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Montag oen 13. Oktober ISIS Sächsische VolkSzeltung Nr. 237 — Seite 2 lichkeit die Achtung und der Gehorsam vor derAuto'ritätvorgemacht! Ebenso gering ist die Achtung vor dem alten Christenglauben. Man wähnt sich in einer sozialdemokratischen Versammlung, wenn man diese Steinwürfe in das Heiligtum des klassischen Christentums sieht. Orthodoxie! Schon das Wort reizt die Herren. Die chr i st ka t h o l i sch e Schule, die so tief durchdrungen war von ihrem „Gottesdienst", die so lebend':- geS und praktisches Christentum gelehrt, die von der ernsten und strengen Erziehung, zu der Paulsen zurückgerufcn hat, niemals abgewichcn war, die fortwährend verbunden blieb niit den Erfahrungen einer Kirche, die Jules Payot die „unvergleichliche Erzieherin der Charaktere" genannt hat — diese Schule hat nichts gewußt und nichts geleistet in der Volksbildung. Unfähig! Bankerott! Also der „Gerichtshof" der 5000. Der Liberalismus war es, der in Chemnitz das Wort geführt hat. Er saß auf dem Nichtersessel und sprach über die katholische Kirche, die katholische Schule, die katho lischen Lehrer das Todesurteil. Dr. Zöphel kennt die Ge schichte der katholischen Schulpolitik nicht. Aber auch in die Geschichte der liberalen Schulpolitik hat er schwerlich hineingcsehen. Er mußte sonst wissen, wie grau sam -er Liberalismus unter der Jugend gehaust hat. Wlr lassen einen Fachmann reden: „Schulfähige und sogar schulunmiindige Kinder hat die liberale Wirtschafts theorie zu Ausbeutungsobsek- ten erbarmungsloser Geldgier gemacht, und die prahle rische liberale Erziehungs kunst hat von den Scheuß- lichkeiten gar nichts gemerkt; es war ihr genug, über mittelalterliche „Prügelpädagogik" sich zu entrüsten, wenn auch dabei an den Zentren des Liberalismus, im 19. Jahrhundert, Tausende von kaum schulfähigen Kindern in Fabriken und in Bergwerken zu 12-, 14- und lOstündi- ger Arbeit gezwungen wurden, für die sie nicht so viel Entgelt erhielten, um wenigstens am Sonntag ein men schenwürdiges Kleid anlegen und an die frische Luft gehen zu können." (Franz Krus, Universitätsprofessor): „Zum Verständnis der pädagogischen Strömungen unserer Tage." Innsbruck 1913.) Ein zweites Denkmal unauslöschlicher Schmach für den wirtschaftlichen und schulvolitischen Liberalismus ist, nach Krus, die VerwahrlosungderreiferenJu gen d. Er erwähnt den Ausspruch des freigesinnten Richard Nord hausen: „Niemals noch, so lange es eine Geschichte gibt, hat ein Land seinen Nachwuchs so verlottern lassen, Unreife so völlig auf sich gestellt wie wir." Dagegen die katholischen Jugendorga nisationen! Die Gründung des ersten katholischen Ge sellenvereins geschah im Jahre 1864 durch Kolping. Ilgen- stein. „Die Gedankenwelt der modernen Arbeiterjugend" (Charlottenburg 1913), gibt die Mitgliederzahl der katho- lischen männlichen Jugendvereine auf 357 818, der katholi schen weiblichen (Teilstatistik) auf 208 000 an. Diese Zah len sprechen um so lauter, wenn nian sie mit der Mitglieder zahl evangelischer Jugendvercine vergleicht. Evangelische Jünglingsvereine und Christliche Vereine junger Männer 144 000, Evangelische Jungfrauenvereine 250 000. Bekannt ist der frische, fröhliche Ten in der katholischen Jugendpflege. Das günstige Urteil Bebels über den katholischen Gesellen- verein gilt für alle katholischen Jngendvereine. Geist und Praxis ist im wesentlichen überall gleich. (Vergl. Pieper, „Jugendfürsorge und Jngendvereine". M.