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Freitag, den 8. Juli 1921 Sächsische Volkszettung Nr. 1«. «ette » Aus dem Reichstage Berlin. 8. Juli Im Reichstage herrscht bereits Ferienstimmung, Dos zeigen die vielen leeren Plätze im Sitzungssaal und auch der grobe Wust von kleinen Vorlagen, die auf der Tagesordnung stehen. Es ist der letzte Rest von dem, was inan durchaus noch erledigen will. 28 Punkte sind es, mit denen man sich in aller Kürze noch besaht. Tas meiste wird ohne Debatte erledigt. Annahme finden die Vorlagen über Verlängerung der Frist zur Anmeldung Von Forderungen im Ausgleichsverfahren, über die Metall reserven der Privatnotenbanken (Verbot des Gold« Verkaufs) und das deutsch-russische Ergänzungsab kommen über Heimschasfung der beiderseitigen Kriegsgefan genen und Zivilinlernierlen. Beim Entwurf über die Errich tung von Betriebsverbänden in der Binnen schiffahrt und die Errichtung von K l e i n s ch is ser verbänden beantragt der Abg. K n Hirt sllnabh.) sofortige Vornahme einer Urabstimmung, behält sich aber weitere An träge für die Zeit nach den Ferien vor. Der Entwurf wird in zweiter Lesung angenommen, kann aber in dritter Lesung nicht erledigt werden, da der Abg. Knhnt Widerspruch erhebt. Nunmehr folgt die erregte Debatte unter den Herren der sozialistischen Parteien bei der dritten Lesung der Invaliden versicherung. Ter Abg. Karsten von den Unabhängigen ist der Störenfried durch seine heftigen Angriffe ans die Mchr- heilssozialisten. Er beschuldigt sie, alle Versprechungen, die sie den Invaliden gemacht hätten, gebrochen zu haben. Das ruft den Abg. Hoch von der Mehrhcitssoziatdemokralie auf den Plan, der in äußerst temvcrameutvollcr Weise die Angriffe des Vorredners energisch zurückweist. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Und dieser Dritte war der Kommunist Bartz, der mit ironischem Lächeln konstatieren zu müssen glaubte, das; diese Katzbalgerei ja erfreuliche Anzeichen für die Annäherung der beiden sozialistischen Parteien sei. Auch er, wie noch verschiedene Male nachher der Abg. Karsten von den Unabhängige» nehmen sich die Mehrheitssozialisten vor. Von den andern mischen sich nur der dcutschnationale Mumm und der baherische Bolkspar- teiler Schwarzer in den Streit der feindlichen Brüder ein. Die Vorlage wird schließlich in der Ausschnßfassniig angenom men. Beim Gesetz über die Wochen Hilfe und Wo chenfürsorge sind es die Frauen der sozialistischen Richtun gen, die sich gegenseitig befehden. Tie Sozialisten sind nun mal am letzten Tage in allen Schattierungen »och recht angrisfs- lustig. Tie Gesetze über V e r d r ä n g u n g S sch ä d c n, Koloni alschäden und A u s l a n d s sch ä d c n werden gemeinsam be raten. Die diesbezüglichen Gesetzentwürfe finden die Annahme mit den vorliegenden Entschließungen und den Anträgen, darunter auch ein Antrag des Zentrumsabgevrdnclen Fleischer, den Reichsangehörtgen, deren Eigentum auf der Fahrt durch den pol nischen Korridor widerrechtlich beschlagnahmt wurde, aus Antrag eine vorläufige Entschädigung aus Reichsmitteln zu gewähren. Ein in zweiter Lesung zum Verdrängnngsschädengeietz eing gan- gener Antrag Ledebour, die Gewährung einer Entschädigung zu versagen, wenn wegen einer Amnestie die Einleitung eines Strafverfahrens gegen einen Geschädigten wegen Verrates mili tärischer Geheimnisse nicht erfolgen kann, soll in dritter Lesung wieder gestrichen werden. Die Abstimmung erfolgt im Wege des Hammelsprungs. 