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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.04.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-04-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190204271
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19020427
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19020427
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-04
- Tag 1902-04-27
-
Monat
1902-04
-
Jahr
1902
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.04.1902
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Vezug» »Preis str der H«ptexpeditio« oder deu tm Estadt« bezirk und den Bororten errichtete» Au»- gabestellrn abgeholt: vierteljährlich 4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» ,/l 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich vierteljährliches, für die übrigen Länder laut Zeitung »Preisliste. Redaktion und Expedition: IvhanniSgaffe 8. Fernsprecher 153 und SL2. FUiatevprdtti»«»« r Alfred Hahn, Buchhaudlg., UuiversitLtsstr.82 L. Lösche, Lathariuenstr. 14, u. Königtpl. 7. ——<«*— Haupt-Filiale Dresden: Strehlenerstraße 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. —o«»— Haupt-Filiale Serliu: Königgräperstraße 118. Fernsprecher Amt VI Nr. 33S3. MpzMr.TagMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nolizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Anzeige« »PretS die 6 gespaltene Petitzeile 2S H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Grtra Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung .st 60.—, mit Postbesörderung .st 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Tie Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 211. Sonntag den 27. April 1902. 96. Jahrgang. Aus -er Woche. Da« Regierung-jubiläum des Großherzog« Friedrich von Baden hat im ganzen Reiche warme Sympathiebezeigungen hervorgerusen. ES trat bei dieser Gelegenheit wiederum hervor, daß das BundeSverhältniß, wie eS Fürst Bismarck in der Reichsverfassung formte, sich in Deutschland vollkommen eingelebt hat, insbesondere auch in Preußen, in Altpreußen, dessen Bevölkerung der Ueberhebung zu beschuldigen die süddeutschen Particularisten nicht müde werden. Die Berliner Presse spiegelte eine wahrhaft herzliche Antheiluahme an der badischen Landesfeier wieder «nd hat sich, wie leicht festzustellen war, damit den Dank ihres Publi kums erworben. Der politisch denkende Berliner weiß recht wohl, daß die autokratisirenden Belleitätrn, die er sich be- thätigen sieht, zwar die Bedeutung des Kanzler« im Reiche und der Minister in Preußen erheblich verringert, daß sie aber gleichzeitig, dem Gesetze des Rückschlages gemäß, daS Gewicht der Bundesfürsten verstärkt haben. Und anstatt diese Entwicklung zu beklagen, begrüßt er sie vielmehr, weil er in ihr, unseres Erachtens mit gutem Grunde, eine Art nationaler Rückversicherung erblickt. Daß die Dinge in Preußen so angeschaut werden können, verdankt man vor allen Dingen dem König Albert, dem Großherzog von Baden und dem Prinz-Regent Luitpold, der, indem er in seinem Handschreiben an den fürstlichen Jubilar dessen Verdienste um die Entstehung und Befestigung des Reiches mit Nachdruck betonte, der eigenen bundestreuen Gesinnung ein von der ganzen Nation freudig angeschautes Denkmal setzte. „Wenn's Mailüfterl weht", waS in Europa bekanntlich meist geschieht vor dem Wonnemonat, der, wenn er normal ist, eher beruhigend auf die Gemüther wirkt, regt sich häufig der Thatendrang der Straße. Man hat das sogar in unserem dickblütigen Deutschland beobachtet, und da man hier — e« ist nun zwölf Jahre her — erfahren mußt», daß der Frühjahr«- wind selbst fürstlicher Brust die Spannkraft zu erstaun lichen Beschlüssen zu verleihen