Volltext Seite (XML)
Montag den 4. Oltoder 1920 ««Hflsqe vtr. 828, 8 steht, die restlose Erfüllung de< Frieden-Vertrages bis zum i-TLpsel. chen svrdert und durchsetzt, während man anderseits oft genug in einer merkwürdigen Auslegung der Vertragsbestimmungen wett über Nahmen, Inhalt und Geist des Werists von Versailles hinauSaeht. Um nur eines zu nenne: Wie die fremde Besatzung in den rheinischen Landen sich einrichtet, hat in keiner Weise in den Bestimmungen t»nd Abmachungen von Versailles eine Begründung. Ist es nicht unge heuerlich zu vürw.hmen, daß die gewaltigen Anlagen, di« für ein deutsches rnrtec allergrößten Anspannungen lämpsendes Millionen» sheer in den westliche» Grcnzbezirkn eingerichtet wurden, den Be- sal'iinastruppen noch nicht einmal genügen? Daß vielmehr riesige Anlagen ans Kosten dieses armen und verarmten Volkes, das bald nicht mehr weiß, wo es ein Dach über dem Haupte finden soll, das hungert, da'bt und lriert, geschaffen werden. Daß ein großer, zu den schönste» forstlichen Anlagen dieser Art gehörender Wald im Umfange von 800 klar rücksichtslos abgeholit wird, um Raum für Fahrzeug» an'siellungen und dergleichen zu schassen. Daß zahlreiche Gebäude, ja selbst Priratwohnungen schonungslos ausgaräumt werden, um für stemde Offiziere nutzbar gemacht zu werden, daß in den Bureaus und den Priva Wohnungen der sremdländ'schen B.satzung§v:rtretungen ein Lnrns auf Kosten dos game» Volles herrscht, der in schreiendem Wider spruch zu unserer Wirtschaftslage überhaupt steht! Wlmn man sich das alles vergegenwärtigt, dann kann das Herz allerdings nicht frei zu d"n Nachbarn sich wenden, dann wird es beschwert und bedrückt von tie'er Sck^ae. An uns liegt es nichsi wenn durch diese Dinge immer ! :". neuem eine Kluft Azoren wird, dort wo wir die Brücke bauen möchten zwischen Land und Land, zwischen Volk und Volk. Das deutsche Volk -umal sehnt sich nach Ruhe und Frieden. Auch nach Freden mit lei»"!, Gegnern, mit denen es sich aus blutiger Wal statt m' ffen muß e. Würde man nicht die Hoffnung baben. daß über die Baraaravb>'n!üffe'er am arünen Tffche hinweg di« Völker eines Tages sich linden werden, müsste man an der Zukunft verzweileln. So sehr wi" unter d'r Last und der Bein des schweren SchicksalleS. das uns bctroffcn Hot. bidrn »ud seust-n, so kann uns doch diese Hoff nung p!ch-> oera''b' worden. Wi- lallen uns in dnn Gedanken hieran lüffer Arbeit^lrasi uickü löhmen und unsere Herzen nicht verhärten. Was inune" auch gesehen maa: di» Gerechsigkcit wird siegen! Und freien H !e^s harren wir des Rick'erst'niches der Geschichtel Der N'ß in der unabhängigen Sozial demokratie Je näh r der Parteitag der Unabhängigen rückt, desto heftiger ist im unabhängigen Lager der Kampf um die Sotvjetbodingüngen entbrannt. Es zeigt sich mit jedem Tage dinglicher, wie tief der Riß bereits geht und wie groß die Zerfahrenheit ist, di« innerhalb der urp- abhängigen Partei immer deutlicher zutage tritt. Einen geradezu klassischen Beweis für die innere Zerfahrenheit der Partei bietet das offizielle Organ der Unabhängigen, di« „Freiheit", Dieses Blatt, wel ches wochenlang zwischen den Gegnern und de» Freunden der Sowjet- bedingungen hin und her geschwault hat, veröffentlicht in einer Num mer ein-.n Aufruf an die Parteifreunde, unter lenen Umständen bei den jetzt stattfindendcn Urwahlen für die Telegicr.cn zum Parteitag Anhängern der Sowjetbedingungen ihre Stimme zu geben. Fast im gbichen Atemzuge bringt das gleiche