-Gladbach 1908.) Die kluge „moderne" Pädagogik kehrt in der Willens- bildung zurück zum katholischen Ideal: „Lerne ge horchen! Lerne dich anstrengen I Lerne dir versagen und deine Begierden überwinden!" Die kluge „moderne" Päda gogik wirft sich, erschreckt über die Verwilderung der Jugend, mit Fiebereifer auf die Jugendpflege, die die „ban kerotte" katholische Pädagogik schon im Jahre 1825 („Maria nische Kongregationen") mit Eifer betrieben hat. Der „Gerichtshof" in Chemnitz hat die Kühnheit gehabt, die ganze katholische Volksbildung in Bausch und Bogen kür „bankerott" zu erklären und zwar nicht vom Standpunkts einer gewissen revolutionär pädagogischen Richtung aus, sondern ganz objektiv und allgemein, vom Standpunkte aller schulpolitischen Richtungen aus, vom linken bis zum rechten Flügel. Wiewohl dis 50 " mit ihrem Urteil nicht des Urteil abgeben könnten, wiewohl der „Gerichtshof" mit sei nen liberalen Advokaten und ihren liberalen Sprüchen eine Oberflächlichkeit und Unfähigkeit in der Wertung katholischer Pädagogik bewiesen hat, die, in seiner Sprache, mehr als „bankerott" ist, so wird die katho lische Lehrerschaft Sachsens dennoch an den Aeußer ungen dieses „Gerichtshofes" nicht achtlos vorübergehen dürfen. Deutsches Reich Dresden, den IS. Oktober 1918 f Die RelchStagSersatzwahl in Dresden - Neustadt regt noch zu einigen Betrachtungen an. Die Konservativen ge wannen gegen 1912 insgesamt 405 Stimmen, die Frei sinnigen dagegen verloren 1473 und die Sozialdemokraten verloren 442. Die Verluste der beiden Parteien fallen um so schwerer inS Gewicht, als diesmal 2746 Wahlberechtigte mehr vorhanden waren. Diesmal sind 11 300 nicht an die Urne getreten, d. i. rund 2000 mehr als 1912. Man muß nach diesen Ziffern den konservativen Stimmzuwachs ein- schätzen, wenn auch der restlose Zufall von den 319 Zen trumsstimmen nicht zu unterschätzen ist. Die Zahl der Nicht- Wähler ist zum größten Teil bei den bürgerlichen Parteien zu suchen, daher ist der sozialdemokratische Sieg in erster Linie dem wahlfaulen Bürgertum zuzuschreiben. Die soz. Mehrheit über die Gegner beträgt diesmal sogar 6010 gegen 6057, die Mehrheit wäre zu beseitigen, wenn alle Wähler ihre Pflicht täten. s Bei der patriotischen Feier am 18. Oktober vor dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig wird das Altniederländische Dankgebet gemeinsam gesungen. Am Schlüsse dieses Liedes heißt es: „O Herr, mach' uns frei!" Dazu bemerkt spottend die „Leipziger Volkszeitung" (Nr. 236): „Ja, lieber Herr, sei so gut. Wenn wir nämlich auf unsere Hurrapatrioten warten müßten, bis wir frei werden, würde die ersehnte Freiheit auf den St. Ninimerleinstag verschoben werden müssen. Glücklicherweise sind aber Leute am Werke, „uns frei zu machen", die weder auf den Herrn, noch auf die Patrioten warten wollen." Die gott -und vaterlandslosen Gesinnungen der Leipziger roten Presse feiern in diesen Tagen wahre Orgien. -j Das „Neue Sächsische Kirchenblatt" hatte in seiner Nr. 38 die lateinische Kirchensprache als „prak - tisch völlig zweckwidrig" bezeichnet. Dagegen Hirn genügt. Aber uns scheint, daß es damit beim „Neuen hatten wir in unserer Nr. 219 geschrieben: „Aber vielleicht gibt ihm (dem „N. S. K.") — gerade nach der praktischen Seite hin — die Tatsache zu denken, daß der rein deutsche Gottesdienst der evangelischen Kirche den Kirchenbesuch keineswegs gehoben hat. „Die Seg nungen der Reformation" sind in deutscher Sprache ver kündet worden und doch sind, wie Pastor A. Nagel-Patten sen bezeugt, nur kümmerliche und dazu noch halbverstan dene Neste übrig geblieben in der Masse des Volkes, das ohne Gottes Haus und Gottes Wort dahin lebt . . Darauf antwortet jetzt das „Neue Sächsische Kirchen- blatt": „Was das niit der von uns abgedruckten Klage eines Katholiken über