137 Stimmen sind für Streichung dieses Antrags Ledebour, 126 Stimmen dagegen. In der ausgesetzten Abstimmung über den Gesetzentwurf betressend Wochen Hilfe und W o ch e n f ü r s o r g c wird der Gesetzentwurf unter Ablehnung der Anträge der Unabhängigen angenommen. Ter Gesetzenlwnrf über die Rcichswirt- schastsgerichte wird den« RechtsanSschnß überwiesen. ReichsarbeitSministcr Brauns betont, der Schiedsspruch von Elbing sei von den Arbeitgebern nicht anerkannt worden. Die Negierung wolle noch einmal versuchen, eine Einigung herbei- usühren. Sollte das nicht gelingen, würde die Hiegierung daran enken, einmal den Schiedsspruch für verbindlich zu erklären, und zweitens bei Vergebung der monatlichen Ain'träge darauf be dacht zu sein, daß sie Formen erhalten, die die Verpflichtungen der sozialen Gesetzgebung anerkennen. Schließlich wird die Vorlage ang e» o mm e n. Ein Antrag Müller (Franken, Soz.), daß arbeitslos gewordenen Arbeitnehmern der entgangene Lohn durch die Kartelle und Konventionen ersetzt wird, die durch Materialsperre eine Stillegung veranlaßt haben, wird im Hammelsprung mit 129 gegen 108 Stimmen abgelchnt. Dir Diätenvorlage der Reichstags Mitglie der wird debattelos in allen drei Lesungen an genommen. Abänderungsanträge hierzu werden lurückgezogen. Demgemäß erhallen die in Berlin wohnhaften Abgeordneten eine Zulage von monatlich 500 M. und eine Kommissions- sitzungSzulage von 20 M. für den Tag der Betätigung. Die übri- Lommsrsvrorsen — vsgl l-oiäon^bbkäkrlinosa rviig unentgeitlicii mit, link rvvlok ocn- taod« V/siso isst nivino Lvmmer^pranson z-llnrliok dosoitipsto. k'ruu klleibvtk Lkrliok, feanlckmt i. sti. s1412s Lotilioökeob 47. gen Abgeordneten erhalten eine Zulage von 1009 M. monatlich und für Kommissionen täglich 35 M. Zulage. Der Antrag über die Gleichstellung der Frauen in der Justiz wird bis zum Herbst zurückgestellt. Die sodann noch auf der Tagesordnung stehenden «uoschußberichte über die Petitionen werden debattelos genehmigt. Der Gesetzentwurf über das Branntweinmonopol wird abgesetzt, ebenso das ReichSschulge'etz. Damit ist die Tagesordnung erledigt. Nächste Sitzung Dienstag, den 6. September nachmittags 3 Uhr. Tagesordnung: Stenervorlagcn. Ter Präsident erbitlet die Ermächtigung für sich, eventuell das HauS früher berufen zu dürfe». Er erinnert, daß tu dieser Zeit die Entscheidung über Oberschlesten fallen wird. Er hofft, das, sie aus Grnnd des Rechts erfolgt, das uns die Abstimmung an die Hand gegeben hat. O » O Zirm Gesetz liber den S enerabzrig Je größer drr Cteuerbebarf wird, umso ergiebiger müssen die vorhandenen Sirnerquellen gestaltet und neue erschlossen werden. Schon heute ist die Zahl der Steuern überaus groß, und es gehört ein besonderes Studium hierzu, um sich in den oft recht verwickel ten Gedailkcngängen und Methoden der neue» Steuergesetzgebung zurechtzusinden. Die Arbeit, die auf diese Weise dem Erwerbs