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23. Mr» 1869 Atemstadt- in der Expedi tion, kl.Meißn. Gaffe Nr. 3, zu haben. VretSt' vierteljährlich LL'/eNgr. Zu beziehen dmch alle kgl. Poft- Unstalten» Ein unterhaltendes Blatt für den Bürger und Landmann. Erscheint jeden Dienstag und Freitag früh. Redigirt unter Verantwortlichkeit des Verlegers E. Heinrich. Politische Weltschau. Deutschland. Der Reichstag begann in dieser Woche seine Thätigkeit wieder mit einer sehr lebhaften Debatte und zwar über folgenden Antrag der Abgg. Miquel und Lasker: „An die Stelle der Nr. 13 des Artikels 4 der Verfassung des norddeutschen Bunde- tritt die nachfolgende Bestimmung: die ge meinsame Gesetzgebung über das gesanmte bürgerliche Recht, das Strafrecht und da- gerichtliche Verfahren, einschließlich der Gerichts-Organisation." Die Nr. 13 des Art. 4 der Verfassung autet: „Der Beauf sichtigung seitens des Bundes und der Gesetzgebung desselben unter liegen die nachstehenden Angelegenheiten: . . .18) diegemeinsame Gesetzgebung über das Obligationenrecht, Strafrecht, Handels- und Wechselrecht und das gerichtliche Ver fahren." Zur Motivirung des Antrags bemerkt der Abg. Miquel: Verschiedenes bürgerliches Recht sei mit dem Einheitsstaate nicht unverträglich, das zeige Preußen. Aul die Dauer könne aber ein nationaler Staat ohne nationales Recht nicht bestehen. Die Hauptsache bleibe, festzustellen, daß der Reichstag für solche Ver- ässungsveränderungen, die eine Kon'petenzerweiterung in sich chließen, kompetent sei. Wer dem Anträge beistimme, erweise )em Rechtsleben der Nation eine große Wohlthat. — Abg. Wagener bestreitet die Kompetenz des Reichstages zu derartigen Anträgen, während Abg. vr. Friedenthal das Gegentheil behauptet. Abg. v. Zeh men: Es ist bedenklich, daß zwei Anträge: der vorliegende und der in Betreff der Bundesministerien, die erheblichsten Aenderungen der Bundesverfassung in der Weise bewerkstelligen wollen, daß es genügen soll, lediglich die Grundsätze auszusprechen, auf denen eine in unbestimmter Zukunft erfolgende Durchbrechung des bestehenden Zustandes erfolgen soll. Ein Bedürsniß, über Nr. 13 des Art. 4 hinaus daS Recht zu unifiziren, licgt nicht vor. Sachsen ist mit seinem neuen Gesetzbuch zufrieden, die Rheinländer hängen an ihrem Code, und der preußische Justizminister wird das Landrecht wohl auch nicht in die Spree werfen wollen. WaS komme also im besten Fall auS der Tendenz de- Antrags heraus? Die Ausdehnung deS preußischen Rechts auf das gesammte Gebiet des Bundes (Widerspruch). Soll ich mich für ein einheitliches Recht erwärmen, so muß es auch Süd deutschland umfassen; die Einschränkung auf den Bund verschärft die Trennung der Mainlinie. Und wollen die Antragsteller uns zum Aufgeben der Justizhoheit der Einzelstaaten etwa dadurch reizen, daß wir unter die höchste Instanz des preußischen Obertribunals zu kommen eingeloden werden? Bei der Achtung vor ihr wünschen wir uns da< nicht, wenn wir auch daS „Lolswen miseris" verstehen. Die Herren machen eS sich mit der Kompetenz doch gar zu bequem: entweder sie haben sie, oder sie verlangen sie. Schließlich hat der Bund auch die Polizei und Verwaltung der Einzel staaten in Händen und der Zirkel ist geschlossen. AlS sächsischer Ab geordneter verwahre ich mich im Namen de^ Mehrzahl meiner Lands leute gegen diese Tendenz. . Wir wollen auf unsere Fa^on selig werden, nicht nach dem Rezept der Herren Lasker und Twesten. In dem Zustande, in den man uns versetzt, der demjenigen ähnelt, wie wenn einem allmählig die Kehle zugeschnürt wird, hat man kaum