die lateinische Kirchensprnche zu tun hat, begreift wohl nur ein römisch geschultes Hirn." — These: Die lateinische Kirchensprache ist praktisch völlig zweckwidrig. Antithese: Die rein deutsche Kirchensprache hat sich nicht praktischer erwiesen. Um diese Logik zu begreifen, bedarf es keines „römisch geschulten Hirns", ein geschultes Hirn genügt. Aber uns scheint, daß es damit ueim „Neuen Sächsischen Kirchenblatt" etwas hapert. t In Lommatzsch fand bekanntlich Mitte September das Jahresfest des sächsischen Hauptvereins des Evangelischen Bundes statt. Der „Evangelische Bundesbote für das König reich Sachsen" berichtet in seiner Nummer vom 10. Oktober darüber. Uns interessieren daraus nur zwei Sätze. Erstens: Bürgermeister Benndorf begrüßte im Namen der Stadt und gelobte „in trefflichen Worten" „im Namen der Bürger schaft", „daß die Einwohner der Feststadt treue evangelische Männer und Frauen sein und bleiben wollen". Des ist denn doch ein originelles Gelöbnis. Lommatzsch hat nach der Zeitschrift des K. Sächsischen Statistischen Landesamtes, 58. Jahrgang 1912, erstes Heft, Seite 84. 4179 Einwohner, darunter sind 3919 evangelisch, 254 katholisch usw. Die 254 Katholiken, deren Bürgermeister Herr Benndorf doch hoffent lich auch sein will, werden mit dem Gelöbnis Wohl nicht ein verstanden sein, und ob alle 3919 Evangelische einen solchen Satz billigen. Der Bürgermeister hat anscheinend sein Amt verwechselt. Er ist doch Bürgermeister der politischen Ge meinde Lommatzsch und nicht evangelischer Pfarrer dortselbst. Pastor Sonntag würde sich sehr dafür bedanken, wenn Bür germeister Benndorf demnächst die Kanzel bestiege. Jeden falls sollte ein Bürgermeister nicht solche Gelöbnisse ablegen. Zweitens: Der Vorsitzende des Sächsischen Landesvereins Herr Superintendent Kröber auS Pirna „wies darauf hin, wie man nicht erst löschen dürfe, wenn das eigene HauS brennt, sondern schon, wenn das Nachbarhaus in Brand ge- raten. In Preußen, in Bayern brenne es schon lange. So sei für uns in Sachsen kein Grund, müßig zu sein; wir Sachsen müßten vielmehr dazu beitragen, daß wir in Deutsch land auch auf dem kirchenpolitischen Gebiete aus der Klein staaterei herauskommen. Daß es bei uns in Sachsen schon brennt, zeigte der Herr Vorsitzende an einer An zahl Beispielen, so an der unverhältnismäßigen Zahl katholischer Schwestern in Sachsen, an der Kampfesweise der „Sächsischen Volkszeitu ng ", am Zustandekommen des ersten sächsischen Katho likentages in diesem Jahre, an der unerhörten Zen- trums Hetze gegen Sachsen in katholischen Zeitun gen, von der mit Recht gesagt worden ist, sie wachse sich nach gerade zu einem öffentlichen Skandal auS. „Darum mutz nüchterne protestantische Wachsamkeit und Stärkung unserer Reihen nach wie vor unsere Parole bleiben, womit zugleich die beste Abwehr gegen die zerstörenden Mächte unserer Zeit, wie Monismus und Sozialdemokratie, gegeben ist." Die Zentrumshetze gegen Sachsen existiert doch wohl nur in der Kröberschen Phantasie und der Herr Superintendent bat wohl die Güte, mal nachzusehen, wo es im evangelischen Lager in Sachsen brennt. Dort mag er löschen. Die Existenz der katholischen Krankenschwestern, die Sächsische Volkszei tung und der sächsische Katholikentag sind doch nur dazu da, die Interessen der Katholiken wahrzunehmen. Im evan gelischen Lager wollen sie nicht tätig sein. Oder ist schon die Existenz der drei Faktoren eine Beleidigung der Evan gelischen! Was müßte dann in Oesterreich gesagt werden, wo die Los-von-Nom-Hetzer ständig ihre Verwüstungsarbeit treiben. — Der König von Sachsen hat dem General der In- sanierte v. Prltzelwih, kommandierendkm