leben durch Ausfertigung der anfallenden Schreib- und Kalkula- tionSarbeilen entsteht, häuft sich täglich mehr an. Unter diesen Umständen ist eS sehr erfreulich, daß der ausgezeichnete Kennvr der neuen Steuergesctze, Ministerialdirektor Dr. Paul Deusch, Ta belle» ausgestellt hat, die ohne viel Arbeit sofort ersehen lassen, welcher Steuerabzug bei den verschiedenen Lohn- und Gehalts klassen zu mache» ist. In dem Tabellenwerk ist die Frage ob ver heiratet oder nicht verheiratet und auch die Kinderzahl berücksich tigt. Besondere Tabellen sind vorhanden für den Steuerabzug bei Tagelohn, bei Wochenlohn, bei lltägiger Zahlungspcriode sowie bei Mvnatslohn. Außerdem enthält die Broschüre noch den Wortlaut der gesetzlichen Vorschriften. Tiefe „Tabellen zur Ermittlung deö Steuerabzugs vom Lohn und Gehalt" sind bereits in über 25001 Stück verbreitet, der beste Beweis von ihrer Notwendigkeit und Brauchbarkeit; sie sind er schienen im Verlage der „Germania" Aktiengesellschaft in Berlin C 2, Stralauer Straße 25 (Preis nur 12 M.) und vom Verlage sowie durch jede Buchhandlung zu beziehen. Allen Behörden, In dustrie-, Handels- und Landwirtschastsl etlichen von den größten bis zu de» kleinsten seien die Tabellen von Ministerier Dr. Dens ch angelegentlichst empfohlen. Der 7. Kriegsbeschuldlgterrprozetz Freispruch des Angeklagten Leipzig, 7. Juli. Das Reichsgericht verhandelte heute den 7. Kriegsprozeß, der in gewissen, Zusammenhang mit dem so- ,den erledigten Prozeß Stenger- Crusius steht. Angeklagt ist der Oberleutnant Laule aus Eharlottenburg, der von dem Berliner Rechtsanwalt Tr. Poht vertreten wird. Die Anklage vertritt der Oberrecchsanwalt. Erschienen sind neun deutsche und vier ausländische Zeugen. Der Angeklagte Adolf Laule ist jetzt Oberleutnant im Rcichswebrministcriuiii. ES wird ihm in der Ausliefernnaklistc vorgcworfen, im August 1914 in dem Dorfe Hessen bei Saacbvrg den französischen Ka pitän Migat vorsätzlich und mit II Überlegung getötet zu haben, nachdem ihm die Achselstücke hernnler- gerissen waren. Ter Angeklagte erzählt die ans dem vorigen Prozeß bekannten Vorgänge in der Schlacht bei Saarburg. Er machte mit seiner Kompanie einen Gegenstoß, von dem er viele flanzösische Verwundete zurückbrachte, denen nicht ein Haar ge krümmt wurde An einem Brunnen stand beiz, französische Offi zier, auf dem Laule zuging und dein er znrief, er sei sein Ge fangener »nd solle seme Waffen abgeben. Dies lehnte der Ka- p-tän aber ab. Der Angeklagte wollte ihm das Kopvel mit Ge walt abnehmen. Der Franzose sch'ug aber mit der Faust derart nach ihm, daß er ans die Seite taumelte. Unterdessen waren verschiedene Leute seiner Kompanie herangekommeii und eS er tönten Rust: „Schießt iß» über den Haufen." Der Angeklagte widersprach dem, befahl aber seinen Leuten, den Offizier festzii- nehmen und ibm die Waffen abziinehmen. Der Kapitän schlug einem Soldaten ins Gesicht, worauf die ser den Offizier nieder? choß. Ten Befehl hierzu ge geben zu haben, bestreitet der Angeklagte auf das Bestimmteste. Als erster Zeuge wird hierauf der Kaufmann August Becker ans Wilmersdorf bei Berlin vernommen, der als Sol dat der 12. Kompanie, Jnfanterierechment 112, auf