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34 „Eugenie sagte schon, daß Sie den Dank nicht lieben, aber Sie sollten den aus einem tiesbewegten Mutterherzen kommenden doch nicht zurückweisen; jedenfalls werden Sie cs mir nicht abschlagen, wenn ich Sie bitte, mit hinüber nach unserem Häuschen zu kommen. Eugenie würde keine ruhige Rocht haben, wenn Sie die Pertisau verließen, ohne sie noch einmal gesehen zu haben. Auch Sic, Herr Wiebe, begleiten »nS wohl." Einer so sreundlichen Einladung mußte Herr Utten wohl Nachkommen. Wir folgten der Dame nach dem Häuschen. Eugenie lag in ein einfaches Morgengewand gehüllt auf dem Sopha, ihre Füße bedeckte ein leicht über dieselben ge worfenes Tuch. Als sie mit erröthenden Wangen uns begrüßte, erschien sie mir noch schöner, als ich sie je gesehen. .Ich will Ihnen nicht danken, Herr Utten," sagte sie sonst, .ich weiß ja, daß Sie das nicht gern haben, aber ich mußte Sie noch sehen, ehe Sie die Pertisau verlassen und nach Eben zurückkehren. Sie dürfen nicht von uns scheiden, ohne das Wiederkommen zu versprechen." .Ja, das müssen Sie versprechen, Herr Utten!" fiel auch die Grheimräthin ein; „wir bleiben zwar nur noch einige Tage in der Pertisau, sobald Eugeniens Fuß es erlaubt, werden wir nach Schloß Treuenfeld übersiedeln; aber auch dort müssen Sie uns besuchen. Es ist ja gar nicht weit von Eben nach Treuenfeld." .Mein Wohnsitz liegt näher an Schloß Treuenfeld, als Sie glauben, gnädige Frau," erwiderte Eugen Utten sich ver beugend, .ich bin in Dors Eben nur zum Besuch bei meinen Eltern, nach einigen Tagen kehre ich nach Schloß Wandelstein zurück. Ich habe im letzten Herbst das Schloß gekauft und bin also Ihr nächster Nachbar." .TaS ist ja herrlich!" rief Eugenie, ihre kindliche Freude offen zeigend; .dann werden wir uns in Trcuenseld oft, recht ost sehen. Jetzt begreife ich auch, weshalb Sie mit der alten Familiengeschichte der Utten so vertraut waren und wie Sie zu ihren häßlichen Forschungen im Archiv von Wandelstein ge kommen find; aber, bitte, von denen sprechen Sie mir nicht mehr! Sie besuchen uns in Treuenfeld, aber auch vorher schon recht bald wieder hier in der Pertisau. Mcht wahr, Herr Utten, das versprechen Sie mir?" .Gewiß, ich komme sehr gern!" entgegnete Eugen heiter, — der liebevolle, bewundernde Blick, mit welchem er das reizende junge Mädchen betrachtete, bürgte mir dafür, daß er sicherlich sein Wort halten werde. .Sie werden bald wiederkommen, Herr Utten," sagte die Geheimräthin; „aber Sie werden uns gewiß auch heut noch nicht sogleich verlassen. Wir müssen unS doch als künftige gute Nachbarn etwas näher kennen lernen. Sie sollen uns erzählen von Ihrem Leben, von Ihren Eltern, welche, wie Sie sagen, in Tors Eben wohnen. Vielleicht finde ich doch noch heraus, daß wir verwandt sind. Diese wunderbare Achn- lichkeit —" .Täuscht Sie, gnädige Frau, wie ich schon einmal bemerkte," fiel Engen Utten wieder hart der Dame inS Wort. Sein freundliches, gefälliges Lächeln war plötzlich verschwunden, er sah recht hochmüthig aus, als er fortfuhr: .Die bürgerlichen und die hochfreiherrlicheu Utten haben verwandtschaftlich gar nichts mit einander gemein. — Ich bedaure übrigens, für heut mich beurlauben zu müssen, da wohl meine Eltern mich in Eben schon erwarten mögen." .Tarpi dürfen wir allerdings Sie nicht länger aufhalten," sagte Eugenie nut scharfem Ton, sie fühlte sich offenbar wieder väetzt durch die allerdings unhöflichen Worte des jungen Mannes, im nächsten Augenblick aber überwand sie schon ihren Nager und Utten die Hand reichend, fügte sie freundlich hinzu: „Sie kommen