Blatt zwei Kandidatenlisten für den Wahlkreis Potsdam, von denen die Kandidaten der einen für die Aufnahmebedingungen, die d«r anderen gegen sie eintreren wolüen. In der neuen Nummer bringt die „Freiheit" dann wieder einen Aus ruf dxr Zt.ntralkommission der Unabhängigen, dclx die „Genossen" auf- sordert, nur Delegierte zum Parteitag zu wählen, die Gegner der 2l Bedingungen sind. Wir führen dies alles nm an. um zu zeigen, daß drx Riß innerhalb der unabhängigen Sozialdemokratie unheilbar ist, daß die Part«! sich in zwei Hülsten innerlich bereits gespalp-n hat und daß diese Scheidung der Geister, mag der Parteitag auch eine Verkb.isterung des Nisies bringen, eine endgültige ist. Wir können uns üb igens für die Nichtigkeit unserer Auffassung auf ein«,, einwand freien Zeugen berufen, das ist die „Freiheit", die selbst von der „be ginnenden Spaltung" spricht. Die Spaltung der Unabhängigen kann innerpolitisch insofern von Bedeutung werden, als die Bewegungs freiheit der M.hrh.'ftsfozialrsten zweifellos dadurch gewinnen wird, wenn es auch fraglich ericheint. ob sich die Hoffnungen der Mehrheits- sozialisten, daß der rechte Flügel nach erfolgter Trennung zu ihnen übergehen würde, verwirklichen werden. Nach Aeußerungen führender Männer des reell en Flügels der Unabhängigen ist di«'e Hoffnung kaum berechtigt. Wie dem aber auch sein möge, die unabhängige Sozial demokratie wird, wen» die Spaltung endgültig erfolgt, auch in ihrer parlamc itarischen Einflußnahme ganz zweifellos nicht unerheblich be einträchtigt werden: auch insofern dürste also diy Spaltung nicht ohne inncrpolitisck'e Folgen bleiben. Ans der anderen Seite ist damit zu rechnen, daß der linke Flügel der Unabhängigen nach erfolgter Tren nung mit fliegenden Fahnen in das Lager der Kommunisten übergehen und damit die Kräfte der äußersten Lintz n nicht unerheblich verstürben wird An dieser Ta sach» wird ein vorsichtiger Politiker nicht Vor übergehen können. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die schwer-'» Sorgen, die der kommende Winter dem deutschen Volke brin gen wird, vo„ de» Kommunisten nach Kräften ausgcnuht werdin wird, um ihre Ziele zu fördern. Daß sie zm Erreichung dieser Ziele durch tz» Zutritt eines «ehe oder minder «roß«» TttiloS tieft Unabhängi ge« grftärtt wird, liest auf der Hemd. Di« Gefahr erscheint un» um so größer, als Icke MeimmgSverschiedhuheiten, di« d«ch die Cowjet- oedmgungen innerhalb der unabhängigen Partei hervorgerufen sind, durchaus nicht grundsätzlicher Nat«r sind, sondern vielmehr taktischer Natur. DaS beweist mit aller Deutlichkit ein Aufsatz, den der be kannte Führ«» dier unabhängigen bezw. feines rechtes FMgelS, dsr Abgeordnete Ledebour, vor wenigen Tagen in der »Freiheit" (Nr. 40S) veröffentlicht. Er stellt fest, daß die Unabhängigen einig darin sind, daß nur die „folgerichtige Durchführung der sozialistischen Gesell- schasts- und Wirtschaftsordnung uns retten kann", daß .die intev- national« Verständigung und das internationale Zusammenwirken de» revolutionären Proletariats nach Möglichkeit zu verwirklichen ist", und daß endlich „unsere dringendste internationale Pflicht die möglichste Abwehr aller Angriffs- und Schädigungsbemühungvn ist, di« von den Ententemächten gegenüber Sowjetrußland unternommen werden". Meinungsverschiedenheiten bestehen, wie Ledebonr das ausführlich dar legt. nur über den Weg zur Verwirklichung do« obengenannten Auf gaben. Wenn das richtig ist, und wir zweien nicht