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Freitag den 6. Mai 1021 «»Hflfch» »«II», Abg. Bur läge (Zentr.) erklärt namens seiner Fraktion, boß diese dein Ausjchußantrag zustimmt im Einklang mit dem dringenden Ersuchen Erzbergers. DaS Manöver der Erzberger fr ndlichen Zeitungen dränge auch darauf hinaus, de» jetzigen ksteichssinonzministcr zu diskreditieren, als ob er der Gerechtig» ikeit in den Arm gefallen wäre. Abg. Graes (Dentschnal-: Die Motive der Verte digungS- red« des Herrn Keil für Herrn Erzbergcr können wir verstehen, wie wir seine Sehnsucht nach dessen Rückkehr verstehen. Heiter keit Zuruf: Er komm: aber doch, er ist schon dal) Für meine Partei lehne ich den Vorwurf politischer Ränke und Rachsucht ab, (Gelächter link«! Wir können iDk dem AuSgang des Prozesse- E r z b e r g « r - H e l s se r i ch ganz zufrieden sein. W-c haben das Beschwerdeschreiben Erzbergers an den GeschäftSvidnung-iausschuß gelesen. Wie kennen ja Erzbergcr als einen Mi ttster der parlamentarischen UeberraschungSasfen- sive Sie ist voll von Gedächtnisschwächen. Bemerkenswert ist, das; Erzbergcr von den Sozialdemokraten gestützt wirb. Bon en ew Diebstahl d:r Akten ist nicht zu sprechen, die sin» qurück- eseben worden. Totsacke ist, daß der preußische Starr durch als che Einschätzungen ErzbergerS geschädigt wor- ci> ist. In Sache» der Kapitalverschiebunz bat i'.ch Minister Wirth die Cache gar zu leicht gemacht. A.i'gabr deS gerichtlichen StrakversahrenS wird es sein, zu untersuchen, ob, wi- verlautet — ob mit Recht oder zu Unrecht, lasse ich dahin» «stellt — von de» Geldern, die Erzberger amtlich verwertet etwas in seiner Tasche geblieben ist. (Großer Lärm im Zen trum und links. Rufe: Ehrabschneidereil Pfuirufe! Präsident Lobe stellt in Aussicht, aus dem Stenogramm die letzte Aens-e- rnnc des Abgeordnete» Graef sestzustcllc» und daun zu dem Kn isclienruke Stellung zu nehmen.) Abg. Dr. Kahl (Deutsche Voltsp.): Sie unterschätz:» uns, wenn Sie glauben, nur begründeten unsere uoii.tickie Gegnerschaft zu Erzberger aus diese Steuscdinge. Die Ouellen unserer Differenz liegen viel tiefer. Sie liegen ans Vaterländischem Gebiete. Sie führen zurück in das Problem von Krieg und Frieden, Das sind ehrenvolle Motiv-. W'r tre ten dem Ausschnßantrag ans sachlichen, nicht politischen Grün del br' Präsident Lobe erklärt: Die Ausführungen de" Abge- ordneten Graef geben keinen Anlas; zum Einschreiten. Ter un bekannte Abgeordnete, der Ehrabschneiderci gern'-» bah wird zur ». cnung gerufen. Reichssinauzminister Dr, Wirth: An atz zu dem Ror- gehrn liegen Kapitalverschiebuiig haben die bei d u Akten befind lichen Affidavite gegeben. Diese bezogen sich aber nur auf Iteberweisnng ainilicher Gelder. Abg. Dr. Br eit scheid sllnabh.): dlns ist die Entschei dung schwer gefallen. Wir haben aber daran festgcbalten, das; die Immunität nicht ein Privileg des einzelnen Abgeordnete» itt. sondern Sache des ganzen Parlaments. Ein gemeines Verbre chen liegt hier nicht bar. Erzbeiger befindet sich in Eller Lage angchichiS der monalclangen Hetzereien. Da ist sein Wunsch, die Sache zu