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mit Ochsen oder Mauleseln bespannte Fuhrwerke al- Trans portmittel zur Verwendung gelangen. Die in voriger Wocke in der Umgebung von IacobSdal, am Modder- und Rietriver stattgehabten Kämpfe tragen ebenso wie die Gefechte bei RenSburg und bei Dordrecht bereit- den Charakter von Actionen veS kleinen Kriege-. Angesicht- solcher Operationen ist jede Combiuation unmöglich und die englischen Generale werden sich auf Ueberraschungen und auf den Eintritt un erwarteter Ereignisse gefaßt machen müssen, welche die end- giltige Entscheidung wohl vorbereiten, aber nicht herbeisührrn können. Bon dem Terrain, in welchem die Rückzugsgefechte statt» finden, findet sich in einem Reisewerke über Süd-Afrika folgende Beschreibung: „Im Norden von Natal und den öst lichen Provinzen und von denselben durch den mächtigen Wall der Drakenberge geschieden, liegt in einer Seehöhe von 4000 bi- 5000 Fuß das breite Plateau de- Freistaates. Die große Ebene, welche sich über 50 000 englische Quadratmeilen auSbreitrt, ist fast gänzlich baumlos, außer an den Flußufern, die mit Weiden und Mimosen umsäumt sind. Die Regenmenge ist mäßig, wahrscheinlich nicht mehr al- 22 englische Zoll, und beschränkt sich auf den Spätsommer, wo sie sich in heftigen Gewittern auStobt. Der größte Theil de- Wassers wird aber durch die tiefeingeschnitlenen Fluß bette rasch abgeführt. Diese Flußbelte liegen dreißig bis vierzig Fuß tiefer als das angrenzende Land und ziehen in kurzer Zeit alle Feuchtigkeit aus den benachbarten Gegenden an sich. Hin und wieder bieten auf der ein tönigen auSzedörrten Erdoberfläche vereinzelte „KopjeS" und kurze steinige Hügelketten ohne alle Vegetation eine kleine Abwechselung, aber keinen Schatten." Das eben geschilderte Terrain ist für die Verwendung großer Cavalleriemassen, wie sie Roberts zur Verfügung stehen, wie geschaffen. DaS einzige, aber kaum zu überwindende Hinderniß für das rasche Fortkommen der Reiterei bildet der Wasser- und Futtermangel, welcher sie zwingt, ihre Vorrückung längs der Flußläuse aus zuführen. Dies ist ein Glück für die Boeren, denn gerade dieser Umstand verhindert die englische Eavallerie, eine energische Verfolgung einzu leiten. Auf der ganzen Vorrückungslinie der Engländer rxistirt nur ein einziger Abschnitt, der Kaalspruit, ein auS der Gegend von Bloemfontein kommendes Fliigchen, das in nordwestlicher Richtung lausend, die Straße auf halbem Wege zwischen Jacobedal und der Hauptstadt schneidet, hinter dem Kaalspruit, der sich in den Modder river ergießt, liegen auch einige kleine Berge, so daß sich der hierdurch gebildete Abschnitt gut zur Samm lung der Boerenstreitkräfte und zur Vertbeidigung eignet. Roberts hätte, wenn er bald in Bloemfontein ein- zieben wollte, Cronje erst entscheidend schlagen müssen, um so jedes größere Hinverniß auf dem Wege nach der Freistaat- Hauptstadt wegznräumen. So sagt Spenser Wilkinson in der „Morning Post": „Das Wesentliche war, Eronje'S Streitmacht zu vernichten; konnte das geschehen, so wäre die Belagerung Kimberley's zu Ente gewesen. Kimberley entsetzen und inzwischen Eronje'S Truppen das Weite gewinnen zu lassen, bedeutete aber, den schwierigsten Theil der Arbeit aufs eine ungelegenere Zeit und einen ungelegeneren Ort zu verschieben." Der Fehler, der bei dem Vormarsch auf Kimberley begangen wurde, bestand offenbar darin, daß die Eavallerievorhut unter Frcnch zu schnell vorstieß, ohne mit der Infanterie, die zudem mehr an den Train gebunden war als die Reiterei, Fühlung zu behalten. So entstand nördlich des Modder- slusseS der freie Raum zwischen der britischen Eavallerie und Infanterie, durch den Cronje mit seinem mächtigen Troß von 1000 Wagen enlwiscken konnte. So ist wahrscheinlich