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Umgebung die V gespaltene Petitzeile 25 Pf„ finanzielle Än- zeigeu 30 Pf., Reklamen 75Ps.; von auswärts 30 Pf., Reklamen 1 M.; vom Ausland 50 Pf., finanz Anzeigen 75 Pf., Reklamen 1.50 M. Inierate v. Behörden im amtlichen Teil 40Pf. Beilagegrbüdr 5 M. p. Tausend exkl. Pos'- gebühr. «Heicbästsanzeigen an be >orzugpr Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Taii' Fesierteilte Aufträge können nicht zuruü gezogen werden. Für das Erscheinen an bellimmten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen - Annahme: AugnstuSPlat; K, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen» Expeditionen des In» und Auslandes. Haupt-Filiale Berlin: LarlD u ncker,Herzgl.Bayr.Hosbuchhandlg.. Lützowstraße 10 (Tel. VI, 4603). Nr. 114. Donnerstag 25. April 1907. 101. Jahrgang. Var Mcbtigrie vom Lage. * Der Kaiser ist wieder nach Homburg zurückgekehrt. (S. DtschS. R.) * Im preußischen Abgeordnetenhaus erklärte derFinanz- miuister zur Börseureform, die Terminspekulation im Getreide könnten wir niemals zurückbekommen, wohl aber eine bedin guugSweise Wiederzulassuag des Termin» Handels in Effekten. (S.Dtschs.R.) * Wie die »Leipz. BolkSztg.' mitteilt, wurde in ihren Geschäftsräumen wegen angeblichen Hochverrats die Liedknechtsche Broschüre „Militarismus und Antimili tarismus" beschlagnahmt. * Ja dem Prozesse gegen die ehemalige Kammer frau der Prinzessin Amalie von Schleswig-Holstein, MilewSka, erkannte das Gericht auf Freisprechung, da der Sachverhalt durch die Berhandlung nicht auf geklärt erscheine. (S. Gerichtssaal.) * In Odessa wurde ein Gefängnis-Direktor er mordet. (S. AuSl.) * Die Unterzeichnung der makedonischen Steuer- Reform steht anscheinend endlich bevor. * Die spanische Regierung bestreitet die Nachricht, daß die Pest in Cartagena ausgebrochen sei. * Di« spanische Alhambra steht, wie uns ein Tele gramm aus Granada melvet, vor dem Einsturz. (S. Neues a. a. Welt.) * DaS City und Suburban-Handikap zu Epsom gewann Mr.Jacksons „Belocity" überlegen gegen „Larino' und .Succour". (S. Sport.) Fiedler unck Anwalt? Im Zeitalter der Paarung konservativen und liberalen Geistes blüht der Weizen der Mischpolitiker, der Ewig- Schwankenden, der Hin. und Herläufer. Wir baden von Anfang an betont, daß wir in dieser unvermeidbaren Folge erscheinung der Blockpolitik eine große Gefahr erblicken, die als geringeres Nebel zu betrachten, nur die Not der Stunde gebieten konnte. Aber das entbindet uns nicht von der Pflicht, nach Kräften der künstlichen Verwischung der natür lichen politischen Grenzen entgegenzuarbciten und unsere liberalen Grundsätze nicht verwässern zu lassen. In den „Leipziger Neuesten Nachrichten" vom 23. April ist wieder so ein Verwirrungspolitiker am Werke. Er schreibt über die Justizdebatte im Reichstage und scheidet die Geister nicht nach ihren Grundsätzen, sondern nach Berufen. Er hat ent deckt, daß „gescheute Männer wie Wagner und Darenhorst, die in ihrem privaten Beruf am Richtertische sitzen, die einzelnen Fragen völlig anders beurteilen, als die Anwälte Junck und Ablaß, und natürlich auch als Herr Heine". Wir wollen darauf verzichten, auf die an sich ja sehr interessante, aber auch komplizierte Frage einzugehen, wie Beruf, Stellung und Milieu auf die politische Gesinnung wirken, und wieviel ursprüngliche Geistesrichtung zur Wahl des Berufes bei trägt. Aber wir wollen es doch nach Möglichkeit verhüten, daß sich die Meinung festsetzt, es