vermag, so wird man den Vorgängen in HelsingsorS und in Belgien bei unS nicht allzu übermäßige Bedeutung beilegen. Immerhin ist es beachtrnSwerth, daß sich gezeigt hat, wir dem Zareuwillea doch noch andere Grenzen gesteckt sind, al« jene, die nach dem bekannten französischen Worte der Meuchelmord bildet. Freilich keine unüderschreitbaren Grenzen: die Petersburger Regierung wird schließlich ihren Willen in Finland durchsetzen. Aber der Effect dieses Effecte« ist, daß die herrschende Cultur in dem von germanischem Geiste durchtränkten Lande durch eine tiefer stehende ersetzt wird, und ob solches Thun Bleibendes schafft, da« steht dahin. DaS Verdrängen der höheren deutschen Cultur durch eine, sagen wir höffich: Nachgeordnete, dessen sich Magyaren, Tschechen und Slovenen nut starkem äußeren Erfolge befleißigt haben, ist vielleicht auch nicht für die Ewigkeit erfolgt; eine Frage, über die etwas nachzudenken den preußischen Polen möglicherweise zu einigem Bortbeil gereichen könnte. In Belgien ist wieder Ruhe eingekehrt und der General streik kläglich gescheitert. Da« will besagen, daß die Social- demokratre eine schwere Niederlage zu verzeichnen hat. Die Impotenz des SocialismuS ist hier deutlich hervorgetreten: er kann Nichts, nicht einmal im Bösen. Gezeigt bat sich aber auch die Leichtfertigkeit der socialdemokratischen Führer. E« kann keineswegs behauptet werden, daß da- Mißlingen eine- Streike- ohne Weitere« seine Nichtberechtigung darthue; aber wenn man ein Unternehmen wie den Generalausstand in einem industriell hochentwickelten Lande proclamirt und vetroyirt, wenn man die wuthentbrannte Bereitwillig keit, an ihm Theil zu nehmen, durch Anzettelung blutiger Straßenkämpfe zu erzeugen versucht hat und hierauf nach wenigen Tagen die Flinte in« Korn wirft, so bezeigt man eine Gleichgiltigkeit gegen daS Wohl und Wehe der Arbeiter und ihrer Familien, wie sie der „Bour geoisie" nie und nirgends auch nur mit einem Scheine von Recht nachgesagt werden konnte. Die socialdemvkratischen Uebcr- menschen glauben ihren Achiveren nicht einmal ein kurze» Ueberleaen, bevor sie sie in den mörderischen Kampf schicke», zu schulden. Und nachdem ihr gewissenlos geführter Anschlag mißlungen, fehlt ihnen selbst jenes Minimum von Gewissen- Hastigkeit, daS sie antreiben müßte, den Verführten wenigstens reinen Wein einzuschänken und die wahren Ursachen deS Fehlschlages, die innere Unmöglichkeit eine allgemeinen LandeSauSstandeS, anzugebeu. Durch Ent stellung de« Verlaufes und durch Beschönigung der Niederlage sollen vielmehr die Arbeiter gewissermaßen als Mannschaften des BeurlaubtenstandcS festgehalten werden, um bei späterer Gelegenheit hinter „den entrollten Lügen fahnen" abermals hergetrieben zu werden, zu ihrem schweren und oft dauernden Schaden. DaS Einzige, WaS von der deutschen Freihändlerpresse in Sachen des englischen Getreidezolles noch nicht vor gebracht wurde, ist die Behauptung, Graf Bülow habe Herrn Chamberlain bestochen, zu dieser Maßregel zu greifen, die für den Wagen deS Zolltarifs der Regierung einen Vorspann bildet, so stark, daß die hinten in entgegengesetzter Richtung ziehenden Gäule der Agitatoren deS Bundes der Landwirthe die Fortbewegung zum Ziele nicht ausbalten können. Die Ver legenheit ist groß, denn der Versicherung, daß e« sich in Großbritannien nur um einen Finanzzoll und nicht um einen Sprung auf« Schutzzollzebiet handle, steht nicht nur die ent gegengesetzte Behauptung der englischen Opposition, sondern auch die begeisterte Aufnahme entgegen, die „der erste Schritt" bei den immer zahlreicher werdenden britischen Schutzzöllnern gefunden bat. Im Uebrigen, wenn Zoll belastung von Getreide „Mord am Volke" ist, so erscheint e« gleichziltig, ob