daran, denn für diesen Fall darf man Herrn Ledebour wohl als Sachverständigen a»sprechen, dann ist ferntr mit der Gefahr zu rechnen, daß eine starke kommunistische Partei der oft beobachteten Erfahrung gemäß eine große Anziehungskraft auf den Rest di unabhängigen Part«! aus- üben wird, und dieser Einfluß wird um so stärksr sein, als die Gegen sätze nicht grundsätzlicher, sondern nur taktischer Natur sind. Wir weisen deshalb auf die Möglichkeit eines solchen Werdeganges hin, weil cs »nS na'wendig erscheint, daß di.- staatSerhaltenden Parteien sich beizeiten nicht w<r der Gefahr bewußt sink, sondern auch daran denken, rechtreitia geeignete Maßnahme» zu treffen, um allen Möglich keiten. die sick daraus entwickln können, en^aegentreten zu können. Die Gefahr ist nicht nur für das Bürgertum drohend, sonder» ebenso für die Mehrheitssozialbrinokratle. die genau wie die Unabhängigen den Kampf um die Erhaltung ihrer Partei eines Tagst? oukncbmen werden müssen. Dr. F Deutsche Volksparte'r u. Sozialdemokratie Der dnttsch-volksparteiliche Abgeordnete Dr. Maretzki nahm in einer Versammlung in Jena Stellung zu den gegenwärtigen Presse- Erörterungen über die Frag« des Wiedereintritts der Mehrheits- sozial-demolraten in di« Reichsregierung. Da diesen Ausführungen nach der Erklärung des Vorsitzenden der Charakter einer Ansichts äußerung der Fraktion der Deutschen Volkspavtei zukommt, sollen nachstehend einige Hauptpunkte hervorgehoben werden. „Die Bereitwilligkeit, die Dr. Stresemann ausgesprochen hat, mit der Sozialdemokratie in einem Kabinett zusammen zu arbeiten, beziehe sich darauf, daß die Vo-'kspartei die fo-rmale Anwartschaft der Rt.chtssozialisten, an der Negierung teilzunehmen, anerkenne, und zwar sowohl ans Grund ihrer Stärke, als auch nach dem Wortlaut der Ver fassung. Dis Bereitwilligkeit habe aber keinerlei Zugeständnisse zur Folge nach der Richtung, daß die Volkspartei in den sachlichen Fra- gn d r praktischen Politik der Sozialdemokratie nachgeben wolle. Wir sind nach wie vor entschlossener Gegner des Sozialismus. Dis Be dingungen. die Abgeordneter Müller-Franken für den Wiedereintritt dsr Sozialdemokratie in das Kabine t gestellt hat, das Bekenntnis zu einer pazifistischen Politik und zur Durchführung der Sozialisierung, könne die Deutsche Volkspartei nur als Herausforderung ansehe». Ein« Sozialisierung glaube die Deutschs Volkspartei nur dann ver antworten zu können, wenn mit ihr «ire Steiqetnmg der Produktion Verbund'» und damit die Grundlage für eins wiv'schastlickie Erstarkung des deutschen Voffes gegeben sei. Heute treffe diese Voraussetzung nickst zu. An ein ersprießliches Zusammenarbeiten zwischen der Volkspaktei und der Sozialdemokratie in einem Kabinett sek also nicht zn denke». Vflickst dr D-wsch-st, Volkspavtei sei es, alles zu tun, um einen Konslik- zwilchen den beiden großen Gruppen des deutschen Volkes, dem Bürgertum und der Arbeiterschaft, zu vermeiden An gesichts der undurchführbaren Theorien des Sozialismus müsse die Dsist'chu VolkSvart-ei bestrebt lein, eine Einheitsfront des Bürgertums mit dem sreibeitlich aesinnten Teil- d»r esrbeilln-sch-ist ni schaffen. Der Redner betonte wiederholt, daß diu Volkspartei die Bedingungen der Sozialdemokratie für den Wiedereintritt in das Kabinett unter allen llw.stöndei, und in der schärfsten Weise ablchne. „Erzberger wieder in Staatsdiensten" Unter dieser Spitzmorke übernehmen Blätter der Rechtsparteien eine angeblich von politisch