womöglich morgen, nicht wahr, Herr Utten? Sie werden doch gewiß so viel Theilnahme für mich haben, daß Sie sehen wollen, wie es mir geht. Werden Sie mich nicht vergessen, Herr Utten?" „Nie im Leben," rief er viel ernster und nachdrucksvoller, als die leicht hingeworfenc Frage gestattet hätte. Er drückte ihre kleine weiße Hand an die Lippen, auch der Geheimrathin küßte er zum Abschied die Hand, dann eilte er fort. Ich begleitete ihn ein Stückchen Weges und nahm, nach dem ich ihm noch einmal versprochen hatte, morgen früh nach Eben zu kommen, von ihm Abschied und kehrte zu den Damen zurück, in deren Gesellschaft ich den Nachmittag und Abend verlebte. Ich las ihnen aus meinem Reuter vor, abwechselnd plau derten wir auch und dann mußte Eugenie nicht genug von der Heldenkühnheit zu erzählen, mit welcher ihr Lebensretter sie vom drohenden Sturz in den Abgrund zurückgehalten, von der riesigen Kraft, mit welcher er sie den weiten, steilen Weg über die Felsen getragen habe. Sie beklagte sein ost so hartes und verletzendes Wesen; „aber," so sagte sie seufzend, „er ist eben ganz anders als alle jungen Männer, die ich bisher kennen gelernt habe. So denke ich mir die alten, edlen Ritter; er paßt nicht in unsere moderne Gesellschaft hinein." Ich verließ die Damen erst, als die Glocke des Fürsten hauses zum Abendessen rief, welches heut die Geheimräthin und Eugenie in ihrem Zimmer einnahmen. Nach der Tafel begab ich mich in mein Zimmerchen, um diesen sehr langen Brief an Sie, mein hochverehrter Herr Justizralh, zu schreiben. Sie kennen nun alle meine Erlebnisse und ich hoffe, Sie werden mit den bisherigen Resultaten meiner Reise zu frieden sein. Ich werde meine Pflicht thun und mein Versprechen er füllen; aber ich leugne nicht, daß ich Bedenken fühle, ja daß mein Gewissen sich regt. Darf ich, während die Geheimräthin und die liebenswürdige, reizende Eugenie — in die ich mich verlieben könnte, wäre ich nicht ein alter, vcrheiratheter Mann, — mir mit so unbefangenem Vertrauen entgegenkommmen, im geheimen gegen den Gehcimrath, den Vater Eugeniens, intri- gnircn ? Eugenie und selbst die Geheimrathin anszuforschen, ihr unbefangenes Vertrauen für meine Zwecke zu gebrauchen, oder vielmehr zu mißbrauchen, würde ich mich niemals ent schließen können, das erkläre ich Ihnen offen, verehrter Herr Justizrath; eher will ich, ohne etwas erreicht zu haben, nach Berlin zurückkehren. Dem Gehcimrath gegenüber scheue ich den Kampf nicht. Doch ich will nicht klagen, sondern hoffen, daß das Glück mich weiter begünstigt und es mir möglich macht, Ihnen zu dienen, ohne mein Gewissen zu belasten. Morgen suche ich Ihren Herrn Schwager Eugen aus und schreibe Ihnen dann bald wieder. Tie Nacht ist weit vorgerückt; ich schließe daher diesen überlangen Brief, indem ich Sie bitte, mich dem Herrn Obersten bestens zu empfehlen. Ihr gehorsam ergebener Heinrich Wiebe. 7. Das Landhaus in Eben. Eugen Ulten vcrsolgte, nachdem er von Herrn Wiebe Abschied genommen halte, den Weg am Seeufer entlang nach Dorf Eben. Die Ereignisse des vergangenen Tages gaben ihm reichen Stoff zum Nachsinncn. Noch niemals hatte Frauen schönheit aus ihn mehr als einen flüchtiM Eindruck des Wohl gefallens gemacht, weshalb mußte er denn jetzt immer wieder zurückdenken an die seine, zierliche Gestalt, die er auf seinem Arm getragen, an die iveiße Hand, die er geküßt hatte, an diese großen, tiefen, vielsagenden Augen, deren Blick er niemals ver 35 gessen konnte. Er konnte es sich nicht verhehlen, daß er plötz lich sein Herz verloren habe und er schämte sich dieser nur durch die Schönheit eines