auch die Bemerkung des Berichterstatters der „Times" auSzulegen, daß ter Erfolg Roberts' ein vollständiger gewesen wäre, wenn der britische Vormarsch nur um einen Tag verzögert worden wäre, denn dann wäre offenbar jener freie Raum durch britische Truppen gedeckt gewesen, und der Boeren-Comman- dant Cronje wäre gezwungen gewesen, zu fechten oder sich zu ergeben. WaS die Taktik versäumte, soll jetzt durch die Beine der Pferde und die Lungen der Infanteristen nach geholt werden. Die Pferde aber sind krank und ermüdet und die Infanterie ist auf den nachzuschiebenden Train angewiesen. Schon jetzt betonen die Berichterstatter gerade mit Rücksicht auf die Verfolgung Cronje'S, daß Pferd errsatz von Hause dringend nothwendig werde. Am Tngcla ist die Lage nach der Ueberschreitung des Flusseö durch General Buller scheinbar noch unverändert. Beide Gegner stehen sich nach englischen Berichten in guten Vertheidigungs- stellungen auf der Nordseite des Flusses gegenüber. Ob die Boeren beabsichtigen, Ladysmith doch noch kampflos aufzu geben, bleibt zweifelhaft. In London nimmt man cs, wie folgende Meldung zeigt, nicht an. * London, 22. Februar, tTelegramm.) Ter „Morning Post" wird aus dem Lager von Ehteveley «« vom 2». d. Vk. telegraphirt: Wir Daher, noch nicht die Ladysmith belagernden Linien der voere» durchbrochen, ttin schwerer «kämpf steht uns noch bevor, aber die Flanke der Boeren ist voll ständig zuruckgcdrängt. Starke BcrtheidignngssteUnugc» sind von «ns genommen worden. Für «»seren wettere» Bormarsch habe« wir nns wertbvolle Stütz punkte gesichert. Der Feind ist, soweit es den Kriegsschauplatz von Natal angebt, seit Elandslaagte zum erste» Mal wieder in die Flucht geschlagen (!) worden. Tie Soldaten schliefen in der letzten Nacht in Zelten der Boeren auf >en Spitzen Ser genommene» vngel. Wir können dirret nach Ladysmith yineinblickru. Alle Truppen sind voll Muth. Daß Joubert nicht mehr über seine gesammten Streit kräfte verfügt, sondern einen Theil nach der bedrohten West grenze abgegeben bat, wird indirekt auch durch die folgende Mitthcilung bestätigt. * London, 22. Februar. (Telegramm.) Die „Time-" melden aus Chieveley vom 19. d. M.: In dem von den Eng ländern genommenen Lager der Voeren wurde ein Brief vor gefunden, in dem Verstärkungen verlangt werden, sowie eine Antwort auf diesen Brief, in der eS heißt, 150 Mann würden gesandt werden; mehr zu schicken sei unmöglich, da die Ladysmith belagernden Streitkräfte sehr knapp seien. So erklärt sich auch Joubert'S Rückzug über den Tugela auf die Höhen in der Umgebung von Ladysmith. Es war ihm nicht möglich, die lang am Tugela sich hinstrcckendc Vertheivignngslinie aufrecht zu erhalten. Aber der Bocren- Gcneral leidet dadurch, daß er sich an einen« bestimmten Puncte in der nächsten Umgebung von Ladysmith concenlrirt, keinen strategischen Nachrheil, da die Beiatzung der Stadt ibm nichts mehr zu schaffen machen kann — soll sie doch ihre ganze Munition verschossen haben und in Folge von Entbehrungen und Krankheiten kampfunfähig sein —, und er in Folge dessen seine Front einfach nur zu wenden braucht. Lord RoberiS' frische Truppen haben auf dem Wege nach Bloemfontein, wenn wir die Meldungen unseres Morgeu- blattcS richtig deuten, sich eine schwere Niederlage geholt, Buller's bereits dreimal geschlagene Armee wird, auch wenn sie noch „voller Muth" sein sollte, kaum ein anderes Schick sal erleben, wenn, wie gesagt, die Boeren eS nicht vorziehen sollten, sich nach den Freistaat- und Transvaalpässen zurück- zuzieben, die leicht zu halten sind. Noch ist die Kraft der verbündeten Republiken nicht ge brochen, wie man in England wähnt. Stampft daS Kriegs amt in London „Armeen" aus der Erde — sie sind auch danach — so steht das Volk