Ende zu bringen durchaus zu verstehen. Abg. Andre (Zentr.): Die Rede des Abgeordneten Graef könnte uns dazu bringen, gegen den Antrag zu stimm:», weil Gefahr besteht, das: die Richter, die Erzberger aburteilen werden, vni der Art des Abgeordneten Graef sein könnten. Hat die Zcn- trnmsprcsse auch solchen Lärm im Falle des Abgeordneb'n von Krrkhoff erhoben? (Zuruf rechts: Ja!) Auch da sind Allen verschwunden und sogar beseitigt worden. Erzberger war vom besten Willen beseelt, um bei seinen politischen Fähigke-teu aus Liebe zum dcniscke Volke, Volk und' Vaterland zu retter. Wir müssen auS dem persönlichen Kampfe herauskommen. Dann ist d'e heutige Aussprach ein reinigendes Gewitter. Minister Dr Wirth: Die Deutschnationalen sind schuld an dieser Debatte. Sie haben in den Wald hineingernsen, jetzt scpalli es zurück. Wir haben allen Anlatz, den ganzen Wulst den Behörden zu überreden, die in weiten Kreisen noch Vertrauen genießen. Helfen Sie »ns, das; wir aus dem persönlichen Kampf he'.onSkommen! Abg. Brodaus (Dem.): Wir müssen auch den uolitischen Gegner vor Verleumdung schützen Abg. Hclfferich (Dcutschnat.) Ich war dringend ver hindert, den Verhandlungen beiznwohnen. (Abg. Breitschcid: Sie haben wohl gut gegessen?) DaS ist eine Gemeinheit. «Prä- sidertt Lobe rü,st diesen Ausdruck.) Ich komme vom Kranken lager meiner Frau. Mir wurde in verklausulierter Form Sicnerhinterziebnng oder der Versuch dazu vorgeworfen. Wenn Sie den Mut haben sollte», diese Behauvlnng zu wiederholen, dann sind Sie ein elender Ehrabschneider. (Großer Lärm.) Weder als Direktor der Anaiolischen Eisenbahn noch der D> rit schen Bank habe ich jemals meine früheren amtlichen Beziehun gen mitzbrancht. Wenn gesagt wird, ich kannte nur mein Por temonnaie, so habe ich, als ich während des Krieges Minister wurde, allerdings grctze Opfer gebracht. Solange Abgeordneter Andre unter dem Schutze der Immunität mir Vorwürfe mastst, ick halte ZeilnngShonorarc ans nnlanterc» Motiven an eine schweizerische Bank ist erweisen lassen, so ist er ein elender Feig ling, (Lärm.) Abg. Andre (Zentr.): Unzweifelhaft hängt die Aufsicht», ratkstellung Hclfferich» in Kolonialgesellschasten mit feine, früheren Amtstätigkeit zusammen. Abg. Helskerich (Dcutschnat.): Wenn mir vorgeworfen wird, daß ich meinen G«sandtschaft»voft«n in Moskau fluchtartig der'aflen hätte, so ist da« grundsalsch. Im Gegenteil, ich Hab« «ms die jeweiligen Folgen aufmerksam gemacht, die ein solcher Schritt nach sich ziehen könnte. Al» ich in» Amt eine» Minister« kam habe ich sofort meine Aufsichtsratsposten niedergelegt, wa» unter dem neuen Regime nicyt immer der Fall sein soll. (Großer Lärn. link» und Rufe: Namen nennen, anonymer Verleumder!) Wer mir Steuerhinterziehung vorwirft, den nenne ich einen Ehr abschneider. Abg. Dr. Br etliche id (Unabh.): Rennen Sie dieRa-nen der von Ihnen Beschuldigten, sonst sind Sie der Ehrabschneider. Abg. Dr. Kahl stellt in seinem Schlußwort fest, daß seit zwei Stunden die Rede nicht mehr von der Immunität Erzber ger» gewesen sei und daß die gegenseitigen Borwürfe krch der traurigen Lage