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gebrannt. In den Händen hielt sie ein aufgeschlagcnes kleines, altes Gesangbuch, noch ruhte einer der Weißen Finger auf dem Stcrbcliede der Mutter: „Guter Hirte, willst du nicht, Deines Schäflcins dich erbarmen- Und es nach der Hirtenpflicht Tragen heim auf deinen Armen? Willst du mich nicht aus der Quak Holen in den Freudensaal?" Neber Tischkarten. Künstlerische Tischkarten sind seit längerer Zeit allenthalben zu finden. Sie sind aber kostspielig und tragen doch in vielen Fällen nicht die gewünschte per sönliche Note". Denn sie werden entlveder fix und fertig bezogen oder in Auftrag gegeben. Der Fall, daß sie im Hanse des Gastgebers selbst angefertigt werden, dürfte sehr vereinzelt dastehen. Wir wollen heute von Tischkarten sprechen, die den Vorzug haben, durchaus originell und — billig zu sein. Einfache Blankokarten werden am Kopfe mit Sprüchen oder Zitaten und unten mit dem Namen des Gastes be schrieben. Es ist erstaunlich, welche überraschenden Wir kungen sich damit erzielen lassen. So können, je nach dem Kreise der Geladenen verschiedene Sprüche oder Zi tate verwendet werden. Ernste^ gemessene für steife Gesellschaften, scherzhafte für zwanglose Kreise, biswei len beides für eine „gemischte Gesellschaft". „Wie kommt mir solcher Glänz in meine Hütte?" (Schiller, Jungfrau v. Orleans.) redet eine Karte eine vornehme Dame an, die beim An blick dieser Worts sicher nicht mißgestimmt werden wird. „Denn an der Braut, die der Mann sich erwählt, läßt gleich sich erkennen, welchen Geistes er ist, und ob er sich eignen Werts fühlt." (Goethe „Hermann und Dorothea".) Also wird eine junge Braut begrüßt, während einer anderen, gern gesehenen, stattlichen Dame die Worte: „Glücklich, wem doch Mutter Natur die rechte Gestalt gab! Denn sie empfiehlt ihn stets, und nirgends ist er ein Fremdling." (Hermann und Dorothea als eine beson ders feine Aufmerksamkeit erscheinen dürftcn. Die Gesellschaft hat Platz genommen. Tas Essen be ginnt. Vertranter wird die Stimmung, nicht zum we nigsten durch den Inhalt der Karten. Manch einem ver legenen Gaste geben sie ein geschicktes Wort in den Mund, manch einem steifen Menschen lösen sie die Znnge. „Glücklich, wenn der Gattin Treue rein und keusch das HauS bewahrt? Denn das Weib ist falscher Art, und die Arge liebt das Neue" liest in komischer Entrüstung eine brave Gattin vor, nährend Georg, der Primaner, Gellerts unsterbliche Selbstberuhigung: „Für Görgen ist mir gar nicht bange. Der kommt gewiß durch seine Dummheit fort" seinen Tischnachharn mitteilt. Kopfschüttelnd hört em Pedant von Goethe: Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum." Gleichzeitig vernimmt der Misanthrop am anderen Ende der Tafel, dem man ein frische», junges Mädel an die Seite gesetzt hat, die Aufforderung: „Greift nur hinein inS volle Menschenleben! Ein jeder lebt's, nicht vielen istS bekannt. Und wo ihr'S packt, da istS interessant." (Faust I.) „Ich biu besser als «nein Ruf" verkündet mit Maria Stuart eine als etwas bissig be kannte alte Jungfer, und ein alter Widerspruchsgeist er klärt sich in einem Augenblicke der Sclbsterketwtnis ge troffen mit Mephistos Worten: „Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles was besteht- ist wert, daß es zu Grunde geht." Kiel Heiterkeit erweckt der Wink des Onkel Gastgebers an einen Neffen, einen flotten Brnder Studio: „Ich habe schon so viel für dich getan, daß mir zu tun fast nichts mehr übrig bleibt." (Faust I.) ' Doch wird er nicht allzuschwer ausgenommen, ebenso wenig wie der Rat an einen behäbigen Feinschmecker: "-„Wird man wo gut ausgenommen, muß mau nicht gleich wieder kommen." (Prcciosa.) Man glaubt es den Gastgebern gern, was sie auf einer Karte frei erklären: „Euch zu gefallen, war mein höchster Wunsch, Euch zu ergötze», war mein letzter Zweck." (Tasso.) Einige viel angegriffene Mitglieder der Tafelrunde,- Künstler von Beruf, lesen zu ihrem Tröste: ,Frei von Tadel zu sein, ist der niedrigste Grad lind der höchste; 1 >enn nur die Ohnmacht führt oder