handele sich bei der Beurtei lung dieser Angelegenheiten der Justizpflege etwa nur um Fachsimpeleien, bei denen sich ausschließlich Richter und An wälte gegenüberstehen. Zum ersten: Es gibt eine schwere Menge konservativer Anwälte — siehe Herrn Justizrat Wagner, den Vorsitzenden des Ostmarkenvereins. Und es gibt, Gott sei Dank, noch eine ganze Anzahl liberaler Richter — siehe Herrn Müller-Meiningen. Aber die Hauptsache ist: Es handelt sich hier nicht um den Beruf der Dekalier, sondern um ihre politische Gesinnung. Und deshalb wollen wir doch mit aller Schärfe betonen: „di: gescheuten Männer" Wagner und Varenhorst sind erzreaktionäre Konservative, und Junck und Ablaß sind gut liberale, fortschrittliche Poli tiker. Das ist die allein zutreffende Klassifizierung. Wie diese Männer zu ihrer Ueberzeugung gekommen sind, wieviel die Anlage und wieviel der Beruf dazu beigetragen hat, soll uns nicht berühren. Wir halten uns an die Tatsachen. Und nur auf Grund dieser kontrollierbaren Unterlagen wollen wir Kritik üben. In dem erwähnten Artikel des Leipziger Blattes liegt eine unausgesprochene, aber doch recht deutliche Herabsetzung der politischen Ueberzeugung. Sie wird im wesentlichen als ein Produkt von Aeußerlichkeiten, Zufälligkeiten hingestellt. Das ist aber um so weniger richtig, je höher das Individuum steht, das in Frage kommt, je mehr es befähigt ist, über die Schranken des täglichen, beruflichen Lebens hinweg zu blicken und die allgemeinen Werte zu erfassen. Und von Herrn Junck zumal haben wir die Ueberzeugung, es mit einer recht selbständigen Persönlichkeit zu tun zu haben. Er hat beim Justizetat liberale Forderungen vertreten. Nun mag man sich zu ihnen stellen. Man mag sie billigen oder bekämpfen. Man soll aber nicht versuchen, sie als spezifische Anwalts forderungen zu diskreditieren. Und man soll auch nicht die „gescheuten Herren Wagner und Varenhorst" als Prototype des ganzen deutschen Richterstandes ausgeben. Herr Wagner dürfte d-n meisten doch wohl zu weit rechts und Herr Varenhorst doch wohl politisch nicht fest genug stehen. Warum sagt der Verfasser dcS Artikels nicht einfach: Die Forderungen Juncks sind unS zu liberal! Dann würde «ar-.it herrschen. Wir müssen Klärung der Sachlage auf die Vorgänge vom Sonnabend im Reichstage zurück kommen. Herr Wagner hat nicht nur gesagt, dem Rechts anwalt oder Arzt vertraue man etwas an, damit er es geheim halte, und dem Redakteur, damit er es veröffentliche. Das bedinge eine verschiedenartige legislatorische Behand lung der Zeugcnpflicht. Herr Wagner hat auch gesagt, und das steht leider nicht in dem Artikel der «Leipziger Neuesten Nachrichten", die Beseitigung des Zeugniszwanges für die Presse bedeute nur einen unverdienten Schutz derer, die aus einem Versteck heraus die Öffentlichkeit aufrütteln wollen. Man sollte meinen, daß einer solchen krassen Verständnis losigkeit der Aufgaben der Presse gegenüber sich kein moderner Journalist finden würde, der solche Stellungnahme auch nur toleriert. Mer das ist ein Irrtum. In dem Artikel des Leipziger Organs wird sogar unverhohlen mit Herrn Wagner sympathisiert. Man muß als Journalist schon sehr seltsame Anschauungen von seinem eigenen Berufe haben, um das verständlich finden zu können. Dasselbe muß gesagt werden von der Bemängelung der Garantien, die der Redakteur im Vergleich mit dem Rechtsanwalt oder Arzt biete. Aber vor allem vermissen wir das erste und wichtigste Argument für die Befreiung vom