Etuuk-drei-i-ker Lahrgang. II. (Quartal. Sinn für die wirklichen Wohlthaten des Bundes; aber auf dem bisherigen Wege machen die Herren Twesten und Lasker dem Bunde gegen ihren Willen ein Ende, wenn sie auch noch so sehr die Kopfe schütteln. Sie sagen wohl: die kleinen Staaten müssen, wenn sie nicht wollen. Meine Herren, mit dem Muß hat eS seinen Haken. Noch existirt daS Bundesministerium Twesten-Münster-La-ker nicht, und eS könnte doch einmal eine Avisa eintreten, bei der man die Kleinen braucht. Oder haben Sie für den Fall der Krists, die doch über Nacht kommen kann, einen solchen Ueberfluß an Bundesgenossen, daß Sie die, die Sie haben, ohne Gefahr secicen können? Natürlich werden sie dann ihre Pflicht thun, diese Bundesgenossen, aber, ver drießlich, ohne Freudigkeit. Nur der Absolutismus kann in dem Deutschland, wie eS seit einem Jahrtausend geworden ist, den Ein heitsstaat Herstellen und ich staune, daß so viele Liberale diese- Ziel fördern. Dabei vergessen sie die nationale Seite ihre- Programm- so sehr, daß, al- Herr Twesten neulich bei seinem Anttage von Süd- deutschland absehen zu wollen erklärte, kein Protest, nicht einmal ein Gewimmer seiner Parteigenossen Zeugniß dafür ablegte, daß sie seinm Abfall merkten. Lassen Sie unS daher friedlich im Bunde neben einander leben, aber bleiben Sie unS mit solchen Anträgen wie der vorliegende ist, vom Leibe! Abg. Schulze-Delitzsch tritt namentlich den Ausführun gen deS Vorredners entgegen und warnt vor kleinlicher Auffassung der Verhältnisse, die sich bis zum Androhen der Einmischung deS Auslandes versteige. — Abg. Windthorst hält den Antrag der Verfassung zuwiderlaufend, die auf Vertrag beruhe. Kompetenz- Erweiterungen des Bundes seien ohne die Zustimmung der Bundesregierungen und der Einzellandtage nicht möglich. Abg. Braun (Wiesbaden): Die deutsche Nation will existiren, leben und sich bewegen, bedarf dazu aber eine- Körpers, damit sie nicht mehr in der Welt herumzuschleichen braucht, wie Banco's Geist ohne Körper. Heute noch zu behaupten, es existire kein deutscher Staat, man müsse, ehe man hier etwas beschließt, immer erst Umfrage halten bei allen Kammern und Regierungen, und wenn auch nur eine davon „Nein" sagt, dann könne man nichts thun, daS heißt da- Jahr 1866 leugnen, daS heißt: die Bundesverfassung leugnen, weiter nichts. — Herr Windthorst sagt: Eine Verfassung könne nicht ander- geändert werden, al- auf dem Wege, wie sie zu Stande ge kommen ist. Nach dieser Anschauung könnten ja auch okttopirte Verfassungen nicht ander- geändert werden, als durch neue Oktroyi- rungen (Heiterkeit).. Nach dieser Theorie müßte ja jeder Mensch, um zu leben, um thätig zu sein, um irgend eine Funktion auszuüben, jeden Augenblick zurückgehen auf den Grund seiner Entstehung. Nach dieser Theorie dürfte ja auch in der Schweiz keine Veränderung der Bundesverfassung vorgenommen werden ohne die Zustimmung jedes einzelnen Kantons, dies ist aber nicht der Fall. Diese ganze Theorie, auf unsere Verhältnisse angewandt, läuft auf weiter nichts hinaus, al- auf eine Negation deS norddeutschen Bundes (Zustimmung). Man kann ihn nicht zerstören, weil man dazu nicht die Macht hat; man will ihn deshalb zurückführen auf die Kompetenzen des alten Bundes- * tages. Der Abg. Windthorst hat diese Theorie hier vertreten; er will den norddeutschen Bund mediatisiren unter die Territorialgewalten, den Bunde-rath machen zu einer bloßen Gesandtenkonferenz und den Bundeskanzler zum Briefträger zwischen Reichstag und Bunde-rath und lediglich zum Vollstrecker einiger formellen Beschlüsse, fall- ein ss