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Dienste«, 4 März IttlS, abeudS. »1. Seila«e ;»m „Riesaer Tageblatt". NotattonSdmck uud Verlag von Langer L Winterlich in «Ursa. — Für die Redaktion verantwortlich: Arthur Hilhnel in Riesa. «6. Zahrg. Prilsldent Woobrow Wils»«. BD. Heute wird der Sieger des ungeheuren Drei- Männer-Kampfes, Woodrow Wilson- bisheriger Pro fessor der Nationalökonomie in Princetvwn, den Sieges preis in den Händen halten: der neue Präsident der Bereinigten Staaten von Nordamerika zieht heute für vier Jahre in das Weiße Haus vou Washington ein. Für vier Jahre wird das höchste Amt der großen nord amerikanischen Republik in seine Hände gelegt sein und damit in die Hände der demokratische,! Partei, nachdem fünfzehn Jahre lang die Republikaner am Ruder waren. Es ist also nicht nur ein Personenwechsel, der sich auf dem Präsidentenstuhl in Washington vollzieht, wenn Herr Taft ins Privatleben zurücktritt und Herr Wilson die Zügel ergreift, sondern ein Wechsel in der Partei schaft und damit wiederum ein Personenwechsel in hohen und niederen Stellungen durch die ganze Beamten hierarchie. In Amerika hängt, ganz ähnlich wie in Frankreich, mit der Parteiangehörigkeit des Präsidenten die Besetz ung der Beamtenstellen zusammen. Während in Deutsch land das Beamtcnseiu etwas ist, was mit Borbildung, regelmäßiger Karriere und bestimmten Rechtsansprüchen zusammenhängt und mit der Politik als solcher selbst in den höchsten Stellen nichts zu tun hat, wird in repu blikanisch regierten Ländern mit dem Amtsantritt eines neuen Staatsoberhauptes sich auch das ganze Gesicht der Beamtenschaft verändern. Die Ctaatsstellen, ob leitende, ob subalterne, sind so recht eine Angelegen heit der Belohnung für gute Parteidicnste, für Auf opferung während des Wahlkampfes, für pekuniäre oder ideelle Unterstützung der Parteisache. Ob ein Leiter der Wahlkampagne, ob ein besonders tüchtiger Wahlzettel verteiler, ob ein ländlicher Agitator zu belohnen ist, das ändert nur die Höhe, nicht die Art der Beloh nung. Der eine wird eben Gesandter oder Staatssekre tär oder Senator, der andere Bürochef oder pensions berechtigter Diener au einem Washingtoner Ministerium. Ter Amtsantritt WilsonS wird also das Signal für eine äußerst umfangreiche Völkerwanderung in den öffent lichen Amtsstellen Nordamerikas sein, bei der die lange zu kurz gekommenen Demokraten die endlich vou der Staatskrippc weggedrückten Republikaner verdrängen werden. Ob dies System gut oder schlecht sei, ist schwer zu :ntscheiden. Man kann, trotz aller unerfreulichen, an Korruption erinnernden Erscheinungen im Leben der Bereinigten Staaten, sicherlich nicht sagen, diese seien ein schlecht geleitetes, innerlich ungesundes Staats wesen. Im Gegenteil, die Erfolge der amerikanischen äußere» Politik und die rapide Zuuahme des National reichtums, der sozialen Fürsorge und der privaten Wohl fahrtseinrichtungen sprechen für das Gegenteil. Mer dennoch würde uns für Deutschland wenigstens dies all gemeine Gabenfcst, bei dem Stellen und Aemter zu Tausenden auf die Getreue« niederregnen, nicht ange messen erscheinen. Unser System, den Beamtenapparat von Parteipolitik und Partcizufällen fernzuhalten, ver spricht sicherlich eine viel sicherere Konsolidierung des Staatsapparats, dem dadurch Unerfahrene und Dilet tanten fcrngehalten werden. Das amerikanische System macht das Entstehen einer „Bcamtenkäste", eines sich abschließenden „Bürokratismus" unmöglich, läßt keine Mauern entstehen zwischen Behörden und Publikum. Die Blutzirkulation ist eine schnellere, „Regierte" und Regierung wechseln rascher ab und vermindern dadurch die Gefahr, sich gegenseitig als Feinde oder wenigstens als Verschiedene zu empfinden. s Natürlich wird dieser