einer Pa trouille nach dem Dorfe Hessen den Angeklagten Laule mit zwei deutschen Soldaten und einem französischen Offizier vorbcikom- men sab. Der französische Hauptrnann setzte seiner Entwaffnung Widerstand entgegen und wurde gleich darauf erschossen. Der Schuß auf Migat sei gefallen linmittelbar. nachdem er den Angriff ans die b"iden dcnikchen Soldaten gemacht habe. Der tödliche Schuß erfolgte nicht auf ein Komman do. Hüssschweißer Peter Nimwlcr ans Kirchhcim bei Hei delberg hat gesehen, wie der Soldat Greis durch einen Stoß Sächsische Volkszeitung — Nr. 155 — 8. Juli 1921 Der Gänsebub Fränkischer Dvrfroman von Dina Ernstberger (Nachdruck verboten) (52. Fortsetzung) Nun zog eS auch Seppele vor. seine angenehme Beschäfti gung aufzugeben und sich hübsch ruhig und brav neben der Mutter niederzulasten. Nach einer Weile schweigenden Nach denkens Hub Heinele aufs neue an zu fragen. ,Du, Mutier." begann er wieder, „hast net den SchneiderSpeterle im Sack a drinna zappeln sehenr' „O Dummrian. Meinst ich Habs Zeit zum frage» gehabt, wem die Beine zusammen gehören." „Du. Mutter, schüttet der Eisenbärte sein Sack ersäht im Himmel droben aus? Da muh man dann dort bleiben gelt, Mutter?" „Wer amal drinna hockt im Sack kommt eher nimmer raus, als bis der Eisenbärte wieder droben im Himmel is." Wieder versank Heinele in tiefes Nachdenken. „Du. Mutter, der Herr Schullehrer hat gesagt, im Himmel droben iS gar schön." „Soll glaub ich, Heinele, tm Himmel is gar schön." „Da kriegt ma alles, was wa will." „Des glaub ich. Heinele. Drum bet nur recht, daß nauf kommst Bub." „O, Mutter, ich bin eher oben, als du denkst," rief Heinele im Tone festester Ileberzeunung und zu seinem Bruder gewen det, forderte er ihn ans, mit ihm auf die Straße zu gehen. „Nein, Heinele." sprach er ganz leise, „da geh ich net mit dir da tonnte der Eisenbärte komma." „An Katzadreck! Meinst vor den Luder fercht ich mich! Der soll mich ver mitiiehma nanf in Himmel; der SchneiderS- pelerle braucht die gute War >m Himmel droben a net allein mer fressen." Schon wollte er ans die Türe zustürzcn, da zog ihn sein Vater in die Stube zurück und lieh die Rnie über seinen Rücke» niedersansen. Tie Mutter batte an de» Lebkuchen die Heldentaten ibrer S'bne entdeckt. Mit einer lauten Heulerei «ndigte die Weihnachtsfeier im FlickscbnsterhauS. Joseph zog sich von seinem Lanschcrvosten zurück. Er ging wieder in sein HauS und setzte sich an seinen alten Platz ans offene Fenster. Trotz der tiefen Verstimmung seines Herzens hatte er Interesse gefunden, sich die Ehristbcscherung im Eltern haus nach zwanzig Jahren emnial wieder anzuschen. Sinnend zog er im stillen Vergleiche zwischen einst und heute! I» Er innerung versunken saß er lange da, da hallte plötzlich ans den Dörfchen rings umher der Ruf zur Mette durch die stille Nacht »na onrch di: Felder von den Höhen herab; überall kamen dunkle Gestalten mit Laternen her. Im Dorfe wurde cs auch laut und lebendig. — Die Ehristbauinkerzc» waren erloschen, dafür er- slrahl'e das kleine Dorskirchlcin im Hellen Glanz und alles wallte dem Gotteshaus: zu. Hehr »nd feierlich tönte vom alten Turm de' Weihnachtsglocken Gruß; jubelnde Orgeltöne mischten