Zeugniszwang der Redak teure. Der heutige Zustand läßt den staatlichen Versuch zu, den Redakteur zu einer unmoralischen Handlung zu zwingen. Das ist demoralisierend — für den Staat, wie für die Presse. Und allein schon deswegen muß mit diesen Ver hältnissen aufgeräumt werden. Um die Quintessenz zu ziehen: Wir schätzen nun einmal die Klarheit zu hoch, um sie ruhig trüben lassen zu können. Die Kandidatur Junck, mit der sich das ganze bürgerliche Leipzig einverstanden erklärt hat, war eine ausgesprochen liberale Kandidatur, und Herr Junck ist ein liberaler Ab geordneter geworden. Wir billigen die Haltung des Leipziger Vertreters, weil sie mit unseren eigenen liberalen Ansichten übereinstimmt. Und wer sie nicht billigt, vielmehr mit dem „gescheuten Herrn Wagner" sympathisiert, der ist eben nicht liberal, sondern konservativ oder gar reaktionär. Das wollten wir festgcstellt haben. Vie engllrcde Steuerrrksrm. (Von unserem Londoner ^.-Korrespondenten.) Mr. Asquiths Budget oder richtiger die darin enthaltene groß« Finanz- und Steuerreform ist die erste wirklich be deutende Tat, welche das liberale Kabinett in der inneren Politik zu verzeichnen hat. Wie alle vollausgcreiften Re- sormvorschlägc in England, findet sie überdies kaum einen nennenswerten Widerstand; selbst Austen Chamberlain hat seinem Nachfolger nur ein paar protektionistische Verlegen heitsphrasen an den Kopf geworfen; im übrigen aber mit warmer prinzipieller Zustimmung die Unterstützung der Unionisten bei der Durchführung der Reform zugesagt, und seitdem schweigen auch die konservativen Parteiblätter still. Keil Hardie hat das Budget „brutal" genannt, weil es nicht sofort die Altersversicherungen bringt; aber Keir Hardie liegt krank im Bette, schwerkrank, und die offiziellen Sprecher der Arbeiterparkei haben sich, unbehelligt von dem alten Rauschebart, für befriedigt erklären können. Die Steuerreform wird also mit größter Einmütigkeit vom Un terhause angenommen werden. Das ist eines der größten Ereignisse in der neuesten englischen Geschichte. Es bedeutet so viel, als wenn heute im deutschen Bundesrat und Reichstag die Reichseinkommensteuer angenommen, und das Reich finanziell auf eigene Füße gestellt würde. Die Liberalen bezwecken mit der Reform zunächst die Grundlegung einer ausgedehnten Sozialpolitik. Die Oppo sition, die mit der Sozialpolitik seit den 60er Jahren, mit den Alterspensionen seit 1901, Chamberlains Zollvereins kampagne, gekrebst hat, läßt aber gar keinen Zweifel darüber, daß sie neben der Einführung der Einkommensteuer als dauernder Institution aiych den Wiederaufbau der Zoll wälle behufs Verbreiterung der Steuerbasis anstrebt, und wenn sie wieder an das Ruder kommt, beide Finanzquellen neben einander ausnutzen wird. Liberale und Unionisten streben in letzter Linie die Verbreiterung der Steuerbasis au, nichi nur, weil sie die Mittel für die sozialen Versicherungen bereitstellen wollen, sondern vielmehr zur Vorbereitung der erhöhten maritimen und militärischen Anstrengungen, denen England entgegen geht. Ob Haldanes Territorialarmee das letzte Wort ist, was niemand glaubt, oder ob wir dicht vor der Einführung des „eornpulsor? servios" stehen, (der ja zunächst nur ein« be schränkte und keine wirklich allgemeine Wehrpflicht sein würde), wie alle erprobten Beobachter glauben, die sich ver gegenwärtigen, welche «normen Fortschritte in den beiden letzten Jahren der Gedanke des „Volkes in Massen" gemacht hat — in jedem Falle geht