auf in Transvaal und dem Oranjestaat. Viele Bürger, die vielleicht wegen hohen Alters oder sonstiger Gebrechen dem ersten Aufgebot nicht folgen durften, sind, wie aus Pretoria gemeldet wird, jetzt für den Dienst an der Grenze cinberufen und zahlreiche Freiwillige für den activen Dienst aufgeboten worden. General Roberts' Proklamation an die Freistaatler. General Roberts bat eine Proklamation an die Bewohner des OranjefreistaaleS gerichtet, in welcher er denselben ver sichert, daß die Regierung Ihrer Majestät sich nicht gegen sie, sondern nur wider ihre „irre geleitete und durch nicht nationale Interessen in den Kampf gedrängte Regierung" kämpfe. Er kritisirt den Präsidenten Sleijn und dessen Rede in scharfer Weise, weil sie das Vertrauen der britischen Re gierung auf daS Schändlichste getäuscht, nachdem diese ihn stets in weitgehenvster Weise entgegen gekommen und freiwillig die Unabhängigkeit der Oranje-Republik garan- tirt habe. Nach einer so langen Periode friedlicher und freundschaftlicher Beziehung zwischen den beiden Ländern erscheine die kriegerische Action deS Präsidenten und seiner Rede um so verwerflicher. Indcß habe diese Thalsache die freundlichen und gnädigen Gefühle Ihrer Majestät für die Bewohner dcö Freistaates nicht berührt und könnte jene nach wie vor auf den vollsten Schutz der britischen Behörden und Commandeure rechnen, sofern sie nur friedlich auf ihren Farmen blieben und sich jeder feind seligen Handlung gegen die britischen Truppen enthielten, be sonders aber dem Feinde keine Informationen über englische Truppenbewegungen zukommen ließen. Allen, welche diese Bedingungen erfüllten, würde voller Schutz ihrer Person und ihres Besitzes zugesichert. Die Proklamation erklärt besonders daS Gerücht für unbegründet, daß englischerseits der Besitz der Oranjefrei- staatler einfach confiScirt und dieselben von Haus und Hof vertrieben werden würden. Im Gegentheil habe der englische Oberbefehlshaber strenge Ordre gegeben, daß keine Bewaff neten die Prioatwohnungen der Freistaatler betreten dürsten, und daß für requirirte Gegenstände entweder Baarzahlung zu leisten oder durch die verantwortlichen Officiere Empfangs scheine zu ertheilen seien. Leider blüht dieser großen Liebe Mühe kein Erfolg. Nicht ein Freistaatler wird der gemeinsamen Sache der Freiheit und der Gerechtigkeit auf Roberts' schöne Worte hin untreu Werden und die Proklamation im Oranjesiaat überall der gebührenden Entrüstung und Verachtung begegnen. Ans der Suche nach „neuen" alten Soldaten hat die englische Negierung einen weiteren Schritt vorwärts geihan. Ein Erlaß des KriegSamteS ladet alle ausgedienten Reservisten mit guten FührungSattesten (die schlechten Charak tere sollen vorläufig noch ausgeschlossen sein) auf, soweit sie mindestens drei Jahre ununterbrochen gedient haben und 22 bis 45 Jahre alt sind, sich wieder zu stellen. AlS Belohnung dafür wird ihnen eine Gesammtprämie von 440 sowie andere bedeutende Vortheile geboten. Genannte 440 »L sind zahlbar in zwei Raten, nämlich 240 sofort bei Eintritt und 200 am Tage der Entlassung. Die Familien Ver heiratbeter erhalten neben dem Solde des wieder An geworbenen eine „Trennungs-Bonifikation", und die unter die Fahnen Zurückkebrenden, welche bis dahin irgend ein Amt bekleidet, resp. im Dienste der Regierung gestanden, neben ihrer Löhnung daS halbe Gehalt ihrer bisherigen Stellung. Letzteres wird ihren Familien ausgezahlt. Der Erfolg dieser Maßregel bleibt natürlich abzuwartcn. Bewaffnung der neu auszusendenden Truppen. Die Regierung hat der Birmingham Small Arms Company Aufträge für kleinkalibrige Waffen in solcher Höhe ertbeilt, daß diese Werke für ein volles Iabr resp. bis zum l. April 1901 ausschließlich mit deren Herstellung beschäftigt