Beamtenschub sich in ange sehenen, weniger schachermäßig anmutenden Formen vollziehen, wenn der Mann, dessen Sieg ihn veranlaßt, eine feine ideal gerichtete Persönlichkeit ist, als wenn ein nur Mächthungriger endlich das Ziel seines egoi stischen Ehrgeizes erringt. Woodrow Wilson, der rein aus der Theorie in die praktische Politik gekommen ist, scheint nach dem Urteil Eingeweihter ein Manu zu sein, für den hohe und reine Gesichtspunkte leitend sind. Mau darf daher annehmen, das die Bcamtenablösung, die sein Amtsantritt mit sich bringt, sich Wahl- und quallos den Würdigen wie den Unwürdigen nach einer Parteischablone in die Höhe hebt, sondern daß er, zum «lindesten bei wichtige«, einflußreichen Stellungen die Männer bestimmt, die gleich ihm die Macht nicht als Zweck ansehcn, sondern als ein herrliches Mittel, die Machtlosen zu heben, und die zu Unrecht Mächtigen zu vernichten. Das «ationale Opfer. Ter freisinnige Reichstagsabgeordnete Dr. Müller- Meiningen hat auf eine Anfrage erklärt, daß er in der einmaligen Vermögenssteuer, die zur Deckung der ein maligen HeereSausgabcn dienen soll, den ersten Schritt zur Reichsvermögenssteuer sehe. Der Zentrumssührcr Tr. Spahn äußerte sich über die Haltung seiner Partei zu der einmaligen Vermögenssteuer sehr reserviert, aber er glaubt kaum, daß die Vorlage vom Reichstage ab gelehnt werden dürfte. In den breiten Schichten des Volkes, so nreinte der Zentrumsführer, werde die Ver mögenssteuer außerordentlich populär sein. Auch die Lay- ' rische „Staatszeitung" nimmt nun zu der Vermögens abgabe Stellung und äußert sich dahin, daß sie in die augenblicklich etwas gedrückte Stimmung des deutschen Volkes einen nationalen und großen Zug bringe. Das offiziöse Blatt meint, daß cS sich hier um eine Tat vou weltgeschichtlicher Bedeutung handle und führt dann fort: „Die Gesamtheit der besitzenden Klassen würde auf diese Weise dem nationalen Gedanken ein Opfer bringen, das die Machtmittel des Reiches wirk sam verstärken, dein Ausland Achtung abnötigeu, der Hetzarbeit der Sozialdemokratie den Boden entziehen würde." Die bayrische „Staatszeitung" gibt schließlich der Hoffnung Ausdruck, daß die Parteien in einmütiger Geschlossenheit den Grundsatz der awsglcichendcn Ge rechtigkeit billige» werden, auf der die Deckung der einmaligen Ausgaben, für HeereSzwccke äyfgebaut wer den soll, lieber die Einzelheiten würde sich unschwer eine Einigung erzielen lassen. Eine glatte Erledigung dieser Frage würde auch die Beschaffung der lausenden Ausgaben bedeutend erleichtern. Nach, einer Version soll es der Kaiser selbst gewesen sein, der die Anregung gab, die einmaligen Heeresköstcu durch eine Vermögens abgabe auszubringen. Der Kaiser soll sich sogar mit dem Vorschlag an die Bundessürsten gewandt habe«, in diesem Falle auf das Vorrecht der Steuerfreiheit freiwillig zu verzichten und dieser Vorschlag soll allge meiner lebhafter Zustimmung begegnet sein. Wie die „Köln. Ztg." zu der emmaugcu Besteuerung des Vermögens erfährt, dürste die Abgabe bei kleineren Vermögen vou öOOOO Mark au aufwärts Prozcut, bei Millionen-Vermögeu 1 Prozcut uud bei den Riese« vermögen 2 Prozent betragen. Das Blatt verhält sich übrigens sehr reserviert; es meint, mau müsse dem deutschen Volk zunächst Gelegenheit geben, die Gründe für den Meinungswechsel, der au leitender Stelle offen bar eingetreteu sei, kennen zu lernen. Vou der Berech tigung dieser Gründe würde auch das Blatt sein end gültiges Urteil abhängig «lachen. Die „Franks. Ztg." glaubt, in der Teckungsfrage Differenzen zwischen der sächsischen Regierung und der preußischen Regierung feststellen zu lönncn. Die Zei tung zitiert eine Auslassung eines Dresdner Blattes und meint, wenn von diesem Blatte der offizielle Aus ruf des