de» Vaterlandes kein Ende nähmen. Der Antrag auf Aufhebung der Immunität de» Abgeordneten Erzbergcr wird angenommen. Schlich 10.30 Uhr nachts. Katholische Schuloraanisation LandesnnSschuß Preußen am 29. April, 1. und 2. Mai 1921 in Hildcshelm Von Fritz Günther, Neuleutersdorf *Ain 2. Mai bot zunächst Rektor C le m en z-Liegnih sein Referat über „Das Problem der Heimatschule''. Die Heimat ist begründet ln der Natur des Menschen, weil sich alles Erziekstiche und Bildende gruppiert »in die Erden- und Glaubensheimat. In der Schnlentwicklung folgte auf die Elementarschule die Ar- beits-, Lebens- und soziale Heimatschule. Diese Entwicklung verlangt die Nutzbarmachung alles Heimatlichen für die Schule. Ibc Schauplatz inntz über die Schulstnbe hinaus auf Gar'en, Wald und Feld, gewerbliche Anlage» ausgedehnt werden. Die Heimatschukc gleicht widerstrebende PcrsönlichkeitS- und Mensch- heittfragen in einer höheren Betrachtungsweise aus und ver- verbürgt in allen WeltansctmilungSfraaen de» DnldsamkeitS- und Gcrechtigkcitsstandpunkt. Wegen der vorgeschrittenen Zeit wurde auf die Debatte verzichtet. Dr. Otto M ü l l e r - M,-Gladbach sprach dann über „Ar- best der Elternausschüsse". Heine» hat in seinem Buche „Eltern- alcnde" (Volksvcreinsverlag) Fingerzeige gegeben. Der Eltern ausschuß soll den Geist der Arbeitsgemeinschaft wecken, die Gleichgültigkeit der Eltern bekämpfen. Lehrer Runge-Düsseldorf referierte dann über „Arbeit der Orts- und ZentraleltcrnanSschüsse". Ans Achtung vor "em Kinde (— Gottes) soll die Arbeit geleistet werden. Zuletzt win den die Resolutionen bearbeitet. ES wurde eine fruchtbare Arbeit in Hildeshcim geleistet. Mi: deutlicher schwarzer Schrift wurden in die wehenden roten Fobi.en des 1. Mai die katholischen Grundsätze geprägt. Mag diesei Geist fortwirken zum Segen unseres deutschen V-lkesl Alle Anwesenden waren sich in der Unzulänglichkeit des Re'chsschulgesetzcS für uns Katholiken einig, namentlich für nn- sere kulturelle Diaspora in Sachsen. Wir dürfen auf die Hilfe und Iliiterstützung des katholischen Deutschland bauen. Mag vor abcm die eine Forderung von Hildcsbeim durchgeführt werden: Aufklärung und Schulung der Eltern! Darüber wird noch zu sprechen sein. Dcr Beschluß der En en e London. 4 Mai. Der Oberste Rat kam nach fünfstündiger Sitzung zu einer vollständigen ttebereinstimmung über den Inhalt der Deutschland zu übersendenden Mitteilung. Der NedaktionsanS- schutz trat gestern abend zusammen, um das Protokoll aukzustellen. Eine weitere Sitzung deS Obersten Rates wird heule nachmittag statifinden. Das Protokoll wird nicht später als am 6. Mai nb- geschickt werden und Deutschland mutz spätestens am 12. Mai antworten, Deutschland mutz jährlich 100 Millionen Pfund Sterling zahlen und außerdem eine Abgabe von 25 v. H. von der deutschen Ausfuhr. Die Gutscheine im Betrage von 600 Millionen sollen jetzt, von 1900 Millionen im November, insgesamt also von 2500 Millionen Pfund Sterling ausgcgeben werden, abgesehen von Gutscheinen im Betrage von 4250 Millionen Pfund Sterling, die je nach der Zahlungsfähigkeit Deutschlands ansgegcben