sein werden. In ähnlicher Weise sind der London Small Arms Company und den Regierungswaffen-Werkstätten in Enfield IahreSaufträge ertheilt. Die Artillerie- und Jnfanterie- munitionSwerke in Witton und Woolwich sind in gleicher Weise so berangezogen, daß in beiden die Arbeiterzahl etwa vervierfacht ist und überdies Tag und Nacht gearbeitet wird. Alle diese Fabriken haben ihre Privatordres zu Gunsten der Regierungsaufträge zurückstellen müssen. Zugleich sind sehr umfangreiche Bestellungen für Militäreisenbabn-Material, Transportwagen, Panzerzüge, Feldlagerausrüstungen, ein schließlich Zelte rc., Säbel und Seitengewehre, ertheilt worden. Deutsches Reich. Berlin, 21. Februar. Die Frage der Beschaffung zweckmäßiger Arbeiterwohnungen ist mit Recht als eine der wichtigsten socialpolitiscben Frage noch jüngst be zeichnet worden. Wie bekannt; arbeiten denn auch die ver schiedensten Faktoren Hand in Hand, um zu einer einiger maßen befriedigenden Lösung deS Problem- zu gelangen. Dazu gehören in den letzten Jahren auch dieInvaliditätS- und Altersversicherungsan st alten. Sie haben aus ihren Beständen biS Ende 1899 für den Bau von Arbeiterwohnungen 52 Millionen Mark herzeliehen, wovon auf das Jahr 1899 allein 16,6 Millionen entfielen. An dieser Thätigkeit sind die einzelnen Anstalten recht verschieden betbeiligt. Ueber- haupt keine Mittel haben für den Zweck drei Anstalten und zwar Schlesien, Elsaß-Lothringen und Mecklenburg auf gewendet. Unter den übrigen 28 Anstalten stehl an der Spitze die Rheinprovinz mit 10,1 Millionen, eS folgen Hannover mit 8,1 Millionen, Hessen-Nassau und Württemberg mit je 4,4 Millionen, Königreich Sachsen mit 3,8, Baden mit 3,2 Millionen, Sckleswez-Holstein mit 2,9, Hessen mit 2,7, Westfalen mit 2,6 Millionen, Berlin mit 1,7, Braunschweig mit 1,2, die Hansestädte mit 1 Million; die übrigen haben je weniger als eine Million verwendet. Verschiedene Anstalten haben unter Ueberschreitung der Mündelsicherheit Geld hergeliehen. WaS die Zinssätze betrifft, so überwiegt der Satz von 3 Procent, es sind jedoch auch verschiedentlich 4 Proc. verzeichnet, ja einmal sind sogar 4>/« Proc. genommen. Die Anstalt der Provinz Posen ist die einzige gewesen, welche ein Capital zu 2» 2 Proc. hergezeben hat. Ob die Ueberschreitung eines mäßigen Zinssatzes für die Her- leihung von Geld zum Bau von Arbeiterwohnungen an gebracht ist, muß in jedem einzelnen Falle entschieden werden. Jedenfalls ist zu wünschen, daß die InvaliditätS- und Alters versicherungsanstalten nicht durch Forderung zu hoher Zins sätze von der Benutzung ihrer Bestände für den in Rede stehenden socialpolitischen Zweck abschrecken. lü Berlin, 21. Februar. (Transport Schwerkranker auf den Eisenbahnen.) Man wird sich erinnern, daß der Allgemeine deutsche Bäderverband mehrfach Verbesserungen, betreffend den Transport Schwerkranker auf den Eisenbahnen, verlangt hat. Die zuständigen Behörden haben sich im All gemeinen den Anregungen freundlich gegenübergestellt. Es ist denn auch mit dem 1. Januar d. I. eine Vorschrift der Ber- kedrSordnung in Kraft getreten, wonach Personen, die an Pocken, Flecktyphus, Diphtherie, Scharlach,Cholera oder Lepra leiden, in besonderen Wagen, solche, die au Ruhr, Masern oder Keuch husten leiden, in abgeschlossenen Wagenahtheilungen zu beför dern sind. Bei Personen, die einer dieser Krankheiten verdächtig sind, kann die Beförderung von der Beibringung eines Lrzt- lichen Atteste- abhängig gemacht werden, auS dem die Art ihrer Krankheit hervorgeht. Wa» die weiteren Wünsche deS BäderverbandeS betrifft, so hat sich da- NeichS-Eisenbahn- Amt über die einschlägigen Verhältnisse auf sämmtlichen deutschen Bahnen unterrichtet. Danach erscheint die Ein stellung besonderer Salonkrankenwagen in die Züge nickt an gezeigt, weil die auf den Eisenbahnen schon vorhandenen 28 Krankenwagen im Jahre 1898 nur 109 Mal benutzt sind. In demselben Jabre sind Personen-, Gepäck- und Güter wagen zur Beförderung von Kranken in 345 Fällen, besondere Wagenabtbeilungcn in 350 Fällen verlangt worden. Durch die Einstellung von Krankenwagen würde auch der allgemeine Verkehr geschädigt werden. DieForderungen des BäderverbandeS wegen Reinigung und Desinsection der Wagen und Bahn steige sind bereits durch die im Februar 1897 vom Reichs amt des Innern den sämmtlichen Bundesregierungen bekannt gegebenen GesichlSpuncle erfüllt, die bebufs Verhütung von Krankheit-Übertragungen bei der Reinigung der Eisenbahn wagen, bei ihrem Bau und bei ihrer Ausstattung, sowie bei ter Reinigung der Wartesäle und Bahnsteige zu beachten sind. Die weitere Anregung deS BäderverbandeS, ob eS sich nickt empfehlen möckte, das Publicum und die Aerzte von Zeit zu Zeit durch Mittbeilungen der Eisenbahnverwaltungen in der Presse, durch Aushänge u. s. w. aus die hinsichtlich der Beförderung Kranker auf den Eisenbahnen bestehenden Ein richtungen binzuweiscn, wird daS NeichSeisenbahnamt in Er wägung ziehen. Die Forderung über Vermehrung deS Mate rials zum Tragen von Kranken auf den Stationen hat sich als ungerechtfertigt erwiesen, da die schon jetzt vorhandenen Transportmittel vom Publicum nur selten, an einzelnen Stellen gar nicht benutzt werden. — Der Kaiser hörte im Jagdschloß Hubertusstock heute Vormittag den Vortraa deS EbefS des CivilcabinetS, Wirklichen Geheimen Raths Vr. v. LucanuS. — DaS Abiturientenexamen des Kronprinzen und seiner Studiengcnoffen hat, wie von uns angekiindigt, heute in Plön stattgesunden, wozu vom Cultusministerium der Geh. Oberregierungs- rath Koepke delegirt worden war. Der Kronprinz hat die Prüfung bestanden. Sonnabend folgt sodann, wie die „Kreuzztg." schreibt, die Prüfung des Prinzen Eitel-Friedrich auf Grund der Bc- stmimungen für die Fähnrichsp rüfungen. Prinz Eitel-Friedrich bleibt aber noch ein oder zwei Jahre bis zur Ablegung des Nbi- turientenexamens inbPlön, wahrend der Kronprinz nunmehr nach beendeter Schulzeit nach Potsdam zurückkehrt und, wie schon früher gemeldet, fortan seinen eigenen Hofstaat erhält. — Die vereinigten Ausschüsse deS Bundes rathS für Handel und Verkehr und für Justizwesen hielten heute eine Sitzung. — Bei der Berathunz der Budgetcommission des preu ßischen Abgeordnetenhauses über die mit der Reform des Gerichtsvollzieherwesens zusammenhängenden Titel des Etats ist mir Rücksicht auf die Kürze der Zeit bis zum Beginn des Rechnungsjahres im Einvernehmen mit der könig lichen Staatsregierung in Aussicht genommen worden, die Neuregelung der Verhältnisse der Gerichtsvollzieher nicht schon vom 1. April, sondern erst vom 1. Oktober d. I. ins Leben treten zu lassen. Es dürfte anzunehmen sein, daß die dadurch nöthig werdenden Aenderungen im Etat der Justiz verwaltung im Plenum des Abgeordnetenhauses Zustimmung finden. — Dem Vernehmen nach ist der Vicepräsident deS StaatS- ministeriumS vr. v. Miquel wieder erkrankt; in Folge dessen ist die erste Berathung des Waarenh aus-Gesetzentwurfs, an der er Theil zu nehmen wünscht, aus die nächste Woche verschoben worden. — AuS Mitgliedern der Parteien des Reichstags hat sich eine freie Commission gebildet, die eine Verständigung über die Flottenvorlage und namentlich über die Deckungsfrage herbeizuführen bemüht ist. — Der Cllltusminister vr. Studt hatte auch in dieser Nacht über erhöhte Schmerzen zu klagen, die aber am Morgen nachließen. Der Arzt hofft, daß der Kranke in etwa 8 Tagen daS Bett wird verlassen können. — Die Erkrankung des Abg. vr. Kruse erregte heule im Reichstage lebhafte Theilnahme. Seine Angehörigen wurden sofort