die Größe dazu." (Schiller.) und: „Ich kann mich nicht bereden lassen macht mir den Teufel nur nicht klein. Ein Kerl, den alle Menschen hassen der muß was sein." (Goethe),- wahrcnd wir einigen anderen Kunstbeflisscnen unser Verständnis für ihr Streben bezeugen mit den goldenen Worten von Schiller und Goethe: '„Im Fleiß kann dich die Biene meistern, in der Geschicklichkeit ein Wurm dein Lehrer sein- deiu Wissen teilest du mit vocgezogene- Geistern,- die Kunst, 0 Mensch, hast du allein" oder: 7,Wär' nicht das Auge sounenhaft- Die Sonne könnt' es nie erblicken lüg' nicht in uns des Gottes eigne Kraft- wie könnt' uns Göttliches entzücken!" Den zur Einsamkeit Neigenden geht die Mahnung zu, „Wer sich der Einsamkeit ergibt, ach! der ist bald allein! Ein jeder lebt, ein jeder liebt und läßt ihn seiner Pein." und: , „Freut euch des Lebens, weil noch, das Lämpchen glüht; pflücket die Rose, eh sie verblüht!" Daß es aber nicht nur frohe Feste- sondern auch saure Wochen geben muß, wird in Erinnerung gebracht mit den Worten: 7,Wenn alle Tage im Jähr gefeiert Würden sv würde Spiel so lästig sein wie Arbeit: Doch selten Feiertage sind erwünscht lind nichts erfreut wie unversehene Dinge."' (König Heinrich IV.)j Wir sehen bei der Gelegenheit gleich wieder ein mal, was für einen bedeutende,: Platz in unserem Denken und Fühlen unsere beiden größten Dichter einnehmcn. Keinen Schritt können »vir tun- ohne ihrem erhabenen Geiste zu begegnen. Vielmehr, als wir uns bewußt sind- s-aben sie von dem gesamten Volks Besitz ergriffen. Daß tvir uns dessen mehr und mehr bewußt werden, ist ein i Ziel- dem ivir alle nachstreben sollten. Von den Wegen- die dazu führen- ist einer die feine Geselligkeit. Von ihr sagt der Olympier aus eigener Erfahrung: „Wie fruchtbar ist der kleinste Kreis,- - wenn »an ihn wohl zu pflegen weiß." Walter Wolfgang Genckc. ! -f- , »rM und »erl«, »»n Lim,er L »mt«lich, Ries«. — Kir die Redaktion »«antwortlich. Arthur Höhnel, Riesa. CrMIer an der Elbe. Velletr. Gratisbeilage znm „Riesaer Tageblatt". Nr. 4« - Mesa, den 18 Rovember 1S11 34. Klara. Eine Geschichte aus der Biedermeierzeit von H. von Krause. Schluß. „Ganz allein, Mutter." Er stand aus und riegelte die Tür nach dem Kontor ab. „Ferdinand," begann die Blinde, >,Klärchen hat mir alles gesagt." Das Gesicht des Sohnes verfinsterte sich. -„Sehr überflüssig," sagte er unzufrieden; „sie hätte Dich mit dieser üblen Geschichte nicht beunruhigen sollen." „Ich wußte cs ohnehin, und ich habe diese Aus sprache veranlaßt." „Ich hoffe, die Sache ist nun endgültig abgemacht; August hat sich sehr edelniütig benommen." „Aber, ich möchte Dich doch bitten, Ferdinand, diese Heirat nicht zuzugeben." „Ich verstehe, Mutter, daß es Dir widerstrebt, August an ein Mädchen zu verheiraten, das sich seiner so wenig würdig gezeigt hat. Er ist aber alt genug, um selbständig und allein zu entscheiden, und er hat entschieden." „Ich denke nicht nur an August, obgleich ich auch für ihn in dieser Sache fürchte, ich! denke aber auch an das Mädchen." 7,An das Mädchen? Ich Verstehe Dich nicht, Mutter, das Mädchen, meine ich, kann sich glücklich schätzen, wenn wir es nicht verstoßen, obgleich cs sich dessen wert gemacht hat." „Sie liebt Rehberg, Ferdinand." -,Pah!" machte Herr Lüders, „sic wird diese Schrulle bald genug vergessen. Es ist dafür gesorgt, daß der undankbare leichtsinnige Bursche ihren Weg nicht mehr kreuzt." „Ich glaube nicht, daß sie ihn so leicht vergessen wird-, und sie zwingen zu dieser Heirat, heißt sie un glücklich machen." Herr Ferdinand schritt unruhig im kleinen Zimmer auf und ab. 7,Unglücklich? Unglücklich?!" rief er. „Dieses Mäd chen, das betteln müßte, wenn ich cs heute aus dem Hause wiese; diese Person, die kein Hemd auf dem Leibe hat, das sie ihr eigen nennen kann, unglücklich, weil sie meinen Sohn heiraten soll, weil sie einst die Herrin dieses Hauses werden, einen ehrenhaften Namen tragen, eine Existenz führen soll, wie sie sie niemals hat er träumen können? An der Seite eines so soliden, recht schaffenen Mannes Ivie August? Pah — ich lache über dieses Unglück. Beunruhige Dich nicht, Mutter! Wenn sie wirklich so töricht sein sollte, sich heute unglücklich Zu fühlen, ich versichere Dir, wenn sie erst Augusts Frau sein wird, wenn sie vielleicht übers Jahr einen Sohn auf ihrem Schoße wiegt, ist dieses große Unglück in eitel Glück verwandelt." „Ferdinand, ich habe Deinen Vater auch geheiratet, ohne ihn zu lieben," sagte die alte Frau mit bewegter Stimme, „aber mein Herz war frei. Tas war. etwas andere-.", „Mutter," rief Herr Lüders ungeduldiger, als er sonst mit der alten Frans tzu sprechen Pflegte- 7,siehst Du denn nicht ein, daß diese ganze unsinnige Geschichte nur entstanden ist- weil dieser Nichtsnutz von einem Leichtfuß und Habenichts- dieser gewissenlose Schlingel, die Abwesenheit Augusts und die Untvissenheit und Un besonnenheit dieses unerzogenen Mädchens benutzt hat, Ltm ein Liebesabenteuer zu beginnen? Heiraten kann er sie doch nicht, — niemals, wird auch bald genug sic und die ganze Sache in den Wind schlagen." „So laß ihr wenigstens Zeit." „Bitte, Mutter, wir wollen von dieser Sache, wenn Du erlaubst, nicht mehr reden, ich muß diese Tinge August überlassen. Einen Skandal für ihn und uns kann ich durch dieses alberne Mädchen nicht herausbeschwören lassen." Die alte Frau kämpfte einen Augenblick mit sich, dann sagte sie, ihre Hand nach ihm ansstreckcnd, mit bewegter Stimme: „Ferdinand, ich beschwöre Dich noch einmal, stehe von dieser Heirat ab. Gwttcs Segen if nicht dabei." Und da er schwieg und sie hörte, wie c> die Tür zum Kontor wieder aufricgcltc, stand sic auf und nach ihm tastend, faßte sie seine Hand: „Mein Sohn, ich bitte Dich, denke doch daran, wie schwer eS für das Kind ist. Tu warst doch auch einmal jung." „Ja, Mutter," sagte er, und seine Stimme klang härter und kälter als zuvor, „ich war auch einmal jung, und da hat mich niemand gefragt, ob ich.Henriette Burgfrodt liebte oder eine andere!" Tie Blinde senkte den Kopf, cS pochte jemand an die Kontortür. „Gott helfe uns," murmelte dir alte Frau, „rufe mir das Mädchen, Ferdinand." „Erlaube, daß ich Tich selbst hinaufführc." Alle Vorbereitungen zur Hochzeit wurden getroffen. Frau Henriette arbeitete vom Morgen bis zum Abend, und Klärchen hals, so viel sic tonnte. Es war ihr dabei, als werde dies alles für jemand ganz Fremdes getan. Sie ging umher ohne irgend einen anderen Gedanken als an die Arbeit, die ihr gerade aufgctragcn war. Si* schien wie innerlich erstorbem August behandelte sic fehl rücksichtsvoll. Er drang nicht mit Zärtlichkeiten auf sie ein, er erwähnte mit keinem Worte den Vorfall mit Heinz. Eines Tages gab er ihr schöne Geschenke, Schmuck, Kleiderstoffe, Spitzen, die er für sie aus Frankreich mit gebracht hatte. Sie war ganz verwirrt über seine Güte. In ihrem Zimmer legte sie alle die schönen Sachen beiseite, bedeckte die Augen mit den Händen und stöhnte leise. Ach, warum waren sie doch alle so gut zu ihr! Hätte» sie sic doch lieber auf die Straße gestoßen! Lieber ihr Brot von Tür zu Tür betteln, als dieses elende Gefühl der Undankbarkeit, der Schuld mit sich Herum schleppen. Auch Herr Lüders war höflich, bisweilen so gar freundlich gegen sie. Frau Henriette schien cs förm lich darauf anzulegcn, sic durch Güte zu beschämen, aber Lei ihr fühlte sie den Stachel, der darin lag, am schmerzlichsten. Ach, hätte sie für sie arbeiten können. Tag und Nacht, wie die niedrigste Magd hätte sie schassen wollen. Warum mußte es gerade diese Weife sein, in der sie ihren Tank verlangten? — Und dann kamen die schrecklichen Rächte, in denen sie schlaflos, mit beklemmender Angst, mit einem Ge fühl, als müsse ihr das Herz springen, sag. Sie starrte mit brennenden Äugen in die Finsternis, bis sie es nicht mehr ertragen konnte. Tann sprang sie wohl auf, lief an das Fenster und stieß es auf. „Luft! Lust? Oder ich sterbe," dachte sie. Unten lag der Hof und der Garte» in tiefer Dämmerung, der Star schlief wohl in seinem Rest, bald mußte er an die weite Reise denken. Ach, lvie schön tvar es gewesen, als Hein- dort seine Lieder sang: