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MB-g, «r. 29. 13. AM186S. -tesftadt« Dresden, in der Expedi tion, kl. Meißn. Gaffe Nr. S, zu haben. Dreist * vierteljährlich 12>Ngr. Zu beziehen durch alle kgl. Post- Anstalten. Ein unterhaltendes Blatt für den Bürger und Landmann. Erscheint jeden Dienstag und Freitag früh. Redigirt unter Verantwortlichkeit des Verlegers C- Heinrich. Politische Weltschau. Deutschland. Der Reichstag beschäftigt sich jetzt mit der neuen Gewerbe-Ordnung, die ihrer Umfänglichkeit wegen seine Thätigkeit noch längere Zeit in Anspruch nehmen wird, zumal die Berathung trotz mehrerer Sitzungen erst bis h 29 vorgedrungen ist. Bekanntlich zählt der Entwurf l 72 Paragraphen, welche in 10 Abschnitte oder Titel zerfallen. Titel I (hh 1—14) enthält die allgemeinen Bestimmungen; Tit. II (tzh 15 — 52) handelt von dem stehenden Gewerbebetrieb; Tit. III (§H 53 — 64) vom Gewerbebetriebe im Umherziehen; Tit. IV (hh 65—72) vom Marktverkehr; Tit. V 73—80) von den Taren; Tit. VI (§§ 81—106) enthält Bestimmungen über die Innungen von Gewerbtreibenden; Tit. VII (tzh 107—145) Bestimmungen über Gewerbegehilfen, Gesellen, Lehrlinge und Fabrikarbeiter; Tit. VIII 146-155) handelt von gewerblichen Hilfskassen; Tit. IX (h 156) enthält die Bestimmungen über die Ortsstatuten und Tit. X (tzh 157 — 172) die Straf- und Schlußbestimmungen. Schon diese Anzahl Titel beweiset, wie viel Vormundschaft die Bundesregierung sich für die Gewerbtreibenden noch zu reserviren gedenkt. Um so erfreulicher ist die Wahrnehmung, daß es einer Vereinigung der liberalen Parteien im Reichstage gelungen ist, unter der Firma „Runge und v. Hennig" Anträge durchzubringen, die das Gesetz, soweit es bis jetzt berathen, wesentlich verbessern. Gewiß ein Beweis, daß die liberale Partei im Reichstage eine Macht ist, sobald sie nur in geschlossener Phalanx austritt. Anderer seits läßt sich aber auch nicht verkennen, wie mißlich für große parlamentarische Körperschaften die Berathung sehr umfangreicher Fachentwürfe wird. Der Reichstag ist einmal kein volkswirth- schaftlicher Kongreß, sondern eine politische Versammlung; seine Reden beweisen dies auch dieser wirtschaftlichen Vorlage gegen über, denn meist streifen sie auf d's politische Gebiet über. Selbst der langmüthige Präsident Simson konnte sich nicht enthalten, bei tz 5 die Bitte auszusprechen, man möge doch nicht gleichzeitig „Kindererziehung", „Abdeckereiwcsen" und das „Loos der Ziegel streicher in Lippe" behandeln. Lippe hat nämlich 112,000 Ein wohner, davon sind 12 bis 15,000 Ziegelarbeiter, und diese wurden bisher nicht nach ihrem Wohnort rc., sondern nach Laune und Lust der „Agenten" in die vier Ziegelbezirke vertheilt, in welche der Staat Lippe zerfällt. Wenn sich Jemand außer den „Agenten" der Anstellung von Ziegelarbeitern untersing, so wurde er und der betreffende Arbeiter nach den Landesgesetzen mit 10 bis 15 Thlr. Geldstrafe oder Gefängniß von 8 Tagen bis 6 Wochen bestraft. Für die Vertheilung bezog resp. bezieht noch jetzt der Agent von jedem Ziegelarbeiter 2 Thlr. 15 Ngr., vom Gesellen 1 Thlr. und vom Lehrling 20 Ngr. Natürlich wird diese Muster- wirthschaft durch die neue norddeutsche Gewerbe-Ordnung beseitigt. Speziell auf die umfangreichen Verhandlungen des Reichstags hier näher einzugehen, verbietet uns selbstverständlich der uns zu- gemessene Raum, doch werden wir, so bald die Berathung zu Ende ist, das aus ihr hervorgegangene Gesetz mittheilen. Am vergangenen Sonnabend fand im Reichstage die erste Lesung des