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ächsische Nacheilung. 49. Jahrgang Dienstag, den 1. Wovemker 1887 Feuilleton »»erden bi» Montag, Mittwoch u. Freitag Mittag angenommen und kosten: dielspaltLeilelüPfg. Unter Eingesandt: SOPfg. Lin unterhaltendes Blatt für den Bürger und Landmann. Amtsblatt für die kgl. Amtshauptmannschaften Dresden-Altstadt und Dresden-Neustadt, für die Ortschaften des kgl. Amtsgerichts Dresden, sowie für die kgl. Forstrentämter Dresden, Tharandt und Moritzburg. Verantwortlicher Redakteur und Verleger Kerrmann Wüller in Dresden. Die Wegekinder des Kommercienraths. Novelle von Carl Hartmann-Plön. (10. Fortsetzung.) Graf Detlef Waldsee blickte, nachdem seine Schwester ihn verlassen, lange Zeit in Gedanken versunken vor sich hin. Hatte er vorhin im tiefsten Seelenschmerze die furchtbarsten Möglichkeiten erwogen, so war es ihm jetzt plötzlich, als wenn in die finstere Nacht seines Unglücks ein schwacher Lichtschimmer dringe. Wenn Isabella wirklich den jungen Erben liebte — und die scharfen Augen seiner Schwester mußten doch wohl ein mehr als gewöhnliches Interesse entdeckt haben —, so konnte er doch vielleicht noch vor dem tiefen Falle bewahrt werden. Aber wie würde der Kommercienrath darüber denken, der seine pekuniären Verhältnisse genau kannte? Würde er seinem Neffen erlauben, eine arme Gräfin zu heirathen, deren Vater unmittelbar vor dem Bankerotte steht? „Diese Geldmenschen", sprach er jetzt laut vor sich hin, „sind mit ihrem Geldstolze um kein Haar ander-, als die Aristokraten vom Schlage meiner Schwester mit ihrem Ahnenstölze. Hier muß Geld zum Gelde kommen, wer nicht reicb ist, wird von ihnen nicht für ebenbürtig gehalten — dort soll eS, wenn möglich, die gleiche Zahl der Ahnen sein und wer keine hat, ist von vornherein ausgeschlossen, einerlei, ob zwei Herzen, die sich in Liebe gefunden, darüber brechen und ver blut Uxped. u. Redaktion «resven-Neustadl U. Meißner Gasse 4. Die Zeitung erscheint rteustag, Gyuuersta» und Ernnadend s^üh- DonnemenlS- Pret»: Perteljährl. Mk. 1,50. Zu beziehen durch die kaiserlichen Post- wstaUcn und durch unsere Boten. vei freier Lieferung in» pauS erhebt die Lost noch eine Ge- Mr von 25 Pfg. Inferuteu- Aunatzmeftelenr Die Arnoldische Buchhandlung, Jnvalidendank, Hassenstein L Bögler. Rudolf Mosse, G. L. Daube « Co. in Dresden, Leipzig, Hamburg, Berlin, Frankfurt a/M. u. s. w. Politische Wellschau. Deutsches Reich. Die Presse erörtert noch immer eifrig die Frage, ob der Kaiser von Ruß land die Rückreise von Kopenhagen nach Peters burg über Deutschland antreten wird oder nicht und welche Folgen eine etwaige Zusammenkunft zwischen dem Kaiser von Deutschland und dem Czaren nach sich ziehen würde. In den maaßgebenden Kreisen Berlins glaubt man auch jetzt noch, daß der Czar über Schweden in seine Hauptstadt zurückkehren werde, bestreitet andererseits jedoch auch nicht die Möglichkeit, daß Rücksichten auf den Gesundheitszustand seiner zur Zeit noch an den Masern krank daniederliegenden Kinder den Kaiser als besorgten Vater veranlassen könnten, den Weg über Deutschland einzuschlagen. Gerade der Umstand aber, daß die dann ohne Zweifel erfolgende Monarchen-Zusammenkunft ausschließlich auf rein persönliche Motive zurückzuführ^n