unterrichteter Stelle dem „Neuen Tag- blatt" in Stuttgart übermittelte Nachricht, die besagt, daß der A' a. Erzbcraer schon jetzt dem Reichfinnnzministerium seine höchst einflußreiche Tätigkeit widmen solle, und daß er „nicht mehr oder weniger als der spirituS rector" des NeichsfinanzministcrS Dr. Wirth sei. Die Rechtspresse die diese Meldung begierig aufgreift, glaubt dieser Meldung natürlich unbesehen und wittert dahinter die Absicht des Abg. Erzberger, demnächst wieder in Staatsdienste zu treten. Für die Rechtspresse genügt ja schon allein die Tatsache, daß der Abg. Erzberger seinen Wohnsitz wieder nach Berlin verlegt hat, um sofort dahinter in ihrem Sinne allerlei finstere Pläne zu wittern. Die Rechtspresse mag sich beruhigen. Wie uns von durch, au» zuverlässiger gut unterrichteter Seite mitgeteilt wird, ist an der ganzen Meldung de« Neuen TagblatteS" kein wahre» Wort. Her» Erzberger hat nicht di» Absicht, au» der von ihm bisher beobach. teten Zurückhaltung herauszutreten. Die Vermutung her Rechts- presse, daß die angebliche Tätigkeit Herrn Erzberger» mit den Plänen einer Zwangsanleihe im Zusammenhang stehe, ist umso unbe- gründet«», als Vieser Plan nicht erst jetzt, sondern schon vor einiger Zeit entstanden ist, wo Herr Erzberger überhaupt nicht inIBerlii, anwesend war. Zur Brüsseler Konferenz Brüssel, 2. Okt. Die gestern Sitzung der Finanzkonferen, bracht, neben einer kurz»« Besprechung de« Vorschlages einer inter. nationalen Bank von Delacroix vor allen Dingen da» bedeutsame Projekt des holländischen Bankier« Lermeulen. Nach diesem Projekt soll eine Organisation geschaffen werden, die dem Warenverkehr hinsichtlich der Sredilabwicklung eine siche« Grundlage gewährleistet. Diese Grundlage sieht eine Zentral- kommissioa vor, die von mehreren Staaten gebildet wird und der dis Aufgabs übertragen ist. «inen Sicherheitsfonds zu vermaltem Dieser Sicherheitsfonds wird durch Steuern und andere Einnahmen der an dem Projekt beteiligten Staaten gespeist. Bon dieser gehen auch Obligationen heraus, dt« den eigentlichen Kreditverkeh, zwischen den Importeuren und Er porteuren aller de. teiltgten Länder vermitteln soll. Nur für den dringendsten Bedarf sollen Kredite gewährt werden, auch nur für Rohstoffe zur Her. stellung von Halb und Aertigfabrikaten, die wieder für den SWrt bestimmt sind. Aus dem Erlös de» Exporte» sind sodann dievd- ltg^ttonen «i'-zu'ösen Such In der heutigen NachmittagSsitzunz ergab die Besprechung über den Plan von Termeulen eine grund. sätzltche Zustimmung Sr ist in der Lat «in wohlzubeach. tender Vorschlag. Der Franzose «venol äußert« sich zu dem Vorschläge Ter- meulenS über den internationalen HandelSkredit dahin, dag diese, Vorschlag gegen den von Delacroix einen Fortschritt bedeute, er sei mehr anpassungsfähig und habe Haupt'Schlich den Vorzug, Schuldner und Gläubiger in unmittelbaren Beziehungen zueinander zu belasse«. Svenol spricht seine Zustimmung unter Vorbehalt aus, weil nach seiner Meinung eine internationale Organisation, die dis finanzielle Solidarität der Völker praktisch verkörpern würde, not wendig sei. Hierauf wurde d'e Erörterung geschlossen. Die Tages ordnung der Konferenz ist erschöpft, nunmehr wird dem Ergebnis der AuSschußbe otiingen entgegengesehen. Der Präsident der Konferenz bildete einen besondecen Ausschuß, der die Aufgabe bat über d'e st mnzielle Verfassung der einzelnen Länder einen Bericht zu verfassen. Von deutscher Sette ist in diesen Ausschuß