sich darein. Der stille Träumer am Fenster lauschte andachtsvoll der alten, süßen, trauten Weilniachtsweisc, die in dem kleinen K'rch- kcin jugendliche Kehlen sangen; durch die ihn Kindheit, Eltern haus und Mutterliebe grüßten. So wie als Kind fühlte er des Weihnachtsabends süßes, zauberisches Weben; so wie als Knabe einst börte er andächtig fromm den Weibnachtsglockenklang. Hoch über ihm das goldene Sternenzelt; rings um ihn Fesi-s- jnbcl. seliger Friede und in ihm tiefes, bitteres Trennungsweb! Ein heißer Tränentrcnfen fiel zur Erde nieder — dann kehrte er zurück z» seinem Platz am Krankenbett. Zwei Tage später war die teure Mutter tot. * 12. Kapitel Stumm und einsam war es m dem Tranerhanse geworden. Die Tote schlummerte schon einen Tag unter dem Hügel. Ernst durchwanderte Joseph die Räume, wo seine Mutter weilte; alles spracki hier zu ihm von der geliebten Toten. Jbr Zimmer, das st- stets bewohnte, sollte immer so bleiben, wie eS bei ibrcin Tode war, znin Gedächtnis an sie. Hier an diese wurmstichigen, altmodische» Model, die einst der Mutter Ansnalnnestübche» im Elterndause schmückten, knüpfte sich manch liebe Erinnerung an? seiner Kinderrcit Er letzte stäb in den groben, ledernen Lehnsessel, in dem oer Vater ibn vor vielen, langen Jahren schon ank smnen Knien „happ Reiter" -reiten ließ, und betrachtete wehmütig alle die lieben Erinnerungen e'ner länost versunkenen Zeit. Das GlaSkcbrcinkchen mit den bunten, roscngeschmückten Kaffeetassen und den Patentellern mit den noldvcrzierten Sprü chen. Hot manche? noch, was einst deS Knaben Herz mit Sehn sucht und Stolz erfüllte. Ties süße, rote Znckcrherz, das prah lerisch dort zwisthen den beiden stkberalärnenden Glas'eiicbtern schon fast ein Menschenalter durch lehnte, batte ihm einst manch bittere Oual bereiter. Die erste schwere Versuchung seines jnn» don Migat niedergeworfen wurde und gleich darauf fiel ein Schuß und Migat stürzte zu Boden. Zeuge Gottlob Greis. Eisendreher aus Dielheim der WicSloch, ist einer der beiden Soldaten, die Migat entwaffnen wollten. Der Zeuge bestreitet, versucht zu haben, Migat die Achselstücke abzureißen. Haupt- mann a. D. Kurt Peterösobn aus Dabendorf bei Berlin, sah, wie Laule mit Migat, der sick anscheinend nicht entwaffnen losten wollte, verhandelte. Ein deutscher Soldat wollte dem Franzosen das Koppel wegnehmen. Dieser stieß ihn aber zur Scite. Gleich darauf fiel ein Schuß und Migat fiel tot nieder. Der Zeuge glaubt, daß Migat infolge starken Alkohol genusses sich sehr widerspenstig zeigte. Der von den Franzosen benannte Zeuge Dr. Georg Mül ler auS Mülhausen i. E.. der Oberarzt in einem Rescrvcregi- ment Nr. 112 war, gilt an, Laule sei von Hinte» an Migat hcr- angetreten und habe ihn aufgefordert, sich zu ergeben. Ter Zeuge habe beobachtet, wie Migat, als er entwaffnet werden sollte, sich heftig wehrte. Die deutschen Soldaten hätten dann einen Kreis nin Migat gebildet. Der Kreis habe sich dann wieder geöffnet. Migat sei weitergeschrittcn. Es seien Schüsse gefallen und der Franzose sei tot niedergcstürzt. Untersucht habe de-. Zeuge die Leiche nicht. Nach Schluß der Feindseligkeiten habe die Witwe Migat ö in elsässtschen Zeitungen