das Volk finanzzöllnerisch gebraten oder schutzzöllnerisch gesotten wird. Die sranMschen Depntirtenwahlrn. Am helitigcn Sonntag finden die allgemeinen Wahlen zur Deplltirtcnkammer in Frankreich statt. Die diesen Wahlen vorausgegangenc Wahlbewegung hat ziemlich VLt etüLkKtzt Zmd sie Ist chUNSletchltch VH*. laufen, als die Agitation bei den letzten allgemeinen Bahlen vor vier Jahren, wo die „Affäre", die Gemüther gewaltig erhitzte. In einem vollkommenen Gegensätze -u dem vergleichs weisen JndifferentiSmus der Wählerschaft bei den diesmaligen Wahlen steht die Massenhaftigkeit der Can- didatnren in den einzelnen Wahlkreisen. Sie beweist nicht sowohl ein besonders reges Interesse der Ge bildeten — denn den Kreisen der Gebildeten gehören ja die Kandidaten der Mehrzahl nach an —. an der inneren Politik -es Landes, und noch viel weniger etwa einen starken patriotischen Drang, sich dem Dienste des Vater landes zu weihen, als vielmehr ein großes Matz persön licher Eitelkeit und persönlichen Ehrgeizes. Wer in Frankreich Deputirtcr wird, denkt zugleich daran, datz das Dcputirtenmandat der halbe Weg zur Erlangung eines Ministersessels ist. Wenn aber die Erreichung dieses Zieles naturgemäß auch nur einem Bruchtheile der Deputirten gelingt, so schmeichelt cs doch der Eitelkeit der weniger vom Glücke begünstigten College», daß ihre Thür ständig von Stellenjägcrn umlagert wird, die, Dank der Für sprache ihres Herrn Deputirten, ein Acmtchen zu er gattern hoffen. Neben der Massenhaftigkeit der Candidaturen ist ein weiteres Charakteristikum der diesmaligen Wahlen, daß nur ganz wenige Candidatcn offen die antirepublilanische, d. h. die imperialistische oder monarchistische Flagge zu zeigen wagen. Dieser Mangel an Offenheit ist so stark hervorgetreten, daß der royalistische „Soleil" sich genöthigt gesehen hat, die Feigheit seiner Gesinnungsgenossen öffentlich zn brandmarken. Man sieht daraus, daß die Monarchisten ihr Heil nur noch von einer Verschwörung, insonderheit von einem militärischen Prouunciamcnto er warten, nicht aber von dem Erstarken des monarchischen Gedankens innerhalb der Bevölkerung. Anderenfalls würben sie ja mit offenem Paniere kämvfen, um mit der Stärke ihrer Anhängerschaft prunken zu können. Ebenso zaghaft wie die Monarchisten verhalten sich die nationalistischen und antisemitischen Revisionisten. Bor einigen Jahren war die Revision der Verfassung ein be liebtes Schlagwort; heute ist es davon recht frist geworden, woraus sich ergicbt, daß die Nationalisten damit keine guten Geschäfte mehr zu machen hoffen. Aller Voraus sicht nach werden sic überhaupt keine glänzenden Geschäfte machen, außer in Paris, das seit den Zeiten Boulangcr's immer mehr in das nationalistisch - chau vinistisch - antisemitische Fahrwasser hinübergeglttten ist. Erinnert man sich daran, daß in der Höhezeit der Macht des dritten Napoleon fast allein Paris es wagte, anti- bonapartistische und republikanische Abgeordnete in das Parlament zu entsenden, so wird man den Grundzng der politischen Auffassung der hauptstädtischen Bevölkerung darin erblicken müssen, immer in der Opposition zur je weiligen Regierungsform sich zu befinden: unter der Herrschaft des Kaiscrthums ist man republikanisch, unter republikanischem Regime ist man versteckt imperialistisch. Schließlich sei noch ein Charakteristikum erwähnt: die Gleichartigkeit der Wahlprogramme. Sicht man nur auf diese, so ist cs eigentlich gleichgiltig, wen die Wählerschaft in das Parlament entsendet, denn Alle wollen den Friede», Alle die Erhöhung des nationalen Ansehens, Alle den socialen Fortschritt u. s. w. „Vor Tische las man's anders", werden freilich die Wähler sagen müssen, wenn sie sich durch die Wahl- Programme düpiren