General des VI. Armeekorps, da» Großkreuz mit goldenem Stern des AlbrechtSordevS verlieben. — Der Präsident der Reichsbank Exzellenz Havenstcin ist von seiner langen Krankheit erfreulicherweise wieder völlig hergestellt und wird gutem Vernehmen nach in diesen Tagen oie Geschäfte der Reichsbank wieder übernehmen. — Einen große« historische« Frstzng, der mit einer nationalen Kundgebung vor dem Kaiserschlosse in Berlin und mit einer Ansprache an den Monarchen verkünden scir wird, veranstaltet am kommenden Sonntag, den 19. Okt., anläßlich der Einweihung des VölkerschlachtdenkmalS in Leipzig, die Gruppe Grobberlin des Jungde^tscksonds. bnndeS, und zwar unter Beteiligung von mehr als 26 000 Personen aller Stände. Es wird eine der großartigsten Veranstaltungen werden, die Berlin je gesehen hat. — I« der Wrlfeufrage werden in verschiedenen Blättern amtliche oder halbamtliche Veröffentlichungen auf Grund der in den letzten Wochen zwischen Berlin und Gmunden gepflogenen Unterhandlungen angekündigt. Diese Angaben treffen, wie der „Voss. Ztg." von zuständiger Stelle mit- geteilt wird, nicht zu. In der Welfenfrage sind in nächster Zeit amtliche Ve> öffentllchunaen nicht zu erwarten. — Ntne Marirreluftschiffe. Die Marineverwaltung hal der „Post" zufolge zwei neue Luftsch'ffe in Auftrag gegeben, die nach ihrer für das Frühjahr 1914 in Aussicht genom menen Fertigstellung die Bezeichnung „L. 8" und „L. 4" tragen werden. L. 3 ist nach dem Zeppelintyp gebaut und L. 4 ist das erste Luftschiff, da» die Marineverwaltung nach dem Typ Schütte Luvz baut. — Neuordnung der französische« Kousulate i« Deutsch- l««d. Wie die „Franks. Ztg." meldet, wird die französische Regierung infolge einer Neuordnung deS Konsulatswesen» die Zahl der Konsulate und Generalkonsulate beschränken und die Gebälter vermindern. Im ganzen sollen 11 Ge- ganze Raum, vor allem die transparente Hinterwand, wird jeweils der Stimmung der Handlung entsprechend abgetönt. So schaut das Auge, das sich nirgends an Kulissentand stößt, Bilder von überwältigender Schönheit. Und Bilder von dem intimen Reiz, wie ihn die Präraffaeliten ihren Gemäl- den einznhguchen wußten. — Mas hier mit fein abgestimm- ten Gewändern erreicht werden kann, verriet uns das Nach spiel: Das Not, das Not-gelb, das dunkle Grün. Wie sich das abhcbt gegen den schwarzen Hintergrund! Und wie die Gestalten beim Aktschluß zu Silhouetten werden und allgemach in: Dunkel zerfließen, ehe der Vor hang seine Falten zusammen gleiten läßt, da? wirkt, als habe man eine Vision gehabt. Ein Spiel van der Art der „Verkündigung" wird auf dieser Bühne znm innerlichsten Erlebnis. Diese Leute von Hcllerau, die sich in allzngroßer Be scheidenheit Dilettanten genannt haben, haben gezeigt, daß cs ihnen heiliger Ernst ist niit ihren „Versuchen". Hier ist reiner, vornehmer Stil, hier ist höchster ästhetischer Gennß. Wenn dies nur Anfänge sein sollen, dann dürfen wir noch das Größte von der Hellcrauer Bühne erwarten. < * « „Die „Verkündigung" muß nicht gespielt, sie muß zele- briert werden," betont Dr. Adolf Dohrn. Ja, und jedes mit wirkenden Schauspielers Haupt müßte das weihende Oel der heiligen Kunst genetzt haben. Das kann man aber auch nach der zweiten Aufführung leider noch nicht feststellen. Karl Ebert in der Nolle des Peter von Ulm war seiner Aufgabe gewachsen. — Schier vollendet war die Wiedergabe der Mora durch Mary Dietrich. Sic zeigte recht glmibhaft die Tochter, die ein gut Teil vom starren Sinn des Vaters überkommen hat, und das Weib von dem gedämpft-heiseren Unterton der Eifersucht bis zu den stärksten Ausbrüchen ihres heißen Tem peraments. Bruno Decarli