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Rkichstagswahl und Diäten. Mancherlei ist bei der jetzt erfolgten Reichstags-Aus lösung eigenartig gewesen, und auch bei den Neuwahlen am 25. Januar treten neue Gesichtspunkte hervor. So wird zum ersten Male seit dem Bestehen des Reichstages unter dem Zeichen der Gewährung von Diäten gewählt. Es sind dreitausend Mark, die ein Volksvertreter im Jahre aus der Reichskasse für seine Anwesenheit in Berlin bezieht-, Rede-Verpflichtungen sind ihm ja dafür nicht auferlegt, er muß nur zugegen sein und durch seine Abstimmung mit- Mr sie StXlXlt» Fsnchnnher: stmt Dresden Nr. SVS. Lrmde-uri, r-lktwNr. v-drltr, Wicdwttr. M<aelpoMir. kortenviir, ?Nl»Ur, Leuduirrkru-rttu unö Lorreduuse ?NdIIKuli-ur vrgu» lür ölasevilr, torchMlr, Kochvilr. (veirrer tzirrch uns Südla«. r-k-IHuueigek »ür äie cörr>irr-eiuel»aru, vreriie» Zttiere» unä veugruuu Beilagen: «JllttstrIerieS Unterhalt»«,Sblatt" * „Rach Feier«»»»»" * „H«»O-««» v«rtt»»irtsch«ft" * „ Fr e« »en > Liste" Testgr仫 » Ldrrfse «tast witz Druck und «erlag: Elbgau-Buchdruckerri und Verlagsanstalt Hermann Beyer L Lo., Blastwitz; »eraulw. Redakteur: Wil», v. Buttlar, Blastvitz Nr. 295. M Donnerstag, den 20. Dezember 1906. 68. Jahrg. RedaktionSschlufi r L Uhr Mittags. Speechstrmde der Redaktion: 5—6 Uhr Nachmittags. Resche EreigM. Der Diskont der Reichsbank ist an: Dienstag aus 7 Prozent, der Lombardzinsfuß auf 8 Prozent erhöbt worden. Der Papst wird eine katholische Macht beauftragen, tue Frage der Ausweisung des Monsignore Montagnini aus Paris vor dem nächsten Haager Kongreß zur Sprache zu bringen. »» Präsident Roosevelt hat eine lange Botschaft an den Kongreß wegen des Panama-Kanals gerichtet. Der Prä sident erklärt, er sei überzeugt, daß der Bau zum guten Ende durchgefübrt werden würde. Die „menschliche Bestie", der Angeklagte Tetznow, wurde vom Schwurgericht zu Greifswald zum Tode ver urteilt. j taten. Es ist ja auch nicht möglich, daß alle 397 Mitglie der des Hohen Hauses glänzende Redner sein können, cs mangelt sogar an Zeit, als daß nur ein beträchtlicher Teil der Gesamtheit sich an wichtigenTebatten beteiligen könnte, und, was uns zum Trost gereichen mutz, so viel Neues, wie Abgeordnete da sind, kann gar nicht gesprochen werden. Tic dreitausend Mark Anwcsenheitsgelder sind gerade kein fürstliches Einkommen und ob sie für die ganze Session eines Jahres im teuren Berlin ausreichen werden, bleibt abzuwarten -, aber wenn es auch nicht viel ist gegenüber den 12 (XM Mark, die z. B. die französische Republik jedem Volksvertreter für jedes Jahr aushändigt, so genügen un sere deutschen Diätcp hoch, nm a!ich einem tüchtigen Mann, der es noch nicht bis zum Besitz eines eisernen Geldspindcs gebracht hat, den Eintritt in den Reichstag finanziell zu erleichtern, wenn seine Mitbürger ihn dieser Ehre für wür dig halten. Tas ist für die Auswahl der Kandidaten und damit für den Wahlerfolg eine autzcrordentlich wichtige Sache. Wir wollen nicht das mindeste gegen die persönliche Tüchtigkeit und Anfopserungswilligkeil irgend eines heu tigen Neichstagsabgcordnetcn sagen, aber es kann doch kei nem Zweifel unterliegen, datz die Sozialdemokratie einen nicht unerheblichen Teil ihrer Erfolge der Tatsache zuzu schreiben hat, datz sie als Kandidaten Männer in Vorschlag bringt, die dem Gros ihrer Wähler auch menschlich nahe stehen. Namentlich auf die breiten Volksmatz'cn, bei denen nicht selten eine starke und unbegründete Voreingenom menheit