lasten. Denn Dahlprogrammc sind in Frankreich nur dazu da, um nicht gehalten zu werden. Insbesondere kann mau schon jetzt sagen, daß das Pro gramm von der socialen Fürsorge nicht iunegehalten wird, denn wie auch die Wahlen aussallcu mögen, so werden die persönlichen Eifersüchteleien und Jntrigucn wieder so viel Zeit in Anspruch nehmen, daß zu positiver Arbeit kein Raum bleibt. Der Krieg in Südafrika. Die Friedensaussichten. Die der englischen Regierung sehr nahe stehende „Pall Mall Gazette" will aus „bcstinformirter und zuverlässigster Quelle" ganz genau die Ansichten der holländischen Re gierung über die Kricdensaussichten erfahren haben, und giebt diese in längerer Ausführung heute zum Besten. Hiernach soll man in Holland ganz detaillirt über die An sichten nnd Absichten der Boerendelcgirtcn, die mit Kit- chencr und Milncr in Prätoria verhandelten, unterrichtet sein, znmal jene Friedensverhandlungcn das dircctc Re sultat des Besuches des Holländischen Premier-Ministers vr. Knypcr in London seien. Die Niederländische Regie rung stehe auf dem Standpunctc und sei davon überzeugt, daß in den ganzen Friedensverhandlungcn „die Ansichten und die Wünsche -cs Herrn Krüger einfach unbeachtet bleiben würden". Der alte Präsident und Bolksheld des Transvaal soll eben mit aller Gewalt zum alten Eisen geworfen und zum lächerlichen Don Quichotte gestempelt werden, der bei seinen Landsleuten absolut kein Ansehen mehr genießt und von ihnen als „feiger Flüchtling" nur noch verachtet wird. Die Idee, daß der alte Oom Paul noch einmal in offi- cieller ober privater Eigenschaft nach Südafrika zurück lehren würde, — eine Eventualität, die bekanntlich in den Friedensverhandlungcn eine gewiffe Rolle gespielt haben soll, — erregt denn auch dauernd den wüthenden Zorn der ganzen Jingo-Presse, die den alten Präsidenten dem eng lischen Volke immer wieder als das böse Karnickel vorhält, das angefangen hat, und das daher den heiligen Zorn Englands in vollstem Maße verdient. Also wenn Friede geschlossen wird, so soll und wird dies ganz ohne Beihilfe und Beeinflussung von Seiten Paul Krüger'S geschehen, und, wie die „Pall Mall" deS Wetteren genau wissen will, die FriedenSverhanbkungen oder die Einzelheiten des Friedensschlusses werden dem guten alten Herrn vielleicht au« Höflichkeit von -en Führern der Boeren in Südafrika mttgetheilt werden, damit er Bescheid weiß, aber im Uebrigen ist er von seinen Landlentcn längst endgiltia überBorb geworfen worden. So sagen wenigstens die tz0L"lche« Utillv und leitzey siS dabei, «te die „Pgll Mall", noch das kleine Privatvergnügen, zu behaupten, daß man in Bocrenkreisen nur allzu froh sei, den lästigen alten Mann endlich auf gute Art und Weise los zu werden und ihn für seine früher so rücksichtslos geübte autokratische Willkürherrschaft jetzt zu bestrafen. Alle diese Albernheiten würden kaum der Erwähnung wcrth sein, wenn sie nicht allzu charakteristisch für die augenblickliche Stimmung und für den momentanen Friedensdusel in England wären. Man will sich oben und unten immer noch über die wahre Lage und deren weitere Entwickclnng hinwcgtäuschen, und man will das Land in dem Glauben erhalten, daß nach wie vor alle Schuld an dem namenlosen Kriegselend in Südafrika einzig und allein den egoistischen Treibereien und der selbst süchtigen Wirthschaft des alten Boeren-Präsidcnten zuzn- schrcibcn sei, wogegen England unbedingt das unschulds volle Opferlamm der bocrischen Ambitionen sein und bleiben mutz. Sollte nun der mit solcher Bestimmtheit erwartete Friede sich schließlich doch nicht verwirklichen, so wird inan dem englischen Volke officicll und officiös neue Spiegel fechtereien austischen und den Mißerfolg wie üblich, den Durchstechereien