werden sollen. Die Gutscheine bringen 5 v H. Zinse» und es wird ein Schuldentilgiings- fondS von 1 v. H. vorhanden sein, so daß die für den Zinsendicnst für die im November auszngebenden Gutscheine im Betrage von 2500 Millionen Pfund Sterling ecsorderliche Summe 150 Millionen Pfund ansmachen wird. Wenn die Einnahmen aus der Jahres- Rr. 1VS, Seile S zahkrmg von 100 Millionen Pfund und der 25 prozentlgen AnSsulir- abgab« mehr ergebe» al« die erforderlichen 150 Millionen, io wird «in aenügender Teil der in Reserve gehaltenen 4250 Millionen Pfund betragenden Gutscheine ausgcgeben werden, um den lieber« schuß aufzuhrben. Ferner wird eine Abgabe von einem weiteren Prozent der deutschen Ausfuhr erhoben werben, wodurch der Gesamtbetrag auf 26 v. H. steigt, um die Summe zu erreichen, di« zur Bezahlung der Zinsen für die in Reserve gehaltenen Gutschein« nötig ist. Man rechnet damit, daß jede Serie innerhalb 37 Jahren vom Datum der Ausgabe gerechnet. a««grloft sein wird. llmer keinen Umstände» kann di« deutsche Verbindlichkeit 6 v. H des Gesamtbeträge« der Gutscheine übersteige«. Mit diesem Beträge Werden die deutschen Zölle oder andere Etnnahmen belastet werd.u». die der Entschädigungsausschuß vorbereitet ist zu erhalten Der EntschSdipnng-ansschuß wird di« Gutschein« nach den bereits fest gesetzte» Berhältnissen «nter den Verbündete« verteilen. Der polnische Ansstand (Eigener Drahtbericht der „Sachs. V o lkS z r i 1 g") Breslau. 6. Mai. Die Nachrichten au» Oberschlesien lauten immer bedrohlicher. Dir interalliierte Kommission fordert deutsche Hilfe an. Hungersnot und Plünderungen sind bevor stehend. In Tarnowitz kommen polnische reguläre Truppen über dir Grenze. Eie werden in der Stadt in Zivil eing kleidet, um mit den Aufständischen gegen die italienischen Trnppen zu kämpfen. Da die interalliierte Kommission mit den Aufständischen nicht fertig werden kann, bat sie gestern in Oppeln einen Aufruf erlassen, e» möchte« sich 3000 deutsche Oberschlesier melde», die in die Spo eingestellt werden wollen, vor allem ehemcüw« Offiziere und Beamte. Die Militärpapiere sind mitzubringen, auch Wäsche und Stiefel. Deutsche Orden sind al» Erkennungszeichen mitzubringm. Auch in Ratibor haben solche Aufrufe stattgefunden, und bereit» Erfolg gehabt. In Ratibor kämpfen bereits Deutsch« mit Italienern Schulter an Schulter. In Groß-Strehlitz haben di« Bürger bereits zur Selbstwehr gegriffen. Die Polen sollen sich mit den Kommunisten in Verbindung gesetzt haben, um die Gruben gemeinsam in Besitz zu nehmen. Die Italiener haben schwer« Verlust« erlitten. Bi» gestern beliefen sich die Verluste der Italiener auf 32 Tote und 60 Verwundete. Allgemein ist der Schrei der deutschen Bevölkerung nach deutscher Hilfe, nach Reichs- truppen, da nach dem Verhalten der Franzosen vielfach befürchtet wird, daß dort, wo sie zum Kampfe eingesetzt werden, die Fr an- zosen womöglich gemeinsame Sache mit den Polen machen. Oppeln, 4. Mai. Der deutsche Bevollmächtigte in Opveln hat heute erneut nachdrücklich» Vorstellungen bet der Interallllerten Kommission erhoben und verlangt, daß