wäre, dürste der Entrevue auch jede höhere Bedeutung rauben. Man ist sich in Deutschland zu sehr der Pflichten der Gast freundschaft bewußt, als daß der Empfang eines fremden Herrschers auf deutschem Boden, namentlich wenn dieser Souverän durch verwandtschaftliche Bande mit dem deutschen Kaiserhause verknüpft ist, ein anderer als ein herzlicher sein könnte; aber andererseits würde einer Begegnung, der man jede politische Veranlassung absprechen müßte, auch jede größere politische Trag, weite fehlen. Die Entrevue könnte höchstens davon Zeugniß ablegen, daß die persönlichen Beziehungen zwischen den beiden Monarchen auch heute noch, nach dem zwischen den Völkern, an deren Spitze sie stehen, eine gewisse unverkennbare Entfremdung eingetreten ist, verwandtschaftlich freundliche geblieben sind. Mehr als dies erwartet man in Berlin von der Kaiser- Zusammenkunft, falls dieselbe wirklich stattfinden sollte, nicht. Gespannt darf man übrigens sein, wie die öffentliche Meinung in Rußland sich gegebenen Falls über eine derartige Entrevue äußern wird. Nach den bisherigen in dieser Hinsicht gemachten Erfahrungen klaffen, welche das breite, sichere Fundament deS preu- ßischen Staates bilden, welche m trüber und schwerer Zeit fest und unerschütterlich zum Könige standen und auf den Schlachtfeldern die preußischen Fahnen zum Siege getragen haben. (Als ob dies das Verdienst der Herren Gutsbesitzer allein wäre! Anm. d. Red.) Wenn den Beschwerden und Bitten der Vertreter dieses Theiles des preußischen Volkes immer und immer wieder der Bescheid wird: „Die Zeiten haben sich geändert, der Landwirthschaft ist mit den Mitteln, welche man vorschlägt, nicht zu helfen" und wie die Antworten alle lauten — so kann nur derjenige sich seine Ruhe bewahren, dem es gleichgiltig ist, ob die Grundlagen der Monarchie, der Sitte, der Religion, der Wohlfahrt und schließlich gar der Existenz des Staates auf dem Spiele stehen oder nicht. (!) Wir nehmen keinen An stand, unsere Meinung dahin zu formuliren: derjenige Staatsbeamte, welcher es unter den heutigen Verhält nissen über sich vermag, der Landwinhschaft ihre dringendsten Forderungen abzuschlagen oder sie aus's Warten zu verweisen, der kann sich dem Vorwurfe nicht entziehen, daß er die Bedeutung des jetzigen historischen Momentes verkennt." Ein so blühender Unsinn, wie der obige, ist wohl selten geschrieben worden. Uebrigens sind es nur verhältnißmäßig wenig Schreier, welche mit solchem Ungestüme die Erhöhung der Ge treidezölle fordern. Da und dort wird wohl einmal eine Versammlung abgehalten, in Welcher einige Groß grundbesitzer eine Resolution in obigem Smne an nehmen. Allein diese wenig zahlreichen Kundgebungen entspringen weit mehr einer künstlichen Agitation, als daß sie der Ausfluß einer starken, freiwilligen, das Volk unwiderstehlich mit sich fortreißenden Bewegung wären. Auch ist es sehr bemerkenswerth, daß Blätter von ge mäßigt konservativer Richtung, denen gewiß Niemand das Interesse für das Gedeihen der Landwirthschaft absprechen wird, wie die „Post", die „Schles. Ztg." u. a., große Zurückhaltung dieser Frage gegenüber beobachten. Unter der Ueberschrift „Der Wucher auf dem Lande" schreibt man aus den östlichen Provinzen: „Mit dem Wuchergeschäfte ist es jetzt