und Wühlereien der Krügcr'schen Clique in Europa zuschreiben, wobei man dann schnell vergißt, daß man soeben erst behauptet hat, Krüger sei von seinen Lands leuten längst über Bord geworfen worden und habe über haupt keinen Einfluß mehr auf die südafrikanischen Ange legenheiten. Der erste Mißton ist soeben in die allgemeine Friedens musik dadurch gebracht worden, daß die holländische Re gierung sich angeblich indirekt dahin erklärt haben soll, an einen günstigen Verlauf der Verhandlungen sei nicht zu denken, wenn man nicht in England für die alte Phrase von der absoluten Unterwerfung der Boeren und Preis- gebung ihrer Unabhängigkeit abgehen und dafür weniger verletzende und einschneidende Bedingungen zu formuliren wisse. Deutsches Reich. /?. Leipzig, 26. April. lDie Maifeier und die s o c i a l - e m o k r a t i s ch e n C o n s u m v e r e i n e.) Nachdem die Lagerhalter der socialdcmokratischen Consum- vereine im Bezirk Leipzig beschlossen haben, die Ver waltungen der Consumvcrcine um die Freigabe des 1. Mai für das Personal zu ersuchen, wendet sich das Organ der Consumvcrcine, der Wochenbericht der Hamburger Grvtz- cinkaufsgesellschaft, in bcmcrkcnswerther Weise gegen diesen Beschluß. Das genannte Organ schreibt nämlich: „Wir erachten cs für selbstverständlich, daß die Verwaltungen der Consumverciuc einem Urlaubsgesuch der Lagerhalter und Angestellten, den 1. Mai frei zu geben, nicht stattgcben können, da ihnen daun zweifel los von vielen Aufsichtsbehörden Schwierigkeiten gemacht werden. Feiern dagegen die Angestellten und Arbeiter trotzdem und obwohl ihnen die Erlanbnitz verweigert worden ist, so werden sic sich damit vertraut machen müssen, daß sie auch f ü r d i c F v l g c u a u s z n k o m m c n haben." — Die socialdcmvkratische „Sächsische Arbeiter- Zeitung" ist über die vorstehende Kundgebung aus begreif lichen Gründen bitterböse. Der Versuch des Dresdner Socialistenblattcs aber, die Warnung des Organs der Consumvcrcine als eine „ganz plumpe Scharfmachcrci der Behörden" anszngcbcn, ist gänzlich verfehlt. Denn die Naivetät, mit welcher die „Sachs. Arb.-Ztg." die Freigabe des 1. Mai als „internste geschäftliche Angelegenheit" bezeichnet, wird von ihr selbst auf das Bündigste widerlegt. Führt doch das Dresdner Sveialistcnblatt gleich am Ein gänge seiner Polemik gegen das Consumvercinsorgau aus, daß die Freigabe am 1. Mai „eine wichtige Forderung der orgauisirten Arbeiter" sei. Die Ausflucht, cS sei „ein rein äußerlicher, zufälliger Umstand", wenn der geforderte freie Tag der 1. Mai sei, ist als solche durchsichtig genug, um über sic ein weiteres Wort zn verlieren. Es handelt sich eben um die Demonstration einer Partei, also um eine politische Angelegenheit, und vor der Bcthciligung an dieser politische» Demonstration warnt das Cousum- vereinsorgau im Hinblick ans die A ufsichtsbch ö r d e n mit vollem Rechte. Gerade die „Sächsische Arbeiter- Zeitung" ist in der Lage, über die Berechtigung jener Warnung sich keiner Täuschung hinzugeben; erst vor wenigen Wochen hat eine sächsische Kreis- hanptmannschaft die Consumvereiue vor politischer Bc- thätigung eindringlich gewarnt. Vielleicht hat das Con- sumvcreinsvrgan die gedachte Kundgebung der Kreis- hauptmannschast im Auge gehabt, als es seinerseits obige Warnung veröffentlichte. Wenn in der Auslassung des Consumvcreiusorgaus die Angestellten und die Arbeiter der socialdemvkratischen Cousumvercinc auf die Folgen aufmerksam gemacht werden, die für sie aus der verbotenen Tbcilnahme an der Maifeier sich ergeben müssen, so beweist diese Stellungnahme des Consumvereinsorgans, wie sehr die bürgerlichen Unternehmer im Rechte sind, falls sie eine gegen ihren Willen cintrctende Maifeier der von ihnen be schäftigten Arbeiter nicht ohne Weiteres sich gefallen lasten. Ob das Consumvercinsorgau, wie die „Sachs. Arb.