England, das England der Haager Konferenz und des aus Gründen innerpolitifcher Taktik ein gebrachten Abrüstungsvorschlages, großen Militär ausgaben entgegen. Und ganz das gleiche gilt von der Flotte. Di« Einkommensteuer in der Höhe von 1 Schilling per Pfund Sterling war eine Kricgssteucr. Und ihre unbestrit tene dauernde Annahme in der Höhe von Schilling als Pivot des ganzen Steuersystems in dem direkten Steuern so abgeneigten England, ist der schlagendste Ausdruck der Stimmung entschlossener Opfermutigkeit für die Organi- sation des „letzten europäischen Kampfes", von dem jetzt wieder so viel die Rede ist. Noch vor 12 Monaten, -Is das Versprechen der Sozial reform schon auf seiner Seele drückte, erklärte Mr. Asquith: „Eine Einkommensteuer von 1 Schilling in Friedens zeilen istunmöglich zu rechtfertigen und schwer zu verteidigen." Und jetzt -rfiärt derselbe Schatzkanzler, der Jünger Gladstones, welcher die Einkommensteuer eine ge- jährliche und demoralisierende Steuer" genannt hatte, die N-Tchillingtaxe für einen ,chauerndenund integrie renden Bestandteil des Finanzsystems", der eventuell später erhöht wird. Da muß man unwillkürlich fragen: Leben wir denn nicht in Friedcnszeiten? Oder loben wir in „Kriegszeitcn?" Der Schatzkanzler selbst hat an die Entstehungsgeschichte dieser Steuer erinnert. Sie wurde in der dunkelsten Stunde des großen Kampfes mit Frankreich, im Jahre 1798, vom großen Pitt eingeführt. Auch daran hat der Kanzler mit Stolz erinnert, daß die „Vorfahren die Dinge nicht halb taten", daß die Steuer damals aus 2 Schilling oder 10 Pro zent festgesetzt wurde. Es ist wahr, daß die Steuer, als sie 1812 von Peel wieder eingeführt wurde, keine Kriegssteuer war, sondern als Ausweg aus der finanziellen Uebergangs- pcriode diente, in die man durch die Peelschen Zollreformen geriet. Es ist ferner wahr, daß sie jetzt zunächst als Korrelat zu d-'M Aufbau der Versicherungsanstalten gebraucht wird, die "M Budget 1908/09 inkorporiert werden sollen. Es ist ferner wahr, daß die Mehrergebnisse aus dieser Steuer und der ganzen übrigen Steuerreform zunächst mäßige sein, und daß sie zunächst nur für soziale Zwecke Verwendung finden werden Es ist aber nicht minder wahr, daß von den La» bour Members sowohl, als von den Konservativen, mit Recht darauf hingewiesen worden ist, daß das liberale Regime viel- leicht gar nicht mehr die Zeit haben wird, die Mehrerqebnissx aus der Steuerreform den sozialen Aufgaben diensHbar zu wachen. Es ist ferner wahr, daß die Preference-Jdee die Stunde beherrscht, und, zwar langsam, aber unwiderstehlich, auf die „Verbreiterung der Steuer^asis" durch Einführung von Nahrungsmittelzöllen hindrängt, «in Drängen, dem der liberale Schatzkanzler ja bereits die versprochenen Reduk tionen des Tee- und des Zuckerzolles geopfert hat. Es ist aber vor allen Dingen wahr, daß das Ausland und vor allen Dingen Deutscyland, bei der englischen Steuerreform nicht so sehr die gegenwärtigen Ueberweisun- gen der jeweiligen Mehrerträgnissc zu bestimmten sozialen Zwecken, als vielmehr die dauernde Erschließung einer er heblich st e ig er u n g s fäh ige n, und aus der praktisch gewordenen Zollvereinspolitik ergänzungsfähigen Finanzquelle für die militärischen und maritimen Unternehmungen unseres unfreund lichsten Nachbars ins Auge zu fassen hat. Durch die Beibe haltung der bisherigen Verzehrungssteuern, durch die be gründete Ausfichs auf die zollpolitische Erweiterung seines Finanzsystems und durch