Prof Dr. Lotz-München gewählt. W e versiehe t wird, hat der Finanzausschuß der Kon. serenz den Wortlaut einer Entschli-ßung über die öffentlichen A»kgaben festgesetzt E' empfiehlt darin d:n Reiterungen: l. Gleich gewicht dec Staatshaushalte, 2. Deckung der ordentlichen Ausgaben durch ordentliche Einnahmen 8. Verminderung der Rüstungen, 4. Verwendung von Anleihen zur Armertisierung der schwebenden Schuld. Englisch-fran öfische Gntf.emdrng Amsterdam» 2. Oktober. Ter Souderlchtcrstatter des „Daily Cbronicle" schreibt zur Rede de» amerikanischen Delegierten auf der Brüsseler Finanzkonferenz, England könne e» sich nicht leisten, sich die wesentlichen Tatsachen der schwierigen Lage Europas noch länger zu verhehlen. Frankreich habe sich von England getrennt. E» bestehe nicht nur eine Spaltung i« der Enienie, für wichtige Zwecke bestehe die k stente selbst kaum noch Nachdem in Spa Lloyd George versucht habe, die Grundlagen zu finden, auf denen die gesamle EnischädignngSiumme Deutschlands in kurzer Zeit festgesetzt werde» könne, und nachdem ihm dies nicht gelungen war, habe er ein neues Zusammentreffen mit den Deutschen in Genf vorgeichlazen. Millerands Weigerung sei ein übler Schlag gewesen. Die Darlegungen BoydenS, daß die Sieger den Besiegten cntgegen- kommen und ein fester Friede und eine wirkliche Einigung zustande kommen müßten, ehe Amerika Hilfe leisten könne, sei ein Kommentar zu den bestehenden Talsachen gewesen. Der Berichterstatter schließt: Man darf fragen, ob auf der Versammlung dcs Völkerbünde», die Mille November stattffmdet, die britischen Delegierten nicht ebenso sprechen solle t wie Boydea, wrnn unsere Ficunde in Paris »och immer unversöhnlich sind. Deutsch-französische Verhandlungen Paris, 8. Oktober. Der Vorsitzende der deutschen Slbordmmg in Brüssel wird at« Vertreter der Wi^erheistellungskoinmission seinen Sitz in Paris nehmen. Bermu lich wird der deutsch-franzö sische Gedankenaustausch über bei, Schadenersatz in Ber lin stattfind«», da der französische Botschafter in Berlin allgemein als einer der besten Kenner sämtlicher Fragen, die dabei berührt wer den. gilt. Paris, 8. Oktober. Nach „Ere Nouvelle" ist der franzMche Botschafter in Berlin Laurent gestern abend in Paris eingelrosieu. Die Verderberin Roman aus der römischen Eampagna von Peter Dbrsler ll4. Fortsetzung.) Wie eine wchidurchbr chende Fiul in steigender Leidenschaft war die Rede hervorgequollen, so naturhaft unwiderstehlich, daß deir Pater die Hände saftete und voll innerem Beben seuszie: „Filiolo, wie schäumt das Meer »n-d spntzt Gischt und Wogen! Romolo, du schauerst vor einem Abgrund! Aber wage es einmal, klar und scharf in seine Tiefen zu schau:», wage es, auf jene Gedanken zu horchen, die du Dämonen nennst. Sage dir taps.r: Ich bin ein Ju-de. Meine Mutter und meme Ahnen waren Israeliten, alle bis hinauf. — O Romolo, laß einmal deine Phantasie, die immer um Noms Hrrrlichlciten kreist, um Si»:-S Zinnen flattern. Wie wei: führt dein Stammbaum hinauf, wenn d ine Voreltern jenem unvergleichlichem Vols.' angehörben! Als die Römo>' noch ein Geschlecht von Räuden wavn. da lonnt« sich in Jerusalem schon jeder Wasserve käukr und Lastträger königlichen Blu tes rühm.m. Von einem Herrscher in Israel beißt es, daß er von den Schultern an über alles Volk hinausragte. C>gx einmal Moses und Isaias neb'n die Großen der Evdx! Sind si: nicht Berge untr^: Hüg-ln Ströme unter plätschernden On:'! n? Du mast wohl: Aber sie haben