bereits soweit gekommen, daß die Geldverleiher eigene Agenten halten, welche herum reisen und den Leuten Geld anbieten. Bei dem kleinen Landmanne haben diese Herren denn auch meistens Glück, da sich derselbe leider immer in arger Geldver legenheit befindet. Hat er doch in den letzten Jahren nicht nur keine Ersparnisse machen können, sondern auch noch das früher Ersparte zusetzen müssen. Mit dem Wucher mittelst Wechsel scheint es nicht mehr recht zu gehen, seitdem die Behörden den Herren Geldverleihern einige Denkzettel in Gestalt von mehrmonatlicher Gefängnißstrafe „Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, Herr Graf." „Nehmen Sie gefälligst Platz." Brauer stellte seinen Hut auf einen kleinen Tisch und ließ sich auf einen Lehnstuhl nieder. Nachdem auch der Graf sich gesetzt, sagte dieser: „Womit kann ich Ihnen dienen, Herr Kommercienrath?" „Sie waren gestern bei mir, Herr Graf und wünschten von mir die Summe von dreimalhundert tausend Mark zu erheben, die Sie auf Ihre beiden Güter Reinfeld und Dorenberg protokolliren lassen wollten. Ich sah mich leider gezwungen, dies Geschäft von der Hand zu weisen und setzte Ihnen auseinander, daß ich eine so große Summe grundsätzlich nicht zu einem solchen Zwecke hergeben könne, da dieselbe, nach dem sie Protokollat geworden, für mich so zu sagen ein todtes Kapital ist, über das ich keine Verfügung mehr habe, wenn ich irgend eine Geldangelegenheit über nehmen möchte. Ich fügte hinzu, daß ,ch zur Zeit mich einer solchen Summe nicht entäußern könne, weil ich zum Zwecke eines beabsichtigten Ankaufs alle flüssigen Gelder zusammenhalten müsse." „Diese Gründe mußte ich anerkennen, Herr Kom mercienrath und muß Ihnen noch dankbar sein, daß Sie den Hauptgrund rücksichtsvoll gar nicht erst er- wähnt haben." „Welchen Hauptgrund, Herr Graf?" „Daß Ihnen die Güter keine hinreichende Sicher heit böten. Und ich meine doch, daß der werthvolle Besitz diese Last immerhin noch tragen könne." „Die Gründe, die ich Ihnen anführte, waren in Wahrheit schon allein für mich maaßgebend, aber, ehr. lich gestanden, was Sie den Hauptgrund zu nennen Abonnements - Einladung. Bestellungen auf die „Sächsische Dorfzeitung" für die Monate November und December nehmen alle kaiserlichen Postanstalten und Posterpedittonen, sowie auch alle Landbriesträger gegen Voraus bezahlung von 1 Mark entgegen. Die Verlags»Expedition. muß man darauf gefaßt sein, daß die Reise des Czaren durch Deutschland den mit Frankreich sympathisirenden panslavistischen Blättern wiederum zu deutschfeindlichen Demonstrationen Anlaß geben wird. Zwar hört man die Meinung äußern, daß der Czar schon aus einfachen Höflichkeitsgründen derartige Kundgebungen unterdrücken werde; andererseits weist man aber darauf hin, daß das Gebühren eines Theiles der russischen Presse Deutschland gegenüber seit geraumer Zeit ein geradezu unerklärliches gewesen ist und daß demnach eine korrekte Haltung der panslavistischen Blätter in dem vorliegenden Falle kaum zu erwarten steht. Kaiser Wilhelm hat sich eine Erkältung zugezogen, infolge dessen er gezwungen ist, das Zimmer zu hüten. Zu irgendwelchen ernstlichen Besorgnissen soll jedoch das Unwohlsein des Monarchen glücklicher Weise keinen Anlaß bieten. — Die Kaiserin, deren Befinden