lieblichen Gesichtes und durch die seltsame Fügung, daß er die Gerettete so lange in seinen Armen halten durste, erzeugten Liebe. Was wußte er denn von Eugenie? Nichts, als daß sie die Tochter des in Treucnfeld seines Adelsstolzes und seiner über- müthigen Selbstüberhebung wegen allgemein verhaßten Freiherrn von Utten sei. Daß auch sie selbst nicht frei von diesem Stolz war, hatte er bemerkt. Er haßte den Adel. In Amerika aus gewachsen, war er ein Feind aller Privilegien. Die Freiheits ideen hatten sich in ihm während seiner Studienjahre befestigt, und dennoch liebte er jetzt die adelsstolze Tochter des alten Frciherrngeschlechtes, gegen welches er eine besondere Abneigung fühlte, die durch die auf Schloß Wandelstein vorgefundenen alten Chroniken noch verstärkt worden war. Er hatte, als er während der langen Winterabende die vergilbten Pergamente las, die ihn schon deshalb interessirten, »veil auch er den Namen Utten trug, und als er nun Nach- thciliges von der Freiherrlich Uttenschen Familie in Treuenfeld hörte, sich Vvrgenommen, die adligen Utten, wenn sie ini Sonimer Treuenfeld besuchen sollten, garnicht zn berücksichtigen, er wollte mit ihnen keinen nachbarlichen Verkehr halten. Und jetzt waren alle diese Vorsätze plötzlich vernichtet durch ein paar bittende Worte eines schönen Mundes. Er hatte das Versprechen ge geben, die Utten sowohl in der Pertisau als in Treuenfeld aufzusuchen, und sein Wort mußte er unter allen Umständen halten, auch wenn er nicht gefühlt hätte, daß ihn die eigene Neigung ohnehin nach Trcuenseld ziehen würde. Ob wohl wirklich ein ihm unbekanntes Verwandtschafts band zwischen ihm und den Freiherrlichen Utten bestand ? Er wußte von seinen Familienverhältnissen so gut als nichts. Sein Vater und seine Mutter hatten nie von der Vergangenheit ge sprochen. Nur gelegentlich hatte er gehört, daß sie aus Nord deutschland stammten, daß die Mutter den Mädchennamen Valerie Wredner geführt habe und daß weder väterlicher- noch mütterlicherseits Verwandle vorhanden seien. Er halte niemals ein Interesse daran gehabt, weiter nach diesen Familienverhält nissen zu fragen; erst die Aeußerung der Geheimräthin, daß er ihren, Schwager, einem Obersten von Utten sprechend ähnlich sehe, und die hingeworfene Bemerkung des Herrn Wiebe von seiner Aehnlichkeit mit einem Justizrath von Wredner in Berlin, erregten seine Neugierde. Merkwürdig war es gewiß, daß er gerade zwei Männern ähnlich sehen sollte, von denen einer Utten, der andere Wredner hieß, die also die Namen der beiden Eltern trugen. Konnte dies nur ein Spiel des Zufalls sein? Die Eltern mußten ihm darüber Auskunft ertheilen, und er brannte vor Begierde, sie zu erhalten. Er beschleunigte seinen Schritt, so daß er nach einer Wanderung von kaum einer Stunde in einen schmalen, wenig betretenen Fußweg einbog, der zu einem Berg vorsprung führte, auf den, ein nicht großes, aber elegant ge bautes und von eineni sorgsam gepflegten Garten umgebenes Holzhaus stand. In einer Laube des Gartens, von der aus eine herrliche Aussicht auf die weißen Kuppen der Zillerthaler Berge sich er öffnete, traf Eugen seine Eltern, den Vater bei einem Buche, die Mutter mit einer feinen, weiblichen Arbeit beschäftigt. Herr Utten, der Aeltere, war ein kräftiger, hochgewachse- ncr Mann, dessen frisches, schönes Gesicht nicht verrieth, daß er wohl nahe an fünfzig Jahre alt jein mochte. Weder die blonden Locken, noch der röthlich blonde Vollbart zeigten ein graues Haar. Der rüstige Mann war noch im Vollbesitz seiner ganzen Kraft. „Du kommst spät, Eugen," sagte Frau Utten, als ihr Sohn in die Laube