gegen Personen besteht, die mir dem praktischen Leben nicht so sehr in Berührung kommen, wie andere, übt diese Eigenschaft eines Kandidaten grotzen Einfluß aus. Bisher war es z. B. kaum möglich, datz für nichtsozialist- ischc Arbeiter ein wirklicher, intelligenter Arbeiter als Kandidat aufgestellt wurde; ihm fehlten die Mittel, und ein Reichstagskandidal kann und darf sich nicht offenkun dig etwas schenken lassen. Tas kann sich jetzt alles ändern, und es ist nicht nur möglich, sondern auch im vollsten Maße berechtigt und wünschenswert, daß in einem indust riellen Bezirk ein Mann aus der Arbeiterschaft einem So zialisten gegenübergcstellt wird. Vielleicht kommt kein folg auf den ersten Hieb, aber cs liegt kein Anlaß vor, daß der Erfolg immer ausbleiben sollte. Wir haben nur we nige Wahlkreise verhältnismäßig, in welchen die sozialde mokratische Wählcrschar die unbedingte Mehrheit sämt licher Wähler bildet. Und der Wahlzettel im Kuvert ist ein sicherer Schutz gegen Wahl-Terrorismus, wie er früher häufig genug vorkam. Auch in denjenigen Wahlkreisen wird man- eine Er leichterung merken, die bisher genötigt waren, ihren Abge ordneten sich aus solchen Herren auszusuchen, die in Ber lin selbst oder dessen Nähe ihren Wohnsitz haben. Nichts soll gegen diese Herren gesagt werden, aber wiederum ist es eine erprobte Wahlerfahrung, datz Kandidaten „von weit her" mit nicht geringem Mißtrauen der Wähler zu kämpfen haben. Ein Reichstagsabgeordnetcr aus dem Wahlkreise selbst spricht bei der Wählerschar unzweifelhaft immer mehr an, wie ein „Außcrhalbschcr", und wenn es selbstverständlich ganz und gar ausgeschlossen ist, datz er seinen: Wahlkreise besondere materielle Vorteile zuwenden kann, so kann er doch bei mancher geeigneten Gelegenheit sich frank und frei und auf Grund eigener Beobachtungen oder Erfahrungen über dortige wirtschaftliche Verhältnisse oder andere Vcrkommnisse äußern. Man wird mit Hilfe der Diäten jetzt nicht „mehr weit" zu suchen haben, denn an tüchtigen, erfahrenen und steifnackigen Männern haben wir erfreulicherweise nirgends Mangel. Del löse BIN. Ein Weihnachtsbild aus dem Süden. Bvn Georq Paulsen. (Nachdruck verboten.) Tas war in einem kleinen Orte unweit vom Aetna auf der Insel Sizilien. Fritz Falk, der junge deutsche Ma ler, hatte Catania, die schöne stolze Stadt, auf einer Stu dienreise besucht, und da war ihm auf dem Markt eitle junge Fraucngestalt ausgefallen, die so ganz anders schien, wie alle diese plappernden, lachenden, neugierigen Sizili anerinnen. Schweigend bot das Mädchen seine Waren an, bescheiden bediente sie die Käufer, nur manchmal flog über ihr liebliches, trauriges Antlitz ein düsterer Schatten. Das war, wenn von einer in der Nähe vorübergehenden Nach barin aus dem Heimatorte ein böses Scheltwort gesprochen wurde. Ter junge Maler verstand das nicht, ihn fesselten nur die reizvollen Züge; das war ein Modell für seine Ma donna, die er zu malen beabsichtigte, wie er es sich nicht bes ser wünschen konnte. Als der Markt sich zu leeren begann, hatte er sein Anliegen vorgebracht. Das Mädchen schien ihn erst gar- nicht zu verstehen, und als sic begriffen hatte, was der Fremde von ihr wollte, da hob sie ablehnend die Hand. Dann aber kam ihr die Erinnerung an das Elend zu Haus, an die kranke Mutter, und sie willigte ein. Der Künstler und Giuseppina besprachen einiges Nähere über den An fang der Arbeit und dann schieden sie. Ein paar Lire hatte Fritz Falk als ein Angeld dem Mädchen in