in der letzten Zeit bekanntlich ebenfalls zu wünschen übrig ließ, hat nunmehr ihre Kur in Baden-Baden beendigt und gedenkt, wie alljährlich, sich zunächst nach Koblenz zu begeben und erst dann nach Berlin zurückzukehren. — Der deutsche Kronprinz hat an den Kultusminister v. Goßler eine Zuschrift gerichtet, worin er sich als „in erfreulicher Genesung begriffen" bezeichnet. Mit dem Arbeitsstoffe für den demnächst zusam mentretenden Reichstag ist es noch ziemlich dürftig be stellt. Außer dem Etat ist bislang noch keine einzige Vorlage von Bedeutung fertiggestellt und wird das Parlament daher die Zeit bis zu den Weihnachtsferien mit der Budgetberathung und mit der Erörterung klei- nerer Vorlagen ausfüllen müssen. Unter solchen Um ständen wäre es vielleicht besser gewesen, den Reichstag erst später einzuberufen. Von Seiten der Verwaltung der Reichsbank sind in letzter Zeit Erörterungen darüber angestellt worden, auf welche Weise man den Fabrikanten und Handeltreibenden eine Erleichterung in Bezug auf die Lombardirung von Spiritus gewähren könne und hat man sich dahin ge einigt, den Interessenten jedes mit einer soliden Ge schäftspraxis nur immer vereinbare Entgegenkommen zu Theil werden zu lassen. Auch im Uebrigen nimmt die Verwaltung der Bank darauf Bedacht, die Vortheile des Bankkredits den Kreisen der Grundbesitzer und des mittleren und kleinen Gewerbestandes zugänglich zu machen, soweit dies immer die Natur der Reichsbank gestattet. Die „Neue Preußische Ztg.", das Hauptorgan der Agrarier, fordert immer dringender die Erhöhung der Getreidezölle. „Wie das Aschenbrödel" — schreibt das Blatt — „steht die Landwirthschaft vor den Thoren des Schlosses und vor den Thüren der Ministerien und wartet auf Hilfe; auf Hilfe für dieselben Volks- „Ach", fuhr er darauf fort, „wie trügerisch ist doch der Hoffnungsschein, der soeben in meiner Seele auf zuckte! Für wie tief gesunken würden meine Standes- genossen mich halten, wenn sie wüßten, daß die Noth und — nun wohl auch die Lust am Leben mich so weit gebracht, zu wünschen, es möge Jsabella's Interesse für den Millionär zur Liebe werden! Würde ich es auch wünschen, wenn ich nicht in dieser ver zweifelten Lage wäre? Nein, wünschen gerade nicht, aber wenn mein Kind ihn liebte, ich würde doch sagen: nicht das Festhalten an alten Traditionen ist mir das Heiligste, sondern ganz allein Dein Glück ist es!" Der alte Diener trat in's Zimmer und meldete, daß der Kommercienrath Brauer den Herrn Grafen zu sprechen wünsche. Graf Waldsee sah ihn überrascht,, fast erschrocken an. „Kommercienrath Brauer?" sagte er, „bitte ihn, einzutreten." „Was kann der wollen?" sprach er, nachdem der Diener sich entfernt. Soeben beschäftigen meine Ge danken sich mit ihm, doch kann der Zweck seines Be suches hiermit natürlich nicht Zusammenhängen und wäre es denkbar, daß er, nachdem er mir gestern Morgen eine abschlägige Antwort gegeben —" Die Thür öffnete sich und Herr Gustav Brauer trat über die Schwelle. „Verzeihen Sie, Herr Graf", sagte er, eine sehr tiefe Verbeugung machend, „wenn ich in so früher Stunde mir die Freiheit nehme, Sie zu stören." Waldsee erhob sich, ging dem Eintretenden einige Schritte entgegen und erwiederte: „Was verschafft mir die Ehre, Herr Kommercienrath?t