um gehend alle erforderlichen Mahnahmen zur Wiederherstellung dc« Ruhe und Ordnung und zum Schutze der friedliebenden Bevölkerung im Abstimmungsgebiet getroffen werden. Er hat weiterhin im Namen der deutschenRegterung mitgetellt, dag diese bereit sei, der interalliierten Kommission alle Hilfsmittel zur Bcr. fügung zu stellen die sie etwa für nolwend'g erachtet, und hat mehrere Hundertschaften Schutzpolizei zur Unterstützung nnge- boten. Der Vorsitzende der interalliierten Kommission hat erklärt, sofort den übrigen Mitgliedern der interallllerten Kommllslon von dem Angebot der deutschen Regierung Kenntnis zu geben u»d dem deutschen Bevollmächtigten von der Entscheidung der interalliierten Kommission Mitteilung zu machen. Verschlimmerung Oppeln, 4. Mal. Im Laufe des heutigen Tage» hat sich dl« allgemeine Lage in Oberschlesien weiter erheblich verschärf!. Die polnische Aufruhrbewegung ist weiter nach dem Westen vorgetragen worden. Dte N chricht von der Abberufung KorfantyS als AbsttmmungSkcnnnnssar wird von den Führern der oberschlesischen Bevölkerung allgemein dah n bewertet, daß Kor- fanty nunmehr tn der Lage ist. dte Führung d?S Aufstandes zu übernehmen, ohne dte Warschauer Kcclse b oßzustellcn. Der Aufstand umfaßt tm allgemeinen das Gebiet lüdlich und östlich der Ltnte Rosenberg—Rosowska und Groß-Strehlitz—Kandrztn, Nach Westen hin wird das AufstandSgebiet durch d c Oder begrenzt. Tlc heute morgen von Ratibor au» begonnene SäuverungSakiion der italienischen Truppen im Kreise Rybntk hat nach den bisher vor liegenden Nachrichten Erfolge noch nicht verzeichnen können. Im Laufe deS Tages sind zahlreiche Meldungen einzelaufen, aus denen hervorgcht, daß die Aufständischen eine starke Unter stützung durch Bewaffnete erhalten haben, die Uber die polnische Grenze gekommen sind. Auch sind zahlretcbe MunittonStranSporte sowie erhebliche Wc>fsenmengen aller Art, ebenso Sanitätsmaterial und Feldküchen über die Grenze gebracht worden. Aus zahlreichen Orten wird gemewei, daß dir Ausständischen ZwangSauShevungen vorgenomme» haben. Auch sind überall Gespanne und Futtermittel requirier« worden. Ebenso zahlreich sind die Nachrichten über Terror- erschcinungen schlimmster Art. Auch neu« Bluttaten wurden ge- meldet. Sächsische VolkSzcitung — Nr. 103 — 0. Mai 1921 Der Gänsebub Fränkischer Dorfroma» von Dina Ernstberger (Nachdruck verboten.) (5. Fortsetzung.) „Ich Habs schon versprochen, Mutter." „Dann solle- der Peter tun; der versäumt net so viel." Sa verschwenderisch viel Seife wie an diesem Morgen batte er in seinem ganzen Leben noch nicht verbraucht, und die Haare wnrcn gcscheiielt und gekämmt — so egal und hübsch, als hätte der erste Friseur daran mühevoll gearbeitei. AIS die Mutter ungewaschen und ungekämmt, barfuß in schweren Holzvantoffeln, ans ihrer Kammer trat, war sie nicht wenig überrascht, i'orcn Aeltesten schon iin Sonntagsstaat pfei fend vor der Türe stehen zu sehen. „Is schon so weit? So viel Hab ich verschlafen? Warum hast mich denn net geweckt?" rief sie erschreckt. „Es ist ja noch net spät. Ich bin nur heut eher aufgestan den; ich bab