Gesetzentwurfes wegen Errichtung eines obersten Gerichtshofes für Handelssachen in Leipzig statt. Der Bundestommissar Geh. Rath Pape eröffnete die Diskussion durch Einunddrei-igster Jahrgang. II. AuarlaU eine ausführliche Motivirung des Entwurfes. Nur der Abg. v. Zeh men (Sachsen) erklärte sich entschieden gegen denselben, weit er verfrüht sei, so lange nicht die neue Civilprozeß-Orvnung ge meinsames Gesetz geworden. Die anderen sächsischen Abgeord neten, wie die Herren I)r. Schwarze, Stephani, ebenso auch die Abgg. Meier (Bremen), Miquel, Endemann, v Seide witz, v. Rabenau begrüßten die Vorlage mit Freuden, und der Abg. Lasker hob besonders hervor, daß Sachsen für die Initiative zu der ersten gemeinsamen Institution Dank gebühre, während Stephani versicherte, Leipzig werde stolz auf die ihm wiederfahrene Ehre sein und sich durch das Festhalten am deutschen Wesen dafür erkenntlich zeigen. Leipzig sei so recht die Mitte Deutschlands, wenn man in die Zukunft blicke. Graf Bassewitz (Mecklenburg) war nicht erfreut über den immer wiederkehrenden Hinweis auf den Einheitsstaat und der Abg. Windt Horst sah in der Vorlage eine unnütze Kompetenz-Erweiterung des Bundes. Staatsmimster Freiherr v. Friesen führte aus, daß Sachsen nur aus sachlichen Motiven und nachdem der Entwurf wegen Einführung der Wechselordnung und des Handelsgesetzbuches als Bundesgesetze im Bundesrath beschlossen, die Initiative mit dieser Vorlage ergriffen habe, um eine einheitliche Handhabung jener Gesetze sicher zu stellen. Die Schwierigkeiten seien nirgends verkannt worden, aber man habe deswegen doch nicht auf das Erreichen einer Handhabe verzichten können, weil man nichts absolut Vollkommenes erreichte. Ebenfalls aus sachlichen Motiven habe man Leipzig als Sitz des Gerichtshofes vorgeschlagen. Leipzig sei nicht blos bedeutender Handelsplatz, sondern auch Universitätsstadt. Verbesserungsvorschläge würde der Bundesrath gern entgegen nehmen. — Nach Beendigung der Debatte lehnt das Haus die Verweisung des Entwurfes an eine Kommission ab, und genehmigt ihn in erster Lesung. Die zweit? Abteilung des Reichstags hat die Wahl des Herrn Seiler (Plauen) geprüft und sich zu dem Anträge ge einigt, das ganze Wahlverfahren zu kassiren, also die Wahl des Herrn Seiler für ungiltig zu erklären, aber auch den vr. H-irsch nicht einzubetufen, sondern die Wahlakten an den Wahl- kommiffar durch Vermittlung des Bundeskanzlers zurückgehen zu lassen mit der Aufforderung, über die auf I)r. Mar Hirsch gefallenen Stimmen unter Mitzählung der fälschlicher Weise für ungültig erklärten Stimmen eine nochmalige Zusammenstellung zu machen. — Nach einer Berliner Korrespondenz des „Dr. I." sind die Abgg. v. Zehmen und v. Einsiedel aus der frei- konservativen Fraktion wegen deren unitarischen Tendenzen geschieden und haben sich der konservativen Partei angeschlossen. Mit anderen Worten sind diese beiden Herren aus dem Regen in die Traufe getreten, denn wenn irgendwo das schwarz-weiße Banner hoch gehalten wird, so gerade von dieser Partei. Preußen. Als im Frühjahr 1^66 der Krieg vor der Thür stand, ließ der Finanzminister sammtliche Kreditnehmer zur Ein zahlung der kreduirten ZoUgesälle und sonstigen indirekten Steuern gegen Gewährung einer entsprechenden Zinsvergütung auffordern, um möglichst viele disponible Geldmittel zur Verfügung zu haben. Die betreffenden Kreditnehmer kamen damals dieser Aufforderung zu mehr als drei Viertheilen nach, wodurch dem Ministerium die ansehnliche Summe von 15 Millionen Thalern zur sofortigen