benachrichtigt; einer seiner Anverwandten, der in Berlin als prak tischer Arzt thätig ist, hat die ärztliche Pflege übernommen. Hoffent lich erfüllt sich die Zuversicht, das Leben dieses ManneS zu er halten, der auch außerhalb seiner Partei Freunde und Verehrer besitzt. Der Patient ist im Reichstage im Zimmer des Zwischen, geschosses, wo ihm der Unfall zustieß und wo ihn der Abg. Meister bewußtlos am Boden gesunden hat, auf ein weiches Lager gebettet worden. — Der Reichstags- und Landtagsabgeordnete v. Tiedemann« Bromberg, der an der Influenza schwer erkrankt war, hat sich, wie die „Ostd. Pr." erfährt, noch nicht soweit erholt, daß er an den parlamentarischen Arbeiten theilnehmen kann. Er wird sich voraus« sichtlich noch acht bis vierzehn Tage jeder geschäftlichen Thätigkeit enthalten muffen. — Sein 60. Lebensjahr vollendet heute der Reichstags abgeordnete August Bebel. Es mag bei dieser Gelegenheit daran Wohlbehagen die gekühlte, erfrischende, mit dem Duft von Blumen und jungem Laub erfüllte Luft. Die Sonnenstrahlen spiegelten sich in Millionen klarer Tropfen, die an allen Gräsern und Blättern hingen, und über der hohen, zerstäubten Wasser säule des großen Springbrunnens spielte ein farbenschillernder Regenbogen. Gertrud hatte Jrmgard's Arm genommen. Ihr Herz machte ihr Vorwürfe, das junge, liebebedürftige Geschöpf kalt behandelt, sich zu wenig um ihr Vertrauen bemüht, mit der Freundschaft, die sie ihr gelobt, nicht Ernst gemacht zu haben. „Ist schon etwas über Ihre Heimkehr bestimmt, Irmgard?" fragte sie. Das junge Mädchen schüttelte den Kopf, ihre Lippen drückten sich fast schmerzlich zusammen, ihre Augen hafteten auf dem Kies zu ihren Füßen. „Und wann reisen Sie, Gertrud?" fragte Hans nach einer Pause. „Den ersten Juli spätestens", seufzte sie. Sie wandelten durch die Gänge, umfangen von der grünhn Frühlingspracht der Parkanlagen, die sich so gut mit der zopfigen Steifheit ihres Zuschnittes verträgt. „Mein Vater will mich abholen", sagte Irmgard. „Sie kommen dann gleich mit, Hans. Er weiß schon, daß Sie bei uns Studien machen wollen." Sie blickte ihn unsicher und etwas herausfordernd von der Seite an, ob er gegen ihre Verfügung sich Einwendungen er lauben würde. Nicht zum ersten Male fiel es Gertrud auf, daß sie ihn kurzweg beim Vornamen nannte und er sie Irmgard, ganz wie sie selber eS mit ihm ausgemacht hatte. HanS jedoch erwiderte ihr ganz förmlich: „Ich weiß nicht, gnädiges Fräulein, ob ich von Ihrer Güte Gebrauch machen kann. Meine Cousinen in Perkitten machen Hochzeit, wie Sie vielleicht wissen, und man hat mich zum Festdichter und Braut führer und Gott weiß was sonst noch ausersehen." „Mein Vater wird Sie einladen, Doctor Eickstedt, da meine Einladung nichts gilt", verseilte Irmgard, seinen Ton nach ahmend. „Sie werden ihn kennen kernen, er wird Ihnen ge fallen. — Hoffentlich kommt er allein", fügte sie hinzu. „Warum hoffentlich?" fragte Gertrud. „Sie würden sich doch freuen, wenn Ihre Mutter mitkäme?" „Ach, an die Mutter dachte ich nicht", versetzte Irmgard gleichgiltia. „Die kommt jetzt nicht. Sie trennt sich nicht von meinem Bruder. Hermann ist immer krank, müßt Ihr wissen. Er stürzte als Knabe mit dem Pferde, dabei ist sein Rückenmark verletzt worden. Wenigstens sagen die Aerzte so. DaS heißt, einige sind anderer Meinung. Genau weiß Niemand, was ihm fehlt. Er kann nicht geben, muß stet» gefahren werden, und kann auch sonst nicht- leisten und nicht- vertragen. SS ist ein Jammer. Er war ein sehr begabtes Kind. Mutter reist mit ihm aus einem Bade ins andere, seit zehn Jahren oder länger. Mutter lebt nur für den Jungen. Mich kann sie nicht leiden, weil ich gesund und kräftig bin." »Pfui, Irmgard, wie mögen Sie nur so reden!" verwies Gertrud. „Aber es ist doch