die dauernde Einführung der er fahrungsgemäß in Kriegszeiten radikal erhöhten Einkommen steuer mit einer fetzt schon ZUproz. Minimalbasis erlangt Großbritannien ein Ausrüstungsstück für die Erreichung seiner allgemeinpolitischen Pläne, das ihm ein entschei dendes Uebergewicht über die nicht in gleicher Weise ausgestattetcn Kontinentalstaatcn, Deutschland an der Spitze, verschafft. Es mag unsere Sozialpolitikcr interessieren, daß man Mr. Asquiths Finanzexposö mit sehr zweifelhaftem Rechte den Namen eines „Budgets des armen Mannes" gegeben hat. Der Steuerhistoriker mag es die Fortsetzung von William Harcourts 1894 eingebrachtem Erbschaftssteuer - Budget nennen, und unsere Kathedersozialisten mögen aus Asquiths energischem Eingriff in die Vererbung der großen Vermögen fragwürdige Bestätigung ihrer Theorien schöpfen. Preußen mag sich geschmeichelt fühlen, daß Asquiths die Miquelschen Steucrstufen und die Unterscheidung zwischen Rentenein einkommen und Erwcrbseinkommcn ebenso studiert hat, wie Miquel früher diese alten englischen Prinzipien kapierte. Unsere sozialpolitische Aera mag durch Englands Einschwen ken in die Reihe der Sozialversicherungsstaaten einen Im puls zu flotter Schrittnahme erhalten. Das alles sind Be- trachtungen des roscnfarben bebrillten Dilettantismus. Die ernste, nationale Betrachtungsweise darf in der eng lischen Steuerreform nur das Gefahrsignal erblicken, daß auch wir die R e i ch s f i n a n z e n für den Sieg zu organisieren haben, ehe es zn spät wird. posaaomtz? über Sie Aobnungrkrage. Die Reichstagsrede des Grafen Posadowsky vom 19. April über die Wohnungsfrage und das Erbbaurecht liegt uns jetzt im Wortlaut vor. Und da diese Aus führungen eine Anzahl hochwichtiger praktischer Anregungen enthalten, die für viele Institute und Privatkapitalistcn von großem Interesse sind, so drucken wir die Rede hier wört lich ab in dem Bestreben, ihr einen möglichst großen Wirkungskreis zu verschaffen, und in der Hoffnung, der sozialen Jürforge in der Wohnungsfrage zu dienen. Graf Posadowsky sagte: Meine Herren! Ich bitte zunächst mit dem Herrn Vor redner, sich nicht beeinflussen zu lassen durch das Widerstreben der Hausbesitzer gegen un sere Bestrebungen aus dem Gebiete der Wohnungsfürsorge. Selbstverständlich können die Bestrebungen gemeinnütziger Vereine, des Reichs, des Staats, der Wohnungsnot abzuhelfcn, immer nur aushilfs weise cintreten und deshalb wird, ehe ein Darlehen aus Reichsfonds gAvährt wird, immer erst festgestellt, ob in dem betreffenden Orte, wo eine solche gemeinnützige Wohnungs baugenossenschaft sich gebildet hat, auch ein Bedarf an ge eigneten Wohnungen, und namentlich gesunden Wohnungen zu angemessenem Preise für die mittleren und unteren Beamtenklassen vorhanden ist. Erst wenn von den örtlichen Behörden diese Frage bejaht ist, wird in weitere Verhand lungen wegen Gewährung des Darlehens cingetretcn. Aber wenn unser ganzes Wohnungswesen, die Verbesserung un serer Wohnungsverhältnisse wirksam und in einem schnelleren Tempo fortschreiten soll, ist meines Erachtens Voraussetzung hierfür die Ausbildung des Systems des Erbbaurechts. Bisher hat das Reich zur Unrer- stützung von Wohnungsgenosscnschaften rund 25 Millionen ausgegeben. Es sind dafür rund 2 Millionen Quadrat meter Grund und Boden angekaust worden; hiervon sind etwa 520000 Quadratmeter schon in Erbpacht gegeben; für den Ankauf des gesamten Grund und Bodens wurden 3 800 000 rund ausgewendet. Ich bin der