nach Zeugen de- Erschießung gesucht. Daraufhin habe sich Müller gemeldet. De», Zeugen werden daraufhin seine vor dem Untersuchungs richter in Mülhausen gemachten Aussagen vorgehalten, die in sehr wesentlichen Punkten von seiner heutigen Dar stellung abweichen. Es wird dem Zeugen vorgehalten, daß er anscheinend in Mülhausen unter Eid anders ausgesagt haben muß als heute. In Mülhausen hat der Zeuae gesagt, Laule babe Migat an der Spitze einer Rotte marschieren lassen und dann sei er durch eine Salve erschossen worden. Der nächste Zeuge. Dr. De lnnsch, Stabsarzt im ersten Bataillon, Infanterieregiment 112, will gesehen haben, wie Laule neben Migat und einer kleinen oder größeren Mannschaft deutscher Soldaten ging. Er hörte dann noch, wie Laule zwei Soldaten befahl, dem Kapitän das Koppel abzunehmen. Einig« Zeit später hatten mehrere Soldaten auf Migat angelegt. Datz dies ans Befehl geschehen wäre, kann er nicht sagen. Der Zeuge Landwirt Geißler erzählt, wie Laule versucht habe, Migat gelangen zu nehmen und dann 2 Mann herbei- gerufcn habe. Metzger Alois Koch aus Seebach bei Ackern habe gesehen, wie Migat sich wehrte und sich weigerte, die Waf fen abziigeben. Endlich habe sich Migat entschlossen, mitzugelien. An einer Straßenecke habe er jedoch versucht, seinen zwei Be gleitern zu entfliehen. Ter Zeuge hatte den Eindruck, daß s Migat betrunken war. Ein Gefreiter, der später gefallen ist. habe Migat erschossen. Buchhalter Ernst Koop hatte be obachtet, daß zwei Soldaten hinter Migat hergingen und baß dieser um sich schlug. Bald darauf habe Migat den einen Soldaten zu Boden geschlagen, worauf ein Schuß siel und Migat »icderstürzte. Der Zeuge habe sich über die Geduld Laule» gewundert. Der letzte Zeuge, Arbeiter Oskar Menz aus Mann heim, gibt an, Migat, der betrunken gewesen sei, habe um sich geschlagen. Als Migat bei seinem Abtransport an der Straßenecke wcglaufen wollte, seien zwei Schüsse gefallen. Tie Beweisaufnahme wird hierauf geschlossen. Ter Oberreichsanwalt hebt hervor, daß irgend ein hinreichender Beweis, daß Laule den tödlichen Schuß abgegeben oder die Tötung befohlen habe, nicht erbracht worden sei. Ganz klar sei der Vorfall geschildert wor den. Man brauche nicht anzunehmen, daß einige Zeugen bewußt die Unwahrheit gesagt haben. Es handelt sich um Vorgänge, die sieben Jahre zurückliegen. Da könne sich ein Zeuge irren. Soviel stehe aber fest, daß Migat sich gewehrt habe, so daß Laule zwei Soldaten heranrief, um ihn zu entwaffnen und abzuführen. Ans de» Anssagen aller Zeugen gehe auch hervor, daß Laule selbst nicht geschossen habe, nicht einmal die beiden elsässisckei^ Aerzte hätten so etwas behauptet. Aber auch von einem Be fehl des Hauptmcinns, den Kapitän zu erschießen, sei nicht daS geringste festgcstcllt. Er beantrage deshalb, den Angeklagten f r e i z u s p r e ch e n. Ter Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Pohl, Berlin, sagte, er sei stolz, ein Deutscher zu sein, nachdem ec heute gesehen habe, mit welch deutlicher Objektivität der heutige Fall behandelt worden ist. Der Vorfall, der den Anlaß zur Klage bildete, sei sehr traurig, aber den Angeklagten treffe daran keine Schuld. Der Kapitän habe