wahr!" - ,... . „Es ist sicherlich nur Einbildung." „Und Sie haben nur den einen Bruder?" fragte Hans. Irmgard nickte. Sie hatte sich, ob zufällig oder mit Absicht, immer sehr zurückhaltend über ihre Familie geäußert. Auch jetzt fühlte man, daß sie nicht Alles sagte. „Nur den einen Bruder! Das ist ja das große Unglück! Die Dynastie Steinhäuser stirbt aus. Es ist kein Junge in der Familie, der Vaters Nachfolger werden könnte. Meine Schwester Herta hat einen Seeofficier geheirathet, und sie haben nur zwei Mädchen." „So wird eine Aktiengesellschaft die Sieinhäuser'sche Erb schaft antreten", meinte Hans leichtmüthig. „Eine Aktiengesellschaft!" rief Irmgard wegwerfend, und blickte ibn unwillig an. „Unsere Werke einer schwindelhaften Actienge;ellschaft? Meines Vaters Schöpfung, Alles, bis ins Kleinste sein Werk! Noch heute wird keine Lokomotive ab geliefert, die er nicht selber geprüft und untersucht hätte. Nein, davon wird nie die Rede sein. Das muß Alles in einer Hand bleiben." Sie setzte ihre weißen Zähne auf die Unterlippe und blickte gerade vor sich hinaus. „Dann", nahm Gertrud nach einigem Schweigen in scherz haftem Tone das Wort, „dann giebt es also nur einen Ausweg. Irmgard heirathet einen Mann, der ihres Vaters Nachfolger wird und seht mit ihm die Dynastie Steinhäuser fort." „So? Wer sagt Ihnen, daß ich das thue?" rief Irmgard gereizt mit hochgerötheten Wangen. „Halten Sie mich für eine Sklavin — oder für eine ewig unmündige Prinzessin, die sich aus Familienrücksichten verschachern läßt? Man soll nur versuchen, mir einen Mann aufzuzwingen! Man soll es versuchen! — Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Ich, ich werde eine Künstlerin!" Betroffen, ob dieser heftigen Abwehr ihres harmlosen Ein falles, der doch nur die Consequenz von Jrmgard's vorher gehenden Worten zog, folgte Gertrud ihrer rasch vorwärts schreitenden Gefährtin. War zufällig ein schmerzender Nerv be rührt? War Irmgard viel weniger Herrin ihres Schicksals, als eS den Anschein hatte? Hans war zurückgeblieben und nicht mehr sichtbar. In der Nähe des großen Springbrunnens blieben die Mädchen stehen. Der Wind wehte den Wasserstrahl seitwärts; er hing wie eine Riesenfeder über daS Rondel hinaus und sprühte seine Tropfen schauer über die Vorübergehenden. Da Irmgard zurückgewandt mit gespannten Zügen und be klommenem Athem in die große Allee starrte, so schlug Gertrud vor, Hans entgegenzugehen, aber Irmgard erwiderte hastig: „Nein, bleiben Sie hier, Gertrud, Sie sind müde, ich —" Sie eilte den Weg zurück, den sie soeben gekommen. Gertrud that ein paar unschlüssige Schritte hinter ihr her, sah ihr nach, bis die leichte, weiße Gestalt allmählich mit der grünlichen Dämmerung der hohen Bogenhallen zusammenfloß — kehrte um und sank erschöpft auf eine der Steinbänke nieder. Ihr Auge ruhte auf den Dunstwolken des Springbrunnens, sie schauerte unter dem kühlen Winde. Nichts sehen — nichts denken, nichts fühlen — sich niederlegen, hier unter Gottes freiem Himmel — um nie wieder aufzustehen! Unterdessen machte Hans Eickstedt einen weiten Bogen durch verschiedene Seitrnalleen und schmale Parkwege und verlor sich endlich in ein schneckenartiges Gewinde schmaler, mit Buchs baum einyefriedigter Gänge, die sich zwischen Blumenbeeten, Taxusgebuschen, Steinvasen. und verwitterten Marmorgöttern ineinander schlängelten. Ungeduldig beschleunigt er seine Schritte, kann den Ausweg aus dem Labyrinth nicht finden. Drüben aus der Hauptallee tritt eine weiße Mädchengestalt, zögert, späht ringsum, thut ein paar Schritte, hält wieder inne, kommt zaghaft näher. Das Herz schlägt Hans; brausendes Glücksgefühl stürzt wie eine Springflut!) über ihn her. Jetzt verschwindet sie, jetzt schimmert ihr weißes Kleid nahe, ganz nahe