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-lr. 8L Tonntag, den 10« April IVIO 0. Jahrgang krlcheüit täglich »achm. mit SuSxvhme der Tonn- und Festtage. Ausgabe 1. > Mit .Die Zeit in Wort und Bild' vierteljährlich. 2.10 Hi, Dresden durch Loten 2,40 In ganz Deutschland sret Haus 2,82 v«»aab« Ohne iiluliricrte Beilage viertelj. 1.80 I» Dresden d. Bote» 2,10 ^ In ganz Deutschland frei Hau» 2,22 - Etnzel-Nr. 10 4 - ZettungSpreiSl. Nr. 0888. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit serat« werden die Kgesdaltene Petitzctle oder deren Raum mit Rellamcn mit 80 ä die Zeile berechnet, bei Wiederholungen entsprechenden Siabatt. Bachdroikeret, Redaktion und VrschäftSktrll«, Dresden, Pillni-er Etrahr 4». — Fernsprecher ILO» FürRückgabe unverlangt, rchrisrslüike keineBerbindlichkeil Redattions-Sprechstunde: tj —12 Uhr. Lssts Lsrugxquslls! „g Vor-ii«rrvIiv Lvnv rmä xvikrauodto, »Ilo Hol»- uvä LlUarloa so^via KL^»ZIO«IKI»rS von 60 an Rissi^o xllvst-iAo 2»Ld1^siso, kokvi l Nlvt-klallO»! äokaaa-ltsorgvn-111«, lS I^ÜI- Li-orclien, ^oüiei-5, > Eilige, betten !— che 5cliöii5ten lieubeiten. beeile Lechenuagl Viüige kreise! vl'sscjen-^., LotiÖ8S6>'§3S86 4, neben ttertteiä. Z 51m fütmarkt. Der Zeremonienmerster im Vatikan. Dresden, den S. April 1910. Gleich einem König der Vereinigten Staaten zieht der ehemalige Präsident Theodor Noosevelt im Trimnphzuge daher. Drei Erdteile bringen ihm ihre Tri bute dar. Wohin er kommt, erweckt er Sensation, etwas reklamesüchtig dünkt uns dieses Schauspiel. Mit den Negerhäuptlingen trinkt er Blutsbruderschaft, Löwen, Kro kodile und anderes wildes Getier bringt er zur Strecke und läßt den Triumph seiner Büchse per Draht über das Meer tragen. Neben dem tüchtigen Jäger spielt er den hohen Politiker. Er spricht über die Verhältnisse in Aegypten mit größter Sicherheit, trotzdem wir überzeugt sind, daß t schlaue Kombination an Stelle des gründlichen Wissen getreten ist: so müssen die Nationalisten in einem Vor trage mit Verdruß hören, daß sie politisch unreif seien. Aber er darf sich schon etwas herausnehmen, er, der in Berlin in den Gemächern des Kaiserschlosscs wohnen wird. Theddy, so nennen sie Noosevelt im Lande der Aankees, sah dann das römische Kapitol und gedachte seinen Siegeszug weiter von der Kaiserstadt an der Donau und Paris nach der deutschen Metropole fortzusetzen. Ueberall finden wir einen geradezu lächerlichen Kult, der mit dem dcposscdierten Präsidenten getrieben wird. Nur ein bitterer Tropfen fällt in diesen Freudenbecher: der. Vatikan hat sich nicht dem Diktat des Gastes gebeugt, er allein hätte so viel Selbstbewußtsein, sich seiner Würde zu erinnern und in höflicher, aber doch in deutlicher Form zu sagen, daß Herr Rosevelt nur dann beim Papste willkommen ist, wenn er die Audienz, mag er sie nun aus welchem Grunde immer begehren, mit seinem übrigen Verhalten in Rom nicht in Widerspruch setzt. Die liberale Presse ist er bittert darüber: sie glaubt, der Papst habe den Anstand ver letzt, weil er die Audienz Roosevelts höflich an eine Voraus- setzung knüpfte. Da berührt es angenehm, daß wenigstens ein protestantisches Blatt noch kühlen Kopf behalten hat: es find die „Hamb. Nachr.", welche schreiben: „Der Vatikan muß sich allerhand höhnische Bemer- kungen und gute Lehren darüber gefallen lassen, was er einem Manne wie Herrn Theodor Noosevelt schuldig ge wesen sei. Nun, wir gehören wahrhaftig nicht zu den Anwälten des römischen Papstes und der vatikanischen Ansprüche, müssen aber doch sagen, daß der Kurie hier »on den amerikanisch .gerichteten «^deutschen Zeitungdn unrecht getan wird. Wir finden die Bedingungen, die der Vatikan für die Gewährung für die von Herrn Noose velt gewünschte Audienz beim Papste gestellt hat, völlig berechtigt. Zwar nicht an sich, wohl aber mit Rücksicht auf die Erfahrungen, die der heilige Stuhl nicht lange vorher mit dem Herrn Fairbanks, dem