seiner Festnahine und Ent waffnung Widerstand entgegengesetzt. Wer den tödlichen Schuß abgegeben habe, war nicht sestzustellen. Der Verteidiger schließt sich dein Anträge auf Freisprechung an. Nach einhalbstündiger Beratung verkündigt der Präsident um 3 Uhr das Urteil, das auf Freisprechung lautet. Tas Gericht hat die volle Ueberzeugung von der Un schuld des Angeklagten erlangt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob bei der Erschießung des Kapitäns das Völkerrecht irgendwie verletzt worden ist. Der Präsident betont zum Schluß, daß die vollständige Schuldlosigkeit Lanles erwiesen sei. gcn Lebens verursachte ihm jenes altcrsehrwürdige, süße große Herz im Schränkchen, hinter besten erblindeten Glasscheiben stets alte Famttienschätze des Flickschusters wohlgeborgcn ansbewahrt Ingen. Von seinem Sitze aus konnte er deutlich einzelne Helle Flecken an der großen, grellroten Fläche des Zuckerkleinods unter scheiden. Stall, daß dasselbe nach Herzensart unten in Spitz- ferm auslief, zeigte dieses süße Familienstück einen kreisrunden zackigen Einschnitt. Daran waren aber nicht die schlechten ana tomischen Kenntnisse des Zuckerbäckers schuld, das waren die Spuren eines Attentates. Ihm ist es, als wäre es noch gar nicht lange her. An einem kalten Herbsttag war es gewesen, wo er heim von der Schule kam und durch ein csfenes Fenster kriechend, niemand im Hause fand. Die Mutter suchend, kam er bis hinauf in den Boden. Sein Suchen und Rusen war vergebens — er war allein. Da merkte er, daß an der Tür der oberen Stube ausnahmsweise der Schlüssel steckte. Voll Jubel stürzte er der Tür zu und das Heiligtum, das er sonst nur in Begleitung der Mutter betreten durfte, tat sich ihm auf. Von all den Schätzen, die die obere Stube barg, schien nichts ihm so begehrenswert, wie das Glas schränkchen mit den tunten, blitzenden Sachen und dem großen, roten Zuckcrherzen. Er kletterte auf einen Stuhl und öffnete die Türe zu den verbotenen Schätzen; im nächsten Augenblick hielt er entzückt den Gegenstand seiner Bewunderung und Sehn» sucht zwischen den kleinen Händchen, die Versuchung war zu groß für sein kleines Herz. Erst leckte daS Züngelchen nur ganz bescheiden wie in stil ler Liebkosung über die grellrote Fläche, bis das schreiende Rot einer blässeren, bescheideneren Schattierung wich und dann sing er ganz langsam unten bei der Spitze an z» essen, eS schmeckte gar so süß. Wer weiß, was heute alles noch dem Herzen fehlte, wenn damals nicht auf einmal die Mutter überraschend heimge- kominen wäre. Als er die Haustüre unten gehen hörte, fuhr ibm der Schreck so in die Glieder, daß er den Stuhl umwarf, auf dein er stand, und durch den Schlag die Mutier auf seine An- weienbeit aufmerksam machte. Schnell kam sie die Treppe her aus und stand ibm plötzlich gegenüber. Die zahlreichen roten Flecken in seinem Gesicht und an seinen Händen erzählten ihr »»r zu schnell, was h:er geschehen. So bös wie damals hatte er seine Mutter noch nie gesehen. — Noch wochenlang nach diesem bcdcutunasvollen Tage fühlte er die Pcitschenstrienieil über seinem Rücken und die Erinnerung daran schützte ihn oft in Zn« kuiift vor verbotenen Gelüsten. —> (Fortsetzung folgt.)