net gut geschlafen." „Gelt! Ich Habs gestern schon gemerkt, dah dir was iS. Wirst doch net krank werden!" „Krank? Na! Aber a bihle frische Luft könnt nix scha den. Ich geh a bihle durchs Dorf, Matter." Di: Mutter schüttelte bedenklich den Kops und sah Joseph nach. „Was inr a schöner, flotter Bursch der Joseph >». kenn er sein Sonittagssiaat anhat. Kein Wunder, wenn ihm alle Madie nachlaufen/ dachte sie bei sich, und onfsenfzend (pracb sie laut: ..Er wird mir doch net krank werden, mei B»! er könnt nur so verändert vor!" Joseph war die Darfsiraßr hinabgegangen: beim Wirts hau» verlangst,,re er seine Schritte. Sein Blick war z» den beiden verhängten Frnst.rn an der Giebelseit« de» HanseS em- porgerichtee. Es waren d,eS die Fenster, wo Lore al» Kind immer den Spielgefährten erwartet. Ob sie wohl hinter jenem verschlossene» Fenster noch schlief? In-der Wirt»'ft,b' waren alle Fenster ofsrn; eine Magd kehrte die Stnlbe on?. Mit verschlafenen Augen starrte si« Jo seph an, der eb«? v»<überging. Sonst würdigte Joseph die schmutzige Magd keine» Blicke»; heute rief er ibr von weitem rech» laut und ve-aehmbar „Guten Morgen!" zu. „JesseS, .Jo seph hast mich aber «»schreckt," ktchrrte ür geschmeichelt und trat «m da« Fenster. In ihrem Herzen jubelte e», fie glaubte, ber frühe Besuch Josephs könnte ihr gelten, lind Joseph stellte sich bereitwillig zu ihr. Den Blick ständig auf die beiden Fenster oben gerichtet, begann er sofort das Gespräch auf den frewien Besuch zu lenken. «Die hören net, was wir sagen, brauchst ka Angst net zu haben," sprach die Magd zu Joseph, sein Auf sehen zu den Fenstern nach oben mißdeutend. „Die zwa stehen vor 8 tlhr net auf, d:e schlafen fest." Jetzt, da Joseph wußte, daß Lore noch schlief, verabschie dete er sich ausfallend rasch und kurz von der gesprächigen Maid und ging wieder seiner Behausung zu. Die Zeit, bis die Turm uhr endlich die achte Stunde schlug, dünkte ihm eine Ewigkeit. Noch einige Male ging er dann am Wirtshaus vorbei; mehrere Kameraden gesclile» sich zu ihm — von Lore sah er keine Spur. Schon läuteten die Glocken zum Gottesdienst: die Straße belebte sich mit frommen Kirchengängern; auch Jiseph ging mit seinen Kameraden zur Kirche. Teilnahmslos sah er oben von der Empore ans hinab in das kleine, armselige Kirchlein. Plötzlich ging eine anfsallcnde Bewegung durch die Reihen der Andächtigen unten; alles reckte neugierig die Köpfe nach der Tür- hin. Auch Josephs Blicke folgten der Richtung; Lore trat eben mit ihrer Gefährtin in das Schiff der Kirche. Stolz schritt sie mit Marianne vor bis zu den Chorstühlcn neben dem A'tar und »ahm dort Platz — ganz an derselben Stelle, wo sie einst mit ihrem Papa immer kniete. Atter Augen folgten den beide« hübschen Mädchengestaltcn. Von der Empore herab bockte Io» seph unverwandt auf die duftige, weißgekleidete Figur se'ner ehemaligen Spielgefährtin. Alle Erinnerungen der Jugendzei. stiegen auf vor seinem Geiste. Er sah sich wieder spielend auf dem Weidcanger neben der kleinen Lore sitzen mitten nute« seinen Gänsen; er fühlte die weiche, zarte Kinderhand, wie sie oie