ehemaligen Vize präsidenten der Vereinigten Staaten, gemacht hatte. Dieser ließ sich bekanntlich vom Papste empfangen, ging aber dann hin und predigte bei den Methodisten in Nom. Wer deren Tätigkeit in der ewigen Stadt kennt, weiß, mit welcher maßlosen Roheit sie gegen die katholische Kirche kämpfen und den Papst in seinen Gefühlen ver letzen. Die Methodisten haben Rom zum Tummelplatz einer wahrhaft fanatischen Agitation gemacht. Speziell die Mothodistenkirche, wo Fairbanks seinen Vortrag hielt, aber ist dem Vatikan als Brutherd antipäpstlicher Pro paganda und des Proselytismus seit langem verhaßt. Unter diesen Umständen kann man es dem Heiligen Stuhle doch nicht verdenken, wenn er es für richtig hielt, einem ähnlichen Erlebnisse im Falle Noosevelt vorzubeu- gen, und daher vor Gewährung der Audienz bei Herrn Noosevelt die Sicherheit zu verlangen, daß sich ein so ärgerlicher, ja skandalöser Zwischenfall, wie mit Fair- banks, nicht wiederhole. Daß Noosevelt durch dieses Ver langen sich beleidigt und in seiner persönlichen Entschlie ßungsfreiheit hätte beengt fühlen können, ist nicht zuzu- geben. Weshalb sollte der Vatikan nicht berechtigt ge wesen sein, von dem Expräsidenten der Vereinigten Staa ten in Sachen der Methodisten etwas Aehnlichcs voraus- zusetzcn, oder wenigstens für möglich zu halten, wie es sich bei dem Exvizepräsidenten der nämlichen Vereinigten Staaten zugetragen hat?" Auch die „Leipz. N. Nachr." haben sich so viel ruhige Ueberlegung bewahrt, uni zu schreiben: „Die Bedingung war an sich verständlich. Sie wurde auch, wie man jetzt erfahrt, in den urbansten Formen ge stellt. Der Papst sprach nur die Hoffnung aus, daß „kein ähnlicher Zwischenfall, wie bei dein Vorgänger Roose velts, bei Herrn Fairbanks. den Empfang vereiteln wird". Man wünschte von ihm, daß er nicht gleich dem ehemaligen Vizepräsidenten der Vereingten Staaten, ehe er den Vatikan betritt, in der Methodistenkirche reden und diese enragierten Proselytenmacher zu neuen Taten er muntern möge. Man beugte vor, weil die ägyptischen Abenteuer, deren Schluß in den sanften Akkorden einer studentischen Katzenmusik ausklang, nicht die Sicherheit vor neuen Entgleisungen boten." Ein Grund macht uns den Zwischenfall im Vatikan be sonders sympathisch: wir deuteten ihn oben bereits an. Rom hat den „Theddykult" nicht mitgemacht und sich der Mode nicht gebeugt. Kein Staat und kein Monarch hatte den Mut dazu. König Viktor Emanuel besuchte Noosevelt sogar in seinem Absteigequartier, um gleichsam um Entschuldi gung zu bitten. Der Vatikan allein hatte den Mut, dem Stolze mit Festigkeit entgegenzutreten. Bei Noosevelt ist niemand vor peinlicher Entgleisung sicher. In Rom sagte er, daß der italienische König der beste Präsident für die Union sein würde, das heißt, und er, Noosevelt, der beste König für Italien. Wer weiß, ob er nicht auch in Wien sein politisches Licht leuchten läßt und über die nationalen Verhältnisse oder über Zis- und Trans- leithanien weise Ratschläge geben wird. Vielleicht erlebt es auch Berlin, daß des Kaisers Gast über die deutsche und englische Flotte Vergleiche zieht oder andere Weisheit aus kramt. Der Vatikan beugte solchen peinlichen Entgleisun gen vorsichtig vor, denn der einmal Gebrannte scheut das Feuer. Herr Noosevelt hat eigentlich gar keinen Grund, so stolz zu sein: seine Worte sind groß, seine Taten als Präsi dent waren klein. Wie ein kluger Geschäftsmann übergab er die Leitung der Firma an einen Nachfolger, weil er dcn Zusammenbruch seines Systems vor Augen sieht. Viel leicht will er sich dann als Netter holen lassen. Die unabhängigen Leute werden cs mit Genugtuung begrüßen, daß der Vatikan die Pflicht der historischen Wahr heit erfüllte und der Welt znm Bewußtsein brachte, daß auch ein gefeierter Held Rücksichten wie jeder Sterbliche zu erfüllen hat: denn wir wollen die Sitten der Amerikaner nicht bei »ns einführen, daß der