stellte den Andreas vor uns hin wie ans knorriger Eiche geschnitzt, diesen Abraham, die sen unbeugsamen und doch in seiner Art wieder gütigen Patriarchen. In der unnatürlich umständlichen Brotvertei lung wirkte er gar zu opernhaft. — Eva Martersteig muß sich immer noch mehr bemühen, in der Verkörperung der sensiblen Violänc nicht in den weinerlich-sentimentalen Ton zu fallen, erst recht nicht im höchsten Ueberschwang des Ge fühls. Groß war sie in der Weilmachtsszene und am Ende. — Den Jakobäus, der von Moissi dargestellt werden sollte, spielte wieder Werner Lotz. Ich glaube kaum, daß Claudel den Naturburschen so aufgefaßt wissen will. In diesen Gesten wirkte er auf der Lichtbühne — albern ist vielleicht zu hart, aber doch hölzern. Manchmal erhob sich jedoch sein Spiel erfreulicherweise über das Gewöhnliche. — Ganz un zulänglich scheint mir die Elisabeth der Lisa Hohorst. Mit dieser Nolle ließe sich mit einem weniger spröden Organ, das frei von sächselndem Tonfall wäre, immerhin mehr an fangen. In: großen Ganzen mußte die Widergabe des geist lichen Stückes befriedigen, wenn auch nie ein Beifallsgeräusch die weihevolle Stimmung zu durchbrechen wagte. O Im Anschluß an die erste Aufführung der „Verkündi gung" hat ein Teil der Presse sich bemüßigt gefühlt, die Stimme zu erheben gegen „die gefährliche Romantik katho lischer Vorstellungen, Lieder und Gesänge". Uns interessiert diese Stellungnahme an diesem Orte nur insoweit sie Clau- dels Dichtung berührt. Auch wir sind der Meinung, daß mit katholischen Kultformen sensationslüsternen Zuhörern kein Sinnenkitzel bereitet werdet: darf. Der katholische Kul tus ist zu hehr, als daß er dermaßen profaniert werden dürfte. Aber hat das etwas mit der „Verkündigung" zu tun? Hier spricht doch ein Dichter, ein geborener Dichter. Sein Werk freilich verlangt ein hingebcndes Vertiefen in seine mystischen Wunder (mit der „unbefleckten Empfängnis" hat das Stück gar keine Berührung). Uns Katholiken, denen seit den Tagen der Kindheit die Schönheit des katholischen Kultus immer mehr anfgegangen ist, fällt dies gewiß leichter. Und vielleicht wäre es aus diesem Grunde wünschenswert ge wesen, wenn die „Verkündigung" ihre deutsche Uraufführung im katholischen Süden erlebt hätte. Und nicht hier in Sach sen, wo fast jeder katholische Geistlick«: auf der Straße, jeder durchreisende Mönch wie ein Wundertier angestaunt wird. Wir haben es herrlich weit gebracht im geeinten deutschen Vaterlande. Gottlob gibt es noch einsichtige Köpfe unter den Protestanten, die sich von solchen Machenschaften abwenden. Die sich erinnern und sich gestehen, wie viel Anregungen den größten deutschen Männern der Katholizismus gab. Ich nenne nur Goethe, Schiller, Wagner. Ich erwähne auch die Dichter der Romantik, die sich zu Anfang des vorigen Jahr hunderts gar mächtig zur katholischen Kirche hingezogen fühl- ten. Da sagte Wackeuroder, Ticcks Freund: „Ich bin zu jenem Glauben hinübergetreten, die Kunst hat mich all mächtig hinübergezogen." Wir lassen die Frage hier unbe- rührt, ob in welchem Grade der Protestantismus unkünst lerisch ist. In der „Verkündigung" hat das katholische Elc- ment aber auch nicht im geringsten etwas Aufdringliches. Man muß schon mit einen: eigensinnigen Vorurteil zu die sem Spiele kommen, wenn man sich verletzt fühlen will. Sollte man in der sächsischen Residenz wirklich für die Gotik kein Verständnis haben, weil das Barock hier die Vorherr schaft besitzt? Die „Verkündigung" ist voll echter Kunst. Darf diese Kunst behandelt werden, als ob sie aussätzig wäre, bloß weil ein — katholischer Dichter sie uns geschenkt hat. Dr. K a r l D e ck.