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Die Aufforderung regte Ottilie grenzenlos auf. Die Vorgänge der letzten Monate hatten ihre Gesundheit geschwächt und sie in einen Zustand fiebernder Unruhe Hineingetrieben. Sie dachte daran, ablehnend zu aut Worten. Aber was hätte das genützt? Eine Weigerung, dort als Zeugin zu erscheinen, mußte neue Widerwärtigkeiten heranfbeschwörcn. So lies; sie sich den Mantel umlegen und den Kopf einhiillen. Halb betäubt trat sie den Weg au. Ter in der Vollkraft seiner Jahre stehende Manu, welcher mit zornsprühenden Augen auf sie gesehen, in dem sie nur zu bald den Knaben von einst wiedererkaunt hatte, Heinz Marwitz schien au ihrer Seite dahinzuschreiteu, ihr war es sogar, als streife seine Gestalt ihren Mantel. Dort im Schlosse aber befand sich Waltenberg. Er rechnete mit vollster Sicherheit auf ihren Beistand. Und wenn sie ihn reizte, so war Ilse ver loren. Es dnrchschanerte sie, fröstelnd zuckte sie zusammen. Wie unendlich weit zurück lag das Einst, wie lange hatte die Vergeilung gezögert, aber gekommen war sie doch! Sie blickte nicht ans, der weite Nasenplatz, das prächtige Tchlos; verschwammen vor ihren Augen. Endlich stand sie vor dem bezeichneten Zimmer, in dem Totenstille herrschte. Der Bursche hatte sich inzwischen ans seiner knieenden Stellung erhoben und stand in scheuer Verlegenheit da. Waltenberg aber mas; alle der Neihe nach mit herausfordernden Blicken. Ottilie brachte ihm den Sieg. Das war ein guter Einfall von dem alten Sonderling, die einst Angebetete hierher kommen zu lassen. Langsam öffnet sich die Tür und Ottilie trat ein. Zum erstenmale sah Marwitz die Iran wieder, welche damals in ihrer bezaubernden Schönheit der Pnrpnrrose glich. Jetzt hatte das Leid tiefe, un auslöschliche Linien in das einst so blühende Gesicht gegraben, das im Nahmen des schwarzen Kopftuches aschfahl erschien. „O. Mama, liebe Mama!" rief Ilse fast schluchzend und eilte ans die Mutter zu. um sie zu stützen, „kommst du wirklich? Diese Aufregung wird dich noch kränker machen." Jones trug schon einen Stuhl für die sichtlich Leidende herbei; sie stützte sich, durch eine Bewegung dankend, ans die Lehne desselben. „Vcrehrteste Frau," begann Waltenberg, aber ein gebieterisches Zeichen des Besitzers von Blankenstein unterbrach ihn. „Hier habe ich zu sprechen, Herr! — Bitte, Iran von Lnkado, das doit soll mein Sohn sei», jener Herr. Ihr Irennd, behauptet es! Sie kannten meinen Knaben — wenn Sie auch nur eine Spur von Aehnlichkeit zwischen meinem Heinz und dein jungen Menschen hier bemerken, so sagen Sie es!" Ottilie hatte sich nur verneigt, ohne jemand direkt zu begrüben. Nun sah sie Marwitz ins Gesicht. Ein etwas in ihr. das stärker war, als ihre Schwäche, zwang sie dazu. Sein altes Gesicht war ganz ruhig. Aber die weitanfgeschlagenen, zurückgesnnkenen Angen schienen zu sprechen: „Hast du den Mut, Schuld ans Schuld zu hänfen, so tue es!" Und in ihren: Ohr klang noch die Stimme des Verstoßenen wieder, Heinz' Stimme, welche den Worten des Vaters die Drohung hinznfügte: „Die Strafe wird dich finden!" „Herr Waltenberg —" Der Angemeldete und sein Begleiter hatten die Mäntel bereits ab gelegt, sie folgten der Magd ans dem Insze; diese schloß die Tür, n»o Waltenberg nahm seinen Schützling bei der Hand, während er sich ge schmeidig vor den Anwesenden verneigte. Es waren Augenblicke höchster Spannung, am interessantesten aber, Marwitz' Gesicht zu beobachten, das erst Staunen, dann Enttäuschung und schlnßlich höchne Empörung ansdrnckle. „Herr Marwitz, ich habe die Ehre und die große Irende, Ihnen den verloren geglaubten Sohn znrückznbringen Die salbungsvoll gesprochenen Worte wurden durch die schrille Stimme des allen Marwitz jäh unterbrochen. „Aber das ist ja gar nicht mein Sohn!" Seine Angen erscheinen unnatürlich vergrößert, alle Milde war wie fortgelöscht von seinen Zügen, in finsterem Hohn sah er von Waltenberg ans dessen bleichen Schützling, der unwillkürlich vor den: häßlichen, scheltenden Manne znrückwich. Waltenberg war zwar betroffen, doch mochte er ans alle möglichen Zwischenfälle vorbereitet gewesen sein. Hier galt es zu kämpfen; halbver- hüllten Gefahren zu trotzen, dazu war er der Mann. Er hatte eine Aktenmappe unter den: Arm, in der sich alte, schlecht erbaltene. doch als authentisch erkennbare Dokumente befanden. Schweigend breitete er die Papiere vor Marwitz ans. Dann trat er wie beleidigt zurück. Auch Iran Bödow schüttelte den Kopf, und der Moment war viel zu günstig, um ihn ungenützt entschlüpfen zu lassen. „Du siehst mm, Schwager, wie recht nur halten, sagte sic mit äußer licher Gelassenheit, trotzdem cs in ihr stürmte, „das ist ein ganz abgefeimter Plan, um dich zu überlisten und dir das Erbe zu entlocken. Tein Sohn besaß eine sprechende Aehnlichkeit mit deiner verstorbenen Iran; ich als Schwester muß es doch wohl beurteilen können." Es war vielleicht das erstemal, daß Marwitz seiner Schwägerin be jahend znnickte, daß sein Blick sie zun: Weitersprechen anffordcrte. Sie wandte sich mit ruhiger Würde an Waltenberg. „Sie hören es, mein Schwager ist nicht in der Lage, den jungen Mann als seinen Sohn anznerkennen." Waltenberg lächelte in seiner gewohnten überlegenen und boshafte:: Weise, aber noch ehe er antworten konnte, geschah plötzlich etwas ganz Un- erwartetes. Der Bursche warf sich vor den: Iahrstnhl nieder, und eine Hand des Gelähmten an seine Lippen ziehend, stammelte er: „Vater!" DaS Wort verfehlte seine Wirkung nicht. Marwitz beugte sich über den Knieenden, bis ins Herz getroffen. Und dann griffen die zitternden Hände nach den Papieren, die keiner eingehenden Prüfung bedurften, sie waren echt, das erkannte auch Marwitz sogleich, die Stempel unanfechtbar, auf de»: Taufschein ein kleiner Kasfeefleck, der Impfschein eingcaissen und wieder verklebt, es waren die hier in Erlau angefertigten Doknmeiite. Und doch lehnte der alte Herr sich weit znrück, und das ergraute Haupt bewegte sich verneinend.