Gast das Hauswesen auf den Kopf stellen darf: bei uns gilt, daß der Gast sich der Hausordnung zu fügen hat. ^V. Politische Rundschau. Dresden, den 9. April 1910. — Im preußischen Abzeorduetruhause wurde am Freitag die Weiterberatung des Bauetats ausgenommen. Der Ministergehalt wurde ohne wesentliche Debatte ge nehmigt. In der folgenden Beratung des OrdinariumS und ExtraortinariumS wurden Einzelwünsche vorgetragen. Morgen soll der Bauetat zu Ende geführt werden und der Eisenbabnetat beginnen. — Es bleibt beim Wahlrechtskompromiß, so kann man heute schon sagen. Am Dienstag wird das preußische Ab geordnetenhaus abstimmen und keine Aenderung mehr vor nehmen. So sprechen sich jetzt auch konservative Abgeord nete offen aus, zum Beispiel in der „Schles. Zeitg." So wird erzählt, daß die Nationalliberalen eine Beseitigung der Drittelung nach den Urwahlbezirken gefordert hätten, während sie noch nicht einmal den Konservativen dafür die gewünschte öffentliche und indirekte Wahl zugestanden hät- ten. Danach wären also die Konservativen der Drittelung in den Gemeinden nicht abgeneigt gewesen, wenn ihnen nur die indirekte mrd die öffentliche Wahl bewilligt worden wäre. Dann heißt es weiter: „Ich meine, es zeugt von Kurzsichtigkeit in der Politik, wenn man das, >vas die Kon servativen bei dem sogenannten Kompromiß erreicht haben, jetzt hcrabsetzen möchte. Den Konservativen steht das Ziel, etwas Staatserhaltendes nach Lage der politischen Mög lichkeiten zustande zu bringen, klar vor Augen. Das Zen- trnm hat dabei positive Mitarbeit zu leisten. Die Natio- nalliberalen haben wieder einen Exodus vollführt und stehen abseits. Soll am 12. April bei der nochmaligen Ab stimmung alles bisher Erreichte durch ein unsicheres Hin- und Herschwanken (nach freikonservativem Muster) etwa wieder in Frage gestellt werden? Oder soll gar dom jung- liberalen Flügel der Nationalliberalen zu Liebe die preu ßische Entwickelung den Anschluß an die bisher historisch begründete Politik sprunghaft verlassen? Diese Fragen beantworten unschwer sich selbst. Und ein so ernst denken der, gewissenhafter Staatsmann, wie Herr von Bethmann- Hollweg, wird diese Frage sich auch klar zu beantworten wissen. Er wird sich sagen, daß wir auf dem Boden des durch die Mitarbeit der Konservativen und des Zentrums jetzt im Abgeordnetenhause Beschlossenen die Wahlrechts- Vorlage bald und schnell und für Preußen nützlich zustande gebracht werden kann. Je schneller dies geschieht, desto eher wird doch wieder Ruhe eintrcten, und der „ruhige Bürger" wird schließlich auch des „Aufpeitschens" durch die sozial demokratischen Agitatoren einmal wieder überdrüssig wer den. Das alles möchte ich „vor Toresschluß" noch einmal hervorgchoben haben. Wir können nur feststellen, daß das Zentrum geschlossen gegen die Wahlrechtsvorlage stimmen würde, wenn die Drittelung in den Urwahlbezirken beseitigt werden würde: das wäre eine ganz erhebliche Verschlechte rung, die dem Liberalismus eingerührt werden kann. — Von einer neuen NeichSfinanzresorm wollen liberale Blätter etwas gehört haben: aber sie hörten läuten, ohne zu wissen, wo die Glocken hängen. Eine neue Neichsfinanz- reform steht uns nicht bevor. Wenn die einzelstaatlichen Finanzminister in Berlin weilten, so geschah es, um feste Grundsätze über die Höhe der Matrikularbeiträge unter sich zu vereinbaren und der neuen, aber im Prinzip schon be schlossenen Wertzuwachssteuer zuzustimmen. Neue Steuern sind nicht erforderlich, da trotz allen Geschreies der Libe ralen die im Vorjahre genehmigten Steuern sich gut ent wickeln und das Reich ohne Fehlbetrag abschließen wird, sogar mit einem etatmäßigen Ueberschuß von 60 Millionen l Mark. Zu diesem erfreulichen Resultate haben auch alle > Einnahmen beigetragen, da infolge der Reform das Ge, j schäftsleben sich wieder aufwärts bewegen konnte. ^ — Der Kampf im Baugewerbe. Die Eimgungskonfe- renz im