Ansicht, um der Wobnungsspoknlation mit Nachdruck entgeqenzutreten, die in der Umgebung der großen Städte, in der Umgebung der .Verkehrszentren, der großen industriellen Orte schließlich die Grund- und Bodenpreise in einer Weise in die Höhe treibt, daß selbst wohlhabende Pcrionen eine eigene Scholle kaum mehr erwerben können — jsehr richtig!), ich bin des halb der Ansicht, daß zu diesem Zwecke der Staat für seine Beamten und im übrigen die Kommunen im großen Um fange Grund und Boden in Erbpacht auSgcben sollten. Das gleiche könnten auch Kapitalisten tun und es wäre das fii» Kapitalisten eine ganz außerordentlich günstige Kapitals anlage. Sie hätten zunächst sichere Zinsen in dem ErbzinS, nach Ablauf des Erbpachlvertrags gelangen sie wieder ui den Besitz ihres Grund und Bodens und könnten dann über diesen, in seinem Verkaufswerl und in seinem Nutzungswert wahrscheinlich wesentlich gesteigerten Grund und Boden wieder frei verfügen; sie bleioen also im Eigentum des Grund und Bodens und haben während des Erbbauoer- träges doch eine durchaus sichere Nutzung des angelegten Kapitals. Nun liegt aber die Sache so. Bisher haben ;a das Reich, meines Wissens auch Preußen, Erbbauverträgc abgeschlossen. Das Muster für den Erbbauvertrag des Reiches finden Sie in der Denkschrift, die ich dem hohen Hause 1904 vorzulegen die Ehre halte, und zwar auf Grund eines Vertrages, der zwischen dem Reich und der Spar- und Baugenossenschaft in Dresden abgeschlossen wurde. Aber wenn sich das Privatkapital des Erbbaurechts noch nicht in der Weise bemächtigt hat, wie es im Interesse der Entwick lung des Wohnungswesens wünschenswert und nützlich wäre, so liegt das an den vielen Zweifeln, die noch über die juristische Natur des Erbbaurechts b«i uns in Deutschland besteben und die Forderungen auf Erbbaugrundstücke von der Mündelsicherheit ausschfießen. Zunächst kann das Erb baurecht sich nur kräftig entwickeln, wenn sich Privat personen, Sparkassen, die großen privaten Versicherungs gesellschaften auch entschlössen, entweder selbst Land zu kaufen und zu Erbbaurecht auszugeben, oder wenn sie sich entschlössen, an Personen auf Grundstücke, die zu Erbbau recht ausgegeben sind. Baudarlebne zu gewähren. Tas haben aber bis jetzt weder die Privaten, noch die großen Versicherungsgesellschaften, noch die Sparkassen getan, weil ihnen das ganze Institut des Erbbaurechts noch nicht juristisch klar genug ist. Die Häuser von drei Viertel von London sind c>n le336, auf Erbbauland errichtet, das der Krone und zwei englischen Großen gehört. Das Erbbau recht hat den großen Vorzug, daß derjenige, der ein solches erwirbt, nicht die Verpflichtung hat, das ganze Kapital für den Grund und Boden auszugeben, sondern daß er nur eine jährliche Rente zu zahlen hat. Da ist es ihm natürlich viel leichter, das Baukapital zu beschaffen, das notwendig ist, um auf dem durch Erbbauvertrag erworbenen Grundstück ein Gebäude zu errichten, als wenn «r das Baukapital be schaffen und außerdem noch den Wert des Grund und Bodens voll bezahlen muß. Die Schwierigkeit für die L^ire, die Gimud und Boden durch Erbbauvertrag erwerben, lieat jetzt darin, daß sie jetzt keine Bauhypothek bekommen; solche haben sie bis letzt erst bekommen von den Jnvalidcnoersiche- rungsanstalten, vom Reiche und meines Wissens auch von Preußen, also vom Staate. Die Taxgrundsähe der prioaren Versicherungsgesellschaften, der Hypothekenbanken, der Spar kassen sind bisher nur berechnet für die Taxation