kein großes Reich gebaut. Wo ist dos Land wo sie nicht g-berrlcktt haben? Kunst? Der salomonisch? Tempel ist die ei"'.ige. Blüte, und sie ist längst spurlos zerstäubt. Ja — aber min Sahn, wie zeige ick> dir Judas Größe? Sich baut di? Pinie, eine Köniain! Ihr Stamm scheint gebaut, das Himmelsgewölbe zu tragm. Jhm Kron? ein Wunder von Kraft und Maß. Dagegen dort der Oelbanm: zerschlissen der nied.tre Stamm. Lauter Armut, Not, Vwirüminnn-f und Verkümmer"ng Soll ich dir die zwei Bäume deuten? Die Pinie ist Rom. D, Oelbomn Juda Der Lcnbm der Menschheit hat Inda immer anl Seine g-'pffanst. Es wurde früh - rsvaltm. »-rtreten, zer rissen. Abm überall hat eS mit köstlichem Oel die Völker gesegnet. Sein Mut war der anderen Nahrung Wir alle >ch)cen nicht von der königlichen Vinien, sondern vom kümmerlichen Oelbaum. Dar Messias wollt: lein Zweig aus römischer Wurzel sein — or ist aus dem alten, heiligen Oflbaum herausgewachsen. Und du, Romolo? Dich hat Eirce verzaubert sonst müßt-st du auffauchz-en: Juda ist das Volt der Bölk!-. ,md ich sein Sohnl« Der Greis schwieg und horcht-: mit geschlossenen Augen, wie er füllt von inneren Bildern, zu dem Schüler hinübe-r. Dieser schüttelte leise den Kopf, ließ seine Augen schwärnr-risch über Rom- sonw- übevstrahfte Herrlichkeit gleiten, und in seinem Antlitz war der Zug eines Li.st.ndm, der Treue schwört. Er küß!« dem Pater stumm die Hand und ging langsam die Stufen hinab, um einen einsamen Platz zu suchen und dort alle Brunnen des Schmerzes zu öffnen. Der Pabw blickte ihm traurig nach, dann lehnte er sich zurück und betrachtete wie ein Ratloser das dichte Gewinde be>r Neben. Wie blutro e Wunden leuchteten einzelne Blätter zwischen dem schwäcz. lichen Gemäuer. Des Paters Gemüt übcnnannte «ine unentrinnbare Schwermut. Ja — so ist römische Jugend, so ist er auch gewesen. So sind sie seit Cola di Rienzis Tagen als Schwärmer herangczoochsen und an ihten Träumttn untergcgangen. Dmn nie hat diese bren nende, wunderliche Blüte Frucht gebracht. Immer haben sie geglaubt, große Träume würden von selbst zu großen Taten. Als Sprossen Roms haben sie alles Niedere verachtet: kleine Arbeit, stille Pflichten, nüchterne Beharrlichkeit. Darum sind sie nie gewachsen und als Zwerge und Schwächlinge an den weltumspannenden Plänen zugrunde ge gangen. Indessen überdeck!« sich der Himmel mit der Glut des Sonnen unterganges. Ein zweiter Herbstgarten tat sich am strnen Mslhori- zont auf. Auch dort oben schienen auf einmal herbstliche Ulmen und Platanen ihre Ä.ste auszuboelten und mit dem flockigen Golde üppiger Biattersülls zu schmücken. Auch dort oben waren ungeh^ire Blut- st eilen und girlandenartig hingezogen« Bläticrgewindp sichtbar, und Lauben unk Blumenbeete zogen in rosigem Geäder hoch in den Him mel hinein bis dorthin, wo er sich ostwärts wieder senkte. Bei diesem Anblick verließ der Pater wie so oft den seist«."., harten Boden und wandere in die himmli'chen Gärten hinein. G.'ine Phantasie ließ ihn fast vergessen, daß sein Körper noch am grauen Gemäuer der Veranda lehnte. Im Wciterschreiten spann er heimlich Träume von der Größe Roms. Wann wird dqr Tag kommen, da sich diese himm lische Glorie wieder herabsenk» wird auf die sieben Hügel am getben Strome? Zn Augustus Zeiten war cs für den- irdischen Bereich wahr geworden, welcher Papst würde es für das Innere und Geistige vrr- wirklichen? Kunst des Himmels und Wissen des Himmels müßten dann die paradiesischen Quellen sein, die