Baugewerbe fand gestern nachmittag unter denk Vorsitze des Geheimen Regierungsrates Dr. Wiedfeldt vorn Neichsamte des Innern inr Reichstagsgebäude statt. Die Verhandlungen sind leider ergebnislos verlausen, Die Arbeitgeber erklärten, durch die bisher gefaßten Be- Müsse bereits festgelegt zu sein. Sie seien daher nicht in der Lage, der vorgeschlagenen Einsetzung einer unpartei- ischen Kommission zuznstimmen, oder, wie in zweiter Linie! angeregt wurde, sofort in eine erneute Beratung der fünf strittigen Hauptpunkte einzutreten. — Das Befinden des Fürsten Philipp Eulenburg, dev sich zurzeit in Liebenberg aufhält, soll neuerdings „zu Be, denken" Anlaß geben. Seit einigen Tagen sei zu seinem sonstigen Leiden ein Gichtanfall gekommen, der den Patten ten fast jeglicher Bewegungsfreiheit beraube. Hierzu be merkt sehr richtig die Germania: „Es ist nicht zu erkennen, weshalb diese Persönlichkeit, die man doch wahrhaftig lieber dem Dunkel der Verschwiegenheit überlassen sollte, eben wieder der Öffentlichkeit in Erinnerung gebracht wird. Soll dadurch etwa irgend ein gerichtlicher Schritt h i n t a n g e h a l t e n werden?" — In Berlin Versammlungen unter freiem Himmel gestattet. Der Berliner Polizeipräsident hatte das Gesuch des Vorstandes des Demokratischen Verbandes Von Berlin, am Sonntag im Hnmboldthain eine Massenversammlung abhalten zu dürfen, kurzweg mit der Motivierung abge- lchnt, daß eine solche Versammlung eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit" bedeute. Am Mittwoch abend lieh plötzlich Herr von Jagow jenes Vorstandsmitglied deS TemokratiMn Verbandes, das ihm das Gesuch unterbreitet hatte, den Kaufmann Ludwig Schemel, zu sich bitten, um nochmals mit ihm über die Angelegenheit Rücksprache zu nehmen. In dieser Konferenz erklärte Herr Von Jagow, daß er keineswegs seinen Brief als ein definitives Verbot aufgefaßt wissen »volle. Wenn tatsächlich der zu erwartende Besuch der Versammlung nicht auf mehr als 25 000 Per sonen einzuschätzcn sei, fielen die in seinem Schreiben ge- äußerten Bedenken fort. Der Polizeipräsident und Herr Schemel nahmen darauf eine gemeinschaftliche Besichtigung des Rasenspielplatzes im Humboldthain vor, und nachdem fc-stgestellt worden war, daß der Platz für 25 000 bis 30 000 Menschen ausreiche, erklärte Herr von Jagow, daß er die Genehmigung gebe, wenn ihm der Vorstand des Demokra tischen Verbandes bestätige, daß er nur mit ungefähr 25 000 Besuchern rechne. Herr Sck-emel erwiderte, daß sehr wahr, scheinlich der Besuch kaum stärker sein werde, doch könne ek natürlich eine Garantie nicht übernehmen. Die Versanrm, lung wurde daraufhin gestattet. Kaum hatten die Genossen Ernst und Borgmann von dieser Zurücknahme des Verbotes erfahren, als sie schon beschlossen, auch ihrerseits unter Be rufung auf den Satz der Verfassung: „Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich" die Genehmigung zu einer Massen kundgebung unter freiem Himmel zu fordern. Beide gin» gen zunächst zum Oberbürgermeister, um ihn zu ersuchen, den Friedrichshain und den Treptower Park für die ge planten Versammlungen zur Verfügung zu stellen. Ober bürgermeister Kirschner erklärte ihnen, daß er die Hergabe der städtischen Parks glaube in Aussicht stellen zu können. Alsdann begaben sich die beiden Genossen zum Polizeipräsi- ^ denten. Dieser sagte nun auch zu, falls die Genossen die , Garantie für Aufrechterhaltnng der Ruhe zusichern könn- ! ten: diese taten es, so daß am kommenden Sonntag nun ! auch in« Friedrichshain und Treptower Park Massenver sammlungen stattfinden können. Warum hat man anfangs diese untersagt? Wir haben das Verbot sofort mißbilligt: i heute stimmt uns der Polizeipräsident selber zu. Man i sollte daher in den Reihen unserer Partei viel vorsichtiger! ' sein, ehe man solchen einzelnen Polizeitaten zusttmmt, I denn sonst kann man gar bald auf dem Jsolierschemel stehen I und wird nur ausgelacht.