die Hand gedrückt, aber nur chjderwillig schloffen sich die braunen Finger um.hieLNiuen. Jetzt war es Weihnachten geworden, das Bild war fast fertig. Der junge Maler konnte sich sagen, daß sein Werk ihm gelungen sei; und wenn dem so war, so verdankte er der eigenartigen, milden Schönheit der Sizilianerin mehr, wie seiner Kunst. Tie tiefe Traurigkeit Giuseppi nas wich während der Sitzung, sic schien dann etwas auf zuleben, und in solchen Momenten hatte Fritz Falk auch ihr Schicksal erfahren. Tas junge Ting und ihre alte kranke Mutter standen unter dem Banne eines im Süden weitverbreiteten finsteren Aberglaubens, des Wabns vom bösen Blick. Tie alte Frau besaß nach dem unvcrtilgbaren Glau ben der Leute die Gabe, alle ihr verhaßten Personen mit ihrem Blick schwer zu schädigen, ja cs ward behauptet, datz kein Kreuzschlagen und kein Daumcueinkneifen dagegen helfe. Und von der Tochter argwöhnte die Menge, datz sie die verhängnisvolle Kraft von der Mutter bekommen habe- man ging ihr scheu aus dem Wege. Auf dem Wege zur Weihnachtsmesse war es in die ser immergrünen Landschaft gewesen, in die nur vom Gip fel des Aetna her etwas Schnee schimmerte. Eine leicht sinnige junge Dorfbewohnerin, die nicht übel Lust gehabt hatte, mit dem stattlichen deutschen Künstler eine Tändelei anzufangen, aber kurzer Hand abgewiesen war, hatte Giu seppina für die bevorzugte gehalten und einen wütenden Haß auf das arme Mädchen geworfen. So hatte sie ihr auf den: Wege zum Hochliegenden Gotteshause ein Schelt wort nach dem anderen zugeraunt, bis der Beleidigten endlich die Geduld gerissen war. „Nimm dich in acht," hatte sie nut flammenden Augen gerufen, „du wirst deine Strafe bekommen." Die Zänkerin war zurückgeprallt und, da sie nicht auf den Hang der Straße Acht gegeben, hinab gestürzt. Helles Geschrei gab cs unter der ganzen ihr folgen den Gevatterschaft ; nun war cS ja klar, die Guiseppina batte den bösen Blick ihrer Mutter; wie hätte die gewandte Lola, die sonst schnell und sicher war, wie ein Eichkätzchen, hier herabstürzcn können! Immer wilder ward das To ben, und da flog gegen die Bedrohte der erste Stein. Tas brachte sie zur Besinnung und wie ein Reh jagte sie davon. Wohin? Immer größer ward die Zahl der Verfol ger. und nach dem Hause der Mutter war ihr der Weg be reits abgeschnitten. Ta dachte sie an den Maler, der im mer io freundlich gegen sie gewesen war, und eilig lenkte sic den Lauf dorthin. Sie fand ihn vor dem Bilde der Ma- oonna, die ihre Züge trug, in tiefes Beschauen versunken. Mit hastigen Worten konnte sie nur erzählen, kaum konnte der Künstler sie beruhigen, da flog schon die Tür auf, der wilde Haufe brach herein. Eni, zwei Steine flogen, dann trat tiefe Stille ein. In voller wunderbarer Klarheit und Schönheit schaute die da? große Bild der Gottesmutter auf die rasende Menge und v.'r ihr kniete mit erhobenen Händen das Mädchen. Von draußen klang die Glocke. Ta beugte sich erst ein Knie und wieder eins, alle, und dann zerschmolz alle Wild heit. Leiie führte der Maler das Mädchen hinaus, ihnen nah clang es: Ave Maria! Saust, Wifftuschuil und Musik. * Residenzthcatcr. TonncrStag, Sonnabend, Sonntag, Dienstag, den f. und Mittwoch, den 2. Feiertag wird „Die lustige Witwe" aufgcführt. Montag (Heiliger Abend) bleibt das Theater geschlossen. Sonnabend, Sonn tag, Dienstag und Mittwoch nachm. wird bsti halben Prei« sen das von Carl Witt bearbeitete Abcnteurermärchen „Ro binson Cruioe" gegeben (Musik von Bruno Brenner).