-Ztg." annimmt, mit seinem Hinweise auf jene Folgen melut, daß die fraglichen Angestellten und Arbeiter von den Ver waltungen der Consumvereinc zu entlassen seien, oder ob es eine andere Rcctifieirung im Auge hat, kann dahin gestellt bleibcn. Die ganze Stellungnahme des Consum vereinsorgans erscheint darum noch von besonderer Be deutung, weil sein Redakteur ein socialdcmo- kratischeS Parteiblatt rcdigtrte, ehe er die Redaction des Consumvereinsorgans übernahm Das Dresdner Socialistcnblatt gründet auf diese Thatsache die Annahme, daß die Gewerkschaften und die Partei sich jenen „Schlag" wohl nicht ruhig gefallen lasten werden. Das wird man ja sehen. Im Uebrigen aber zeigt auch dieser Hinweis auf das Einschreiten der socialdemo- kratischcu Partei, was die Behauptung, die Freigabe an, 1. Mai sei eine „internste geschäftliche Angelegenheit" der Consunu»ereinc, ans sich hat. Berlin, 2i>. April. sDie Untcrthanen- pflichten der Treue und des GehorsamS g 4.Ü 4 ttUt> er Katlcr und Ryjch.)- Der welfisch ge sinnte Landgerichtspräsibcnt vr. Dedekind in Braun schweig bestreitet gegenüber der Justizcommission des braunschweigischen Landtages, datz in Braunschweig die Unterthaucnpflichten der Treue und des Gehorsams gegen Kaiser und Reich bestehen, weil der Kaiser nur in Preußen Souverän sei, nicht aber im übrigen Reiche. Allerdings ist der Kaiser nicht Souverän im Reiche, sondern, um mit Georg Meyer zu sprechen, ein bevorrechtigtes Mitglied, dem ein ideeller Antheil an der Reichsgcwalt znstcht, und das die ihm übertragenen Befugnisse nicht im eigenen Namen, sondern den des Reiches oder der verbündeten Re gierungen ausübt. Aber derselbe Staatsrechtslehrer, der solchermaßen die Stellung des Kaisers im Reiche umschreibt, sagt in seinem „Lehrbuch -cs deutschen Staatsrechts" von den Pflichten der Unterthancn: „In bundesstaatlichen Ver hältnissen besteht die Gehorsamspflicht sowohl gegenüber dem Bunde als gegenüber den E i n z e l st a a t c n, in Deutschland also sowohl gegenüber dem Reiche als gegenüber den Ländern. Auch die Com- munalverbände haben Anspruch auf Gehorsam, soweit ihnen die Ausübung obrigkeitlicher Functionen übertragen ist." — Datz gegenüber dem Reiche die Gehorsams pflicht aller Reichsangchörigcn eine selbstverständliche ist, leuchtet ohne Weiteres ein, wenn man sich vergegen wärtigt, datz der Ciehorsam sich äußert: als Gehorsam gegen die Gesetze, gegen die Verfügungen der Gerichte, gegen die Verfügungen der Verwaltungsorgane. Will Herr Dedekind etwa bestreiten, datz diese Gcsammtpflicht in Bezug auf Reichsgesetze, Reichsgerichte und R e i ch S ämter besteht ?! Als Verletzung der Treu- pflicht gegenüber dem Herrscher erscheint einer' Reihe der angesehensten Staatsrechtslehrer iLaband, H. Schulze, Gareis, S c y d c l, H a c n e l, Z o r n, v. Ltcngclu. s. w.j namentlich die Begehung von H o ch« vcrrath und Landesvcrrath. Vom Standpunctc dieser Staatsrcchtslehrer aus bedeutet die Theorie deS Herrn Dedekind die Freigabe des Hochvcrraths in Bezug auf den Kaiser und die Freigabe des Landes- vcrraths in Bezug auf daS Reich. Man braucht aus der Theorie des Herrn Dedekind nur die praktischen Folge rungen zu ziehen, wenn man sich ihre vollkommene Halt losigkeit klar machen will. /^Berlin, 26. April. «Unterbringung der S a ch s c n g ä n g c r und Saisonarbeiter.) Im Zusammenhänge mit den demnächst stattfindeuden Reichs» tags - Bcrathungen über die anderweite Gestaltung der Z n ck c r b e st c n c r n n g gewinnen die Verhältnisse an Bedeutung, welche in Bezug auf die Unterbringung der Sachsengänger und Saisonarbeiter herrschen. Die