wirren Haare ihm oft auS der Stirn« strich; er hörte sie wieder, jene silberhelle, frohe Kinderstimm« und da» übermütig« Lachen. — In heiterer Stimmung kam Joseph heim. Sein erster Wirt galt wieder kein kleinen Spiegel. Diesmal entlockte hm sein Spiegelbild ein befriedigende» Lächeln. Die Mutter kam aus der Küche mit einer Schüssel großer, dampfender Krrtotfel- klöße und einer winzigen Portio» fetten Schweinefleische» in einer kleinen Pfanne. An den Werktagen gab e» nie Fleffch; Klöße. Brei, Kartoffeln — da» waren da die täglichen Gerichte. Scr.ntag» aber bekam ein jeder zur Feier de» Tage» noch «in Schnittchen Fleisch. - Peter sah bereit» in froher Erwartung be» seltenen Ge nusses am Tisch und klappert» ungeduldig mit dem ASffel, al« die Mutter mit dem ersehnten Fleischpfännchen in die Stube trat. Wenn auch das Fleisch ein gar kleiner Bissen mar, de« Peter zufiel, die Brühe zu den Klößen schätzte er fast »och inebr. Da konnte man doch essen, soviel man wollte. ES war Sitte im FlickschusterhanS, daß während des Sonn- tagSdinerS nochmal die Predigt durchgesprochen wurde. Auch heute wollte die Mutter wissen, worüber der alte Pfareberr ge- sprechen hatte. Peter hatte bereits den größten Kloß im Teller und kaute mit vollen Backen. Ihm war es unmöglich,' auch nn- cin Sterbenswörtchen herauszubringen. Verlegen kratzle lick« Joseph hinterm Ohr, als die Mutter znm zweiten Mtte zum Predigtvortrag ansfordcrte. „Mir is gar net gut, Mutter," begann er stückend. ..De«' Peter soll dir erzählen! Hier, Peter, da hast mein Fleisch auch' erzähl der Mutter, ich kann beim besten Willen net gleich ' „Ja, Bn, was iS denn des mit dir?" fragte die Mutier be> scrgt. „Ich mein allweil, du wirst mir krank." Peter sah Josephs Fleischteil auf dem Teller vor sich lie gen das versetzte ihn in die beste Laune. „Schönt hat er heut predigt, der Herr Pfarrer," wü-gte er mit vollem Mund heraus. „Ich erzähl gleich, laß mir nur zucrscht mein größte» Hunger stillen. Die Jungfer Fräulein Lore hat aber a gebeucht Sa waS hörtS net alle Tag."' „Was? Die Fräulein Lore war a in der Kirche?" Peter hatte wieder den Klötzen so zugesprochen, daß e> die Beantwortung der Frage ganz Joseph überlassen musste. „Die Fräulein Lare war a in der Kirche?" fragte di« Mutter nochmals. Jetzt bewegte Peter in bejahender Bewegung heftig det. dicken Schädel, während Joseph langsam antwortete: „Ich »«>!>, scho, ich hätt zwei Fräulein mit Hüten vorn im Chorst ihl ge sehen. DeS wird schon die Lore gewesen sein." Rach dem gemeinsamen Tischgebet machte sich Josevl, a>y den Weg in das Wirtshaus. Er wollte nun Lore die schönst:n Spazierwege des Dorfes führen Ein wenig begann ihm doch bange zu werden, al» er Lore plaudernd mit ihrer Verwandle» am Fenster oben erblickte. Sie war so in das Gespräch verlieft, daß sie ihn gar nicht die Dorfstraße Herabkommen sah. Joscvh blieb nun dem Fenster gegenüber stehen und begann sich sch» vernehmlich zu ränspern, dabei immer lächelnd zu Lore empor» sekend. Jetzt bemerkte ihn Marianne. „Soll ich mit zum Gänsrhütrn, Joseph?" rief Lore h» neckt sch zu (Fortsetzung folgt.)