Kanzlers als eine unverbindliche Erörterung charakterisiert wurde, so könnte die Berliner Stelle dazu nicht schweigen. Tas Blatt erinnert weiter daran, daß der Schatzsckretär auf seiner letzten Reise nnr die süddeutschen Regierungen, nicht aber die sächsische be suchte. Avziehtilde Wolken. Tie Entspannung an der österreichisch-russischen Grenze «lacht, wenn «ran den «cuesten Meldungen trauen darf, weitere Fortschritte und demnächst sollen über die Wendung der Tinge sogar amtliche Eommuniques erscheinen. Freilich, es kommt ganz darauf an, was in diesen Eommuniques zu lesen sein wird. ES verlautet, daß am V. März, wenn in Rußland zum Romanow- Jubiläum festliche Fanfaren schmettern, dieses Eommu- «ique erscheinen soll und sein Zweck soll sein, die Be völkerung zu beruhigen. Man vermutet, daß darin auch die militärischen Maßnahmen bezeichnet werden, die zwischen den beiden Kabinetten vereinbart worden sind, und mau spricht bereits davon, daß die Kompagnien der russischen wie der österreichischen Truppen ans den tzditha. Roma» von Clarissa Lohde. 45 „Teufel," stieß Dietrich nuu stehen bleibend hervor. „Ge rade diese, eS ist ein Verhängnis!" „Ja so, jetzt fällt eS mir eiir. Die hübsche Hilter hat sich mit Ihrem quasi Bruder, dem Dichter Müller-Rothenfels, verlobt." „Kennen Sie ihn etwa auch?" „Zn Befehl, hochmögender Herr Baron. Ich habe das Vergnügen, wie man so einen Herrn vou der Feder zu kennen pflegt. ES heißt, in der nächsten Saison wird ein Drama von ihn, zur Aufführung kommen, worauf man in allen litera rischen Kreisen gespannt ist, denn es gilt einen Kampf des siegreich die Welt durchschreitenden Naturalismus mit dem von Müller-Rothenfels vertretenen Idealismus. Den» einer unserer bedeutendsten modernen Bühnendichter bereitet eben falls eine neue dramatische Arbeit vor, mit der er zu gleicher Zeit vor daS Publikum treten wird. Indessen stehen die Chancen für Müller-RothenfelS nicht schlecht. Er ist, wie Sie am besten wisse» werden, durch das famose Testament Ihres DatsrS zu einer interessanten Persönlichkeit geivorden, und das kann schwer in die Wage zu seinen Gunsten fallen. Dazu seine Verlobung mit der Tochter eines unserer Börsenbarone l Sr weiß, wie eS scheint, trotz seiner Idealität alle Vorteile zu benutzen." „Siegehenjetztwohlschonzum Feindeüber?" grollte er. „Im Gegenteil! Ich bin ganz bereit, mit Ihnen einen Bund gegen de» Dichter Müller-NothenfelS zn schließen, der mir durchaus unsympathisch ist, wenn auch aus anderen Gründen als Ihnen." „Ah so, ich verstehe. Er huldigt Ihrer unvergleichlichen Schönheit nicht, und das ist nicht allein ein Unrecht, son dern in diesem Falle eine Dummheit." „DaS wird erst der Erfolg lehren. Wie weit meine Kraft reicht, kann ich heute noch nicht beurteilen. Aber ich ivcrde sie amvrnden und «war gegen ihn, das verspreche ich Ihnen." Unter den Insassen des Landauers, der jetzt langsam die -um Fernpaß steigende Straße hinausfuhr, war die Begegnung von gleich aufregender Wirkung gewesen, wie bei dein nach Nasse nreith wandernden Paare. „Sie kennen meinen zukünf tigen Schwager, den Baron Rothenfels auf Frauenstein?" fragte Ellen mit einem ihr sehr gut stehenden mädchenhaften Erröten den ihr gegenübersttzenden Grafen Holm, mit dem sie schon in Gastein, wo ihre Eltern die Kur gebraucht hat ten, zusammengewesen war, und der ihr seitdem ivie ein Schatten folgte. Schwager und Schwester, die nur kurze Zeit zum Besuch der Eltern in Gastein geweilt hatten, befanden sich jetzt auf der Reisö nach Baden-Baden, wo der Kommer zienrat eine Villa besaß. Kinder mit Lehrer und Gouver nante waren bereits dort. Frau Hiller war mit ihrem Gat ten noch über Bregenz nach Heiden gefahren, welches Bad der stark an Asthma leidenden Dame zur Kur