Ge« fahren, welche durch die von Jahr zu Jahr sich steigernde Vermehrung des Abgangs landwirthschastlicher wie in dustrieller Arbeiter aus den östlichen Provinzen zum Westen hin spceicll in gesundheitlicher Beziehung den westlichen Landestheilen direet drohen, bestehen neben der Ueber- tragnng der hier wie dort heimischen Jnfcctionskrankheiten ganz besonders in der Verschleppung der von Jahr zu Jahr entschieden im Znnehmcn begriffenen Körnerkrankheit. Die Ziirückkchrendcn sind oft iu großer Zahl von Geschlechtskrankheiten befallen und ' bewirken deren be denkliches Umsichgreifen bei der einheimischen Bevölkerung; nicht selten ist durch sie Unterleibstyphus cingcschlcppr wordcu und sind dadurch bei den fast durchweg äußerst mangelhaften gesundheitlichen Einrichtungen auf dem Lande vielfach größere nnd schwer zn bekämpfende Typhus herde entstanden. Auch die Tuberkulose, die bei dem vor wiegend ländlichen Charakter des Ostens nnd dem ziem lichen Mangel einer Großindustrie an sich nicht häufig anstritt, erfährt hauptsächlich durch die Rückkehr der in den Fudustriebczirken siech gewordenen Personen eine stetige Steigerung. Eine noch ungleich größere Gefahr erwächst durch die Deckung des Arbcitcrmaugcls, der eine Folge der Sachseugäugcrci ist, durch Zuwanderung russischer und galizischer Arbeiter, welche in ihrer Hcimath meist noch in weit schlechteren gesundheitlichen Verhältnissen als die ein heimische Bevölkerung leben. Von den ausländischen Ar beitern droht ganz besonders die Znschleppung der Pocken. Die Gefahr liegt dabei häufiger weniger am Individuum selber, als au desten schmutzigen nnd iufieirteu Effecten, durch die ein an sich durch Impfung oder frühere Ver seuchung immuner Zwischenträger das in seiner Lebens fähigkeit so ungemein widerstandsfähige Pockengift ver schleppen kann. In gleicher Weise können Flecktyphus und Rücksallfieber durch die zuwauderndcu Ausländer, in deren Hcimath diese Seuchen vielfach endemisch herrschen, cingc- schleppt werden. Auch ist bei de« ausländischen Arbeitern der Procentsatz geschlechtlich erkrankter Personen ein un gleich größerer als bei der ansässigen Bevölkerung. Nach dem letzten Berichte der Medicinal-Abtheilung des preu ßischen Cultnsmiiiistcrinms werden u. A. auch übertragbare Haut- uud Haarkrankheiten, besonders Favus, keineswegs selten beobachtet. Die Zahl wie auch die Schwere der Er krankungen an Granulöse ist bei den znwandcrnden Aus ländern eine ungleich erheblichere, als sonst im Lande. Auch droht nach Vallendung der sibirischen Eisen bahn noch die Gefahr der P c st e i n s ch l e p p n n g von Rußland her auf dem Landwege; denn einmal ist in Sibirien die Pest endemisch vorhanden, andererseits bietet der Verkehr von dort mit den westlichen russischen Gebiets- theilcn, welche durch die beständigen NothsiandSjahrc für Seuchciicinschleppungen aller Art den günstigsten Nähr boden bilden, hinreichende Gelegenheit zu deren Ver schleppung. — Verschärft wird die Gcsundheitsgcfährdung, die von den Saisonarbeitern ausgcht, durch die unzu länglichen Wohnungsverhültnissc, in denen sie unterge- bracht werden. ES kann nicht ausblciben, daß diese auch auf die einheimische Bevölkerung, welche theils direet mit unter den Wanderarbeitern, theils um sic herum jahr aus, jahrein 6-8 Monate jährlich lebt, verwildernd ein« wirken. * Berlin, 26. April. tH astnng d e r Z o l i b e h ö r d e f ü r P o st f e u d n n g e n.) Ein sehr iMeresianter Rechts streit über die Haftung der Zollbehöroe inr die ihr von der Post zur zollamtlichen Behandlung übergebene!: und bei ihr abhanden gekommenen Sendungen hak kürzlich zu einer Entscheidung des Reichsgerichtes geführt.. In Hamburg
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