, ein verläßlicher Freund. Die Grazie» haben ihn selten gesegnet; znmcist ist er »»geschickt und steht leicht im Wege. So ist auch sein Intellekt langsam und muß erst geweckt werden; dann aber wächst er schnell, »rd der tölpelhafte Banernjniige ist »ach ein paar Jahren Schulbesuch kaum wied.r zu crkcnncii. Wie die Vorzüge, so hat er auch die Mängel leichter le. gabler Völker nicht. Nichts i.I ihm fremder als Schauspielerei. Er sicht de» Dingcn unbefangen ins Gesicht, läßt sich kein X sür ein U machen und verspottet so gut seine eigenen, wie fremde Thorheiten mit u»barmherzi.,er Satire. Wie alle ernsten Mensche» in einsamen melancholische» Gegenden — es sei an den Norweger erinnert —, sührt der Finne ein sehr reges Innenleben. Er denkt und denkt, er grübelt über den Geheimnissen des Lebens, cr neigt darum auch leicht zur Schwärmerei, aber er wird auch znm Poeten. An Lied und Gesang ist dies Volk reich, reich an schwermüthigen Weisen mit eigenartig fesselnden Bildern, mit wiegenden, weichen, ins Hcrz dringenden Weise». Ei» Passives Volk in seinem Grnndzuge, das eher gestoßen werde» muß, dessen Söhne sich in der Noth der Fremde, wohin i e ansgcwandcrt sind, trefflich bewähre», ausgezcichuete Soldaten, aber mittelmäßige Rechenmeister abgeben. Doch hat es mit dc» Klassen des Volkes, die sich die europäische Kultur ganz zu eigen gemacht habe», eine eigene Bewandtniß. Dean sie besitzen dann e nen un stillbaren Kulturdurst, der sie In großer Zahl auf Reisen nach dem Westen treibt, einen nicht zu beschwichtigenden Trieb, vorwärts z« gehe». Daher- die enormen Fortschritte de» Landes in unserem Jahr- - -HD > c