trat. „Da Du beim Fortgehen nichts gesagt hattest, haben wir lange mit dem Essen auf Dich gewartet." Es lag ein sanfter Vorwurf in den Worten, der aber wieder aufgehoben wurde durch die mütterliche Zärtlichkeit, mit welcher Frau Utten dem Sohn, der sich neben sie setzte und dm Hut auf den Tisch legte, die wild über die Stirn fallenden Locken zurückstrich. „Sei mir nicht böse, Mutter," entgegnete Eugen, die Hand der ihm liebevoll zulächelnden Frau küssend; „ich wäre zu Mittag hier gewesen, aber ein eigenthümliches Abenteuer, welches ich Dir und dem Vater erzählen muß, hat mich zu rückgehalten." Er erzählte. Daß er mit eigener Lebensgefahr Eugmie gerettet habe, erwähnte er nicht, wohl aber, daß er sie gerettet, daß sie sich den Fuß verletzt, daß er sie den Berg hinabgetragen und nach der Pertisau begleitet, daß Frau von Utten ihn ihrem Schwager, dem Obersten und Herr Wiebe ihn dem Justizrath von Wredner in Berlin so sehr ähnlich gefunden habe. Herr und Frau Utten warfen sich während der Erzählung ihres Sohnes oft Blicke eines innigen Einverständnisses zu, sie lauschten mit hochgespanntem Interesse, und als nun Eugen schwieg, ergriff Herr Utten in tiefer Bewegung die Hand seiner Frau. „Wie seltsam das Schicksal spielt," sagte er sinnend. „Hier führt uns Eugen die Verwandten, die wir so lange ge mieden haben, zu. Scheint es nicht fast, als wolle es uns zu rufen : Ihr habt niit Eurer langjährigen Hartnäckigkeit ein Un recht begangen, welches ich lösen will! Ihr durftet nicht so viele Jahre Haß und Erbitterung über früher erlittene Krän kungen ini Heezen tragen, Ihr durftet Euren Sohn nicht fern von denen halten, zu denen er doch einmal gehört, deshalb will ich ihn zu den-unbekannten Verwandten führen und ihn mit unlösbaren Banden mit ihnen vereinigen." „Vergiß nicht, was wir uns gegenseitig so heilig und fest versprochen haben!" entgegnete Frau Utten warnend. „Ich vergesse es nicht, Valerie; aber ich habe schon oft gewünscht, ich hätte Dich damals weniger fest durch Dein Wort gebunden und auch das meinige Dir nicht gegeben." „Es ist einmal geschehen und nicht zu ändern. Wir müssen tragen, was wir selbst gewollt." „Ja, wir müssen tragen", fuhr Herr Utten seufzend fort; „aber tragen wir es denn allein? Haben wir ein Recht, Eugen seiner Familie zu entfremden, zu der ihn jetzt das Schicksal zurückzuführen scheint? Vielleicht hatten wir das Recht, so lange er noch ein Knabe war; jetzt aber, wo er ein Mann und ein tüchtiger, verständiger, charakterfester Mann geworden ist, haben wir es nicht mehr." „So mag Eugen selbst entscheiden," sagte Frau Utten ruhig und fest. „Ich weiß im voraus, was mein Sohn thun wird. Höre mich an, Eugen, Du sollst endlich Ausschluß über eine Vergangenheit erhalten, welche Deine Eltern Dir bisher ver borgen gehalten haben. Es ist für mich eine schwere und schmerzliche Aufgabe, an jene Zeit zurückzudenken, die ich gern vergessen möchte, aber — " „Halt ein, Mutter," so unterbrach sie Eugen. „Ich ge stehe Dir, ich bin zu Dir gekommen mit dem Vorsatz, Dich um Ausschluß darüber zu bitten, ob wir mit jenen üblichen Utten verwandt sind, jetzt aber bitte ich Dich, laß die Vergangenheit ruhen. Ich will nicht, daß Du um meinetwillen Dir auch nur eine trübe Minute machst." „Nein, Eugen, Du sollst wissen, ivas du wissen mußt. Ich fürchte mich nicht vor einer schinerzvollen Erinnerung. Höre also. Der Vater der schönen Eugenie, Dein Vater und jener Oberst, welchem Du so ähnlich siehst, sind Brüder. Dir steht das Recht zu, in jedem Augenblick, wann Du es willst, den Namen und Titel eines Freiherrn v. Utten anzunehmen."