Scdle und Natur befruchten, und schön müß'e die Camvaqnn sein wir die goldene Himmelspracht, dies zdMcßende Zeichen und Symbol für feste »nd dauernd« Zustände. Wer b.mctt das neue angulinschc Zeitalter? Wer ist sein König und Held? Romolo, vielleicht Romolo . . ,? Der GceiS schlug mit einem lauten Mea culpa an die Brust, weil er sich eben wieder seines Wahnes bewußt wurde. Alles in ihm war matt und lahm geworden, nur nicht sein« Phantasie. -Diese hatte immer noch Wangenrot und beflügelt-: Füße, und alle Askese hatte ihr noch nicht Mauern und Dämme gebaut, die stark genug waren, dir plötzlich ausbrechenden Brunnen der Tiese zurückzuhalten. Ms er endlich von der Veranda niederstieg, läutete eben die Wosterglocke, die für die Schüler das Sammelzeichen und den Ruf zu der Studierbank bedeutete. Diese schossen wie Schwalben aus de» Lauben und Gängen hervor und stürzten gegen das cnge Seitcntür- chen, hinter dem die steile Seiienwsndeltrcppe zum oberen Stockwerst führte, wo die Arbeitsräum« lagen. Um die Zeit nach Sonnenunter gang soll der Römer das Innere des Hauses ausfuchen, denn in der Dämmgrung g;ht der Fiebergeist um. Auch Antonio beeilte sich, Denn eben, als er mühselig die Treppe mederstieg und das unsicl>eck Tasten seines zitternden Fußes von Stufe zu Stuf« zum Gleichnis für die beschwerliche Arbeit des suchenden und forschenden Menschen- geistes nahm, da kam ihm auf einmal der Gedanke, daß er Romolo habe entwischen lassen, ohne ihm das Mittel anzugebsn, das die ge fährliche Spannung seiner inneren Welt sacht und unschädlich lösen könnte: Schreibend hat er diese scblas.-nde Sehnsucht geweckt, schreibend soll er sie auch wieder einschläfern. Eben wollte Romolo an ihm vorbeischlüpfen, um als »etter durch das dunkle Pförtchen zu verschwinden, da rief er ihn an. und eis der Liebling demütig und wie ein ertappter Sünder an ihn dev- antrat, da legte er ihm die Hand auf dein Scheitel und sprach: »Ro molo, du denkst jetzt dies und das. zäumst bald vorn, bald hinten auf. Das wird dir nie Klarheit bringen. Führe dein Vita« cultri- eulum schriftlich wviterl Dadurch zwingst du dich, in chronologi scher Folge deinem Leben nackizugeben, es Schritt nm Schritt zu ver folgen, den Erinnerungen das rechte G-nvicht zu geben und auS d- inen Beobachtungen im Zusammenhalt sickv'ie Linien zu gewinnen, die dich zur Klarheit über gewisse Zweifel führen wsrdenl Du sehest Legnen Lieben damit zugleich ein schöw's Denkmal, und wenn ein- mak! dein Gedächtnis alt und gebrechlich sein wird wie meines, damt hast du ein lebendiges Zeugnis und Andenken, das für dich — unÄ wer kann eS wissen — für die Nachwelt von unschätzbarem Werte sein wird. Avanti Romolo, rxegi monumentum, . , . denk an da« Horazisch).> Wort! Und dann, was man geschrieben hat, das hat maß überwunden. Was dir aus deiner Seele gehoben, ausgesetzt und weg gestellt hast, das liegt vor dir da wie ein Fremdling, ein abgelegte« .Kl-id. Dir bleibt sa manche freie Stunde, du bist ja der Liebling de« Musen." Und da -r dies sprach, kraute er ihm im Haar, kost« seinen Scheitel, und di? Stimme winke so weich und väterlich, daß sie Liebe und Rührung wie ein zarter Hauch umwehten. „Romviflno, tue, Mo dem Pater dir ritt; schreib alles so, wie wenn nur himmlische Lese« dir über die Schulter schäum, würden. Nicht denke an Pater Romualdo, auch nicht an michl Ich werde, wenn tu eS willst, die Blätter an schauen wie ein heilig« Buch mit sieben Siegeln." (Fortsetzung folgt.)