von Grund und Boden und der darauf stehenden demselben Eigentümer gehörenden Gebäude; aber es haben sich noch keine Grundsätze herausgebildct, um den Wert des Erb- bau rechtes, d. h. des von dem Eigentum an dem Grund und Boden getrennten Bcbauungsrechts, das der Erbzinspflichtige erworben hat, zu schätzen und ihm daraufhin eine Hypothek auf das Gebäude zu geben, das er auf dem Crbbaugrundstück erbaut bat oder erbauen wird. Ich meine also, diese Verhältnisse führen darauf hin. daß auch die großen privaten Versicherunasgescllichafien, die ja über große Kapitalien verfügen, die Sparkassen, die Hypo thekenbanken, die Frage prüfen sollen, ob sich nicht besondere Targrund'ätze auch für den Wert eines Erbbaurechts auf stellen lassen, um dann auf das Gebäude, welches auf einem solchen Crbbaugrundstück errichtet wird, auch «ine Hypothek zu gewähren. Gerade für die Lebensversicherungs gesellschaften böte sich da ein sehr geeignetes neues Gcschäfis- gebiet. Ferner wird es auch Frage juristischer Prüfung fein müssen, ob man dieses für die Entwicklung unsere? Woh nungswesens an sich so verwertbare Institut des Erbbau rechts — welches, ich muß zugestehen, im Büraerlichcn Gc- setzbuch etwas dürftig ausgestaltct ist — nicht klarer ausac- stalten sollte, so daß die juristischen und wirtschaftlichen Zweifel, die bei den Geldgebern jetzt noch dagegen bestehen, ein Erbbaurecht zu beleihen, beseitiat würden. Der Herr Vorredner hat mit Reckt bervoraekoben, daß es doch eigentlich das Ideal für jede Familie ist, in einem eigenen Hause zu wohnen: in England, in den Vorstädten von London, in London selbst, manchmal unmittelbar neben den Brennpunkten des Verkehrs, sehen Sie Straßen, wo ein kleines Wohnhaus am andern siebt: es ist das nur mög lich, weis man dort schon seit Jahrhunderten das Institut des Erbbaurechts anwendet, und dadurch die Erwerbung von Baugrund außerordentlich erleichtert ist. In io^ch'r Entwicklung des Erbbaurechts liegt auck der wirksamste Riegel gegen eine ungesunde Grundstücksspekulation. lBu- fall.) veukscdrs Keich. Leipzig, 25. April. * Ter Kaiser sah am Abend des 23. Avril in Wiesbaden nach der Vorstellung im Königlichen Schloß noch mehrere Herren, darunter Generalintendant von Hülsen und den Intendanten von Mutzbecher bei sich. Gestern früh begab er sich mit den Herren seines Gefolges nach Königstein und traf dort am Aufgange rack Sooden mit dem Prinzen Heinrich von Preußen, dem Regierungspräsidenten v. Meister, Landrat Ritter von Marx, Freiherrn von Brandenstein vom Kaiserlichen Automobilklub und dem Generalsekretär des Kaiserlichen Automobilklubs Herrn de la Croix uisammen. Der Kaiser befuhr mit den genannten Herren die Rennstrecke und langte gegen Mittag in Homburg an. — Der hessische Großherzog trifft beute vormittag in Gießen ein, um der Besichtigung des Regiments „Kaiser Wilhelm' durch den Kaiser beizuwobnen. Nach der Besichtigung wird ter Groß herzog mit dem Kaiser das Frühstück im OssizierSkasino ein- nebmen und im Laufe des Nachmittags nach Darmstadt zurückkebren. * Trr Kalonialctat in der VnSaetkammisfion. Die Budgetkommission des Reichstages genehmigte beute zunächst den Rest des ordentlichen Etats für Ostasrika, waulte sich bann den einmaligen Ausgaben zu und bewilligte auf Befürwortung dcS Kolonialdirektors 120 000 als erste Rate für ein neues Fort in Muamia. Im Laufe der Sitzung der Budgetkommiision beklagte sich Abg. Arendt über den Mangel an Münzen in Ostasrika. Kolonialvirektor