verordnet wor den war. Ellen jedoch hatte eS vorgezogen, dem langweiligen Badeleben indem hochgelegenen Schweizer Kurort aus dem Wege zu gehen und lieber die Geschwister nach dem viel amü santeren Baden-Baden zu begleiten. Die Fahrt nach dem bayerischen Hochland war ein rasch improvisierter Abstecher, zu dein man sich erst in Innsbruck, wohin man die Eltern geleitet, entschlossen hatte. Graf Holm war ein Herr mittleren Alters, mit ein wenig verlebtem Gesicht, aber tadellosen Manieren. Er hatte etwas wild gelebt, war aber im Begriff, solide zu werden, und suchte nach einer Frau, um feilte stark zerrütteten Finanzen durch ihr Vermögen aufznbessern. Die an ihn gerichteten Fra gen des schönen Mädchens beantwortete er mit etwas bos haftem Lächeln: „Ganz gut! Wir sind häufige Konkurrenten bei den Rennen." „Und die Dame, die mit ihm war," warf nun die Kom- merzienrätin sich vorbeugend xin. „Seine Frau schien eS nicht zu sein. Da er mit Bruno, dem Verlobten meiner Schwester, »licht verkehrt - Sie haben vielleicht davon gehört, wie un nobel er sich gegen seinen Bruder benommen — kenne ich auch seine Fran nnr von Ansehen; sie soll übrigens au Hochmut ihm nichts nachgeben." " „Auch ich keime die Baronin kaum, sie lebt sehr eingezo gen. Dagegen habe ich die Dame an des BaronL Seite recht gnt erkannt." „Die Randolf," flüsterte Ellen nun. „Ich glaube, ich habe mich nicht geirrt." „Ja, die Randolf," stimmte der Graf zu. „Eine Dame übri ¬ gens, der Herr Kommerzienrat wird mir beistiiuiueu, die gar nicht ivert ist, von so schönen Lippen genannt zu werden." Ein bewundernder Blick ans den kleinen, funkelnden Au gen deS Grafen traf Ellen, der ihr noch heißer das Blut in die Wangen trieb. Sie lehnte sich in die Wageuecke zu rück und überließ sich deu halb angenehmen, halb ärgerlichen Gefühlen, die des Grafen Huldigung in ihr erregte; ange nehm, weil diese Hnldigpng des vornehmen Mannes ihrer Eitelkeit ungemein schmeichelte, ärgerlich, weil sie Vergleiche zog mit dem Verhalten BrnnoS gegen sie, d-r es nicht ein mal für nötig ^gehalten hatte, sie auf der Reise zu begleiten. AuS Verdruß darüber, und um sich zu zerstreuen, koket tierte sie auch etwas stärker mit ihrem ueueroberten Verehrer, als cS für eine Brant eigentlich schicklich mar. Ihre Schwester bemerkte das zuweilen nicht ohne Unwillen und ließ es an Ermahnungen nicht fehlen, über die Ellen jedoch nnr lachte. Warum sollte sic sich nicht mit dem Grasen ein wenig amü sieren! Wäre Bruno mitgcreist, dann wäre eS ihr ja nicht eingefallen. Aber eS war doch so selbstverständlich, daß sie die ihr gewährte Freiheit noch cmsnützte. Den» das hatte sie wohl gemerkt, über seine Frau würde Bruno strenge Auf sicht führen und ein sie eifersüchtig von der Welt abschließen der Ehemann sein. Dem stimmte die Schwester im Inneren bei, und zudem war die Sache nnr von kurzer Dauer. Schon in München, wohin sie nach dem Besuch der Königsschlösser gehen wollten, trennte sich der Graf wieder von ihnen. Frei lich hatte er davon gesprochen, daß er zu dem im Septem ber stattfindenden Rennen nach Baden-Baden kommen würde, aber da man sich erst in der Mitte des August befand, war bis dähin noch einige Wochen Zeit, und mittlerweile wurde Ellen ihn wieder vergessen haben. ES war spät, als die kleine Gesellschaft in Partenkirchen cinlraf, wo für einige Tage Station gemacht werden sollte. „Welche Frechheit von einem verheirateten Manne,'Vbemerkte die Kommerzienrätiu, als der Graf sich zurückgczvgen hatte, und sie mit Manu und Schwester allein war, „sich so öf fentlich aus der Landstraße mit der verrufenen Randolf zu zei gen." „Besonders da seine Frau, wie Bruno schrieb, augenblick lich sich in Partenkirchen znin Svmmeranfenthalt befindet," fügte Ellen hinzu. 206,SO