zwischen den dunkelgrünen Büschen. Hans steht wie an gewurzelt. Sie sieht ihn nicht, schüchtern forschend gehen ihre Augen in die Runde. Eine riesige graue Steinvasc mit epheu- umwundenem Sockel steht zwischen ihr und ihm. Ihre Lippen sind halb geöffnet, wie um ihn zu rufen, ihre Hände gefaltet. — Jetzt — wendet sie sich — kehrt um — da hält er sich nicht, läuft ihr nach, überspringt eines der sauber gehegten Beete — ein zweites, drittes — Er hält sie in seinen Armen, ihre Wange schmiegt sich an die seine, ihre Lippen kommen den seinen entgegen. „Irma", flüstert er leidenschaftlich, „nnr gehören uns, Niemand soll zwischen uns treten. Niemand Dich mir nehmen, mein Lieb, mein Abgott, mein Alles." „Niemand!" stammelt sie. Wie flüssiges Feuer rinnt die Gluth der ersten Manneskiisse durch ihre Adern. Hans küßt ihre Haare, ihren Nacken, wieder und inimer wieder ihre Lippen. Wie vom Wirbelsturm gepackt, fortgerissen von fremder, dämonischer Gewalt fühlt sie sich, wehrt ihm angsthaft, stößt ihn falt mit Heftigkeit zurück, läuft von ihm fort — und in dem Jrrsal labyrinthischer Gänge bald wieder in seine Arnte. «O, nicht doch — nicht! Vernünftig sein", bittet sie, drängt ihn von sich und wendet den Kopf zurück. „Dort kommen Leute." »Ich sehe Niemand — das ist eine steinerne Diana!" lacht er glückberauscht. „Wir tauchen hier unter dem Taxus unter." „Nein, komm' jetzt — Hans —!" Gegen diesen lieblichen Tonfall zwischen Befehl und ängst licher Bitte ist er wehrlos. Er nimmt ganz sanft ihre beiden Hände, küßt eine der rosigen Innenflächen um die andere und legt beide an seine Wangen. So, mit einem strahlenden Blick voll seliger, heißer, stolzer Zärtlichkeit schaut er ihr in die Augen. „Mein Liebstes! Mein Eigen! Jetzt werde ich kämpfen, Dich zu erobern, Irma!" „O komm'! komm'!"^ Und Hand in Hand eilen Beide durch die feuchten Gänge zurück. ' Zwölftes Capitel. Gertrud hatte sich bei dem Ausflug nach Potsdam eine Er kältung zugezagen, mußte einige Tage das Bett hüten und eine Reihe darauf folgender das Zimmer. Zu Anfang leistete Irm gard ihr Gesellschaft, so oft ihre Studien es erlaubten, und spielte mit gutem Willen und geringem Geschick die Kranken pflegerin. Hans wurde fortgeschickt, als er kam, sich nach dem Befinden der Damen zu erkundigen, und erhielt dann schriftlich durch Gertrud Nachricht von ihrem Zustand. Später argwöhnte sie, daß er Irmgard außerhalb des Hauses träfe, ohne daß sie davon erfuhr, und war voll Unruhe und Ungeduld, nicht aus gehen und Irmgard begleiten zu können. Durch die überstandene Krankheit körperlich herabgestimmt, durch das Gefühl einer unerwiderten Liebe, die zu bekämpfen und zu besiegen ihr die Kraft und selbst der Wille fehlte, die der In halt und das Verhängniß ihres Lebens zu werden bestimmt schien, in einen reizbaren und freudlosen GemüthSzustand ver setzt, war Gertrud empfindlicher als sonst gegen unsanfte Be rührungen mit der Außenwelt. Sie machte die kränkende Wahr nehmung, daß man ihr im Pensionat weniger freundlich als früher begegnete. Sie nahm es der Baronin übel, daß sie ihrer Krankheit kaum so viel Beachtung schenkte, wie ihre Hausfrauen stellung gebot, und es verletzte sie, als sie wieder bei Tisch er schien, sich fast absichtlich vom Gespräch ausgeschlossen und mit Irmgard isolirt zu sehen. War dergleichen schon früher vor gekommen, so mochte es ihr nicht ausgefallen sein. Auch war Irmgard nicht ohne Schuld. Sie hatte die übrigen Pen sionärinnen von Anbeginn ziemlich von oben herab behandelt und selten einer freundlichen Ansprache gewürdigt. Und doch war man zuvorkommender gegen sie als gegen Gertrud, und «S wäre ihr ein Leichtes gewesen, sich sämmtliche Gemüthrr zu ver söhnen, geneigt und dienstbar zu machen. . - (Fortsetzung folgt.)